Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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Er ging mit dem Pfarrer und der Pfarrerin, die alle Prozesse der Küche und Toilette summarisch und männlich abkürzte. Seine Duldung gegen die Fehler des geistlichen Standes hatte mit jener vornehmen stift- und tafelfähigen nichts gemein, welche aus höchster Verachtung entsteht, und die einen christlichen Priester so leicht wie einen ägyptischen erträgt: sondern sie kam aus seiner Meinung, daß die Kirchen noch die einzigen Sonntagschulen und spartischen Schulpforten des armen Volkes sind, das seinen cours de morale nicht beim Staate hören kann. Auch liebte er als Jüngling die Lieblinge seiner Kindheit.

Viele Prediger suchen den Quintilian, der schlechte Gründe in Reden vorangestellet haben will, und den Cicero, der sie erst hintennach verlangt, zu vereinigen und postieren solche an beiden Orten; aber Eymann hielt gute Empfindungen für besser als schlechte Gründe und wand um den Bauern nicht Schluß-, sondern Blumenketten.

Der obige Friseur wollte anfangs nicht in die Kirche, weils unter seinem Stand war, aber nachher konnt' er nicht anders; denn wegen des fremden Hofherrn darin wurde Kirchenmusik gemacht.

Es ist der einzige Fehler des Perückenmachers Meuseler, daß er zu gern singt und seine Kehle in alle Kirchenmusiken, die in seiner Perückendiözes gemacht werden, einmengt, zumal am heiligen Pfingstfest. Der Lüner Kantor wollt' es nie leiden; aber wie berückt er diesen und labt tausend Ohren? So bloß: er frisierte heute hinaus, was noch zu frisieren war (nicht bloß heute, sondern es ging allemal so), und glitt bloß an der Chortreppe hinan. Hier wachte und lehnt' er so lange, bis der Kantor, auf dem musikalischen Wurstschlitten seßhaft, mit dem Finger in den ersten Akkord der Kirchenmusik einhieb. Dann fuhr er wie ein Sonnen-Strahl schnell ins Chor und mausete dem jungen Altisten sein Pensum weg und sangs dem Kirchensprengel in die Ohren, jedoch unter so viel Jammer und Puffen, als säng' er sein Manuskript den Rezensenten vor. Denn man muß es nun einmal der Welt bekannt machen, daß der bissige Klavierist dem frisierenden Altisten mit einem spitzwinkligen Triangel von Ellenbogen wütig entgegenstochert, um den fremden Singvogel aus dem Vogelhause des Chors zu stoßen. Da aber der Sänger seinen rechten Arm zum festen Notenpulte seines Textes und den andern zur Streitkolbe machte, wie die an Jerusalem bauenden Juden, welche die eine Hand voll Bauzeug, die andre voll Waffen hatten: so konnte der Perückenmacher, unter fortwährendem Fechten und Musizieren, schon sein möglichstes tun und einiges durchsetzen während des Gottesfriedens der Musik. Aber sobald die Musik den letzten Atem gezogen hatte: so setzte der harmonische Strichvogel und Sturmläufer behend über das Chor hinaus und sann unterwegs tausend Ohren und einem einzigen Ellenbogen nach. Der Kantor konnt' ihn nicht riechen und nicht kriegen.

Lief er hingegen glücklicherweise mit seinen Schachteln durch ein Dorf, wo gerade Pfarr- und Schulherr und pädagogischer Froschlaich eine taube Leiche umquäkten und umkrächzeten, welches viele noch kürzer eine Leichenmusik nennen: so konnte der Virtuose, ohne Gegenstemmung der Ellenbogen, munter mit zwei Füßen mitten in die Motette hineinspringen – das Trauer-Ständchen, das die Erben dem Toten bringen, bearbeiten – dem Leichenzuge einige Finalkadenzen gratis zuwerfen und doch noch im Dorfe dem Amtmann eine ganz neue Beutelperücke anbieten. –

Unserem Helden machte die Dorfkirchen-Musik das größte satirische Vergnügen. Wir aber hätten wenig davon, wenn ich nicht so vorsichtig wäre, daß ich um die Erlaubnis nur zu einer elenden Extrasilbe – man soll sie kaum sehen – über die Kirchenmusik bettelte.

Elende Extra-Silbe über die Kirchenmusik

Ich sehe allemal mit Vergnügen, daß die Leute in einer Kirchenmusik sitzen bleiben, weil es ein Beweis ist, daß keiner von der Tarantel gestochen ist; denn liefen sie hinaus, so sähe man, sie könnten keine Mißtöne aushalten und wären also gebissen. Ich als profaner Musikmeister setze nur für wenige Kirchen – nämlich für geflickte oder für neue den Einweihlärm – und verstehe also im Grunde von der Sache nichts, worüber ich mich im Vorbeigehen auslassen will; aber soviel sei mir doch erlaubt zu behaupten, daß die lutherischen Kirchenmusiken etwas taugen – auf dem Lande, nicht in den Residenzstädten, wo vielleicht die wenigsten Mißtöne richtig vorgetragen werden. Wahrlich, ein elender, versoffner, blauer Kantor, der in Bravour-Arien sich braun singt und andere braun schlägt – es gibt also zweierlei Bravour-Arien –, ist imstande, mit einigen Handwerkern, die Sonntags auf der Geige arbeiten, mit einem Trompeter, der die Mauern Jerichos niederpfeifen könnte ohne Instrument, mit einem Schmied, der sich mit den Pauken herumprügelt, mit wenigen krampfhaften Jungen, die das Singen noch nicht einmal können, und die doch einer Sängerin gleichen, welche nicht wie die schönen Künste allein für Ohr und Auge arbeitet, sondern auch (aber in einem schlimmern Sinn als die Jungen) für einen dritten Sinn, und mit dem wenigen Wind, den er aus den Orgel-Lungenflügeln und aus seinen eignen holt, ein solcher stampfender Mann ist, sag' ich, imstande, mit so außerordentlich wenigem musikalischen Gerümpel doch ein viel lauteres Donnern und Geigenharz-Blitzen um den Kanzel-Sinai, ich meine eine weit heftigere und mißtönendere Kirchenmusik aus seinem Chor herauszumachen als manche viel besser unterstützte Theater-Orchester und Kapellen, mit deren Wohllauten man so oft Tempel entweiht. Daher tut es nachher einem solchen lauten Manne weh, wenn man sein Kirchen-Gekratze und Geknarre verkennt und falsch beurteilt. Soll sich denn in alle unsre Provinzialkirchen das weiche leise herrnhutische Tönen einschleichen? – Es gibt aber zum Glück noch Stadtkantore, die dagegen arbeiten, und die wissen, worin reiner Chor- und Mißton sich vom Kammerton zu unterscheiden habe.

Den Lesern nicht, aber Organisten kann ich zumuten, daß sie wissen, warum bloße Dissonanzen – denn Konsonanzen sind nur unter dem Stimmen der Instrumente zu ertragen – aufs Chor gehören. Dissonanzen sind nach Euler und Sulzer Ton-Verhältnisse, die in großen Zahlen ausgedrückt werden; sie mißfallen uns also nicht wegen ihres Mißverhältnisses, sondern wegen unsers Unvermögens, sie in der Eile in Gleichung zu bringen. Höhere Geister würden die nahen Verhältnisse unserer Wohllaute zu leicht und eintönig, hingegen die größern unserer Mißtöne reizend und nicht über ihre Fassung finden. Da nun der Gottesdienst mehr zur Ehre höherer Wesen als zum Nutzen der Menschen gehalten wird: so muß der Kirchenstil darauf dringen, daß Musik gemacht werde, die für höhere Wesen passet, nämlich eine aus Mißtönen, und daß man gerade die, die für unsre Ohren die abscheulichste ist, als die zweckmäßigste für Tempel wähle.

Machen wir einmal der herrnhutischen Instrumentalmusik die Kirchentüre auf: so steckt uns zuletzt auch ihr Singen an, und es verliert sich nach und nach alles Sing-Geblök, welches unsre Kirchen so lustig macht, und welches für Kastratenohren ein so unangenehmer Hammer des Gesetzes, aber für uns ein so guter Beweis ist, daß wir den Schweinen ähneln, die der Abt de Baigne auf Befehl Ludwigs XI., nach der Tonleiter geordnet, mit Tangenten stach und zum Schreien brachte. So denk' ich über Kirchen- oder neudeutschen Schlachtgesang.

Ende der Extrasilbe über die Kirchenmusik

Ich hätte den Haarkräusler nicht so lange singen und agieren lassen, wenn mein Held diesen ganzen Sonntag zu etwas anderem zu gebrauchen wäre als zu einem Figuranten; aber den ganzen Tag tat er nichts von Belang, als daß er etwan aus Menschenliebe die alte Appel zwang – indem er ihre Kommoden und Schachteln selber auspackte –, von ihrem Körper, der lieber Schinken als sich anputzte, die gewöhnliche, mit typographischer Pracht gedruckte Schabbes-Ausgabe schon um drei Uhr nachmittags zu veranstalten: sonst lieferte sie solche erst nach dem Abendessen. Die Juden glauben, am Sabbat eine neue Schabbesseele zu bekommen: in die Mädchen fährt wenigstens eine, in die Appeln ein paar.

Aber warum mut' ich meinem Helden zu, heute mehr Handlung zu zeigen – ihm, der heute – versunken in die Traum-Nacht und in den kommenden Abend – bewegt durch jedes freundliche Auge und durch die Urnen des weggeträumten Lenzes – sanft aufgelöset durch den stillen lauen Sommer, der an den Rauchaltären der Berge, auf den mit Milchflor belegten Fluren und unter dem verstummenden Trauergefolge von Vögeln lächelnd und sterbend lag und beim Aufsteigen der ersten Wolke auf dem Laube verschied – Viktor, sag' ich, der heute, von lauter weichen Erinnerungen wehmütig angelächelt, fühlte, daß er bisher zu lustig gewesen. Er konnte die guten Seelen um ihn nur mit liebenden schimmernden Augen anblicken, diese noch schimmernder wegwenden und nichts sagen und hinausgehen. Über seinem Herzen und über allen seinen Noten stand tremolando. Niemand wird tiefer traurig, als wer zu viel lächelt; denn hört einmal dieses Lächeln auf, so hat alles über die zergangne Seele Gewalt, und ein sinnloser Wiegengesang, ein Flötenkonzert – dessen Dis- und Fis-klappen und Ansätze bloß zwei Lippen sind, womit ein Hirtenjunge pfeift – reißet die alten Tränen los, wie ein geringer Laut die wankende Lawine. Es war ihm, als wenn ihm der heutige Traum gar nicht erlaubte, Klotilden anzureden; sie schien ihm zu heilig und noch immer von geflügelten Kindern geführt und auf Eisthronen gestellt. Da er überhaupt für Le Bauts Gespräche im Reiche der Moralisch-Toten heute keine Zunge und keine Ohren hatte: so wollt' er im großen laubenvollen Garten dem Stamitzischen Konzert ungesehen zuhören und sich höchstens vom Zufall vorstellen lassen. Sein zweiter Grund war sein zum Resonanzboden der Musik geschaffnes Herz, das gern die eilenden Töne ohne Störung aufsog, und das die Wirkungen derselben gern den gewöhnlichen Weltmenschen verbarg, die Goethes, Raffaels und Sacchinis Sachen wahrhaftig ebensowenig (und aus keinen geringern Gründen) entbehren können als Löschenkohls seine. Die Empfindung erhebt zwar über die Scham, Empfindung zu zeigen; aber er haßte und floh während seiner Empfindungen alle Aufmerksamkeit auf fremde Aufmerksamkeit, weil der Teufel in die besten Gefühle Eitelkeit einschwärzt, man weiß oft nicht wie. In der Nacht, im Schattenwinkel fallen Tränen schöner und verdünsten später.

Die Pfarrerin bestärkte ihn in allem; denn sie hatte heimlich – in die Stadt geschickt und den Sohn eingeladen und eine Überraschung im Garten künstlerisch angelegt. –

Die Pfarrleute hoben sich endlich in den belaubten Konzertsaal und dachten nicht daran, wie sehr sie von Le Bauts Hause verachtet würden, das nur edle Metalle und edle Geburt, nie edle Taten für Eintrittkarten gelten ließ, und das die Pfarrleute als Freunde des Lords und Matthieus hoch, aber als Schoßhunde beider noch höher geschätzt hätte.

Viktor blieb im Pfarrgarten ein wenig zurück, weil es noch zu hell war, und auch weil ihn die arme Apollonia dauerte; diese guckte einsam und ungesehen im vollen Putze aus dem Fenster des Gartenhäuschens in die Luft und wiegte das Patchen steilrecht, das sie bald über ihren Kopf, bald unter ihren Magen hing. Er setzte, wie ein Spießbürger, im Gartenhaus den Hut nicht auf, um ihren Mut durch Höflichkeit zu stärken. Ein Wickelkind ist gleichsam der Einbläser und Balgtreter der Kinderwärterin: der junge Sebastian schickte Appeln hinreichenden Entsatz gegen den ältern, und sie unterfing sich zuletzt, zu reden und anzumerken, das Patchen sei ein guter, lieber, schöner »Bastel«. »Aber« (setzte sie dazu) »die gnädige Frölen (Klotilde) dürfen das nicht hören; Sie wollen haben, wir sollen ihn Viktor nennen, wenn Sie hören, daß der Vater Bastel sagt.« Sie strich es nun heraus, wie Klotilde sein Patchen liebe, wie oft sie ihr den kleinen Schelm abnehme und ihn anlächle und abküsse; und die Lobrednerin wiederholte am Kleinen alles, was sie pries. Ja der erwachsene Sebastian tat es auch nach, aber er suchte auf den kleinen Lippen nichts als fremde Küsse; und vielleicht gehörten bei Appeln wieder seine unter die Sachen, die gesucht werden. Der Glücklichere verließ die Glücklichere; denn Amor schickte nun eine geschmückte Hoffnung nach der andern an sein Herz als Boten ab, und alle sagten: »Wir belügen dich wahrhaftig nicht; trau uns!«


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