Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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§ 18

Schönheit oder Ideal

Die zweite Hauptfarbe der Griechen, das Ideale oder das Schöne, mischt sich aus ihrer Helden- und ihrer Götter-Lehre und aus deren Mutter, der harmonischen Mitte aller Kräfte und Lagen. In der Mythologie, in diesem Durchgange durch eine Sonne, einen Phöbus, hatten alle Wesen das Gemeine und den Überfluß der Individualität abgestreift; jeder Genuß hatte auf dem Olymp seinen Verklärung-Tabor gefunden. Ferner durch die wilden barbarischen Kräfte der Vorzeit, von der Entfernung ins Große gebildet, von früher Poesie ins Schöne gemalt, wurden Ahnen und Götter in ein glänzendes Gewebe gereihet und der goldene Faden bis in die Gegenwart herübergezogen, so daß nirgends die Vergötterung aufhörte. Mußte diese Nähe des Olymps am Parnasse nicht auch lauter glänzende Gestalten auf diesen herübersenden und ihn mit seinem himmlischen Lichte überziehen? – Eine Hülfe zur innern Himmelfahrt der Dichter war, daß ihre Gesänge nicht bloß auf, sondern meist auch für Götter gemacht waren und sich also schmücken und erheben mußten für ihre künftige Thronstelle in einem Tempel oder unter gottesdienstlichen Spielen. Endlich wenn Schönheit – die Feindin des Übermaßes und der Leere – nur wie das Genie im Ebenmaße aller Kräfte, nur im Frühling des Lebens, fast wie der Jahrszeit, blüht: so mußte sie in der gemäßigten Zone aller Verhältnisse am vollsten ihre Rosen öffnen; die Krampf-Verzerrungen der Knechtschaft, des gefesselten Strebens, des barbarischen Luxus, der religiösen Fieber und dergleichen waren den Griechen erspart. Gehört Einfachheit zum Schönen: so wurde sie ihnen fast von selber zuteil, da sie nicht, wie wir Nachahmer der Jahrhunderte, das Beschriebene wieder zu beschreiben und also das Schöne zu verschönern hatten. Einfachheit der Einkleidung wird nur durch Fülle des Sinns entschuldigt und errungen, so wie ein König und Krösus leicht in ungesticktem Gewande sich zeigt. Einfachheit an sich würde mancher bequem und willig nachahmen, aber was hätt' er davon, wenn er seine innere Armut noch in äußere einkleidete und in einen Bettler-Rock den Bettelmusikanten? – Die geistige Plastik konnte so die Farbenzier verschmähen wie die körperliche jede an den Statuen, welche sich bloß mit der einzigen Farbe ihres Stoffs bekleiden.

Doch gibt es noch eine reine frische Nebenquelle des griechischen Ideals. – Alles sogenannte Edle, der höhere Stil begreift stets das Allgemeine, das Rein-Menschliche und schließt die Zufälligkeiten der Individualität aus, sogar die schönen. Daher die Griechen (nach Winckelmann) ihren weiblichen Kunstgebilden das reizende Grübchen nicht liehen, als eine zu individuelle Bestimmung. Die Poesie fodert überall (ausgenommen die komische, aus künftigen Gründen) das Allgemeinste der Menschheit; das Ackergeräte z. B. ist edel, aber nicht das Backgeräte; – die ewigen Teile der Natur sind edler als die des Zufalls und des bürgerlichen Verhältnisses; z. B. Tigerflecke sind edel, Fettflecke nicht; – der Teil, wieder in Unterteile zerlegt, ist weniger edelDaher die Franzosen in ihren gebildeten Zirkeln das allgemeine Wort vorziehen, z. B. la glace statt miroir, oder spectacle statt théatre., z. B. Kniescheibe statt Knie; – so sind die ausländischen Wörter, als mehr eingeschränkt, nicht so edel als das inländische Wort, das für uns als solches alle fremde der Menschheit umschließt und darbietet; z. B. das Epos kann sagen die Befehle des Gewissens, aber nicht die Dekrete, Ukasen etc. desselbenIm Lateinischen und Russischen gälte wieder das Umgekehrte aus demselben Grunde. Wenn man in dem zwar talent-verworrenen, doch talent-reichen Trauerspiele Cadutti aus der höhern Region des Allgemeinen plötzlich durch die Worte: »Und was sich mildern lässet, Soll in der Appellations-Instanz gemildert werden« in die juristische Region herabstürzt: so ist eine ganze Szene getötet, denn man lacht bis zur nächsten.; – so reicht und herrscht diese Allgemeinheit auch durch die Charaktere, welche sich erheben, indem sie sich entkleiden, wie Verklärte, des individuellen Ansatzes.

Warum oder daß vor uns alles in dem Verhältnisse, wie wir das Zufällige zurückwerfen, von Stufe zu Stufe schöner und lichter aufsteigt – so daß das Allgemeinste zugleich unvermutet das Höchste wird, nämlich endliches Dasein, dann unendliches Sein, nämlich Gott –: dies ist ein stiller Beweis oder eine stille Folge einer heimlichen angebornen Theodizée.

Nun sucht der Jüngling, welcher aus Güte, Unkunde und Kraft stets nach dem Höchsten strebt, das Allgemeine früher als das Besondere; daher ihm das Lyrische leicht und das Komische mit seiner Individualisierung so schwer wird. Die Griechen waren aber frische Jünglinge der WeltJugend eines Volks ist keine Metapher, sondern eine Wahrheit; ein Volk wiederholt, nur in größeren Verhältnissen der Zeit und der Umgebung, die Geschichte des Individuums.; folglich half ihr schöner Lebensfrühling das Blühen aller idealen Geschöpfe begünstigen.

§ 19

Ruhe und Heiterkeit der Poesie

Heitere Ruhe ist die dritte Farbe der Griechen. Ihr höchster Gott wurde, ob er gleich den Donner in der Hand hatte, (nach Winckelmann) stets heiter abgebildet. Hier ziehen wieder Ursachen und Wirkungen organisch durcheinander. In der wirklichen Welt sind Ebenmaß, Heiterkeit, Schönheit, Ruhe wechselnd füreinander Mittel und Folgen; in der poetischen ist jene frohe Ruhe sogar ein Teil oder eine Bedingung der Schönheit. Unter den äußern Ursachen jener griechischen Freude gehören außer den hellern Lebensverhältnissen und der steten öffentlichen Ausstellung der Poesie – denn wer wird zu öffentlichen Festspielen und vor einer Menge düstere Schattenwelten vorführen? – noch die Bestimmung für Tempel. Der griechische zärtere Sinn fand vor Gott nicht die enge Klage, welche in keinen Himmel, sondern ins dunkle Land der Täuschung gehört, aber wohl die Freude anständig, welche ja der Unendliche mit den Endlichen teilen kann.

Poesie soll, wie sie auch in Spanien sonst hieß, die fröhliche Wissenschaft sein und wie ein Tod zu Göttern und Seligen machen. Aus poetischen Wunden soll nur Ichor fließen, und wie die Perlenmuschel muß sie jedes ins Leben geworfene scharfe oder rohe Sandkorn mit Perlenmaterie überziehen. Ihre Welt muß eben die beste sein, worin jeder Schmerz sich in eine größere Freude auflöset und wo wir Menschen auf Bergen gleichen, um welche das, was unten im wirklichen Leben mit schweren Tropfen auffällt, oben nur als Staubregen spielet. Daher ist ein jedes Gedicht unpoetisch, wie eine Musik unrichtig, die mit Dissonanzen schließet.

Wie drückt nun der Grieche die Freude in seiner Dichtkunst aus? – Wie an seinen Götter-Bildern: durch Ruhe. Wie diese hohen Gestalten vor der Welt ruhen und schauen: so muß der Dichter und sein Zuhörer vor ihr stehen, selig-unverändert von der Veränderlichkeit. Tretet einmal in einen Abgußsaal ihrer Götter-Bildsäulen. Die hohen Gestalten haben Grabes-Erde und Himmels-Wolke abgeworfen und decken uns eine selig-stille Welt auf in ihrer und in unserer Brust. Schönheit bewegt sonst im Menschen den Wunsch und die Scheu, wenn auch nur leise; aber die ihrige ruht einfach und unverrückt wie ein blauer Äther auf der Welt und Zeit; und nur die Ruhe der Vollendung, nicht der Ermüdung stillt ihr Auge und schließt den Mund. Es muß eine höhere Wonne geben als die Pein der Lust, als das warme weinende Gewitter der Entzückung. Wenn der Unendliche sich ewig freuet und ewig ruhet, so wie es am Ende, es mögen noch so viele ziehende Sonnen um gezogne Sonnen gehen, eine größte geben muß, welche allein still schwebt: so ist die höchste Seligkeit, d. h. das, wornach wir streben, nicht wieder ein Streben – nur im Tartarus wird ewig das Rad und der Stein gewälzt –, sondern das Gegenteil, ein genießendes Ruhen, das far niente der Ewigkeit, wie die Griechen die Inseln der Seligen in den westlichen Ozean setzten, wo die Sonne und das Leben zur Ruhe niedergehen. Die alten Theologen kannten das Herz besser, wenn sie die Freude der Seligen, gleich der göttlichen, in ewiger Unveränderlichkeit und im Anschauen Gottes bestehen ließen und uns nach den eilf irdischen beweglichen Himmeln einen letzten festen gaben.Nach den alten Astronomen kreiseten 11 Himmel übereinander, der 12te oder kristallene stand. Wie viel reiner ahneten sie das Ewige, obwohl Unbegreifliche als die Neuern, welche die Zukunft für eine ewige Jagd durch das Weltall ausgeben und mit Vergnügen von den Sternsehern immer mehre Welten als Kauffahrteischiffe in Empfang nehmen, um sie mit Seelen zu bemannen, welche wieder auf – Schiffen anlanden, und mit neuen immer tiefer in die Schöpfung hineinsegeln; so daß, wie in einem Konzert, ihr Adagio des Alters oder Todes zwischen dem jetzigen Allegro und dem künftigen Presto stellt. Heißet das nicht, da alles Streben Kampf mit der Gegenwart ist, ewigen Krieg ausschreiben statt ewigen Frieden und, wie die Sparter, auch Götter bewaffnen?

In Satyrs und in Porträts legten die Alten die Unruhe, d. h. die Qual des Strebens. Es gibt keine trübe Ruhe, keine stille Woche des Leidens, sondern nur die des Freuens, weil auch der kleinste Schmerz regsam und kriegerisch bleibt. Eben die glücklichen Indier setzen das höchste Glück in Ruhen, eben die feurigen Italiener reden von dolce far niente. Pascal hält den Menschen-Trieb nach Ruhe für eine Reliquie des verlornen göttlichen Ebenbildes.Es ist dasselbe, wenn Fr. Schlegel »göttliche Faulheit und Glück des Pflanzen- und Blumenlebens« preiset; nur daß er sich dabei an seinem wörtlichen Übermute und an dessen entgegengesetzten Wirkungen zu sehr erfreuet. Mit Wiegenliedern der Seele nun zieht uns der Grieche singend auf sein großes glänzendes Meer, aber es ist ein stilles.

§ 20

Sittliche Grazie der griechischen Poesie

Die vierte Hauptfarbe ihrer ewigen Bildergalerie ist sittliche Grazie. Poesie löset an sich schon den rohen Krieg der Leidenschaften in ein freies Nachspielen derselben auf, so wie die olympischen Spiele die ernsten Kriege der Griechen unterbrachen und aussetzten und die Feinde durch ein sanfteres Nachspielen der Kämpfe vereinigten. Da jede moralische Handlung als solche und als eine Bürgerin im Reiche der Vernunft frei, absolut und unabhängig ist, so ist jede wahre Sittlichkeit unmittelbar poetisch, und die Poesie wird wiederum jene mittelbar. Ein Heiliger ist dem Geiste eine poetische Gestalt, so wie das Erhabne in der Körperwelt. Freilich spricht die Poesie sich nicht sittlich aus durch das Auswerfen klingender Sentenzen (so wenig als die Gothaner unter Ernst I. sich sehr durch die Dreier werden gebessert haben, auf welche er Bibel-Sprüche prägen lassen), sondern durch lebendige Darstellung, in welcher der sittliche Sinn – so wie der Weltgeist und die Freiheit sich hinter das mechanische Räderwerk der Weltmaschine verbergen – als unsichtbarer Gott mitten über eine sündige freie Welt regieren muß, die er erschafft.

Das Unsittliche ist nie als solches poetisch, sondern wird es nur durch irgendeine Zumischung; z. B. durch Kraft, durch Verstand; daher ist, wie ich später zeigen werde, nur ein rein-unsittlicher Charakter, nämlich grausame und feige Ehrlosigkeit, unpoetisch, nicht aber ihr Gegensatz, der rein-sittliche Charakter höchster Liebe, Ehre und Kraft. Je größer das Dichtergenie, desto höhere Engelbilder kann dasselbe aus seinem Himmel auf unsere Erde herunterlassen – da es sie aber, so wenig als eine neue Anschauung, willkürlich zusammenbauen oder erfinden, sondern nur in sich finden kann: so besiegelt dies wieder den Bund zwischen Sittlichkeit und Poesie. Man wende nicht ein: je größer ein Milton, desto größer seine Teufel. Denn zur Schilderung der Teufelsuperlativen als umgekehrter Götter ist nicht eine bejahende innere Anschauung, sondern nur eine Verneinung alles Guten vonnöten; wer also am reichsten zu bejahen weiß, vermag am reichsten zu verneinen.

Wir wollen uns hier nicht in die sittliche Zartheit der Griechen im Leben selber einlassen – denen andere Völker mehr in sittlicher als in ästhetischer Bedeutung Barbaren hießen, und welche Philipps Privatbriefe so wie den Rat eines ungerechten Siegs-Mittels gar nicht vorgetragen haben wollten, oder welche Euripides' Lobpreisung des Reichtums und Sokrates' Ankläger verabscheuten –, sondern wir schauen ihre sittliche Dichtkunst an. Wie lassen Sonne und Mond Homers, die Ilias und Odyssee, und das Siebengestirn des himmlischen Sophokles ein zartes scharfes Licht auf jeden Auswuchs, auf jeden Frevel, so wie auf jede heilige Scheu und Sitte fallen! Wie rein umschreibt sich im Herodot die sittliche Gestalt des Menschen! Wie jungfräulich spricht Xenophon, die attische honigvolle und stachellose Biene! – Der wie alle große Komiker sittlich verkannte Aristophanes, dieser patriotische Demosthenes im Sokkus, läßt ja wie ein Moses seinen Froschregen auf den Euripides nur zur Strafe seiner schlaffen und erschlaffenden Sittlichkeit fallen – weniger bestochen als Sokrates von dessen Sittensprüchen bei verwaltender Unsittlichkeit im ganzen – und verschont dagegen mit dem kleinsten rauhen Anhauche nicht etwan seinen gekrönten Liebling Äschylos, sondern den religiösen Sophokles, welcher selber dem Euripides, wie Shakespeare dem Dichter Ben Jonson, zu große Achtung bewiesen. Stünde nun ein solcher von Aristophanes sittlich verurteilter Euripides in den jetzigen Ländern wieder auf: was würden die Länder machen? Ehrenpforten zu einem Ehrentempel für ihn; »denn«, würden sie sagen, »es darf uns wohltun, endlich einmal den Wiederhersteller reiner Sittlichkeit auf unsern besudelten Bühnen zu begrüßen.«

Ferner unterschieden sich die Griechen noch durch eine doppelte Umkehrung von uns. Wir verlegen die sinnliche Seligkeit auf die Erde, und das sittliche Ideal in die Gottheit. Die Griechen geben den Göttern das Glück, den Menschen die Tugend. Die schöne Farbe der Freude, welche in ihren Schöpfungen blüht, liegt mehr auf unsterblichen Wangen als auf sterblichen; denn wie klagen sie nicht alle über das unstete Los der Sterblichen, über die Mühen des Lebens und über den alles erreichenden Schatten des Todes und über das ewige Nachsterben im Orkus! Und nur zur offnen Göttertafel der Unsterblichen auf dem Olympus blickt der Dichter auf, um sein Gedicht zu verklären und zu erheitern. Hingegen die sittliche unsterbliche Gestalt muß der Mensch, wie Gott den Adam, aus seinem Erdenkloß mit einsamen Kräften ausbilden; denn jeder Auswuchs und Wulst an dieser Gestalt, jeder Trotz auf Kraft und Glück, jede Keckheit gegen Sitte und Gottheit wird von denselben Himmels-Göttern – gleich als wären sie Erden-Götter – unerbittlich mit dem Höllenstein einer augenblicklichen Hölle berührt und verzehrt, eben von ihnen, welche sich den Mißbrauch der Allmacht vergönnen, weil sie keine Götter und keine Nemesis zu fürchten haben, ausgenommen den dunkelsten Gott nach einem Meineide beim Styx.

Möge dieses wenige nach so vielem über die Griechen, wenn auch nicht genug, doch nicht zuviel sein! – Gleicht nicht die angegebne Tetralogie ihrer Dichtkunst ihrem Dichtergott selber; und hat wie er den Lichtstrahl – die Lyra – die Heilpflanze – und den Pfeil gegen den Drachen?


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