Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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18. Hundposttag

Standeserhöhung Klotildens – Inkognito-Reise – Bittschrift der Oberjägermeisterei – Konsistorialbote – Vexierbild der Flachsenfinger

Freilich macht' er ihn, den Spaß; aber ich verlier' im Grunde nicht. Denn es war so: vom Tage an, wo Doktor Kuhlpepper vor der vollblütigen Nase Zeusels mit seiner groben Hand wie mit einem elektrischen Auslader vorbeigegangen war, drängte sich der Mann mit drei Uhren an meinen Helden, der nur eine und noch dazu des Zeidlers plumpe trug. Zeusel dankte überhaupt Gott, wenn sich nur ein Hoffurier bei ihm betrank und der Hofdentist überfraß. Er kam immer mit gewissen geheimen Nachrichten, die zu publizieren waren. Er behielt nichts bei sich, und hätte man ihn unter seine Apotheke zu hängen gedrohet. Er sagte unserm Helden, daß der Minister um die Stelle der zweiten Hofdame für seine Joachime bei der Fürstin werbe, die sich bloß die weibliche Dienerschaft selber wählen durfte – daß jener aber es nicht geradezu tun dürfe, weil er oder sein Sohn Matthieu dem Kammerherrn Le Baut versprochen, die nämliche Stelle Klotilden zu verschaffen – er bat also meinen Helden, der, wie er sehe, Matthieus Freund sei, ihm die Verlegenheit zu ersparen und den Fürsten zu bewegen (welches nur ein Wort koste), daß dieser selber bei der Fürstin die Bitte um Joachime einlege – die Fürstin, die ohnehin den Minister protegiere, würd' es aus mehr als einem Grunde mit Freuden tun, und der Minister könnte dann nichts dafür, wenn der Kammerherr, der Feind des Lords, leer ausginge. –

Der Tropf, sieht man, hatte bloß aus den zwei eingefangnen Nachrichten der zwei Amt-Werberinnen den ganzen übrigen Rechtgang erraten, und selber der Umstand, den ihm Matthieu entdeckte, daß der Minister einen Viertels-Flügel seines Palastes für eine Freundin seiner verstorbnen Tochter Giulia räume, hatte ihn nur mehr befestigt. So sehr ersetzt Bosheit nicht nur Jahre, sondern auch Nachrichten und Scharfsinn.

Mein Held konnte ihm nichts sagen als: er glaube nichts davon. Aber in drei einsamen Minuten glaubte er alles – denn deswegen, sah er, mußte die liebe Klotilde gerade bei der Erscheinung der Fürstin aus dem Stifte zurück – deswegen wurde der Minister-Sohn von Le Baut mit soviel Rauch- und Dankopfer-Altären umbauet – deswegen brachte die Alte (im sechzehnten Hundposttage) dem Hofleben solche Ständchen und so laute – überhaupt sind, sah er noch, zwei solche geächtete gefangne Hofjuden in Babylon des Teufels lebendig, bis sie in der alten heiligen Stadt wieder sitzen, und wenn sie gerade eine schöne Tochter haben, so wird diese zur Vorspann der Fahrt gebraucht und zur Montgolfiere des Steigens...

»O komm nur, Klotilde« – rief er glühend – »Der Hof-Pfuhl wird mir dann ein italienischer Keller, ein Blumenparterre. – Bist nur du beim Minister, so hab' ich Geist genug und sprühe ordentlich. – Was wird mein Vater sagen, wenn er uns mit zwei Laufzäumen stehen sieht, an einem hast du die Fürstin, am andern ich den Mann....« Jetzo fielen ihm Klotildens neuliche Einwendungen gegen das Hofleben wie Eiszapfen in sein kochendes Blut; aber er dachte, »Weibern gefallen doch die Hof-Lager des Glanzes ein wenig mehr, als sie selber vermuten und sagen, und weit mehr als den Männern. – Halte denn ers mit ähnlichem Seelen-Bau nicht auch aus? – Sie, als Stieftochter des Fürsten, und als eine schöne dazu, habe nur halbes Elend, gegen ihn gehalten – und wisse sie denn, ob sie nicht einmal aus ihrem Feld-Etat in die Hofgarnison zurückgesetzt werde durch einen Zufall?« Unter dem Zufalle verstand er eine Heirat mit – Sebastian. Endlich beruhigte er sich mit dem, was ich auch glaube, daß sie damals bloß aus Höflichkeit einige Kälte gegen ihre neue Entfernung von ihren Eltern vorgespiegelt und also auch gegen den neuen Ort; auch hätte man Freude darüber für Wärme gegen irgend jemand am Hofe nehmen können, z. B. gegen ihren – Bruder, dacht' er.

Jetzo kam der gestrige Gedanke, über den ich die Wette verloren, wieder hervor, in einer Nacht erstaunlich in die Höhe geschossen; der nämlich: wenn er den Fürsten zur Reise und zum Besuche beim Kammerherrn überredete und ihn noch unterwegs um ein Vorwort für Klotilde bei der Fürstin ansprach: so wars erstlich dem Stiefvater unmöglich, die Bitte für die schönste Stieftochter abzuweisen, und zweitens der Fürstin unmöglich, bei ihrem Gemahl, der das Recht der ersten Bitte ausübte, nicht allen möglichen Vorteil aus der ersten Gelegenheit zu ziehen, sich ihn verbindlich zu machen. – –

– – Acht Tage darauf, da es schon dämmerte – in den Herbsttagen wirds eher Nacht –, stand der Hofkaplan Eymann auf der Warte und guckte nach der Sonne, nicht ihrer selber wegen, sondern um des Abendrots und Wetters willen, weil er morgen säen wollte: als er erschrocken von der Warte hinübersprang in sein Haus und die Hiobspost auspackte, der Konsistorialbote werde gleich da sein samt einem französischen Emigranten, und für den einen sei noch kein Heller vorrätig und für den andern kein Bette...

Es kam kein Mensch. –

Ich begreif' es leicht; denn der Konsistorialbote lauerte am Pfarrhause und marschierte, sobald er oben den Hofmedikus Viktor aus Wachs am Fenster sitzen sah, spornstreichs zum Dorfe hinaus, gerade nach Flachsenfingen zu. Der Emigrant war zu seinem Professionverwandten Le Baut hineingegangen. –

Beide Reisende nannten sich auch noch – Jenner und Viktor, und kamen heute von ihrer scherzreichen Rennbahn zurück. – –

Vor sieben Tagen war nämlich der Fürst, der Maskentänze und Inkognito-Reisen und gemeine Sitten liebte, und der nur des Ministers geistige Masken und Inkognito verwünschte, mit Viktor zu Fuß hinter einem Kerl abgereiset, der zu Pferde mit der Redoutenkleidung und mit Redoutenerfrischungen vorausgebrochen war. Jenner trug einen Degen in der Hand, der in keiner Scheide steckte, sondern in einem Spazierstöckchen; ein Sinnbild der Hof-Waffen! Er gab sich in den Marktflecken für den neuen Regierrat Flamin aus. Mein Held, der sich anfangs zu einem reisenden Augenarzt geprägt hatte, münzte sich im dritten Dorfe zu einem Konsistorialboten um – bloß weil beiden der wahre Bote begegnete. Dieser Kammereinnehmer des Konsistoriums mußte dem Arzte – es kostete dem Fürsten nur eine fürstliche Resolution und eine Gnade – sein Sportelbuch und seinen kirchlichen Amtrock samt dem aufgenähten Blech auf diese Woche überlassen. Die Bleche sind an Boten und die Silbersterne an vornehme Röcke wie die Bleistücke an Tuchballen befestigt, damit man wisse, was am Bettel ist.

Für Büsching wäre eine solche Rekahns-Fahrt ein Fund – für mich ist sie eine wahre Pein, weil mein Manuskript ohnehin schon so groß ist, daß meine Schwester sich darauf setzet, wenn sie Klavier spielet, da der Sessel ohne die Unterlage der Hundposttage nicht hoch genug ist.

Was sah Jenner? – was Viktor? –

Der Regierrat Jenner sah unter den Beamten lauter krumme Rücken – krumme Wege – krumme Finger – krumme Seelen. – »Aber krumm ist ein Bogen, und der Bogen ist ein Sektor vom Zirkel, diesem Sinnbild aller Vollendung«, sagte der Konsistorialbote Viktor. Allein Jenner ärgerte sich am meisten darüber, daß ihn die Beamten so sehr verehrten, da er sich doch nur für einen Regier- Rat ausgab und für keinen Regenten. – Viktor versetzte: »Der Mensch kennt nur zwei Nächsten; der Nächste zu seinem Kopf ist sein Herr, der zu seinem Fuße sein Sklave – was über beide hinausliegt, ist ihm Gott oder Vieh.« –

Was sah Jenner noch mehr? –

Steuerfreie Spitzbuben sah er, die sich an steuerfähigen Armen bereicherten – redliche Advokaten hört' er, die nicht, wie seine Hofleute oder die englischen Räuber, mit einer tugendhaften Maske stahlen, sondern ohne die Maske, und denen eine gewisse Entfernung von Aufklärung und Philosophie und Geschmack nach dem Tode gar nicht schädlich sein wird, weil sie dann in ihrer eignen Verteidigung Gott die Einrede ihrer Unwissenheit entgegensetzen und ihm vorhalten können: »daß andere Gesetze als landesherrliche und römische sie nicht verbinden können, und Gott sei weder Justinian, noch Kant Tribonian.« – Er sah am Kopfe seiner Landrichter Brotkörbe, und am Kopfe ihrer Untertanen Maulkörbe hängen; er sah, daß, wenn (nach Howard) zwei Menschen nötig sind, um einen Gefangnen zu ernähren, hier zwanzig Eingekerkerte da sein müssen, damit ein Stadtvogt lebe.

Er sah verdammtes Zeug. Dafür sah er aber auch auf der andern Seite in angenehmen Nächten das Vieh in schönen Gruppen in den Feldern weiden, ich meine das republikanische, nämlich Hirsche und Sauen. Der Konsistorialbote Viktor sagte ihm, er habe diesen romantischen Anblick den Jägermeistern zu danken, deren weiches Herz den fürstlichen Befehl des Wildschießens ebensowenig hätte vollziehen können, wie die ägyptischen Wehmütter den, die Judenknaben totzumachen. Ja der Sportelbote ließ sich in einer Kneipschenke gelbe Dinte und schwarzes Papier hingeben und setzte da, während der Schieferdecker auf dem Dache trommelte, um Schiefer zugelangt zu bekommen, und die Gäste an die Krüge schlugen, um eingeschenkt zu kriegen, und der Wirtsbube auf einem Bierheber zum Fenster hineintrompetete, unter diesem babylonischen Lärm setzte der Sportulnbote eine der besten Bittschriften auf, welche die edle Jägerschaft noch je an den Fürsten abgelassen.

Schlechte Relation aus der Bittschrift
der Oberjägermeisterei

»Da das Wild nicht lesen und schreiben könnte: so sei es die Pflicht der Jägermeisterei, die es könnte, für dasselbe zu schreiben und nach Gewissen einzuberichten, daß alles flachsenfingische Wild unter dem Drucke des Bauers schmachte, sowohl Rot- als Schwarzwildpret. Einem Oberförster blute das Herz, wenn er nachts draußen stehe und sehe, wie das Landvolk aus unglaublicher Mißgunst gegen das Hirschvieh die ganze Nacht in der größten Kälte neben den Feldern Lärm und Feuer machte, pfiffe, sänge, schösse, damit das arme Wild nichts fräße. Solchen harten Herzen sei es nicht gegeben, zu bedenken, daß, wenn man um ihre Kartoffeltische (wie sie um ihre Kartoffelfelder) eben solche Schützen und Pfeifer lagerte, die ihnen jede Kartoffel vom Munde wegschössen, daß sie dann mager werden müßten. Daher sei eben das Wild so hager, weil es sich erst langsam daran gewöhne, wie Regimentpferde den Hafer von einer gerührten Trommel zu fressen. Die Hirsche müßten oft meilenweit gehen – wie einer, der in Paris sein Frühstück aus Aubergen zusammenhole –, um in ein Krautfeld, das keine solche Küstenbewahrer und Widerparte des Wilds umstellen, endlich einzulaufen und sich da recht satt zu fressen. Die Hundjungen sagten daher mit Recht, sie zerträten in einer Parforcejagd mehr Getreide, als das Wild die ganze Woche abzufressen bekomme. – Dieses und nichts anders seien die Gründe, welche die Oberjägermeisterei bewogen hätten, bei Sr. Durchlaucht mit der untertänigen Bitte einzukommen,

Daß Ew. den Landleuten auflegen möchten, nachts in ihren warmen Betten zu bleiben, wie tausend gute Christen tun und das Wild selber am Tage.

Dadurch würde – getrauete sich die Obristjägermeisterei zu versprechen – den Landleuten und Hirschen zugleich unter die Arme gegriffen – letzte könnten alsdann ruhig, wie Tagvieh, die Felder abweiden und würden doch dem Landmann die Nachlese, indem sie mit der Vorlese zufrieden wären, lassen. – Das Landvolk wäre von den Krankheiten, die aus den Nachtwachen kämen, von Erkältungen und Ermüdungen glücklicherweise befreiet. Der größte Vorteil aber wäre der, daß, da bisher Bauern über die Jagdfronen murrten (und nicht ganz mit Unrecht), weil sie darüber die Zeit der Ernte versäumten, daß alsdann die Hirsche an ihrer Statt die Ernte in der Nacht übernähmen, wie sich in der Schweiz die Jünglinge für die Mädchen, die sie liebten, nachts dem Getreide-Schneiden unterzögen, damit diese, wenn sie am Morgen zur Arbeit kommen, keine finden – und so würden die Jagdfronen in den Ernten niemand mehr stören als höchstens das – Wild etc.«


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