Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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§ 52

Das Wortspiel

Der Sprach- oder Kling-Witz – der ältere Bruder des Reims oder dessen Auftakt – verlor, nachdem er über alle Jahrhunderte regiert hatte, fast wie die Religion, im achtzehnten das gebildete Europa. Obgleich Cicero und fast jeder Alte Wortspiele machten – Aristoteles lobend sie abhandelt – und die drei großen tragischen Parzen der griechischen Tragödie dasselbe Spiel mit dem Namen Polynices (einen Zänker bedeutend), des Sohnes Ödips, nach Humens BemerkungDessen englische Geschichte Jakobs I. wiederholten: so wurde das Wortspiel doch vom Druckpapier und aus dem Schreibzimmer meistens vertrieben und mit andern schlechtern Spielen in die Besuchzimmer gewiesen.

Nur die neuern Poetiker rufen es wieder auf das Papier zurück. Wie sehr haben sie unrecht und recht?

Man kann allerdings sagen: hätten die Alten so viel Witz besessen als wir Neuern sämtlich, sie hätten sich mit der Spielmarke des Wortspieles schwerlich bezahlt. – Dieses ist zu leicht, als daß man es machen sollte, und wie dem Reim in Prose, hat man ihm oft mehr zu entlaufen als nachzulaufen. Der akustische Witz hat die beiden Sonderbarkeiten, daß man zu ihm nichts braucht als den Vorsatz und daß – was jenes voraussetzt – 10000 Menschen zu gleicher Zeit über dieselbe Sache denselben Einfall haben müssen, z. B. über den Namen Fichte und Richter. Doch sind die Spiele mit Eigennamen die schlechtere Art. Der große Shakespeare, welchen mehre neue Shakespear'chen darin auf den Modell-Stuhl neben ihrem Schreibpulte steigen heißen, wird hier mit dem Bühnen-Volke verwechselt, das er reden lässet; meistens den Narren und Bedienten (z. B. Launzelot) legt er die Wortspiele, bedeutenden Menschen aber (z. B. Lorenzo) den Tadel darüber in den Mund.

Haben folglich die Alten und die Neuesten ganz unrecht? – Was ist aber das Wortspiel? Wenn der unbildliche Witz meistens auf ein gleichsetzendes Prädikat für zwei unähnliche Subjekte auslief, das nur von der Sprache den Schein der Gleichheit erhielt: so kommt ja der optische und akustische Betrug des Wortspiels gleichfalls auf ein solches Vexierbild hinaus, das zwar nicht sinn-, aber klangmäßig zweien Wesen angehört. Daher oft in der einen Sprache das unbildlicher Witz ist, was in der andernDie Regel, welche Übersetzung zur Probe des echten Witzes macht, ist ganz willkürlich; z. B. der Papst gibt den Segen urbi et orbi. Kürze und Zuklang (Assonanz) vergehen in der Übersetzung, wenn man auch folgende für einen Fürsten macht: Dem Familien- (urbi) und dem Weltkreise (orbi). Alle Sprachen sind voll unübersetzlichen Witzes, und in der griechischen ists der attische. Der Witz, als Jäger der Kürze, greift eben darum zum Wortspiel; z. B. Τα κοινα καινως, τα καινα κοινως. ein Wortspiel ausmacht; z. B. wenn Foote auf des Lords Frage, ob er früher am Galgen oder an der Lustseuche sterbe, versetzt: »Es kommt bloß darauf an, was ich früher annehme (embrace und embrasser), Ihre Grundsätze oder Ihre Geliebte« – so ist dieser Einfall gerade bei uns kein Wortspiel, da wir nicht sagen: Grundsätze umarmen. – Spielt denn nicht die ganze Poesie, erstlich mit Bildern, dann mit den Klängen des Reims und Metrums? Sogar von der Wahrheit, welche allen witzigen Ähnlichkeiten unterzulegen ist, kommt etwas, obwohl wenig, den wortspielenden zu; denn wenn in der Ursprache stets der Klang des Zeichens der Nachhall der Sachen war: so steht einige Ähnlichkeit der Sachen bei der Gleichheit ihres Widerhalles zu erwarten. Daher Sprachforscher – deren Ausbeuten und Einfälle meistens den reizenden Schimmer der Wortspiele gewähren – und Philosophen so gern und so schön die Verhältnisse der Ideen in Verhältnisse der Klänge kleiden. So spielt der geistreiche, nur das Maß nicht mit Maß lehrende Thorild das Konnexionen- oder Verbindungspiel der Worte mit schönem Gewinn; z. B. er nennt die drei Täuschungen der Metaphysik, Poesie und PolitikDessen Gelehrtenwelt I, S. 7. Kategorie, Allegorie, Agorie – dann Schatten, Schein, Schau – dann Schattenbild, Scheinbild, Schaubild, oder Idea, Idos, Idolon – Similans, simile, simulacrumDessen Archimetr. p. 94., 95. – speciatum, speciosum, spectaculum – fictio (supra naturam), figmentum (praeter naturam), fictum, statt des factum (contra naturam). Denksprüche, gewichtige Ideen gefallen durch die Kürze des Sprachstils, z. B. der Denkspruch St. Pierres: donner et pardonner (Geben und Vergeben); so der griechische Rat des Aushaltens und Enthaltens; oder jener deus caret affectu, non effectu; so die meisten griechischen Gnomen.

Der zweite wahre Reiz des Wortspiels ist das Erstaunen über den Zufall, der durch die Welt zieht, spielend mit Klängen und Weltteilen. Jeder Zufall, als eine wilde Paarung ohne Priester, gefällt uns vielleicht, weil darin der Satz der Ursachlichkeit (Kausalität) selber, wie der Witz, Unähnliches zu gatten scheinend, sich halb versteckt und halb bekennt. Glauben wir einen Zufall als einen reinen anzuschauen – ohne alle Möglichkeit eingemischter Ursachlichkeit –, so vergnügt er uns eben nicht, und wir gebrauchen dann nicht einmal das Wort Zufall. Man denke z. B., daß in dieser Minute ein französischer Akademist etwas über die Ästhetik vorlieset und dabei Zuckerwasser trinkt – ich über die Ästhetik schreibe – zu gleicher Zeit vier Zuchthäusler in Nürnberg einen Selbstmörder (nach Heß) zu Grabe tragen – ein Pole den andern Bruder nennt (nach Schulz), wie sonst einander die Spanier – in Dessau ein Schauspiel angeht (weils Sonntag ist) – auf Botany-Bay gleichfalls, wo die Entree eine Hammelskeule ist – auf der Insel Sein ein Bezirk Landes bloß mit der Schürze vermessen wird (nach Fischer) und im Ritterschaftlichen ein junger Prediger Amt und Ehe antritt – –: wird hier jemand bei solchen auf der ganzen Erde zugleich vorfallenden Zufälligkeiten – und wie viele wären noch zu nennen! – das Wort Zufall gebrauchen, das er ausspräche für ein Paar im engern Raume? – Indes ist dies auf dem höhern Standpunkte falsch; denn Raum und Zeit können durch ihre Ausdehnung kein Resultat aufstellen, welches, als Widerspiel des Resultats ihrer Enge, sich aus der großen Folgen-Kette Jupiters herausrisse, die, am Mückenfuß und an der Sonne liegend, alles zu einem Ziele zieht.

Ein dritter Grund des Gefallens am Wortspiele ist die daraus vorleuchtende Geistes-Freiheit, welche imstande ist, den Blick von der Sache zu wenden gegen ihr Zeichen hin; denn wenn von zwei Dingen uns eines erobert und verschlingt, so ists nur kleinere Schwäche, vom mächtigsten bezwungen zu werden.

Die Erlaubnis der Wortspiele gilt aber nur unter zwei Bedingungen. Das Wort des Spiels muß ich finden, nicht machen; sonst zeig' ich häßliche Willkür statt Freiheit, z. B. bei Leere und Lehre, Lügen und Liegen. Wenn ein genialer Kritiker unserer Zeit sich erlaubte, aus dem falschschreiberischen »Krietik« eines Gegners Krieg-tic zu machen, also vier Sprachen zu rufen – die heterographische, das deutsche g, die Abteilung, die englische –, um etwas zu sagen, was niemand ärgert als seine Freunde: so ist dies so, als wenn ich diesen Perioden so schlösse, wie ich tue.

Ein Wortspiel ist da erlaubt, wie ich glaube, wo es sich mit dem Sach-Witz gattet und die Schar der Ähnlichkeiten verstärken hilft – oder wo überhaupt der Witz strömt mit seiner Goldauflösung und dieses Rauschgold zufällig darauf schwimmt – oder wo aus dem Windei des Wortspiels ganze Sätze kriechen, wie das vortreffliche von Lichtenberg gegen Voß: to bäh (be), or not to bäh, that is the question – oder auch wenn das Wortspiel philologisch wird, z. B. wenn ich hier Schellings Ur-Sprung des Endlichen übersetze in Salto mortale oder auch immortale – oder wenn es, wie eine Zweideutigkeit, so natürlich entfließet und sich einwebt, daß gar niemand behaupten kann, es sei da.

Daher gefallen uns Wortspiele in fremden Sprachen zuweilen mehr, weil sich uns darin die Willkür und Ähnlichkeit mehr verbirgt. Z. B. La Fleche hieß das Haus der Jesuiten, in welches Heinrich IV. sein Herz wollte begraben haben. Ein Chorherr fragte daher doppelsinnig einen Jesuiten, ob er das Herz im Pfeile (La Fleche) oder den Pfeil im Herzen des Königs lieber sähe. So die bekannten Wortspiele mit dem britischen Staatmann Fox (Fuchs). – Zuweilen erobert sich der Wortspielerwitz, bei allen Anstößen gegen den Geschmack, durch vielseitiges Farbenspiel Gehalt.Z. B. in der witzigen kleinen Schrift über die Philister sind die Nachbeter der spekulativen Philosophie als eine Kette von Enten in Kupfer gestochen, welche sich am Faden eines Stückchen Speckes, den unverdauet jede wieder von der andern übernimmt, aneinanderfädeln. Diese Spekulanten schreibt der Verf. darauf so: Speck-cûl- anten.

Der Witz geht aus dem Wortspiel in die erlaubte Willkür des vielsinnigen Silbenrätsels über (Charade), das, gleich allen Rätseln und Bienen, am Gebrauche des Stachels stirbt – dann verläuft er sich abgemattet ins Buchstaben-Spiel (Anagramma) – noch erbärmlicher in die anagrammatische Charade, den Logogryph – bis er endlich ganz im elenden höckerigen Chronogramma versiegt.

Eine Gefahr werde den Wortspielern, die nicht bloß diese sein wollen, nicht verschwiegen; nämlich die, daß man sich zu sehr an diese Versuchungen des engen Ohrs gewöhnt und darüber das weite Auge vergißt. Das Wortspiel dreht das Auge zu leicht von dem Großen und Weiten zu sehr auf die Teilchen der Teilchen hin, zum Beispiel von jenen feurigen Engel-Rädern des Propheten auf die Rädertierchen der Silben. In der Dichtkunst ist (wie in der Natur) nur das Ganze der Vater der Urenkelchen; aber die winzigen Schneidervögelchen der Teilchen werden nie Väter von einem oder dem andern Adler.


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