Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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VI. Programm

Über das Lächerliche

§ 26

Definitionen des Lächerlichen

Das Lächerliche wollte von jeher nicht in die Definitionen der Philosophen gehen – ausgenommen unwillkürlich –, bloß weil die Empfindung desselben so viele Gestalten annimmt, als es Ungestalten gibt; unter allen Empfindungen hat sie allein einen unerschöpflichen Stoff, die Anzahl der krummen Linien. Schon Cicero und Quinctilian finden das Lächerliche widerspenstig gegen jede Beschreibung desselben und diesen Proteus sogar in seinen Verwandlungen gefährlich für einen, der ihn in einer fesseln wollte. Auch die neue kantische, daß das Lächerliche von einer plötzlichen Auflösung einer Erwartung in ein Nichts entstehe, hat vieles wider sich. Erstlich nicht jedes Nichts tut es, nicht das unmoralische, nicht das vernünftige oder unsinnliche, nicht das pathetische des Schmerzes, des Genusses. Zweitens lacht man oft, wenn die Erwartung des Nichts sich in ein Etwas auflöset. Drittens wird ja jede Erwartung in ganzen humoristischen Stimmungen und Darstellungen sogleich auf der Schwelle zurückgelassen. Ferner wird dadurch mehr das Epigramm und eine gewisse Art Witz beschrieben, welche Großes mit Kleinem paart. Aber an und für sich wird damit kein Lachen erweckt, so wenig als durch die Nebeneinanderstellung des Seraphs und des Wurms; und es brächte auch der Definition mehr Schaden als Vorteil, da die Wirkung dieselbe bleibt, wenn der Wurm zuerst kommt und dann der Seraph.

Endlich ist die Erklärung so unbestimmt und dadurch so wahr, als wenn ich sagte: das Lächerliche besteht in der plötzlichen Auflösung der Erwartung von etwas Ernsten in ein lächerliches Nichts. Die alte Definition von Aristoteles – welcher Argus von Blick und Geryon von Gelehrsamkeit überhaupt nie vorbeizugehen ist – steht wenigstens auf der Bahn des Ziels, wiewohl nicht am Ziele, nämlich diese, daß das Lächerliche aus einer unschädlichen Ungereimtheit entstehe. Aber weder die unschädliche der Tiere, noch die der Wahnsinnigen ist komisch; noch die größten ganzer Völker sinds, z. B. die der Kamtschadalen, welche ihren Gott Kulka seinen eigenen gefrornen Unrat für eine Schönheitgöttin der Liebe vor dessen Auftauen halten lassen. FlögelDessen Geschichte der komischen Literatur I. B. will Linguets Meinung über die Giftigkeit des Brots, Rousseaus seine über die Vorzüglichkeit des Wilden-Lebens, oder die des dumpfen verächtlichen Schwärmers Postels, daß seine venezianische Hure Johanna die Welterlöserin der Weiber sei, von komischer Wirkung finden; aber wie sollen bloße Irrtümer, von welchen jeder Büchersaal wimmelt, ohne darum ein théatre aux Italiens oder des variétés amusantes zu sein, sich zu komischen Reizen ohne die Aussteuer der Kunst verschönern? – So irrig nun Flögel die bloße geistige Ungereimtheit ohne Verkörperung komisch findet: ebenso irrig nimmt er wieder körperliche Ungereimtheit ohne Vergeistigung für komisch, wenn er bei dem plastischen Höllen-Breughel, dem Prinzen von Pallagonia in Palermo, z. B. das Relief von Christi Leiden neben einem Gauklertanz oder den Neger zu Pferde gegenüber einem römischen Kaiser mit doppelter Nase lächerlich findet; denn diesen Verschiebungen der plastischen Wirklichkeit mangelt, wie dem Menschenzerrbilde, dem Tiere, die geistige Bedeutung.

Der scharfsinnige Rezensent der Vorschule in der Jenaer Literaturzeitung setzt das Komische in Unterbrechung der Totalität des Verstandes. Da es aber mehre solcher Unterbrechungen gibt – vom ernsten Irrtum bis zum Wahnsinn –, so muß die komische eben erst von jeder andern abgeschieden werden durch eine Definition des Komischen selber (später mehr über die geistreichen Einwürfe dieses Rezensenten). – Schiller erklärt die komische Poesie für ein Herunterziehen des Gegenstandes noch unter die Wirklichkeit selber. Aber der Unterschied, der das ernste Ideal so unerreichbar weit über die Wirklichkeit hinaushebt, läßt sich bei dem Komischen nicht durch Umkehrung anwenden, da die Wirklichkeit selber das Komische beherbergt und der Narr der Bühne zuweilen unverstümmelt auch im Leben erscheint, obwohl nie der tragische Held. Und wie sollte uns eine verrenkte vertiefte Wirklichkeit erfreuen, da uns schon die natürliche prosaische betrübt? In jedem Falle geht dem Herabziehen unter die Wirklichkeit, welches ja der ernste Dichter auch am Sünder ausübt, die absondernde Entscheidung des Komischen ab.

Die neuere Schlegel-Schelling-Astische Definition des Komischen, daß dasselbe, z. B. die Komödie, »die Darstellung der idealen unendlichen Freiheit, also des negativen unendlichen Lebens oder der unendlichen Bestimmbarkeit und Willkür sei«, lass' ich hier sich mit der allerneuesten, aber für den Künstler mehr brauchbaren von St. SchützIn der Zeitung für die elegante Welt. Febr. 1812. herumschlagen, welche das Komische für die Anschauung des Zwiespalts und des Siegs zwischen Notwendigkeit und Freiheit erklärt. Auch diesem Siege, welcher oft in Krankheit, Ohnmacht, unverschuldeter Armut, ehrenvollem Erliegen unter Überzahl ohne die Wirkung des Komischen erscheint, muß erst seine komische Kraft durch ausschließende Merkmale zugesichert werden.

Doch wozu langes Ankämpfen gegen fremde Definitionen? Man stelle die eigne hin, und jene sterben an ihr von selber, falls sie taugt, wie Adlerfedern andere Federn in der Nähe zerstören. Es kann ohnehin ein Autor, wenn er auch sonst wünschte und vermöchte, nicht allen feindlichen Definitionen begegnen, da deren so viele und vielleicht die meisten erst nach seinem Tode gegen ihn auftreten und ausrücken, so daß er nach seinem Begräbnis zuletzt doch seiner eigenen immer den ganzen Sieg anheimstellen muß.

Übrigens haben wir später außer unserer Definition des Lächerlichen noch etwas zu suchen, das noch schwerer gefunden wird, nämlich die Ursache, warum uns dasselbe, obgleich als die Empfindung einer Unvollkommenheit, doch Vergnügen gewährt, und zwar nicht nur in der Dichtkunst – welche auch auf den Schimmel Blüten und an dem Sarge Blumenstücke gibt –, sondern im trockenen Leben selber.

Man holet eine Empfindung am besten aus, wenn man sie um ihre entgegengesetzte befragt. Welche ist nun der Gegenschein des Lächerlichen? Weder das Tragische, noch das Sentimentale ist es, wie schon die Wörter tragi-komisch und weinerliche Komödie beweisen. Shakespeare treibt mitten im Feuer des Pathos seine humoristischen nordischen Gewächse so unverletzt als in der Kälte des Lustspiels in die Höhe. Ja seine bloße Sukzession des Pathetischen und Komischen verwandelt ein Sterne gar in ein Simultaneum beider.

Man stelle aber einmal eine einzige lustige Zeile von beiden in ein heroisches Epos – und sie löset es auf. Verlachen, d. h. moralischer Unwille, verträgt sich in Homer, Milton, Klopstock mit der Dauer der erhabenen Empfindung; aber nie das Lachen. Kurz der Erbfeind des Erhabenen ist das LächerlicheIm 3ten Band des neu aufgelegten Hesperus S. 3 sagt' ich es unentwickelt. Ich merk' es an, damit man nicht glaube, daß ich meine eignen – Diebe bestehle, wie es zuweilen scheinen kann. Der sonst treffliche Ästhetiker Platner setzt »die Schönheit in eine gemäßigte Mischung des Erhabnen und des Lustigen«. Durch die Addition einer positiven und einer negativen Größe bekommt ein definierender Philosoph allerdings den leeren Raum, in welchen die Anschauung des Lesers recht gut den verlangten Gegenstand unbefleckt hineinsetzen kann.; und komisches Heldengedicht ist ein Widerspruch und sollte heißen das komische Epos. Folglich ist das Lächerliche das unendliche Kleine; und worin besteht diese ideale Kleinheit?

§ 27

Theorie des Erhabenen

Aber worin besteht denn die ideale Erhabenheit? – Kant und nach ihm Schiller antworten: in einem Unendlichen, das Sinne und Phantasie zu geben und zu fassen verzagen, indes die Vernunft es erschafft und festhält. Aber das Erhabene, z. B. ein Meer, ein hohes Gebirge, kann ja schon darum nicht unfaßbar für die Sinnen sein, weil sie das umspannen, worin jenes Erhabene erst wohnt; dasselbe gilt für die nachfliegende Phantasie, welche in ihrer unendlichen Wüste und Ätherhöhe vorher den unendlichen Raum für die erhabene Pyramide aufbauet. – Das Erhabene ist ferner zwar immer an ein sinnliches Zeichen (in oder außer uns) gebunden, aber dieses nimmt oft gar keine Kräfte der Phantasie und der Sinne in Anspruch. So ist z. B. in jener orientalischen Dichtung, wo der Prophet das Merkmal der vorübergehenden Gottheit erwartet, welche nicht kommt hinter dem Feuer, nicht hinter dem Donner, nicht hinter dem Sturmwinde, sondern die endlich kommt mit einem linden, leisen Wehen, offenbar das sanfte Zeichen erhabener, als ein majestätisches wäre. So steht ästhetische Erhabenheit des Handelns stets im umgekehrten Verhältnis mit dem Gewichte des sinnlichen Zeichens, und nur das kleinste ist das erhabenste; Jupiters Augenbraunen bewegen sich weit erhabener in diesem Falle als sein Arm oder er selber.

Ferner teilt Kant das Erhabene ins mathematische und ins dynamische ein, oder wie Schiller es ausdrückt, in das, was unsere Fassungkraft übersteigt, und in das, welches unserer Lebenskraft droht. Man könnt' es kürzer das quantitative und das qualitative nennen, oder das äußere und das innere. Aber nie kann das Auge ein anderes als ein quantitatives ErhabeneMan steigere die optische Intension, man überfülle das Auge mit Licht: es wird nie Kräfte, nur Größen finden. anschauen; nur erst ein Schluß aus Erfahrungen, aber keine Anschauung kann einen Abgrund, ein stürmendes Meer, einen fliegenden Felsen zu einem dynamischen Erhabenen machen. Wie wird denn dieses aber angeschauet? Akustisch; das Ohr ist der unmittelbare Gesandte der Kraft und des Schreckens, man denke an den Donner der Wolken, der Meere, der Wasserfälle, der Löwen etc. Ohne alle Erfahrung wird ein Neuling von Mensch vor der hörbaren Größe zittern; aber jede sichtbare würde ihn nur lieben und erweitern.

Wenn ich das Erhabene als das angewandte Unendliche definieren darf: so gibt es eine fünffache Einteilung oder auch eine dreifache: das angewandte auf das Auge (das mathematische oder optische Erhabene) – auf das Ohr (das dynamische oder akustische) – von innen muß die Phantasie die Unendlichkeit wiederum auf ihre eigne quantitative und qualitative Sinnlichkeit beziehen, als UnermeßlichkeitDie Ewigkeit ist für die Phantasie ein mathematisches oder optisches Erhabene; oder so: die Zeit ist die unendliche Linie, die Ewigkeit die unendliche Fläche, die Gottheit die dynamische Fülle. und als Gottheit – und dann ist noch die dritte oder fünfte Erhabenheit, welche sich gerade im umgekehrten Verhältnis mit dem äußern oder innern Sinnlichen und Zeichen offenbarer, die sittliche oder handelnde.

Wie wird nun das Unendliche gerade auf einen sinnlichen Gegenstand angewandt, wenn er selber, wie ich bewiesen, kleiner ist als die Flügel der Sinne und der Phantasie? Den ungeheuren Sprung vom Sinnlichen als Zeichen ins Unsinnliche als Bezeichnetes – welchen die Pathognomik und Physiognomik jede Minute tun muß – vermittelt nur die Natur, aber keine Zwischen-Idee; zwischen dem mimischen Ausdruck des Hasses z. B. und zwischen diesem selber, ja zwischen Wort und Idee gibt es keine Gleichung. Allein die Bedingungen müssen zu finden sein, unter welchen ein sinnlicher Gegenstand zum geistigen Zeichen wird vorzugsweise vor einem andern. Bei dem Ohre ist Extension und Intension zugleich vonnöten; der donnernde Ton muß zugleich ein langer sein. Da wir keine Kraft anschauend kennen als unsere; und da Stimme gleichsam die Parole des Lebens ist: so ists begreiflicher, warum gerade das Ohr das Erhabene der Kraft bezeichnet. Eine schnelle Vergleichung unserer Töne mit fremden muß man nicht ganz dabei ausschließen. Sogar die Stille kann erhaben werden, die eines hoch still schwebenden Raubvogels, die vor dem großen Meersturm, die nach dem großen Blitze vor dem Donner.

Die optische Erhabenheit ruhet nicht auf Intension – denn Blendung ist nicht erhaben, auch Nacht und Sonne wären es nicht, allein gesehen, ohne Himmel und Umgebung –, sondern auf Extension, aber nur der einfärbigen.Quintus Fixlein, 2te Auflage, S. 357. Eine unabsehliche angebauete Land-Ebene weicht dem grauen stillen Meere, obgleich jene optisch-intensiv dem Auge mehr Licht darreicht und obgleich dieses so gut als jene an der Wolke aufhört. So wäre einem Obeliskus durch große Farben-Flecke – nicht aber durch zu nah und zu klein aufgetragene, weil diese sonst vor dem schwindelnden Auge in einen verschmölzen – seine halbe Größe wegzunehmen. Warum dies aber, da eher verschiedene Farben sie heller und also bei alter Ferne größer bauen müßten? Darum: jede neue Farbe beginnt einen neuen Gegenstand, in der Ferne oder Nacht ausgenommen, wo alle Farben ineinandertaumeln. Hingegen übersäe man sie wie eine Peters-Kuppel mit kleinen Lichtern: so wird sie größer, weil diese nachtsAm Tage würden sie vor dem größern Lichte selber nur kleine Gegenstände. denselben Gegenstand fortsetzen, nicht sich anfangen. Daher sind die Sterne nur durch den Himmel optisch erhaben, nicht er durch sie.- Noch ist die letzte Frage: warum wird denn nun der von einer Farbe lange fortgesetzte Gegenstand ein Bild der Unendlichkeit?-

Ich antworte: durch eine Grenze, also durch zwei Farben; und das Begrenzte ist erhaben, nicht das Begrenzende; das Auge wiederholet bis zum Schwindel dieselbe Farbe, und dieses ewige Wiederkommen des Nämlichen wird das unendliche Bild; weder die Mitte, noch die Spitze der Pyramide ist erhaben, sondern die Bahn des Blicks. Um aber eben zu wissen, daß hier ein Nämliches sei, muß ich hier ein Verschiedenes zugleich haben und ihm entgegensetzen; ohne dieses gäb' es kein Ziel, keine Ferne, also keine Größe; daher die Nacht vor dem zugedrückten Auge nicht erhaben ist, obwohl eine vor dem offnen, weil ich hier von einer erleuchteten Stelle oder von mir an den unendlichen Weg ziehe.

Ich erwehre mich des Einzelnen, da sich die Aufgaben und Auflösungen ins Unendliche vervielfältigen lassen; z. B. einer Untersuchung bedürfte der Fall, wo oft die verschiedenen Gattungen, wie Blitz und Donnerschlagen, vereinigt treffen, wie der Wasserfall, der mathematisch und dynamisch groß ist, so wie das stürmende Meer. Eine andere lange Untersuchung wäre wieder die, wie dieses angewandte Unendliche der Natur sich zu dem der Kunst verhalte, da in beiden die Phantasie auf die Vernunft bezieht u. s. w. Ebenso wäre gegen den kantischen »Schmerz bei jedem Erhabenen« viel einzuwenden, besonders dieses, daß nach ihm das größte den größten geben müßte, nämlich Gott; und so wäre gegen den andern kantischen Satz, daß neben dem Erhabenen alles klein sei, einzuwerfen, daß es sogar Stufen des Erhabenen, nicht als eines Unendlichen, sondern als eines angewandten, gibt; denn eine wache Sternennacht, z. B. über einem schlafenden Meere, sind keine so mächtigen Flügel der Seele als ein Gewitter-Himmel mit seinem Gewitter-Meere; und Gott ist erhabener als ein Berg.


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