Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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XV. Programm

Fragment über die deutsche Sprache

§ 83

Ihr Reichtum

Ein Deutscher, der eine deutsche Sprachlehre lieset, dankt dem Himmel, daß er sie zum Teil mitbringt und daß man ihm gerade die schwerste erspart. Da aber wir Deutschen gern Bücklinge nach allen 32 Kompaßecken und den Zwischenwinden hinmachen, um sowohl alle Völker zu gewinnen als etwas von ihnen: so haben wir oft recht sehr gewünscht, unsere Sprache möchte englischer, französischer, regelmäßiger, besonders in den unregelmäßigen Zeitwörtern, überhaupt mehr zu jener von den Philosophen gesuchten allgemeinen Sprache zu machen sein, damit man uns auswärts leichter erlernte. Gäb' es nur eine ausländische neben unserer, z. B. die gallische: so hätten wir längst uns jener so vielen deutschen Wörter und Wendungen entschlagen, welche noch als wahre Scheidewände zwischen unserer und der französischen Sprache bestehen, und hätten nur folgende behalten: »bei Gott – ach lieber Gott – Krieg – Abenteuer – Zickzack – Landsknecht – Bier und Brot – Habersack – Halt – was ist das«; – weil sie von selber gutes reines, nur deutsch geschriebenes Französisch sind: bigot – St. Alivergot – cri – aventure – zigzag – landsquenet – birambrot – havresac – halt – un vas-ist-das.Nach du Chesne nahmen die Franzosen aus Haß gegen die Deutschen das Wort Bigot (bei Gott) an – St. Alivergot, ein Heiliger, ist unser: ach lieber Gott (beides in Kästners Schriften B. 2. Seite 129) – Krieggeschrei hieß selber Krieg, von Cri kommt Krieg (Geschichte der deutschen Nation von Anton S. 152) – Aventure, Zigzag, Landsquenet, Birambrot, Havresac, Halt und Un vas-ist-das (das Rückfenster am Wagen) übersetzen sich selber. Allerdings erreichten wir sonst diesen Vorteil noch leichter, da wir dem ganzen Frankreich selber als einer maîtresse de langue, das sonst nur einzelne Maîtres herausschickte, ganze Städte, z. B. Straßburg, zur Sprachbildung und Übersetzung ins Französische anvertraueten.

Auch unter den Gründen für die Vertauschung deutscher Buchstaben gegen lateinische wird – was im Munde eines jeden andern Volkes knechtisch klänge – der Vorteil mit angeführet, welchen der Ausländer haben würde, wenn er an der Stelle unserer Schrift auf einmal seine eigne anträfe. Nur muß man uns das Verdienst eines Opfers nicht durch die Anmerkung nehmen, daß wir ja gar keine eigne haben, sondern verdorbne lateinische; denn diese ist selber wieder verdorbene oder vergröberte griechische, und diese kehrt am Ende in die morgenländische zurück; daher die Römer sich den Griechen durch Annahme griechischer Buchstaben hätten nähern können, und diese durch eine orientalische Druckerei sich der ganzen aus dem Orient abstammenden Welt.

Indes sind wir im Grunde nicht so ausländisch, als wirs scheinen; wir wünschten nur gern alle Vorzüge und Kränze vereinend zu besitzen und sehen mehr nach den Zielen vor uns als nach den Zielen hinter uns. Ungemein erheben wir eine fremde Literatur in corpore und singen ein Vivat vor einer ganzen Stadt oder Landschaft draußen vor den Mauern und Grenzen. Tritt aber ein einzelner Autor hervor und will einiges vom Vivat auf sich beziehen: so unterscheiden wir ihn ganz von der Menge und Stadt und setzen tausend Dinge an ihm aus. Wie anders, wenn wir von unserer Literatur sprechen! Ihr Corpus wird hart angelassen; nicht eine Mauer zu ihrem Ruhm-Tempel bauen wir aus; hingegen jeden einzelnen Autor setzen wir auf den Triumphwagen und spannen uns vor.

Wir drucken die etwas einfältigen Urteile der Franzosen über uns ab, um uns recht abzuärgern; wie aber, wenn ein Pariser unsere über die Pariser nachdruckte? – Indes eben jenes Tun und dieses Unterlassen offenbaren freilich, daß wir weder die gallische Eitelkeit, welche Europa für ihr Echo und Odeum hält, noch den englischen Stolz besitzen, welcher kein Echo begehrt. Nur vielleicht das Schicksal unserer Philosophie, deren Kamele nicht durch das Nadelöhr eines Pariser oder Londner Tors und Ohrs durchgehen, stellet uns von dem kleinstädtischen Hausieren nach ausländischem Lobe her.

Wir kehren zu bloßem Deutsch zurück. Desto besser, sag' ich, desto bereicherter ist es, je mehr Sprach-Freiheiten, Wechselfälle, Abweichungen eben da sind; für uns, die wir aus der Regel der Regeln, aus dem Sprachgebrauche schöpfen, gibt es keine Unregelmäßigkeit, nur für den Ausländer, der erst unsern Sprachgebrauch, d. h. unsern Gesetzgeber dem seinigen unterwerfen und unsere Gesetze durch seine abteilen und erlernen muß. Denn gäb' es eine allgemeine Regel, so hätten alle Sprachen eine Grammatik.

Ich bin daher gerade für alle Unterschiede von fremden Sprachen; und ebenso für alle Doppelwörter der Grammatik. Kann man glimmte und glomm sagen, nur gerächt (nach Heynatz), nur gerochen (nach Adelung). desto besser, so behaltet beide für den Wechsel und die Not. Daß man statt des langweiligen welcher auch der und im ältern Stile soJa gegen das was, z. B. in: »das Gute, was statt welches du tust«, sollte man Wohlklangs und der Kürze wegen sanfter sein. setzen kann – ferner statt als auch wie, ja denn – ferner statt des gemeinen anfangen und des spröden anheben das alte beginnen, welches seine Vorstecksilbe nicht ans Ende werfen kann, nicht zu gedenken seines Jambus im ImperfektumLessing führte beginnen aus dem Alter zu uns, und seine Muse verjüngte es; Adelung schickte aus Dresden die stärksten Beweise heraus und auf Messen umher, er habe das Wort als einen halbtoten Greis gekannt; gleichwohl bleibt es als Jüngling unter uns wohnen und kann wohl so lange leben als sein Feind. – – recht erwünscht und brauchbar sind ja alle diese Fälle, nicht dazu, um einige zu vertilgen, sondern um alle zu benutzen nach Verhältnis. Sogar die abgekommenen Adjektiv-Umbildungen der Adverbien sollten als Zeugen eines besondern Bildung-Triebes und als Erben eines reichen Sinnes noch bescheiden fortgrünen; man umschreibe z. B. einmalige, etwanige, sonstige etc. etc. und zähle darauf die Zeilen. – So dankt dem Himmel für den vierfachen Genitiv.- Liebe-Mahl, das Mahl der Liebe, der Liebe Mahl, das Mahl von der Liebe; und bittet den Franzosen, es zu übersetzen; auch ärgert euch dabei zu spät über Klopstock, welcher die Genitivs-Voranstellung in einer grammatischen Übermut-Stunde schwer allen Prosaisten untersagte.Siehe dessen grammatische Gespräche S. 309: »Mir kommt es vor, daß nur die Dichtkunst 'des Stromes Geräusch' sagen darf.« – Und dies durfte er sagen; aber nicht folgendes: »Wenn ich in prosaischen Schriften blättere und diese poetische Umsetzung darin antreffe, so fange ich gewiß nicht an zu lesen. Denn ich weiß nun schon, woran ich mit dem Verfasser bin.« Woran? also vorzüglich mit Johannes von Müller, Herder, Goethe, Schiller, und mit wem sonst nicht? Wahrlich man hat großen Schriftstellern ganz andere Stellungen zu vergeben, als die des Zeugefalls ist. Desgleichen dankt für den doppelten Genitiv des Zeitworts: einer Sache genesen und von einer Sache genesen. – Hat man einmal ähnlich-lautende, aber unähnlich bedeutende Wörter: so töte man doch keines zum erbenden Vorteil des andern. Z. B. Ahnen bedeutet vorausfühlen, Ahnden strafen; warum will man beides mit einem Worte ausdrücken, zu welchem einige Ahnen, andere Ahnden wählen? Wie, wenn ich nun sagen wollte: ich ahne das Ahnden, ja man wird wieder das Ahnen ahnden; d. h. ich ahne (errate) das kritische Ahnden (Strafen) dieser Stelle, denn man wird sogar dieses Erraten strafen wollen. Wenn Voß dagegen einwirft, das lateinische animadvertere habe dieselbe Doppeldeutung: so sag' ich: desto schlimmer! Wenn andere sagen: an und and wurde erst später aus eins zur zwei: so sag' ich: desto besser! Auch hat Ahnen für sich noch das Schwanen (mir schwant es), das einige vom weissagenden Schwanengesang ableiten.

Unsere Sprache schwimmt in einer so schönen Fülle, daß sie bloß sich selber auszuschöpfen und ihre Schöpfwerke nur in drei reiche Adern zu senken braucht, nämlich der verschiedenen ProvinzenManche Provinzialismen sind der Kürze unentbehrlich, wie das oberdeutsche heuer, heurig (in diesem Jahre,) oder das Goethesche hüben als Gegensatz des drüben., der alten Zeit und der sinnlichen Handwerkssprache.Ich fange alphabetisch an: abbeizen, abbauen, Abbrand, abfalzen, abfleischen, abholzen, abjochen, abknabsen, abpfählen, abplatzen etc. etc. Aber erstlich, warum dürfen wir uns gegen Provinzialismen, welche nur eine Viertelzeile einnehmen, zumal in Prose, mehr sträuben als ein Homer sich gegen Dialekte, welche vielleicht eine Seite färben, oder als überhaupt die Griechen, bei welchen der attische Dialekt nicht eher zur Oberherrschaft gelangte als unter der Oberherrschaft der – Römer, dieser Sklaven-Säemänner und Pflanzer der Sklaven? – Die einzige und rechte Antwort ist: die Sache ist nicht wahr; denn man geb' uns nur Kraft-Leute, welche aus Schwaben – aus der Lausitz – aus Niedersachsen – aus den Rheingegenden landschaftliche Wörter zu uns herübersteuern, z. B. einen Schiller, Lessing, Bode, Goethe, so empfangen wir die vaterländischen Verwandten nach Ehrgebühr.


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