Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

32. Hundposttag

Physiognomie Viktors und Flamins – Siedpunkt der Freundschaft – prächtige Hoffnungen für uns

Wer hätt' es von Cicero gedacht (wenn ers nicht gelesen hätte), daß ein so bejahrter gescheiter Mann sich in seiner Johannis-Insel hinsetzen und Anfänge, Eingänge, präexistierende Keime im voraus auf den Kauf verfertigen würde? Inzwischen hatte der Mann den Vorteil, daß er, wenn er einen Torso über irgend etwas schrieb, die Wahl unter den fertig liegenden Köpfen hatte, wovon er einen dem Rumpfe nach der Korpuskularphilosophie aufschrauben konnte. – Von mir, an dem nichts Gesetztes ist, kanns nicht wundernehmen, daß ich auf meinem molukkischen Fraskati ganze Zaspeln von Anfängen im voraus geweifet und gezwirnt habe. Wenn nachher der Spitz einen Hundtag bringt: hab' ich ihn schon angefangen und stoße nur den historischen Rest gar an die Einleitung. – Eben gegenwärtigen Anfang hab' ich für heute erlesen.

Anfangs aber wollt' ich freilich diesen nehmen:

Mich quälet bei meinem ganzen Buche nichts als die Angst, wie es werde übersetzt werden. Diese Angst ist keinem Autor zu verdenken, wenn man sieht, wie die Franzosen die Deutschen und die Deutschen die Alten übersetzen. Im Grunde ists wahrlich so viel, als werde man exponiert von den untern Klassen und den Lehrern derselben. Ich kann jene Leser und diese Klassen in Rücksicht ihrer Seelenkost, die durch so viele Zwischenglieder vorher geht, mit nichts vergleichen als mit den armen Leuten in Lappland. Wenn da die Reichen sich in dem Trinkzimmer mit einem Likör, der aus dem teuern Fliegenschwamm gesotten wird, berauschen: so lauert an der Haustüre das arme Volk, bis ein bemittelter Lappe herauskömmt und p-ss-t; das vertierte Getränk, die Vulgata von gebranntem Wasser, kömmt dann den armen Teufeln zugute.

Aber diesen Anfang heb' ich mir auf für den Vorbericht zu einer Übersetzung.

Es gehört zu den schönen Gaukeleien und Naturspielen des Zufalls, deren es recht viele gibt, daß ich dieses Buch gerade in der Philippi-Jakobi-Nacht 1793 anfing, wo Viktor die Hexen-Fahrt zum maienthalischen Blocksberg unter die Zauberer und Zauberinnen vornahm und wo er 1792 aus Göttingen anlangte.

Ich kann nicht schreiben: »der Leser kann sichs leicht vorstellen, wie Viktor die ersten Maitage verlebte oder vertrauerte«; denn er kann sichs schwer vorstellen. Vielleicht wir alle hielten die Bande, die ihn mit Flamin verschlangen, für dünne wenige Fibern oder unempfindliche Gewohnheitflechsen; es sind aber weiche Nerven und feste Muskeln das Bindwerk ihrer Seelen. Er selber wußte nicht, wie sehr er ihn liebe, als da er damit aufhören sollte. In diesen gemeinschaftlichen Irrtum fallen wir alle, Held, Leser und Schreiber, aus einem Grunde: wenn man einem Freunde, den man schon lange liebte, lange Zeit keinen Beweis der Liebe geben konnte, aus Mangel der Gelegenheit: so quälet man sich mit dem Vorwurfe, man erkalte gegen ihn. Aber dieser Vorwurf selber ist der schönste Beweis der Liebe. Bei Viktor trat noch mehr zusammen, ihn selber zu bereden, er werde ein kälterer Freund. Die Vesperturniere um Klotilde, diese Disputationen pro loco, taten ohnehin das Ihrige; aber immer kränkte er sich mit der Selbstrezension, daß er zuweilen seinem Freunde kleine Opfer abgeschlagen, z. B. seinetwegen Versäumung einer Lustpartie, das Wegbleiben aus gewissen zu vornehmen Häusern, die Flamin haßte. Aber in der Freundschaft sind große Opfer leichter als kleine – man opfert ihr oft lieber das Leben als eine Stunde, lieber ein Stück Vermögen als eine kleine unangenehme Unart, so wie euch manche Leute lieber einen Wechsel schenken als ein so großes leeres Papier. Die Ursache ist: große Aufopferungen macht die Begeisterung, kleine aber die Vernunft. Flamin, der selber niemals kleine machte, foderte sie vom andern mit Hitze, weil er sie für große nahm. Viktor hatte sich hierüber weniger vorzurücken; aber Klotilde beschämte ihn, deren längste und kürzeste Tage wie bei den meisten ihres Geschlechts lauter Opfertage waren. – Auch wurde seine natürliche Delikatesse, die jetzo durch sein Hofleben den Zusatz der künstlichen gewonnen hatte, tiefer als sonst von seines Freundes Ecken verletzt. – Die feinen Leute geben ihrem innern Menschen (wie ihrem äußern) durch Mandelkleien und Nachthandschuhe weiche Hände, bloß um das Untere der Karten besser zu fühlen, um niedliche halbe Damen-Ohrfeigen zu geben, aber nicht, wie die Wundärzte, um damit Wunden zu handhaben.

Zum Unglück schrieb ihm dieser Wahn der Erkältung ein äußeres freundliches Bestreben vor, Wärme bei Flamin zu zeigen. Da nun der Regierrat nicht bedachte, daß auch das Gezwungne ebensooft von Aufrichtigkeit entstehen könne als das Ungezwungne von Falschheit: so hatte der Teufel immer mehr sein Bestia-Spiel (wo eine Freundschaft der hohe Einsatz war), bis solcher am Hexentage es gar gewann.

Aber am 4ten Mai soll er alles wieder verlieren, denk' ich. Denn Viktor, dessen Herz bei der geringsten Bewegung wieder den Verband durchblutete, nahm sich vor, nicht nur am 4ten Mai dem Wiegenfeste des Hofkaplans in St. Lüne beizuwohnen, sondern auch einen Geburttag der erneuerten Freundschaft mit Flamin zu begehen. Er wollte gern den ersten, zweiten, zehnten Schritt tun, wenn nur jener stehen bliebe und keinen zurücktäte. Denn er kann ihn nicht vergessen, er kann die aufgedrungne Entbehrung nicht verwinden, so leicht ihm sonst die freiwillige wurde. Er drückt alle Abende Flamins schönes Bild, das gemacht war aus seiner Liebe für ihn, aus seiner unbestechlichen Rechtschaffenheit, seinem Felsen-Mut, seiner Liebe zum Staat, seinen Talenten, sogar aus seinem Aufbrausen, das aus dem doppelten Gefühl des Unrechts und der eignen Unschuld entstand, dieses warme Bild drückte er an das aufgerissene Herz, und wenn er ihn am Morgen in das Kollegium gehen sah, so liefen ihm die Augen über, und er pries den Bedienten glücklich, der ihm die Akten nachtrug. Wenn der 4te Mai des großen Versöhntages mit dem Sühnopfer nicht so nahe wäre: so würde er die kleine Julia an sich angewöhnen müssen als einen dritten Stand zwischen den zwei andern, als einen Leitton zwischen Widertönen. Bloß die Hoffnung des Maies setzte seinen Gedanken statt der Nesseln-Brennspitzen wenigstens Rosenstacheln an. – Der Jugendfreund, lieber Leser, der Schulfreund wird nie vergessen, denn er hat etwas von einem Bruder an sich; – wenn du in den Schulhof des Lebens trittst, welches eine Schnepfenthaler Erziehanstalt ist, eine berlinische Realschule, ein breslauisches Elisabethanum, ein scheerauisches Marianum: so begegnen dir die Freunde zuerst, und eure Jugendfreundschaft ist der Frühgottesdienst des Lebens.

Viktor wußte Flamins Versöhnlichkeit gewiß voraus, er sah ihn sogar schon öfter am Fenster stehen und zum Erker hinüberschielen, aus dem ein freundliches, um alle Mißdeutungen des Ehrenpunktes unbekümmertes Auge frei und gerade zum Senior schauete; – aber dies nahm doch seine weiche Sehnsucht nicht weg, sondern sie wurde vermehrt durch die Wiedererblickung des so schönen betrauerten geliebten Angesichts. Flamin hatte eine große männliche Gestalt, seine ineinander- und zurückgedrängte schmale Stirn war der Horst des Muts, seine durchsichtigen blauen Augen – welche seine Schwester Klotilde auch hatte und die sich recht gut mit einer feurigen Seele vertragen, wie ja auch die alten Deutschen und das Landvolk beides haben – waren von einem denkenden Geiste entzündet, seine gepreßten und eben darum dunkelröteren übervollen Lippen waren in die menschenfreundliche Erhebung zum Kusse befestigt; bloß die Nase war nicht fein genug, sondern juristisch oder deutsch gebildet. Die Nase großer Juristen sieht meines Erachtens zuweilen so elend aus wie die Nase der Justiz selber, wenn ihr biegsamer Stoff sich unter zu langen Drehfingern zieht. Nicht zu erklären ists, beiläufig, warum die Gesichter großer Theologen – sie müßten denn noch etwas anderes Großes sein – etwas von der typographischen Pracht der Cansteinischen Bibeln an sich haben. Viktors Gesicht hingegen hatte am wenigstens unter allen, weder jene burschikosen Trivial-Züge mancher Juristen, noch das Mattgold mancher Theologen; seine Nase lief, ihre Schneide und ihren Wurzel-Einschnitt abgezogen, griechisch-gerade nieder, der Winkel der geschlossenen dünnen Lippen war (falls er nicht gerade lachte) ein spitziger von 1''''' und bildete mit der scharfen Nase das Ordenzeichen und Ordenkreuz, das oft satirische Leute tragen; – seine weite Stirne wölbte sich zu einem hellen und geräumigen Chor einer geistigen Rotunda, worin eine sokratische gleich beleuchtete Seele wohnt, obgleich weder diese Helle noch jene Stirn sich mit angeborner milder Festigkeit, wenn auch mit erworbener gatten; – seine Phantasie, dieser große Gewinn, hatte wie mehrmals gar keine Lotteriedevise auf seinem Gesicht; – seine Achataugen aus Neapel verkündigten und suchten ein liebendes Herz; – sein weißes, weiches Gesicht kontrastierte, wie Hof mit Krieg, gegen Flamins braunes, elastisches, den zwei Glutwangen als Grund dienendes Angesicht. – Übrigens war Flamins Seele ein Spiegel, der unter der Sonne nur mit einem einzigen Punkte flammte; an Viktors seiner aber waren mehre Kräfte zu schimmernden Facetten ausgeschliffen. Klotilde hatte mit ihrem Bruder dieses ganze Feuerzeug und diese Schwefelminen des Temperaments gemein; aber ihre Vernunft deckte alles zu. Der reißende Blutstrom, der sich bei ihm von Felsen zu Felsen schlug, zog bei ihr schon still und glatt durch Blumenwiesen.

Ich säh' es gern, er erneuerte wieder mit dem Regierrat den Vertrag der Freundschaft: ich würde dann seine Pfingst-Reise nach Maienthal zu beschreiben bekommen, die vielleicht das Septleva und das Beste wird, wozu es noch der menschliche Verstand gebracht hat. Aus diesem Septleva wird aber nichts, wenn sie nicht wieder Friede machen; neben jede Blume in Maienthal, neben jede Entzückung würde sich dem Freunde die abgegrämte Gestalt des Freundes stellen und fragen: »Kannst du so glücklich sein, da ichs so wenig bin?« –

Gescheiter wär' es, beide wären Mönche oder Hofleute; dann wäre ihnen zuzumuten, daß sie, da die Freundschaft die Ehe der Seelen ist, enthaltsam im Zölibate der Seelen verblieben...

Eben beim Schlusse des Kapitels bringt der Hund das neue, und ich flechte beide gar ineinander und fahre fort:

Ohne sonderliche Ärgernis über das Ausbleiben der Antwort aus Maienthal ging Viktor den 4ten Mai einsam nach St. Lüne und mit jedem Schritte, um den er näher kam, wurde seine Seele weicher und versöhnlicher. – Als er ankam: – –

Es gibt in jedem Hause Tage, die in der Litanei vergessen wurden – verdammte, verteufelte, verhenkerte Tage – wo alles gekreuzt geht und die Quere – wo alles keift und knurrt und mit dem Schwanze wedelt – wo die Kinder und der Hund nicht Muck! sagen dürfen und der Erb-, Lehn- und Gerichtsherr des Hauses alle Türen zuwirft und die Haus-Herrin das Schnarrkorpus-Register des MoralisierensDie meisten Weiber sind nicht eher Galgenpatres (eigentlich: Galgenmatres) und Kasernenpredigerinnen, als bis sie teufelstoll sind, wie Sterne die meisten Einfälle hatte, wenn er nicht wohl war. zieht und den Silberton der Teller und Schlüsselbunde anschlägt – wo man lauter alte Schäden aufstöbert, alle Waldfrevel der Mäuse und Motten, die zerknickten Sonnenschirm- und Fächerstäbe und daß das Schießpulver und der wohlriechende Puder und das Kavalierpapier dumpfig geworden und daß der Wurstschlitten ausgesessen ist zu einem hölzernen Esel und daß der Hund und das Kanapee im Hären begriffen sind – wo alles zu spät kömmt, alles verbrät, alles überkocht und die Kammerdonna die Stecknadeln ins Fleisch der Frau wie in eine Puppe treibt – und wo man, wenn man sich bei dieser hundföttischen Krankheit ohne Materie genugsam ereifert hat ohne Ursache, sich zufrieden gibt wieder ohne Ursache – –

Als Viktor anlandete in der Pfarre: hört' er den Geburthelden des Tages, den Pfarrer, in seiner Studierstube dozieren und schreien. Eymann goß seinen heiligen Geist in die langen Ohren seiner Katechumenen aus, in die keine feurigen Zungen zu bringen waren. Er handhabte eine Dunsin aus einer Einöde (einem einzigen Hause im Walde) und wollte vor ihr den Unterschied des Löse- und des Bindeschlüssels aufklären. Es war aber nicht zu machen: der Kaplan und Wiedergeborne hatte schon eine halbe Stunde über die Schulzeit mit dem Aufklären zugebracht; die Dunsin vergriff sich immer in den Schlüsseln, als wäre sie eine – Weltdame. Der Kaplan hatte seinen Kopf darauf gesetzt auf die Erhellung des ihrigen – er stellte ihr alles vor, was Eisenholz und Eisensteine gerührt hätte, sein heutiges Wiegenfest, die allgemein-versalzene Lust, die halbe Überschuß-Stunde, um sie zu überreden, daß sie den Unterschied begriffe – sie tats nicht, sie sah' ihn nicht ein – er ließ sich zu Bitten herab und sagte: »Schatz, Lamm, Bestie, Beichttochter, faß es, fleh' ich – mache deinem Seelenhirten die Freude und repetier' ihm den außerordentlichen Unterschied zwischen Bind- und Löseschlüssel – mein' ichs denn nicht redlich mit dir? – Aber mein Pfarramt fodert es von mir, daß ich dich nicht wie ein Vieh, ohne einen Schlüssel zu kennen, weglasse. – Ermanne dich nur und sprich mir nur Wort für Wort nach, teuer-erkaufte Christen-Bestie.« – Das tat sie endlich, und da sie fertig war, sagt' er freudig: »So gefällst du deinem Lehrer, und merk ferner auf.« – Draußen rekapitulierte sie es wieder, und sie hatte alles gut gefasset, ausgenommen, daß sie statt der Bind- und Löseschlüssel allemal vernommen hatte Bind- und Löseschüsseln. –


 << zurück weiter >>