Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

§ 33

Die vernichtende oder unendliche Idee des Humors

Diese ist der zweite Bestandteil des Humors, als eines umgekehrten Erhabnen. Wie Luther im schlimmen Sinn unsern Willen eine lex inversa nennt: so ist es der Humor im guten; und seine Höllenfahrt bahnet ihm die Himmelfahrt. Er gleicht dem Vogel Merops, welcher zwar dem Himmel den Schwanz zukehrt, aber doch in dieser Richtung in den Himmel auffliegt. Dieser Gaukler trinkt, auf dem Kopfe tanzend, den Nektar hinaufwärts.

Wenn der Mensch, wie die alte Theologie tat, aus der überirdischen Welt auf die irdische herunterschauet: so zieht diese klein und eitel dahin; wenn er mit der kleinen, wie der Humor tut, die unendliche ausmisset und verknüpft: so entsteht jenes Lachen, worin noch ein Schmerz und eine Größe ist. Daher so wie die griechische Dichtkunst heiter machte im Gegensatze der modernen: so macht der Humor zum Teil ernst im Gegensatze des alten Scherzes; er geht auf dem niedrigen Sokkus, aber oft mit der tragischen Maske, wenigstens in der Hand. Darum waren nicht nur große Humoristen, wie gesagt, sehr ernst, sondern gerade einem melancholischen Volke haben wir die besten zu danken. Die Alten waren zu lebenslustig zur humoristischen Lebens-Verachtung. Dieser unterlegte Ernst gibt sich in den altdeutschen Possenspielen dadurch kund, daß gewöhnlich der Teufel der Hanswurst ist; sogar in den französischen erscheint die grande diablerieFlögels Geschichte des Grotesk-Komischen., nämlich eine Hanswursten-Quadrupelalliance von vier Teufeln. Eine bedeutende Idee! den Teufel, als die wahre verkehrte Welt der göttlichen Weit, als den großen Welt-Schatten, der eben dadurch die Figur des Licht-Körpers abzeichnet, kann ich mir leicht als den größten Humoristen und whimsical man gedenken, der aber, als die Moreske einer Moreske, viel zu unästhetisch wäre, denn sein Lachen hätte zu viel Pein; es gliche dem bunten blühenden Gewande der – Guillotinierten.

Nach jeder pathetischen Anspannung gelüstet der Mensch ordentlich nach humoristischer Abspannung; aber da keine Empfindung ihr Widerspiel, sondern nur ihre Abstufung begehren kann: so muß in dem Scherze, den das Pathos aufsucht, noch ein herabführender Ernst vorhanden sein. Und dieser wohnt im Humor. Daher ist ja, wie in Shakespeare, schon in der Sakontala ein Hofnarr Madhawya. Daher findet der Sokrates in Platons Gastmahl in der Anlage zum Tragischen auch die komische. Nach der Tragödie gibt der Engländer daher noch den humoristischen Epilog und ein Lustspiel, wie die griechische Tetralogie sich nach dem dreimaligen Ernste mit dem satirischen Drama beschloß, womit Schiller anfingAber mit Unrecht, denn das Komische arbeitet so wenig dem Pathetischen vor als die Abspannung jemals der Anspannung, sondern umgekehrt., oder wie nach den Rhapsodisten die Parodisten zu singen anhoben. Wenn in den alten französischen Mysterien ein Märterer oder Christus gegeißelt werden sollte, so setzte die alte Weich- und Gutherzigkeit den eingeklammerten Rat dazu: »Hier trete Harlekin auf und rede, um wieder ein wenig froh zu machen.«Flögels Geschichte des Grotesk-Komischen. Wird sich aber jemand zu einer lukianischen oder nur parisischen Persiflage jemals von der Höhe des Pathos herabwerfen wollen? MercierTableau de Paris, ch. 648. sagt: Damit das Publikum, ohne zu lachen, der Erhabenheit eines Leanders zuschaue, muß es den lustigen Paillasse erwarten dürfen, an dem es den aus dem Erhabenen gewonnenen Lach-Stoff entzündet und loslässet. Die Bemerkung ist fein und wahr; allein welche doppelte Niedrigkeit des Erhabenen und des Humors zugleich, wenn jenes ab- und dieser anspannt! Ein Heldengedicht ist leicht zu parodieren und in ein Widerspiel umzustürzen –; aber wehe der Tragödie, die nicht durch die Parodie selber fortwirkte! Man kann den Homer, aber nicht den Shakespeare travestieren; denn das Kleine steht zwar dem Erhabenen, aber nicht dem Pathetischen vernichtend entgegen. Wenn Kotzebue für seine travestierte Ariadne auf dem Naxos Bendas Musik zur ernsten Gotterschen als eine Begleiterin vorschlägt, welche durch ihren Feier-Ernst seinen Spaß erhebe: so vergißt er, daß hier die Musik, zugleich mit den Kräften des Pathos und des Erhabenen gerüstet, nicht dienen, sondern siegen und als ernste Göttin die lustige Ariadne mehr als einmal von einer größern Höhe als der des Naxos stürzen müßte. Desto mehr Erhabenheit steht aus lauter Niedrigkeit auf, z. B. in Thümmels »allgemeinem Trauerspiel oder verlornen Paradies«S. 5. B. seiner Reisen., und jeder fühlt darin Wahrheit und Unwahrheit gleich stark, göttliche und menschliche Natur des Menschen.

Ich nannte in der Überschrift des § die Idee vernichtend. Dies beweiset sich überall. Wie überhaupt die Vernunft den Verstand (z. B. in der Idee einer unendlichen Gottheit), wie ein Gott einen Endlichen, mit Licht betäubt und niederschlägt und gewalttätig versetzt: so tut es der Humor, der ungleich der Persiflage den Verstand verlässet, um vor der Idee fromm niederzufallen. Daher erfreuet sich der Humor oft geradezu an seinen Widersprüchen und an Unmöglichkeiten, z. B. in Tiecks Zerbino, worin die handelnden Personen sich zuletzt nur für geschriebne und für Nonense halten, und wo sie die Leser auf die Bühne und die Bühne unter den Preßbengel ziehen.Dieses tat er nach Holberg, Foote, Swift etc. Daher kommt dem Humor jene Liebe zum leersten Ausgange, indes der Ernst mit dem Wichtigsten epigrammatisch schließet, z. B. der Schluß der Vorrede zu Mösers verteidigtem Harlekin oder der erbärmliche Schluß von meiner oder Fenks Leichenrede auf einen Fürstenmagen. So spricht z. B. Sterne mehrmals lang und erwägend über gewisse Begebenheiten, bis er endlich entscheidet: es sei ohnehin kein Wort davon wahr.

Etwas der Keckheit des vernichtenden Humors Ähnliches, gleichsam einen Ausdruck der Welt-Verachtung kann man bei mancher Musik, z. B. der Haydnschen, vernehmen, welche ganze Tonreihen durch eine fremde vernichtet und zwischen Pianissimo und Fortissimo, Presto und Andante wechselnd stürmt. Etwas zweites Ähnliches ist der Skeptizismus, welcher, wie ihn Platner auffaßt, entsteht, wenn der Geist sein Auge über die fürchterliche Menge kriegerischer Meinungen um sich her hinbewegt; gleichsam ein Seelen-Schwindel, welcher unsere schnelle Bewegung plötzlich in die fremde der ganzen stehenden Welt umwandelt.

Etwas drittes Ähnliches sind die humoristischen Narrenfeste des Mittelalters, welche mit einem freien Hysteronproteron, mit einer innern geistigen Maskerade ohne alle unreine Absicht Weltliches und Geistliches, Stände und Sitten umkehren, in der großen Gleichheit und Freiheit der Freude. Aber zu solchem Lebenshumor ist jetzo weniger unser Geschmack zu fein als unser Gemüt zu schlecht.


 << zurück weiter >>