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19. Kapitel.

Es war vier Tage vor Weihnachten und der Trubel auf den Straßen ungeheuer. Fast schien es, als habe die große Stadt all ihre Menschenmassen hineingeworfen in den Mittelpunkt, wo sie die Geschäfte mit ihrer Kauflust erfüllten und die Straßen in einer Weise belebten wie kaum an den schönsten Sommertagen.

Die Winterluft war nebelig, und ein grauweißer Schleier hüllte die mit Paketen beladenen Fußgänger, die Geschäftswagen, Droschken und Equipagen ein, die auf dem breiten Fahrdamm nur langsam vorwärtskamen.

Ein elegantes Automobil hielt eben vor dem großen und von der vornehmen Welt sehr bevorzugten Weißwaren- und Wäschegeschäft von Rotstein.

Ein junger Mann, dem man sofort den Offizier ansah, half seinen beiden Begleiterinnen, einer älteren, durch ihre berückende Schönheit auffallenden Dame und einem jungen Mädchen von entzückendem Wuchs und Haltung beim Aussteigen.

Der Pförtner des Geschäftshauses eilte herbei und geleitete die Herrschaften die Stufen hinauf in den Laden, der bereits, obwohl es kaum zwei Uhr nachmittags war, hell erleuchtet war.

Draußen auf der Straße trat gerade ein junges Mädchen mit pechschwarzem Haar in vernachlässigter Kleidung an das Schaufenster. Ihre dunklen, stechenden Augen suchten durch die Glasscheiben der Tür nach den Herrschaften, die soeben das Geschäft betreten hatten und deren Automobil vor dem Eingang hielt. Dann eilte sie weiter und verschwand in der nächsten Querstraße, in dem offenen Torweg eines Hauses.

Zwei Männer, beide starke, große Figuren, mit festem, bedächtigem Schritt, waren in einiger Entfernung hinter dem Mädchen hergegangen und standen jetzt auch bei ihr im Torweg.

»Na,« meinte der eine von ihnen, der Kriminalschutzmann Voigt. »wie ist es denn? War sie das? …«

Das Mädchen lachte.

»Wer denn sonst! Das müssen Sie doch sofort gesehen haben!«

»Na, na, ›Spitzfinger‹«, sagte der zweite Beamte, Riesendahl, »wenn Sie uns nur keinen Bären aufbinden! Die Herrschaften, die da eben reingegangen sind, die machten einen so vornehmen Eindruck, daß ich kaum glauben kann, was Sie sagen.«

Das Mädchen zuckte die Achseln.

»Denken Sie doch, was Sie wollen! Aber ich weiß nicht, wozu Sie mich denn eigentlich hierherlotsen! Wenn ich Ihnen sage, daß das die Spitzenkönigin ist, dann können Sie's mir schon glauben!«

»Na, ja,« mischte sich Voigt ins Gespräch, »sie wird schon recht haben! Wer weiß, was die beiden anderen für Hochstapler sind. Automobil fahren kann heutzutage jeder! Da mietet man sich einfach so 'ne Kutsche und macht 'nen feinen Wilhelm!«

Aber sein Kollege war nicht überzeugt.

»Du weißt doch, Voigt, daß ich mich in solchen Dingen kaum jemals täusche. Die Leute, die da vorhin aus dem Automobil gestiegen sind, gehören ohne jeden Zweifel den allerersten Gesellschaftskreisen an. Und der junge Mann, der den Damen aus dem Wagen half, ist bestimmt ein Offizier, das mußtest du als alter Soldat ebensogut bemerkt haben, wie ich selber!«

»Ja, ja,« gab Voigt, wenn auch nur widerwillig zu, »das schien mir ja auch so! … Aber trotzdem … wir müssen doch entschieden etwas unternehmen!«

»Das ist eine sehr gefährliche Sache,« meinte Riesendahl bedenklich.

»Ich will dem Mädel da,« er machte eine Kopfbewegung zu Recha hin, »gewiß gern glauben, daß es ihre feste Ueberzeugung ist, was sie uns sagt, aber, ganz abgesehen davon, daß sie sich durch eine Aehnlichkeit selber täuschen lassen kann - wir haben jedenfalls die allermeiste Veranlassung, uns vor übereilten Schritten zu hüten! Du weißt doch, was uns der Kommissar gesagt hat: Wir sollen auf keinen Fall zufassen, ehe wir nicht vollständig überzeugt sind, daß es die rechte ist, die wir vor uns haben. Man kann sich da furchtbar leicht die Finger verbrennen, und ein Skandal, der durch solchen Fehlgriff hervorgerufen werden würde, der kostet vor allen Dingen uns die Stellung und unsere Karriere!«

»Karriere hin, Karriere her!« meinte Voigt, aber aus dem Ton seiner Stimme und aus seinen finsteren Mienen war doch der Zweifel ersichtlich und die Ungewißheit, was nun geschehen solle.

Riesendahl sah nach der Uhr.

»Es sind beinahe zehn Minuten, daß die Herrschaften sich in dem Geschäft aufhalten. Für gewöhnlich dauern ja solche Einkäufe lange, aber wir müssen auch damit rechnen, daß sie trotz des großen Andranges, der ja heute überall herrscht, bald bedient und abgefertigt werden. Also vor allen Dingen dürfen wir den Schauplatz nicht verlassen. Die Recha kann wieder vor uns hergehen … Aber natürlich möglichst unauffällig! Wir wollen dann jedenfalls sehen, was aus der Geschichte werden wird …«

Der andere Beamte machte zwar Einwendungen, aber er hielt es doch für geraten, sich dem verständigen Rate seines Kollegen zu fügen.

Das schwarzhaarige Mädel verließ den Hausflur zuerst, die beiden Beamten folgten wieder in einiger Entfernung.

Als Recha um die Ecke der Leipziger Straße bog, sah sie dort an dem Schaufenster eines Juweliers einen Herrn stehen, der sie lebhaft interessierte. Sie ging dicht hinter seinem Rücken vorüber und stieß ihn absichtlich an.

Der Mann drehte sich indessen nicht um.

»Na, schmaler Anton!« flüsterte das Mädchen, »was machst du denn hier?«

Doch auch jetzt verriet keine Bewegung, daß jener ihre Bemerkung auf sich bezog.

Es war in der Tat Anton H. Wisecky, der seinen Raubvogelschnabel fest an die Scheibe drückte und anscheinend ganz hingenommen vom Anblick der blitzenden Auslage war. Er hatte die schwarze Recha sehr wohl bemerkt, ebenso wie ihm die sich gleich darauf nahenden Kriminalbeamten nicht entgingen.

Aber dieses Zusammentreffen entsprach durchaus nicht seinen Wünschen. Um so weniger, als er klug genug war, einzusehen, daß das Mädel und die beiden Spürnasen sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf derselben Fährte befanden, wie er selbst.

Seit jenem Abend, an dem die Revolverschüsse des unglücklichen Maklers ihr Ziel verfehlt hatten, war Anton H. Wisecky mehr als einmal willens gewesen, Hermann Brunner doch wieder aufzusuchen, um mehr Geld von ihm zu erpressen. Aber die Angst dieses Biedermannes, abermals eine Waffe auf sich gerichtet zu sehen und diesmal vielleicht nicht so heil davon zu kommen, hemmte den Schritt des Winkelkonsulenten, so oft er sich auf dem Wege befand, der gerade jetzt sehr andauernden Geldebbe auf solche Weise abzuhelfen.

Doch der in allen Listen und Schlechtigkeiten erfinderische Geist konnte sich damit nicht zufrieden geben. Er suchte neue Wege und war der Ueberzeugung, daß sich sofort einer finden müsse, sobald es ihm nur einmal wieder gelänge, an sein eigentliches Opfer, die schöne Frau selbst, heranzukommen.

Deswegen lief er seit Wochen die großen Geschäftsstraßen ab und hielt sich mit der Zähigkeit des Raubtiers, das einen Fraß wittert, in der Nähe jener Geschäftshäuser auf, die für den Ankauf von kostbaren Spitzen in Frage kamen.

Er rechnete nicht unrichtig, daß die Katze das Mausen nicht lassen würde, und daß, wenn jemals, so jetzt die Weihnachtszeit mit ihrer Hast und Inanspruchnahme der Verkäufer in den großen Geschäften der geeignetste Zeitpunkt wäre, Frau Ellinor von neuem abzufassen.

Daß noch andere Leute und obendrein die Kriminalbeamten der Fährte seines schönen Wildes folgten, das ging ihm durchaus gegen den Strich. Mit dem Augenblick, wo die Spitzenkönigin festgenommen wurde, war seine Wirksamkeit natürlich zu Ende. O, er hätte dieses Frauenzimmer, diese Recha, abwürgen können! Da konnte man sehen, was von der sogenannten Spitzbubenehrlichkeit zu halten war! … Die Rote hatte dem Mädel doch gewiß nichts zuleide getan …

Er war jetzt zwischen den Fuhrwerken hindurch geschickt über den Damm geschlüpft und beobachtete von drüben, wie die Sache sich weiter entwickeln würde.

Das Automobil stand noch immer vor dem großen Geschäft, dessen Schaufenster ihre strahlende Helligkeit in den dämmerigen Wintertag hinauswarfen. Drinnen im Laden waren Käte Brunner und Hans Stark von Materstein dabei, Einkäufe für Kätes Ausstattung zu machen. Frau Ellinor half beim Auswählen, und die Stieftochter, wie auch der Bräutigam hatten immer wieder Gelegenheit, den erlesenen Geschmack und das gute Auge für das Wertvollste und Schönste an Frau Ellinor zu bewundern. Freilich, die Geldfrage zog sie gar nicht in Rechnung, und das war Käte, die wohl wußte, daß ihr Bräutigam all diese kostbaren Dinge bezahlen würde, recht peinlich. Sie hätte vielmehr lieber einfachere, praktische Sachen ausgesucht, die nicht so teuer waren. Aber Hans Stark folgte den Anregungen seiner zukünftigen Schwiegermutter voll aufrichtiger Begeisterung. Uebrigens gehörte auch er zu den Leuten, die, wenn man ihnen Waren vorlegt, instinktiv und ohne irgend welche Absicht fast immer das Teuerste aussuchen, weil dieses doch fast immer auch das Beste ist.

Frau Ellinor vergaß, hingerissen von der entzückenden Beschäftigung des Kaufens und Auswählens, beinahe ganz ihre eigentlichen Absichten.

Sie hatte ihren Plan, Berlin und Deutschland für einige Zeit zu verlassen, noch durchaus nicht aufgegeben. Im Gegenteil, jetzt, wo ihr der Weg, sich Geld zu verschaffen, klarer als vorher war, stand ihre Absicht erst recht fest, zeitweilig von hier zu verschwinden.

Ihr Gatte befand sich auf dem Wege der Besserung, aber das zärtliche Verhältnis, das ihn so lange zu ihrem demütigen Sklaven gemacht, war seit jenem schrecklichen Abend, an dem der Erpresser sich zum zweiten Male in ihrer Wohnung sehen ließ, zerrissen. Sie wußte wohl, daß sie dies am meisten dem Einflusse des Geheimrats zu verdanken habe, der, das glaubte sie fest, darauf ausging, sie auf irgend eine Weise zu beseitigen.

Er war eines Tages, nachdem er sich bei ihr hatte anmelden lassen, ehe sie noch Zeit gefunden, ihn abzuweisen, in ihr Zimmer getreten und hatte eine Unterredung verlangt.

Sie wußte sofort, was er von ihr wollte. Und daß sie dies wußte, hatte es ihr ermöglicht, den Kampf mit ihm aufzunehmen und ihren Vorteil zu wahren.

»Sehen Sie nicht ein,« hatte er gefragt, »daß es nach allem, was Sie getan haben, das einzig Richtige wäre, wenn Sie für längere Zeit, mindestens aber für ein Jahr freiwillig eine Heilanstalt aufsuchten? … Oder wollen Sie wirklich, daß erst noch durch Ihre Missetaten weitere Schande und Unglück über die Ihrigen kommt?! … Wenn Sie jetzt gehen und das, was Sie getan haben, wird dann doch ruchbar, wie es ja vorauszusehen ist, dann kann jeder Sachverständige mit gutem Gewissen von einer Manie, von einem psychischen Defekt bei Ihnen reden! Um so mehr, als Sie ja ohnehin Morphinistin sind! - Eine Sucht, die bei fortwährender Befriedigung zu abnormem Denken und Handeln führen muß. Also, wie ist das? Wollen Sie sich freiwillig dazu verstehen, meinen Vorschlag anzunehmen, oder soll ich als Arzt Sie erst dazu zwingen?«

Sie erblaßte kaum bei seinen Worten. Vielleicht, daß ihre Züge einen gespannteren Ausdruck annahmen und das Licht in ihren sammetdunklen Augen unstäter und flackernder leuchtete als sonst.

Aber sie war sofort gefaßt. Nie … nie … würde sie sich einsperren lassen! … Und wenn es sein müßte, dann lieber ins Gefängnis als in ein Irrenhaus! Aus einem Gefängnis kommt man wieder heraus, aber die Zelle der sogenannten Nervenheilanstalten gibt nur denjenigen wieder her, den die Verwandtschaft haben will! …

Ihre Brust hob sich unter dem leidenschaftlichen Sturm der Entrüstung und der Wut über diesen weißbärtigen Mann, der ihren schwachen Gatten so ganz von ihr fortzog und jetzt sie selbst mit brutalem Entschluß unschädlich machen wollte.

»Also Sie haben wirklich das Herz, Ihre ganze Familie in Gram und Schande zu stürzen?« fragte der Geheimrat bitter.

Sie war nicht zu erschüttern. Mit heftigem Nicken sagte sie: »Ja, ich muß mich verteidigen, und ich weiß genau, daß, wenn ich Ihnen jetzt nachgebe, ich mein Leben im Irrenhaus beschließen werde.«

Der Geheimrat erwiderte nichts, sein Schweigen war wie Zustimmung.

»Und was haben Sie vor?« fragte er endlich.

»Ich will fort für einige Zeit, bis hier alles vergessen ist!«

»Und wenn Sie wiederkommen, fängt's von neuem an!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, nie mehr!« … Mit einem plötzlichen leidenschaftlichen Tränenerguß schrie sie auf: »Nein, ich komme nicht wieder! … Nie, niemals komme ich wieder! … O, mein armes Kind, meine Effie!« …

Eberhard Brunner sah, daß diese Empfindung echt war und tief aus dem Herzen dieser merkwürdigen Frau kam. Er versuchte, ihr mütterliches Gefühl für sich nutzbar zu machen.

»Schon Ihres Kindes wegen sollten Sie mir folgen! Und dann, denken Sie nicht an Ihren Mann und seine Kinder?«

Wieder schüttelte sie den Kopf.

»Die lieben mich alle nicht! Die Kinder sind meinem Herzen fremd, und Hermann hat mich verstoßen - Ihretwegen!«

»Ich wollte, er hätte es!« meinte der Geheimrat. - »Und das sag' ich Ihnen offen, was ich dazu tun kann, Hermanns Herz von der Neigung zu Ihnen frei zu machen, das geschieht … Denn Sie sind sein Unglück!«

Sie lächelte schmerzlich.

»Ich bin mein eigenes Unglück.«

»Ja,« nickte Eberhard Brunner, »Sie haben recht, und ich glaube, ich würde Sie bemitleiden, wenn nicht gerade die Menschen von Ihnen mitgerissen würden, die ich am meisten liebe … Aber wenn Sie fort wollen, so brauchen Sie doch Geld! Es kommt Ihnen vielleicht sonderbar vor, daß ich, als Ihr ehrlicher Feind, Ihnen meine Hilfe anbiete. Und Sie können das ja auch - wenn es Ihnen dann leichter fällt, das Geld von mir anzunehmen - nur auf Konto meiner Bruderliebe setzen … Sie wissen, daß ich wohlhabend bin, und daß ich jedes Opfer, bei dem es sich um Hermanns Wohl handelt, mit Freuden bringe …«

Sie war plötzlich aufgesprungen von dem Ruhebett, auf dem sie so gerne träumte, und trat rasch ein paar Schritte zurück.

»Nie!« schrie sie heftig, »nie im Leben würde ich von Ihnen einen Pfennig nehmen! Ich brauche Ihr Geld nicht! Das, was ich zur Reise brauche, muß mein Mann mir geben. Und das tut er auch, ich weiß es. Bin ich dann erst mal drüben - ich gehe nach Australien, in meine Heimat … dann finde ich mich weiter, auch ohne Eure Hilfe!«

Der Geheimrat sah seine Schwägerin zweifelnd an. Er war überzeugt, daß diese Frau im Augenblick alles so meinte, wie sie es sagte, daß aber ihr leidenschaftliches Temperament und ihre krankhaften Neigungen sie dennoch hindern würden, diese Entschlüsse durchzuführen.

Und während seine Augen voll Mitgefühl auf ihr ruhten, hatte die Aermste schon selbst der bitterste Zweifel überkommen, ob ihre Energie groß und dauerhaft genug sein würde, ihre stolzen Versprechungen zu erfüllen.

Tränen verdunkelten ihre Augen, als Eberhard Brunner sie verließ, und einen Augenblick war's ihr, als sollte sie ihn zurückrufen und mit beiden Händen nach der Hilfe greifen, die er ihr großmütig angeboten. Aber die Abneigung gegen diesen Mann, das unüberwindliche Mißbehagen, das sie empfand bei dem Gedanken, gerade ihm erkenntlich sein zu müssen, ließ sie ihre Lippen fest aufeinanderpressen und abweisend den Kopf schütteln.

Nur ihr Entschluß, fortzugehen, der blieb fest.

Sie wollte niemandem etwas sagen. Erst von drüben, jenseits des Ozeans, wollte sie ihrem Gatten Nachricht geben und ihm alles auseinandersetzen.

 

Doch inzwischen waren Tage vergangen. Frau Ellinor befand sich immer noch in Berlin. Ihr Gatte, an den sie sich trotz ihrer Scheu wandte, war selbst im Augenblick sehr knapp an Geld. Was er ihr zur Verfügung stellte, war kaum nennenswert.

Der größte Teil ihrer Schmucksachen war längst nicht mehr vorhanden. Sie hatte eben von jeher, um ihrem Verschwendungsbedürfnis zu genügen, alle Gegenstände, an denen sie sich sattgesehen hatte, wieder verkauft und verschleudert. Mit den wenigen Kostbarkeiten, die sie noch ihr eigen nannte, ging sie eines Tages aufs Leihamt und war entsetzt, als man ihr für alles in allem wenig mehr als tausend Mark bot. Sie nahm alles wieder mit nach Hause … So blieb ihr nichts anderes übrig, als sich auf die gewohnte, verbrecherische Weise das Geld zu verschaffen, von dem sie in ihrer neuen Heimat zu leben gedachte.

Und da war ihr eine glänzende Idee gekommen. Ihr war doch etwas bange geworden, seit sie neulich den Kriminalbeamten in der Rosenstraße beinahe in die Hände gefallen war. Diese Leute strichen ja überall umher, und sie hatten sie, wenn auch nur flüchtig, gesehen und würden sie möglicherweise wiedererkennen. Es war zweifellos für sie jetzt viel schwieriger, einen Schlag zu wagen, als früher.

Da kam ihr die Erleuchtung zu einem Plan, vor dem sie wohl im ersten Augenblick zurückbebte, der aber von ihrem Leichtsinn hin- und hergeworfen und immer wieder aufgefangen, schließlich alle seine Schrecken verlor.

Da sie fast stets das Brautpaar auf dessen Wunsch bei den Einkäufen für die Ausstattung begleitete, so wollte sie diese günstige Gelegenheit gerade heute ausnützen, wo sie das Rotsteinsche Geschäft besuchen wollten. Hier mußte es ihr ja leicht gelingen, unbemerkt einige wertvolle Spitzen verschwinden zu lassen. Im Eifer des Auswählens war ihr ihre Absicht jedoch ganz aus dem Gedächtnis entschwunden und wurde erst wieder durch Kätes Ausruf: »Ich möchte gern noch einige Spitzen sehen!« mit aller Deutlichkeit an das, was sie eigentlich vorhatte, erinnert.

In diesem Geschäft hatte sie nämlich vor Jahr und Tag einmal versucht, sich seltene Valenciennes anzueignen, war dabei aber so scharf beobachtet worden, daß sie schließlich die bereits unter den Muff versteckten Points doch liegen ließ und als sie ging, die Verkäuferin selbst mit den Worten darauf aufmerksam machte:

»Dort haben Sie etwas wegzupacken vergessen, Fräulein!«

Es entsprach sonst ihrer Gewohnheit nicht, ein Geschäft, in dem sie so erheblichen Schwierigkeiten begegnet war, zum zweiten Male heimzusuchen. Aber heute, wo das Braupaar sie deckte, konnte sie den Schlag ohne weiteres wagen.

Sie wies den Verkäufer, einen geschniegelten jungen Mann, der seine flammenden Blicke, so oft er dies tun konnte, auf ihr schönes Gesicht richtete und der schon dadurch abgelenkt war, an, ihr ebenfalls alte Spitzen zu zeigen.

Und gerade in diesem Artikel war das Geschäft besonders leistungsfähig. Auch hier verblüffte die schöne Frau wieder alle Angestellten durch ihre auf so seltsame Weise erworbenen Kenntnisse in der Branche. Und als ihr zukünftiger Schwiegersohn sich zum Anlauf einer hervorragend schönen Chantillyspitze entschlossen hatte, steckten in ihrem eigenen Pelzjacket für mehr als dreitausend Mark alte Schweizer Guipüren.

Dann gingen die Herrschaften zur Kasse, wo Hans von Stark mit einem Scheck zahlte.



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