Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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XII. Programm

Über den Roman

§ 19

Jetziger Segen an Romanen

Eigentlich begehrt und braucht jeder Mensch seinen besondern Roman. Wie für Griechenland Homers Epos alles war und gab: so ist der Roman besonders für Leserinnen und Jünglinge das prosaische Epos ihres Lebens, ihrer Vergangenheit und Zukunft. Da aber jeder etwas anderes erlebt und etwas anderes begehrt und träumt: so könnte jeder für sein besonderes Leben seinen individuellen Roman gebrauchen.

– Und den liefert wirklich jeder junge Romanschreiber, aber nur für seine eigne Hauswirtschaft; seine Taten und Wünsche und Ziele und alles steht in seinem Privatroman ausführlich und poetisch-verklärt. Was freilich den Leser anlangt: so suche sich der einen andern Roman, der mehr für ihn paßt.

Wenn ein Tragödiendichter mühsam in den Feldern der Geschichte oder in seiner Phantasie seinen Baustoff aufsucht, sein Bienenwachs für die Zellen seines Honigs und seiner Brut: so hat es der Romanschreiber zehnmal besser, der in einer Mittelstadt wohnt, und am allerbesten der in einer Residenzstadt, weil ihm darin ein Schutthaufen von Begebenheiten und Personen zum Verarbeiten in seine Schreibbauten aufstoßen und er statt einer Biene eine Kleidermottenraupe spielen kann, welche schon auf den Kleidern sitzt und frißt, woraus sie ihr eignes Kleid und Gehäuse zu machen und zu flicken hat. Daher kann ein solcher Mann in jeder Messe mit Drillingen, ja Sechslingen von Romanen nieder- und wiederkommen; ja mit einer solchen Blattlausfruchtbarkeit kann er, wenn er dazwischen noch auf die Blätter der verschiedenen Taschenkalender fliegt und legt, schon auf Erden das halbe Paradies einer Jüdin haben, die im künftigen jeden Tag, nach den Rabbinen, gebären kann. Alles, was der Autor dabei zu tun strebt, ist – da in seinen verschiedenen Romanen die nämlichen Charaktere, Liebschaften, ersten Küsse, Begeisterungen und Nöten wiederkehren –, alles in mannigfachen Titeln und frischen Namen zu geben, aber lockenden, so wie die Baumeister der englischen Gärten die Einsiedeleien gewisser Bedürfnisse in allerlei Zierliches verbergend einkleiden, in ein Monument – in eine Nische – in einen Holzstoß – in einen Obelisk – oder anders.

– – Und doch kann man sich hier nicht jedes Ernstes enthalten! – Verurteilt und bekehrt euch denn gar kein Gewissen, weder ein ästhetisches, noch sittliches, ihr literarischen Goldschläger, die ihr aus euerem empfangnen schönen Pfund ein Buch geschlagnen Goldes nach dem andern hämmert, anstatt Brustbilder der Kunst zu prägen? Könnt ihr den ersten Beifall der Leser undankbarer belohnen, als daß ihr euch von ihm verschlimmern laßt, anstatt von ihm verbessern, und daß ihr ihren Geschmack noch mehr herabstimmt, anstatt den eurigen hinauf? Ihr beraubt die ganze Gemeinde euerer Leserinnen durch eure Leerheit und Alltäglichkeit um eine Zeit, eine Bildung und einen Umgang mit höhern Werken, wie ihr schwerlich bei einer einzigen Leserin tun würdet. Höchstens ist zu loben, daß ihr ihnen mehr Geld abnehmet, und ihnen weniger Zeit entwendet, indem ihr das in engen Zeiträumen Geschriebne in weite Papierräume versäet und die Kapitel in Kapitelchen zersprengt und unter der Vorspiegelung eines großen Zeitaufwandes nur den kleinsten abfodert. – Könnt ihr eure sämtlichen Werke geben oder wir lesen, da in jedem Buche alle sämtliche stecken und in allen diesen keines? – Eure Vielschreiberei wirft euch eure Kräfte vor, deren Strahlen statt des Zerstreuglases nur das auf einzelne Werke gerichtete Sammelglas gebricht. – Wahrlich, ihr nötigt wenigstens Männern die Sehnsucht nach den alten, mehr derben Lehrromanen eines Itzehoer Müller, Breslauer Hermes, besonders des trefflichen Friedrich Schulze und anderer ab, damit man statt nach dem dünn und weiß geschlagnen Schaum von bodenloser, phantastischer, mystischer, frömmelnder Romantik, von einer mehr faulen als geistigen aufgetriebenen Gärung wenigstens nach Pumpernickel, Serviettenklößen und Schiffbrot greifen könnte.


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