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10. Kapitel.

Als Frau Ellinor an diesem Abend nach Hause zurückkehrte, fand sie im Salon eine kleine Gesellschaft vereinigt.

Hans Stark von Materstein, der Oberleutnant bei den Garde-Schützen, war richtig am späten Nachmittag eingetroffen und hatte bei Kätes Vater seine Werbung vorgebracht.

Der Fondsmakler, gewiß kein gesellschaftlich ungewandter Mensch, war bei dieser Begegnung anfänglich doch ein bißchen verlegen gewesen. So wenig er sich das auch eingestehen wollte, dieser bedeutend jüngere Mann hatte ihm imponiert.

Es kam da so vieles zusammen. Hans Stark, der fünfundzwanzig Jahre alt war, hatte von seinem Vater den Ertrag eines großen Bergwerks als Zulage. Er entstammte nebenbei einem der ältesten Adelsgeschlechter, war mit seinen jungen Jahren schon Oberleutnant und hatte in seiner Erscheinung einen so soldatisch-männlichen Zug, daß man ihn im Anfang für bedeutend älter hielt.

So kam es, daß die beiden Herren schnell einander näher traten, denn der feinen Liebenswürdigkeit des jüngeren, der gar nicht daran dachte, sich als etwas Außergewöhnliches aufzuspielen, war es bald gelungen, den Hausherrn ganz für sich einzunehmen.

»Gegen Ihre Person habe ich nichts einzuwenden, mein Herr Oberleutnant. Wir kennen uns ja erst seit einer Viertelstunde, aber ich gestehe Ihnen gern, daß ich trotzdem das sichere Gefühl habe, daß bei Ihnen meine Käte gut aufgehoben ist.«

Der Offizier verbeugte sich tief. Sein weniger hübsches als interessantes Gesicht, das von sehr dunkler Färbung war, bekam einen noch tieferen Schimmer, und wie er dann die scharfen, stahlfarbenen Augen wieder auf den Makler richtete, war eine so ehrfürchtige Zuneigung darin zu lesen, daß Hermann Brunner, der an diesem Tage wirklich des Trostes bedurfte, das Herz ganz warm wurde.

»Also, wenn Sie gegen meine Person nichts einzuwenden haben, verehrter Herr Brunner, was, wenn ich fragen darf, erregt dann Ihr Bedenken?«

Der Makler zögerte ein wenig mit der Antwort.

»Ich glaube, wir können ohne Umschweife frei von der Leber weg miteinander reden …«

Der Offizier nickte lebhaft zustimmend.

»Also gut, man sagt Ihnen nach, Herr v. Materstein, daß Sie sehr reich seien! Das ist ja an sich kein Fehler, aber es führt zu einem Mißverhältnis, wenn die zukünftige Frau eines solchen Mannes so gut wie gar nichts besitzt. Und ich kann meiner Tochter außer einer nur bescheidenen Aussteuer nichts mitgeben.«

Als der Makler das heraus hatte, schwer genug war es ihm geworden, senkte er den Kopf und starrte etwas verwirrt und finster vor sich hin.

Da fühlte er seine Rechte von ein paar festen, warmen Männerhänden gefaßt, und dann sagte die die Stimme des jungen Offiziers, die ihm vom ersten Augenblick an so sympathisch geklungen hatte:

»Wenn zwei Menschen nichts haben, dann sollen sie vernünftigerweise nicht heiraten oder warten, bis sie wenigstens etwas haben. Wenn aber einer für beide Teile genug hat, dann läßt sich darin doch kein Ehehindernis erblicken … Je weniger aber Fräulein Käte hat, desto mehr Vergnügen wird es mir machen, ihr recht viel geben zu dürfen! … Sie glauben gar nicht, Herr Brunner, wie schlecht wir reichen Leute dran sind, wenn man, wie ich zum Beispiel, an all den noblen Passionen kein Gefallen findet. Ich trinke ganz gern ein Glas Sekt, aber bei einer ganzen Flasche, da muß ich mich schon quälen,« er lachte ordentlich ein bißchen verlegen, »und mit den andern Dingen ist es ebenso! Das einzige, was mir wirklich Spaß macht, ist die Jagd, und dazu habe ich auf den Gütern meines Vaters so ausgiebig Gelegenheit, daß auch dabei von großen Unkosten keine Rede sein kann … Soll ich mir da nun eine Frau nehmen, die auch noch Geld in die Ehe bringt, damit wir nachher gar nicht mehr wissen, was wir mit all dem Zeug anfangen sollen?«

Er lachte abermals, und Hermann Brunner konnte gar nicht anders, als in diese schöne, erfreuende Heiterkeit einstimmen.

»Aber noch eine Frage,« sagte der Makler wieder ernst werdend, »das scheint mir doch sehr wichtig: Ist denn Ihr Herr Vater mit Ihrer Wahl einverstanden?«

Der Oberleutnant nickte.

»Mein Vater und ich sind so durchaus zusammengehörig, daß es mir ganz undenkbar erscheint, daß ich etwas tun sollte, was nicht seine Billigung fände … Außerdem aber bin ich ja von ihm erzogen, und daher mag es wohl kommen, daß ich überhaupt, ohne es zu wissen und zu wollen, so handle, wie ers gern hat. Damit ich Sie übrigens ganz beruhige, lieber Schwiegerpapa …«

Er gebrauchte diese Anrede zum ersten Mal, und die beiden Herren sahen sich dabei freundlich lächelnd an … »mein Vater, der auch noch ein sehr eifriger Schlittschuhläufer ist, ist zuerst auf Käte aufmerksam geworden. Er zeigte sie mir auf der Eisbahn, und ich war sofort verliebt in sie. Dann habe ich mich ihr natürlich vorstellen lassen. Und als wir später zusammen aßen, mein Vater und ich, da sagte er gleich, wenn da die Familienverhältnisse einigermaßen stimmen, daß wäre so ein Mädchen, wie ich sie mir als deine Frau denke …«

Der junge Offizier lachte leise in sich hinein, dann fuhr er etwas geheimnisvoll fort:

»Mein Vater ist nämlich ein großer Züchter, besonders von Pferden. Seiner schweren Schläge wegen ist er geradezu berühmt und hat dafür einen weit hinausreichenden Namen. Nun wissen Sie wohl selbst, daß Zucht und Zuchtwahl innig zusammenhängen, oder um es deutlicher zu sagen: Mein Vater will die Gesetze einer rationellen Zucht auch auf den Menschen übertragen wissen. Er sagt ganz richtig: von einer gesunden, geistig wie körperlich ebenso leistungsfähigen Nachkommenschaft hängt das Wohl unseres Vaterlandes ab. Diese Nachkommenschaft läßt sich aber nur erzielen, wenn bei der gegenseitigen Wahl der Ehegatten nach ganz bestimmten Grundsätzen vorgegangen wird … Es hat vielleicht etwas Drolliges, wenn ich Ihnen erzähle, daß mein Vater, der mich unendlich lieb hat, sich schon seit Jahren ein ganz bestimmtes Bild davon gemacht hat, wie die Frau aussehen müßte, die ich einmal heiraten und die unserem alten Stammbaum zu neuer Blüte verhelfen soll. Und da ist es nun ganz merkwürdig, lieber Herr Brunner, daß Ihr Fräulein Tochter dem Bilde, das Papa sich von meiner zukünftigen Gattin macht, bis ins Kleinste entspricht … Ich glaube, Sie werden mich verstehen und, wenn Sie es recht überlegen, auch begreifen, daß Papa mit seinen Grundsätzen, so schrullig sie im ersten Augenblick auch aussehen mögen, im letzten Grunde doch recht hat.«

Der Makler nickte nur. Er war ein wenig verlegen, denn ganz und gar war ihm das Verständnis für die Theorie des alten Herrn v. Materstein doch noch nicht aufgegangen. Und wie so viele Menschen, die über solche Probleme nicht oder doch nur oberflächlich nachdenken, sagte ihm die Parallele, die da notwendigerweise zwischen dem Fortbestand der Tier- und Menschenwelt gezogen werden mußte, nicht zu. Das Wichtige und Entscheidende für ihn blieb die von vornherein sichere Zustimmung des alten Barons zu der Wahl seines Sohnes.

»Uebrigens,« setzte der Oberleutnant hinzu, »wird Papa sich in diesen Tagen ebenfalls das Vergnügen machen, Sie aufzusuchen, Herr Brunner …«

»Dann soll ich jetzt also die Käte hereinrufen?« lächelte der Makler.

»O, das ist gar nicht nötig,« sagte der Oberleutnant, »wir gehen einfach zusammen hinüber!«

Aber es war wohl jener Zufall daran schuld, der den Liebenden so oft zur Hilfe kommt, daß Käte sich gerade allein im Eßzimmer befand, als die beiden Herren dort durchgehen mußten.

In seiner schalkhaften Art wandte sich Brunner gleich an seine Tochter:

»Hör mal, Käte, da ist jemand, der dich zur Frau haben möchte!«

Das Mädchen, rot bis in die blonden Stirnlocken, sah scheu an beiden vorüber, bis der junge Mann auf sie zutrat und sie zärtlich in seine Arme schloß.

Hermann Brunner ging voraus und half den jungen Leuten sehr launig über die erste Vorstellung als Brautpaar hinweg.

Onkel Eberhard war nämlich immer noch da. Viel förmlicher als dieser, wenngleich offenbar sehr geschmeichelt durch die Aussicht auf den hochadeligen Schwager, der noch dazu aktiver Offizier war, nahm der Forstreferendar die Nachricht von Kätes Verlobung entgegen.

Am meisten freute sich Effie. Sie hatte das richtige Verhältnis zu ihrem zukünftigen Schwager sofort gefunden, und Hans Stark schien ebenso entzückt von ihr. Nach einer Viertelstunde saß sie schon auf seinem Knie, und er mußte ihr, ob er wollte oder nicht, eine Geschichte erzählen.

In dieses Idyll hinein trat seiderauschend mit dem Anstand einer Fürstin Frau Ellinor Brunner.

Sie war eine viel zu gewandte Dame, als daß sie nicht ohne weiteres den richtigen Ton getroffen hätte. Auch gefiel ihr der Oberleutnant durchaus. Und aus seinem Benehmen ließ sich jedenfalls das Gegenteil nicht bemerken.

Frau Brunner war zwar ein wenig erstaunt über die so plötzlich und ohne ihre Mitwirkung zustande gekommene Verlobung, aber sie fand sich mit großer Liebenswürdigkeit in die veränderte Lage und den erweiterten Familienkreis.

Beide, Hans von Stark ebenso wie Käte, waren ein sehr gesetztes Brautpaar. Daß sich hie und da verstohlen ihre Hände fanden, und daß, als Käte etwas aus dem Salon besorgen sollte, ihr der Oberleutnant diesen Auftrag eiligst abnehmen wollte, wodurch sie sich »ganz zufällig« im Nebenzimmer trafen - das wurde von den anderen mit verhaltenem Lächeln übersehen. Man war heiter und plauderte von diesem und jenem. Nur Frau Ellinor blickte von Zeit zu Zeit mit ihren dunklen Augen, deren Sammetglanz heute etwas Unruhiges und Hin- und Herirrendes hatte, in eine entfernte Ecke, in den breiten Wandspiegel oder auf einen der alten Stiche hin, die ihr doch gewiß zu bekannt waren, um sie noch fesseln zu können.

Dann stellten sich vor dem Geist dieser von ihren Sorgen gehetzten Frau die wilden und schreckhaften Bilder ihres anderen Lebens neben das reine Gemälde dieser schönen und friedlichen Häuslichkeit. Und ihr Herz sehnte sich verzweifelt danach, hier auch den Frieden zu finden … O, daß doch alle menschlichen Wünsche und Bitten das Geschehene nicht zu ändern vermögen! …

Die schöne Frau sah im Geiste die Häscher hier eindringen, sah die grenzenlose Verwirrung, die die Kunde von ihren Uebeltaten anrichten mußte, wenn die sie vernahmen, deren Leben rein und hell war und die es nicht anders wußten, als daß man ehrlich seinen Weg gehen müsse.

Mit fast schmerzhafter Gewalt entriß sich die junge Frau immer wieder ihren trüben Betrachtungen.

Dann versuchte sie mit erzwungener Lustigkeit wieder wie einst den Mittelpunkt der Unterhaltung zu bilden. Aber keiner wußte besser als sie selbst, wie wenig ihr das heute gelang.

Gut war es nur, daß niemand von ihrem veränderten Wesen Notiz nahm. Der neu in diesen kleinen Kreis hineingetretene Bräutigam der blonden Käte zog, auch ohne daß er es wollte, das Interesse aller auf seine Person. Und Frau Ellinor, die es sonst sehr übel vermerkte, wenn ein anderer außer ihr in der Gesellschaft herrschen wollte, war heute heilfroh, daß man sie nicht beachtete.

Nur einem entging ihre Unruhe und Nervosität nicht: Dem Geheimrat. Der hatte, trotzdem er sich lebhaft mit dem auch ihm sehr wohlgefallenden Oberleutnant unterhielt, doch noch Augen für seine Schwägerin, in der er selbst längst den bösen Geist dieses Hauses zu sehen gewohnt war. Und wenn er jetzt nach Gründen für die seltsame Veränderung suchte, die so plötzlich mit Frau Ellinor vorgegangen war, dann deuchte es ihm, als genüge die Erklärung der Morphiumeinspritzungen nicht allein.

Er wußte aus seiner langjährigen Praxis sehr wohl, daß Morphiumsüchtige, die das Bedürfnis nach einer neuen Injektion haben, ohne weiteres die Gesellschaft verlassen, um in einem verschwiegenen Winkel ihrer Leidenschaft zu frönen.

Frau Ellinor war aber vorhin, als sie von ihrem Ausgang zurückkehrte, so schnell in den Salon gekommen, daß dies ausgeschlossen schien. Und verlassen hatte sie das Zimmer seitdem auch nicht mehr. Nein, nein, da mußte noch irgend etwas anderes sein, etwas, was ihm Hermann verschwieg oder was sein Bruder selbst nicht einmal wußte.

Aber, er selbst wollte aufpassen. Er würde nicht leiden, daß dieses Weib mit seiner unheimlichen Manie diese braven Menschen unglücklich machte! …



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