Jean Paul
Hesperus oder 45 Hundposttage
Jean Paul

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27. Hundposttag

Augenverband – Bild hinter Bettevorhang – Gefahr für zwei Tugenden

Klotilde ging in der Leidenwoche, unter Liebkosungen von der Fürstin entlassen, nach St. Lüne. In der Osterwoche trägt sie ihr Herz voll bedeckter Sorgen nach Maienthal zu ähnlichern Seelen, wenn sie vorher durch die Vorhölle gegangen, nämlich durch einen schimmernden Ball, den ihr – oder höflicher zu reden, der Fürstin – der Fürst am dritten Osterfeiertage gibt.... Ist diese Blume mit dem Melonenheber des Todes oder Schicksals aus meinen biographischen Beeten ausgestochen und versetzt: so werf' ich die Feder weg und prügle den Spitz zurück – ich habe mich so sehr an sie gewöhnt wie an eine Verlobte: wo treib' ich am Hofe wieder einen weiblichen Charakter auf, der wie ihrer heilige und feine Sitten verbindet, Himmel und Welt, Tugend und Ton, ein Herz, welches (ist es anders mit etwas Kleinem zu vergleichen erlaubt) der unsern Helden ängstigenden und auch wie ein Herz aussehenden montre à regulateur ähnlich ist, welche mit dem Zeiger der Hofstunden einen Zeiger der Sonnenstunden und den liebenden Magnet verknüpft?

Jetzo sind wir noch die ganzen Osterfeiertage beisammen; denn Sebastian muß zum Pfarrer Eymann, um ihn und die britischen Drillinge und seine liebe Kaplänin und mehr Liebes zu sehen. Er wäre gern schon am Osterheiligenabend dem Regierrat dahin gefolgt (und dem Lebensbeschreiber wär's so lieb gewesen wie ein Osterfladen, weil er der Städte und Höfe auf dem Papiere übersatt ist); aber der Genius der zärtlichsten Freundschaft winkte ihm, nur wenigstens bis den ersten Ostertag Flamins und Klotildens wegen, welche beide einander so lange entbehret und so sehnlich gewünschet hatten, sich wechselseitig neue Wunden nun mitbringend, zurückzubleiben, gleichsam als woll' er fragen: »Die ersten Freudenblicke dieser so lange auseinandergedrängten Geschwister wird doch mein unglücklicher Sebastian nicht stören wollen?« – Wahrlich, nein! antwortete seine Träne.

Die Stadt war nun von seinen Geliebten ausgeleert – die Leidenwoche war eine wahre für ihn – nicht einmal die Fürstin, gleichsam die Elektrizitätträgerin seiner auf sein eignes Herz zurückgewehten Liebeflamme, war ihm seit langen erschienen – denn mit dieser Stimmung konnt' er nicht zu Joachimen gehen – – – als ihn der Pater der Fürstin, die heute bei ihm (am heiligen Osterabend) gebeichtet hatte, besuchte und vor ihm einen Wundzettel ihrer Augen entfaltete und ihn freundlich schalt, daß der Hofbeichtvater dem Hofmedikus Sünden, statt zu erlassen, vorzurücken habe. »Ich wollte morgen verreisen«, sagte Viktor – »Gut!« sagte der Pater, »die Fürstin verlangt schon heute Ihre Hülfe.«

Auf dem Wege zu ihr sagt' er zu sich: »Hat denn Tostato das Osterbeichten verschworen, daß er jetzt abends noch nicht da ist? und wo wird ihn der Henker morgen haben?« – »Hier!« antwortete – Tostato hinter ihm. – So einen lustigen Bußfertigen hatte noch keine Sakristei gesehen. Das Freuden- und Teufels- und Beichtkind sagte die Ursache seines frohen Tobens: »die Fürstin hab' ihm als Landsmann heute das halbe Gewölbe ausgekauft.« – Eh' Viktor auf seinem Gesicht die ernsthaften Mienen in Reih und Glied gestellet hatte, mit welchen er ihm die Bitte um Verschweigung seines kaufmännischen Vikariats tun wollen, ich meine die Buden-Verwaltung: so erfreuete ihn der springende Beichtsohn mit der Nachricht, daß die Fürstin nach seinen und ihren Landsleuten, nach seinen Associés, gefragt, und daß er ihr gar nicht verborgen, daß einer einmal das letzte ohne das erste gewesen – nämlich ihr Hofmedikus selber. – »Donner!« sagte der....

Der arme Narr von Kaufmann meint' es gut, und es war weiter nichts anzustellen als die Untersuchung, ob nicht Agnolas Fragen Zufall gewesen – ob sie die Uhr noch habe, oder je aufgemacht, ob kein Wind die Lieberklärung als einen verschwisterten Wind fortgetrieben. – –

Bedenklich bliebs, daß gerade der Pater und der Kaufmann, gerade die bösen Augen und die guten Nachrichten in einen Tag zusammenfielen; in diesen 30sten März, in den Osterabend. Da dieser Besuch für meinen Helden sehr merkwürdig ist: so bitt' ich jeden, sich recht bequem zu setzen und die vom Buchbindergolde verpichten Blätter dieser Erzählung vorher aufzuspalten und achtzugeben wie ein Spion. –

Als Viktor im Schlosse war: stieß ihm der Pater auf, welcher sagte, er gehe auch mit. Es war ein Glück; denn ohne diesen Wegweiser hätt' er schwerlich den Pfad durch ein Labyrinth von Zimmern in das veränderte Krankenkabinett gefunden. Und mit ihm ging wie ein Kibitz die Sorge durch alle Gemächer, er werde auf dem Gesichte der Fürstin ein Klaglibell gegen das eingesperrte billet doux erblicken; aber nicht einmal ein Anfangbuchstabe oder das Rubrum eines Urteils stand auf ihrem Gesichte, als er vor sie trat, und seine Wetterwolke war seitwärts gegangen. Wenigstens stieß eine, die über der Fürstin selber hing, seine ab; sie war nämlich krank, aber nicht an Augen bloß, und eine zweite Botschaft, die ihn holen sollte, hatt' ihn nur verfehlt. Sie empfing ihn im Bette – nicht ihrer Krankheit, sondern ihres Standes wegen: denn für Damen von einigem Range ist das Bette das Hoflager – die Moosbank – der Hochaltar – die Königpfalz – kurz der Fürstenstuhl und Sessel. Wie der Philosoph Descartes, der Abt Galiani und der alte Shandy, so können sie in diesem Treibhaus am besten denken und arbeiten. Ob sie gleich im Bette lag, so war sie, wie gesagt, doch nicht gesund, sondern von Kopf- und Augenschmerzen angefallen. Daher hatte sie von ihrer fortgeschickten Dienerschaft für heute nichts behalten als eine Kammerfrau, die sie sehr liebte, und die Mücke an der Wand, die sie irrte, und unsern Doktor, der eines von beiden unterließ. Ich hätte eine im offenstehenden Bilderkabinett seßhafte Hofdame gerne mitgezählet; aber sie saß so stumm und unbeweglich draußen, daß Viktor schwur, sie ist entweder ein Kniestück oder – eine Deutsche – oder beides. Es ersparte den verbrühten Augen der Fürstin ebensoviel Schmerzen, daß der grüne Lichtschirm und die grünen Atlastapeten und die grünen Atlasgardinen im Krankenkabinett ein wogendes blaues Helldunkel zusammengossen, als es gesunden Augen Vergnügen verschaffte. Eine einzige Wachskerze stand auf einem Leuchter, den alle Jahreszeiten einfaßten, nämlich abgebildete – über welche Sitte der Großen, die Natur immer nur in Spielmarken, in effigie und durchs Kopierpapier, nie in natura selber zu genießen, ich hier weder meine Meinung noch die Gründe sagen kann, weil ein ganzes

Extrablatt

vonnöten wäre, um nur unter so vielen möglichen Gründen, warum sie überall – auf den Tapeten – auf den dessus des portes – des trumeaux – des cheminées – auf den Vasen – auf den Leuchtern – auf den plats de menage – auf den Lichtscher-Untersätzen – in ihren Gärten – auf jedem Quark eine Landschaft, die sie nie betreten, einen Salvator Rosa-Felsen, den sie nie besteigen, gern sitzen sehen... ich sage, weil unter so vielen Gründen, warum sie es tun und der alten Natur dieses jus imaginum einräumen, der wahre nur von einem Extrablättchen auszuklauben wäre, indem nur ein solches es weitläuftig entscheiden könnte, ob es davon komme, daß ihnen die Natur, wie einem Liebhaber die Geliebte, bei der ewigen Trennung ihr Bild geschenkt – oder davon, daß die Künstler ihnen, wie den alten Göttern, das gerade am liebsten bringen und opfern, was sie hassen – oder daß sie dem Kaiser Konstantin gleichen, der zur nämlichen Zeit das wahre Kreuz abschaffte, und die Abbildungen desselben vermehrte und heiligte – oder daß sie aus feinerem Gefühl das dauerhafte, aber musivische Gemälde der Natur, in welchem ganze Bergrücken die musivischen Steinchen sind, den zärtern, aber kleinern Vexierbildern der Künstler nachsetzen müßten – oder daß sie Leuten glichen (wenns solche gäbe), die auf den Theatervorhang sich die ganze Oper mit allen Dekorationen abmalen ließen, um sich das Aufziehen des Vorhanges und das Beschauen der Akte zu ersparen – – – Und doch, wenn das Extrablättchen mitten im Entscheiden wäre, würde jeder aus Hundhunger nach bloßen Vorfällen Reißaus nehmen und auf nichts auslaufen als auf die Fortsetzung der Vorfälle und auf

das Ende des Extrablattes.

Die Fürstin hatte zwei Verhüllungen, wovon er die eine sehr liebte und die andre sehr haßte. Die geliebte war ein Schleier, der für ihre wunden Augen eine Heilbinde war; ihm aber war einer die Folie und Fassung des weiblichen Gesichts, und er machte sich anheischig, den Satz als Respondent und Präses zugleich zu verteidigen, daß die Tugend nie besser mit Schönheit belohnet werde als in St. Ferieux bei Besançon: denn beim Sittenfeste bekommt dort das beste Mädchen einen Schleier zu 6 Livres. – Die verhaßte Verhüllung waren die Handschuhe, gegen die er überall seinen Fehdehandschuh hinwarf: »Eine Frau« – sagt' er im Hannöverischen – »wag' es einmal und ziehe gegen mich von Leder, nämlich ihre Hand, und verfechte damit ohne Hülfe der Esaushände die Esaushände und sage, man muß sie nicht abziehen als im Bette. Anziehen müßte man sie höchstens da, könnt' ich versetzen; aber ich werde anfragen: zu was dienen denn am Ende die schönsten Hände, die ich sehe, wenn sie immer unter den Flügeldecken liegen, als wären wir Männer persische Könige? Und ist es dann zu streng, wenn man Personen, die solche nachgemachte Hände von Leder oder Seide tragen, ins Gesicht sagt, sie glichen der Mediceischen Venus, sogar bis auf die HändeDie Hände der Mediceischen Venus sind neu und ergänzt. ? Man antworte! –

Überhaupt ist in diesem dunkeln grünen Kabinett fast alles – Agnolas schöne römische Schultern ausgenommen – zugehüllt; sogar zwei Heiligenbilder warens. Denn ein gemaltes Marienbild mit einer wahren metallischen Krone – es sollte kein Sinnbild der Regenten mit Vexier-Köpfen unter echten Kronen sein – deckten die Zedern der Bette-Federbüsche zu; und über einen sehr hübschen heiligen Sebastian von Tizian – aus dem Palast Barbarigo in Venedig kopiert – (der Mann sah mit seinen Pfeilen wie ein Stachelschwein aus und hing doch neben ihrem Kopfkissen) hatte sie die Bettgardine weiter vorgezogen, als sein Namenvetter ohne Pfeile kam, der mehr anbetete als angebetet wurde. Viele versicherten mich seitdem, es sei ein Sebastian von van Dyk aus der Düsseldorfer Galerie gewesen; aber weiter unten werd' ich zeigen, warum nicht.

Außer einem weiblichen Auge, das hinter einem Schleier ruht, gibts nichts Schöneres als eines, das (hier hat der Teufel sechs End-S hintereinander) ihn gerade wegleget. Dem armen Doktor schlug eine solche schöne Glut entgegen – da er als Okulist verfahren wollte –, daß er sogleich als Protomedikus ihres Kopfes verfuhr, um an ihre Hand zu fühlen und sich dadurch zu retten. Denn während sie den Handschuh-Kallus von ihrer Hand – es waren aber nur halbe Handschuhe mit nackten Fingern oder halbe Flügeldecken, d. h. hemiptera – herunterzupfte: so war der Doktor, weil sie darauf hinsehen mußte, in der größten Sicherheit von der Welt, und das griechische Feuer fuhr ganz neben ihm vorbei. Daher ist recht mit Bedacht in die Feuerordnung der Moral ein ganzer, fast zu langer Artikel hineingesetzt, ders jungen Mädchen verbietet, mit den Augen frei wie mit bloßem Lichte in dem Besuchsaale herumzugehen, weil so viel brennbares Zeug darin steht – wir sämtlich –, sondern sie müssen solche in einen Strickstrumpf oder Nährahmen oder in ein dickes Buch – z. B. in die Hundposttage – stecken wie in eine Laterne.

– Es ist wahrlich ein Jammer: seit ich und das Publikum im fürstlichen Zimmer sind, folgt eine Ausschweifung nach der andern – ich meine Sternische. –

Der fürstliche Puls ging noch etwas erhitzter als dessen seiner, der ihn hier beschreibt. Sie hatte kurz vorher, eh' er kam, einen warmen Verband aus zerbratnen Äpfeln von den Augen abgenommen. Sie begehrte einen Zwischenverband, indes man das zubereiten würde, was der Doktor verordnete. Er konnte aber jetzt in der Nacht, bei diesem Wirrwarr des Helldunkels, in allen vier Kammern seines Gehirns und in den acht kleinern Gehirnen der vierten Gehirnkammer keinen Augendoktor auftreiben als den Doktor v.  Rosenstein, welcher darin aufstand und ihm riet, er solle raten, Safranpulver, ein 5tel Kampfer und zerschmolzene Winteräpfel auf gezupfte feine Linnen zu streichen. Die Kammerfrau wurde fortgeschickt, die Zubereitung des Rezeptes zu besorgen oder zu befehlen, nachdem sie vorher ein schwarzes Taftband mit dem Äpfeln-Überschlage um zwei der schönsten Augen vorgebunden hatte, die einer angenehmern Binde und Blindheit würdig waren. Ich bin lebhaft, wenn ich schreibe: der Überschlag schien aus dem Apfel der Schönheit – und das schwarze Band aus aneinander gestoßenen Schminkmuschen gemacht zu sein. Der Pater ging auch fort, sobald er die Hoffnung der baldigen Heilung vom Doktor hatte. Für den Medikus wars aber wahrhaftig jetzt kein Kinderspiel, einem italienischen Rosen- und Madonnengesicht gegenüber zu sitzen – noch dazu so nahe, daß er den Atem flüstern hören kann, nachdem er ihn vorher wachsen sehen konnte – einem Gesicht gegenüber zu halten (mein' ich, war kein Spiel), auf dem Rosen den Lilien eingeimpfet sind wie Abendröte den lichten Mondwolken, und das ein malerischer Schatten, nämlich ein schwarzes Ordenband, eine priesterliche Kopfbinde, ein wahrer postillon d'amour, so schön zerteilt und hebt – ein zugebundnes Gesicht, das er recht bequem in einem fort anschauen kann, und das sich (in einer malerischen Halbstellung) auf das Kopfkissen und auf die Hand, ihm zugerichtet, stützt.....

Ich hätte eine Steigerung versuchen und bei Sebastians Seele anfangen sollen, die heute aus ihrer eignen Schwermut, aus ihren Sorgen, aus ihrer durch die Zeuselsche Verleumdung vergrößerten Liebe für Agnola lauter Schönheitlinien und flüssige Tuschen machte, um damit in dessen eignes Gesicht ein so schönes neues hineinzumalen, als je eine schöne Seele eines auf Leinwand, oder am eignen Kopf, oder an einem fremden erschaffen hat.

Agnola machte wohl diese Bemerkung eher als ich.

Es tat freilich dem Paare schlechten Vorschub, daß es unter – nicht vier Augen (denn Agnola war zugehangen), sondern unter – zwei Augen war; denn die beiden andern Augen der Hofdame im Kabinett, aus denen Viktor nicht eher klug werden konnte als jetzt, da die fürstlichen zu waren und er ohne Fragen durch Blicke und Anlächeln das starre Ding auf dem Sessel drinnen im Kabinett untersuchen konnte, waren wahrhaftig gemalt und der Rumpf dazu, der sie trug.


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