Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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§ 28.

Untersuchung des Lächerlichen

Wenn ein Programmatist, der das Lächerliche analysieren will, das Erhabene voraussendet, um bei dem Lächerlichen und dessen Analyse anzulangen: so kann sein theoretischer Gang sehr leicht zu einem praktischen ausschlagen.

Dem unendlich Großen, das die Bewunderung erweckt, muß ein ebenso Kleines entgegenstehen, das die entgegengesetzte Empfindung erregt.

Im moralischen Reiche gibt es aber nichts Kleines; denn die nach innen gerichtete Moralität erzeugt eigne und fremde Achtung und ihr Mangel Verachtung, und die nach außen gerichtete weckt Liebe und ihr Mangel Haß; zur Verachtung ist das Lächerliche zu unwichtig und zum Hasse zu gut. Es bleibt also für dasselbe nur das Reich des Verstandes übrig, und zwar aus demselben das Unverständige. Damit aber derselbe eine Empfindung erwecke, muß er sinnlich angeschauet werden in einer Handlung oder in einem Zustande; und das ist nur möglich, wenn die Handlung als falsches Mittel die Absicht des Verstandes, oder die Lage als Widerspiel die Meinung desselben darstellt und Lügen straft.

Noch sind wir nicht am Ziele. Obgleich nichts SinnlichesSogar dann nicht, wenn der sonst lächerliche Kontrast zwischen Äußern und Innern auf das Unbelebte trifft. Eine geputzte Pariser Puppe kann jeder mögliche Kontrast mit ihrem Putze nicht lächerlich machen. allein lächerlich sein kann – d. h. nichts Lebloses, ausgenommen durch Personifikation – und wieder nichts Geistiges allein es werden kann – nicht der reine Irrtum, noch die reine Verstandeslosigkeit –, so fragt sich eben: durch welches Sinnliche spiegelt sich das Geistige und welches Geistige ab? –

Ein Irrtum an und für sich ist nicht lächerlich, so wenig als eine Unwissenheit; sonst müßten die verschiedenen Religionsparteien und Stände einander immer lächerlich finden. Sondern der Irrtum muß sich durch ein Bestreben, durch eine Handlung offenbaren können; so wird uns derselbe Götzendienst, bei welchem wir als bloßer Vorstellung ernsthaft bleiben, lächerlich werden, wenn wir ihn üben sehen. Ein gesunder Mensch, der sich für krank hielte, würde uns erst komisch vorkommen durch wichtige Vorkehrungen gegen seine Not. Das Bestreben und die Lage müssen beide gleich anschaulich sein, um ihren Widerspruch zur komischen Höhe zu treiben. Allein noch immer haben wir nur einen anschaulich ausgedrückten endlichen Irrtum, der noch keine unendliche Ungereimtheit ist. Denn kein Mensch kann im gegebnen Falle nach etwas anderem handeln als nach seiner Vorstellung davon. Wenn Sancho eine Nacht hindurch sich über einem seichten Graben in der Schwebe erhielt, weil er voraussetzte, ein Abgrund gaffe unter ihm: so ist bei dieser Voraussetzung seine Anstrengung recht verständig; und er wäre gerade erst toll, wenn er die Zerschmetterung wagte. Warum lachen wir gleichwohl? Hier kommt der Hauptpunkt: wir leihen seinem Bestreben unsere Einsicht und Ansicht und erzeugen durch einen solchen Widerspruch die unendliche Ungereimtheit; zu dieser Übertragung wird unsere Phantasie, die hier, wie bei dem Erhabenen, der Mittler zwischen Innern und Äußern ist, ebenfalls wie bei dem Erhabenen nur durch die sinnliche Anschaulichkeit des Irrtums vermocht. Unser Selbst-Trug, womit wir dem fremden Bestreben eine entgegengesetzte Kenntnis unterlegen, macht es eben zu jenem Minimum des Verstandes, zu jenem angeschaueten Unverstande, worüber wir lachen, so daß also das Komische, wie das Erhabene, nie im Objekte wohnt, sondern im Subjekte.

Daher können wir eine und dieselbe innere und äußere Handlung belachen oder billigen, je nachdem wir unser Unterschieben anbringen können oder nicht. Niemand lacht über den wahnsinnigen Patienten, der sich für einen Kaufmann und seinen Arzt für den Schuldner hält; ebensowenig lacht man über den Arzt, der ihn zu heilen sucht. Wenn hingegen in Footes Indüstrierittern äußerlich ganz dasselbe geschieht, nur, daß innerlich der Patient so vernünftig ist wie der Arzt: so lachen wir dennoch, wenn der wahre Kaufmann die Bezahlung wirklicher Waren von einem Arzte erwartet, bei welchem die Diebin derselben die Schuldforderung für eine fixe Idee ausgegeben. Beiden vernünftigen Männern legen wir zu ihren Handlungen durch die Täuschung des Komischen unsere Kenntnis der Betrügerin bei.

Da man aber fragen muß: warum unterlegen wir nicht jedem anerkannten Irrtum und Unverstand jene Folie, die ihn zum Komischen erhellt? so ist die Antwort: bloß die Allmacht und Schnelle der sinnlichen Anschauung zwingt und reißt uns in dieses Irr-Spiel hinein. Wenn z. B. in Hogarths reisenden Komödianten das Trocknen der Strümpfe an Wolken lachen macht: so dringt uns die sinnliche Plötzlichkeit des Widerspruchs zwischen Mittel und Zweck den flüchtigen Glauben auf, daß ein Mensch wahre Regenwolken zu Trockenseilen gebrauche. Dem Komödianten selber und später auch uns ist das Trocknen an einer festen Scheinwolke nichts Lächerliches. – Noch stärker zeigt sich die Gewalt sinnlicher Anschaulichkeit in dem Erzeugen des Lachens bei so ganz absichtlosen unfruchtbaren Ehen des Unähnlichsten, wie etwan z. B. in den propos interrompus (zu deutsch im sogenannten Schenken und Logieren), oder auch im zeilenweisen Hinüberlesen von einer Zeitung-Halbseite in die andere, wo auf einen Augenblick durch die Täuschung oder Unterschiebung eines absichtlichen Verbindens und Wahl-Handelns die Wirkung eintreten muß, damit man lacht. Ohne jene voreilige Unterschiebung, gleichsam ein Syllogismus der Empfindung, würde das Paaren alles Ungleichartigsten doch kein Lachen gebären; denn was ist nicht zu gleicher Zeit Unähnlichstes z. B. unter dem Nachthimmel ohne komische Gewalt beisammen – die Nebelflecken – Nachtmützen – Milchstraßen – Stallichter – Nachtwächter – Spitzbuben u. s. w.? Was sag' ich? Wird denn nicht jede Sekunde des Universums vom Niedrigsten und vom Höchsten nachbarlich gefüllt, und wann könnte das Lachen aufhören, wenn bloße Nachbarschaft gälte? Daher sind an sich die Kontraste der Vergleichung nicht lächerlich, ja sie können oft sehr ernsthaft sein, z. B. wenn ich hier sage: vor Gott ist der Erdball ein Schneeball, oder: das Rad der Zeit ist das Spinnrad für die Ewigkeit.

Zuweilen tritt die Umkehrung ein, und erst durch das Wissen des fremden Innern oder der Absicht wird die äußere Anschaulichkeit komisch. Z. B. ein Holländer stehe in einem schönen Garten an einer Mauer und schaue durch ein Fenster derselben in die Gegend hinaus: so ist an einem Manne, welcher sich auf die Fensterbrüstung zum bequemem Genusse der Natur mit Armen legt, nichts, weswegen er in irgendeiner ästhetischen Vorschule als komisch anzuführen wäre. Sogleich aber wird der unschuldige Holländer ins komische Gebiet gebracht, wenn man noch hinzuerzählt, daß er, da er alle benachbarte Holländer Land- oder Gartenhäuser mit guten Aussichten ins Freie genießen sah, tat, was er vermochte, und weil er kein ganzes Landhaus erschwingen konnte, sich wenigstens eine kurze Mauer mit einem Fenster bauen ließ, aus welchem er, wenn er sich in solches legte, sehr frei und ungehindert die Landschaft vor sich hin beschauen und genießen konnte. Allein um vor seinem Kopfe in der Fensteröffnung anlachend vorbeizugehen, müssen wir ihm vorher etwas andichten, daß er nämlich zu gleicher Zeit sich die Aussicht habe vermauern und habe eröffnen wollen.

Oder: wenn der Dichter Ariosto seinem ihn ausscheltenden Vater ergeben zuhört: so liegt die Äußerlichkeit des Vaters wie des Sohnes von jedem Lächerlichen so lange ab, als man nicht das Innere des Sohnes erfährt, nämlich daß er in einem Lustspiel einen Poltervater ausarbeitet und daher den seinigen als einen gefundenen Vorfechter, goldenen Spiegel und eine anschauliche Poetik des theatralischen Vaters aufmerksam betrachtet, so wie dessen Gesichtszüge als mimischen Bauriß dazu; – jetzo erst macht das Darlehn unserer Ansicht beide komisch, so wenig an sich sonst ein zankender Vater oder ein abzeichnender Hogarth desselben es ist.

Ferner: man lacht weniger über das, was Don Quixote tut – dem Wahnwitze ist nichts zu leihen –, als was er an sich vernünftig sagt; Sancho Pansa aber weiß sich mit Reden und Taten gleich gut lächerlich zu machen. – Oder: da jeune jung und jeûne fastend, und général zugleich allgemein und ein General bedeutet, so ist die bekannte Verwechslung eines Übersetzers von jeûne général zwischen einem allgemeinen Fasten und jungen General – welche im Kriege oft kaum eine ist – nur durch unsere Unterschiebung eines bewußten Verwechselns komisch. – Endlich: warum wird ein Mensch mit einer an sich nicht lächerlichen Eigentümlichkeit durch eine mimische, sogar nicht einmal travestierende Nachahmung und Adoption derselben doch lächerlich durch Ab- oder Nachdruck und Nachspiel auf einem fremden Gesicht? Und warum hingegen könnten zwei ähnliche Brüder und Menächmen, zugleich beisammen geschauet, leichter SchaudernMich wundert daher, daß man diese fürchterliche Verdopplung der Gestalt nur komisch, nicht auch tragisch verwendet hat. als Lachen erregen? Meine Antwort darauf ist bisher gegeben worden.

Daher kann niemand sich selber lächerlich im Handeln vorkommen, es müßte denn eine Stunde später sein, wo er schon sein zweites Ich geworden und dem ersten die Einsichten des zweiten andichten kann. Achten und verachten kann der Mensch sich mitten in der Tat, welche der Gegenstand des einen oder des andern ist, nicht aber sich auslachen, so wie nicht selber (s. Quint. Fixlein S. 395) sich lieben und hassen. – Wenn ein Genie von sich ebenso gut und zwar dasselbe Gute denkt (was vielen Stolz voraussetzt) als ein Tropf von sich, und wenn beide diesen Stolz mit gleichen körperlichen Zeichen vor die Anschauung bringen: so lachen wir, obwohl Stolz und Zeichen gleich gesetzt sind, nur den Tropf allein aus, bloß weil wir diesem allein etwas dazuleihen. Daher vollendete Dummheit oder Verstandeslosigkeit schwer lächerlich wird, weil sie uns das LeihenDaher können höhere Wesen zwar über uns, obwohl selten, lachen und unsere Handlungen mit ihren Einsichten kontrastieren, aber dazu sind nicht unsere törichten tauglich, sondern unsere weisen. – Daher ist Philosophie, z. B. die Schellingische, welche den Verstand aus dem Gebiete der Vernunft verweiset, schwer lächerlich zu machen; denn unser subjektiver Kontrast, den wir ihr leihen wollen, ist eben schon ihr eigner. unserer kontrastierenden Einsicht erschwert oder verbeut.

Daher die gemeinen Definitionen des Lächerlichen so falsch sind, welche nur einen einfachen realen Kontrast annehmen, anstatt den scheinbaren zweiten; daher das lächerliche Wesen und dessen Mangel wenigstens den Schein der Freiheit haben muß daher lachen wir nur über die klügern Tiere, welche uns ein personifizierendes anthropomorphotisches Leihen verstatten. Daher wächst das Lächerliche mit dem Verstande der lächerlichen Person. Daher bereitet sich der Mensch, der sich über das Leben und dessen Motive erhebt, das längste Lustspiel, weil er seine höhern Motive den tiefern Bestrebungen der Menge unterlegen und dadurch diese zu Ungereimtheiten machen kann; doch kann ihm der erbärmlichste das alles wieder zurückgeben, wenn er dem höhern Streben seine tiefern Motive unterschiebt. Daher fliegen eine ganze Menge Programmen, gelehrte Anzeiger und Anzeigen und die schwersten Ballen des deutschen Buchhandels, die an und für sich verdrüßlich und ekelhaft hinkriechen, sogleich als Kunstwerke auf, sobald man sich nur denkt (und ihnen also die höhern Motive leiht), daß sie irgendein Mann aus parodierendem Spaße hingeschrieben.

Auch bei dem Lächerlichen der Lage müssen wir, ebenso wie bei dem Lächerlichen der Handlung, dem komischen Wesen zu dem wahren Widerspruche mit dem Äußern noch einen erdichteten innern mit sich selber geben, ob es gleich oft ebensoschwer sein mag, im Überflusse einer lebendigen EmpfindungZ. B. lächerlich ist die Darstellung des Schnellen – ferner der Menge – ferner der Buchstabe s (versessen, besessen etc.) – ferner maschinenmäßige Abhängigkeit des Geistigen von der Maschine (z. B. so lange zu predigen, bis man ausdünstet); daher sogar das Passivum komischer ist als das Aktivum – ja der ist lächerlicher als die – ferner die Verwandlung eines lebendigen Wesens in ein abstraktes (z. B. etwas Blaues saß auf dem Pferde) u. s. w. Gleichwohl müssen hier so gut, aber auch so schwer die drei Bestandteile des Lächerlichen aufzuzeigen sein als im Lächerlichen, das einem Kinde als solches erscheint. das dürre Gesetz zu verfolgen, als in jedem gegebnen Tiere das Sparrwerk der tierischen Schöpfung, nämlich das Fisch-Gerippe.

Man erlaube mir der Kürze wegen, daß ich in der künftigen Untersuchung die drei Bestandteile des Lächerlichen als eines sinnlich angeschaueten unendlichen Unverstandes bloß so nenne, wie folgt: den Widerspruch, worin das Bestreben oder Sein des lächerlichen Wesens mit dem sinnlich angeschaueten Verhältnis steht, nenn' ich den objektiven Kontrast; dieses Verhältnis den sinnlichen; und den Widerspruch beider, den wir ihm durch das Leihen unserer Seele und Ansicht als den zweiten aufbürden, nenn' ich den subjektiven Kontrast.

Diese drei Bestandteile des Lächerlichen müssen in der Verklärung der Kunst durch den Unterschied des wechselnden Übergewichts die verschiedenen Gattungen des Komischen entstehen lassen. Die plastische oder alte Dichtkunst lässet im Komischen den objektiven Kontrast mit dem sinnlichen Bestreben verwalten; der subjektive verbirgt sich hinter die mimische Nachahmung, Alle Nachahmung war ursprünglich eine spottende; daher bei allen Völkern das Schauspiel mit der Komödie anfing. Zur spielenden Nachbildung dessen, was Liebe oder Schrecken einflößte, gehörte schon ein höherer Stand der Zeit. Auch war das Komische mit seinen drei Bestandteilen am leichtesten durch die mimische Nachäffung zu geben. Von der mimischen stieg man zur poetischen. Aber im Komischen, wie im Ernste, blieben die Alten ihrer plastischen Objektivität getreu; daher ihr Lorbeerkranz des Komischen nur an ihren Theatern hängt, bei den Neuern aber an andern Orten. Der Unterschied wird sich erst mehr erheben, wenn wir untersuchen, was das romantische Komische ist, und wenn wir Satire, Humor, Ironie, Laune prüfen und scheiden.


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