Jean Paul
Vorschule der Ästhetik
Jean Paul

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Kleine Nachschule zur ästhetischen Vorschule

I. Programm

Über die Poesie überhaupt

§ 1

Poetische Nihilisten

Es kann sein – denn ich wills nicht ableugnen, da doch nach meiner letzten Abfahrt meine Briefe in Druck erscheinen –, daß ich darin Jünglingen und Dichterlingen den Rat gegeben, etwas zu lernen; nämlich so gut nach den Gesetzen der Großsultan außer dem Regieren noch ein Handwerk (nach Rousseau auch der Gelehrte eines) treiben soll, so möge ein junger Schreib- und Dichtkünstler neben dem Dichten noch Wissenschaften treiben, z. B. Sternkunde, Pflanzenkunde, Erdkunde u. s. w. Außer den klassischen Alten, welchen die Jahre und die Lebens-Erfahrungen so viel als uns die Bücher leisteten, und die auf einer reichen Unterlage des Wissens ihre dichterischen Gemälde auftrugen, hab' ich in den Briefen wahrscheinlich noch Goethen angeführt, der sich wirklich auf so viele Wissenschaften gelegt, als hab' er nie einen Vers gemacht. Sogar auf Satire und Humor dehnt' ich meine Sätze aus; denn ich habe die Abschrift eines Briefs mit der klaren Behauptung vor mir, daß beide ohne Gelehrsamkeit nicht ausreifen, wie denn Rabelais, Butler, Swift, Sterne viel gelehrter gewesen als Rabener und andere deutsche Scherztreiber.

Gern nehm' ich aber in der kleinen Vorschule diese auch in die große eingedrungne Meinung zurück, seitdem ich durch mehr als eine Erfahrung mich selber überzeugt, daß viele neuere Dichter wenig oder nichts gelernt, ausgenommen das Schaffen. In der Tat ist das Leere unerschöpflich, nicht das Volle, aus dem Luftmeer ist länger zu schöpfen als aus dem Wassermeer; und dies ist eben die rechte schriftstellerische Schöpfung aus nichts, nämlich aus sich, welche uns massenweise das Bücher-All von Romanen und Gedichten zur Verehrung der Schöpfer auftut. Dabei brauchen sie nicht einmal sechs Tagewerke der Schöpfung, sondern nur einen Ruhetag, wodurch sie selber, wie nachher die Leser, von den geistigen Anstrengungen der Woche hinlänglich ausruhen.

Ich hoffe, wir haben mehr als einen Romanschreiber aufzuweisen, der, ohne andere Schätze in seinem Kopfe zu haben als seinen einfachen Wasserschatz, die mannigfaltigsten Formen von Geschichten und Gedichten für Ostern und für Michaelis zu geben weiß, so wie ein geschickter Wasserwerker sein Springwasser bald als Glocke, als Feuergarbe, ja als Trinkgefäß aus den Röhren steigen läßt.

So nehme man doch ein Beispiel an Schriftstellerinnen, welche, viel unwissender als Schriftsteller, sich so auszeichnen und wie die Bienen, ohne einen Grund gelegt zu haben, ihr Gebäude sogleich oben anfangen und herabbauen. So ließ Lykurg nach Plutarch der Jugend nur wenig Nahrung zu, erstlich damit sie eifriger aufs Stehlen ausginge, und zweitens damit sie mehr ins Lange wüchse. Dies läßt sich geistig bedenken und verwenden; ein Dichter, der wenig liest, wird schon ein paar Bände mehr schreiben als ein anderer; und dann wird er, da er außer den Dichtern nichts anders studiert, diese am reinsten wiedergeben und am besten behalten, zum Mitteilen und Verarbeiten.

§ 2

Romanen-Musaik

Ich sollt' es eigentlich gar nicht tun, daß ich mich über so etwas so Mechanisches und Mattes ärgere, wenn ein Kotzebue oder gar noch mittelmäßigere Dichter einen Roman nach gegebenen, willkürlich-ausgestreuten Hauptwörtern hinmauern, die man ihnen wie Endreime zum Daranbauen vorgelegt. Wenigstens nicht vorher sagen sollten es uns die Schreiber, daß solche fremde Körper nicht sowohl wie Wachsperlen – die man in Perlenmuscheln einlegt zum Überzuge mit echter Perlenmaterie – als wie tote Tiere im Bienenstock zum Überzuge mit Wachs bei Schwierigkeit des Herausschaffens, – daß, sag' ich, fremde Wurzelworte das Geschichtliche, wie sonst dieses die Worte, erzeugt haben. Dem Gemüt des Lesers wird durch die enthüllte Willkür jeder Anteil von Täuschung, womit man sogar das Märchen genießen will, entzogen. Aber die romantischen Musaiker glaubten ein oder ein paar Wunderwerke der Allmacht und Willkür verrichtet zu haben – und darum sagten sie die Sachen voraus –, wenn sie um einige abgesteckte Wort-Pfähle efeuartig hinkrochen und hinausliefen. Wahrlich der echte Dichter trifft überall nur Erdklöße und Rippen an, aber er behaucht sie, und Adams und Even werden daraus, indes der unechte das Lebendige wieder zu Erde macht und die Rippe zum Gerippe. – Wollt ihr aber lieber den Ruhm eines Seiltänzers als eines Opertänzers, so hebt aus jedem Kapitel irgendein Hauptwort als den hölzernen Zwirnstern heraus, um welchen ihr den historischen Faden nett gewickelt, und sagt bloß die einfache Lüge: hier stehen die Sterne, welche wir nicht ohne Kunst und Schweiß in unsern Geschichtknäul eingefaßt haben; aber uns belohnt schon der Genuß, den die Leser aus überwundnen Schwierigkeiten schöpfen.

Himmel! schreibt mit dem Fuße oder mit einem angesetzten Kunstarme: so gebt ihr auch eine überwundne Schwierigkeit. Ist denn nicht die ganze Kunst eine lange fort besiegte? Wozu noch neue zum Besiegen hinstellen? Wie kurz und seicht ist am Ende das Vergnügen des Lesers an dem Siege, wenn er ihn anders bemerkt; aber oft wird er weder Sieg noch Feind gewahr; und sollt' es auch nicht, weil der Triumph sich als eine Grazie verkleiden und sich verbergen soll. – Nur einer hat von der Sache einigen Genuß, der die Plage hat, der jedesmalige Überwinder.

Noch erbärmlicher fährt der Leser, und noch behaglicher fährt der Schreiber, wenn die poetische Musaik wie ein Setzer lieber zu Buchstaben greift anstatt zu Worten. Ein solcher Abcschütze – der nach Buchstaben zielt – findet seine Buchstabenrechnung dabei, entweder wenn er sie aufjagt, oder wenn er sie erlegt. Letztes geschieht, wenn man wie Brockes ein Gedicht ohne R schreibt – als wäre man ein Sineser, der auch in der Prose keines hat, oder jener alte Epiker, der in jedem Gesange einen andern Buchstaben ausließ. Gibt es aber in der Welt ein bettelhafteres Gefühl und Vergnügen als das an einer Verneinung, an einem Buchstaben, dessen Abwesenheit man nicht mehr bemerkt als an einer hebräischen Bibel die der Selblauter?

Die zweite Art, die positiven Abcdarier, suchen einen besondern Genuß zu gewähren – nämlich sich selber – durch die Anfangbuchstaben jeder Verszeile, welche, herabwärts gelesen, ein Wort vorstellen, z. B. den hohen Namen irgendeines Gönners. Möge dieser einen solchen abcdarischen Psalmisten belohnen! Ich geb' ihm keinen Pfennig für sein Abc der Anschauung unerquicklicher Mühen.


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