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17. Kapitel.

Dem Geheimrat Brunner war es mit dem Versprechen, das er seinem Bruder gegeben hatte, bitter ernst.

Schon am nächsten Morgen machte er sich daran, eine Mission auszuführen, über deren Schwierigkeiten er sich auch nicht einen Moment im unklaren war.

Aber dieser Mann besaß in der Tat weitreichende Verbindungen und er war eben auf dem Wege, eine von diesen und vielleicht die gewichtigste seinem Zwecke dienstbar zu machen.

In der Reihe von schönen, frostklaren Wintertagen war der heutige besonders herrlich durch den wundervollen Schmuck der Bäume, die in dem glitzernden Kleide des Rauhreifs unter der hellen Sonne, wie aus Goldschmieds- und Juwelierhänden hervorgegangen, funkelten.

Heute war die Charlottenburger Chaussee in ihrem oberen Teile vom Brandenburger Tor bis zum Großen Stern voller Menschen. Und naturgemäß gehörten die Leute, die hier ihren Vormittag in Muße verbrachten, um in der kalten, klaren Winterluft Gesundheit und Frische zu atmen, den besitzenden Kreisen an. Man sah auch, wie viele sich begrüßten, und besonders der Geheimrat mußte alle Augenblicke seine Kopfbedeckung lüften. Dabei suchten die scharfblickenden Augen eifrig umher, bis endlich in der Nähe der Hofjägerallee ein Herr in Sicht kam, auf den Eberhard Brunner sofort lossteuerte.

Es war ein Mann, der die Dreißig überschritten haben mochte, aber sicherlich noch nicht vierzig Jahre alt war, in sehr gewählter, beinahe etwas stutzerhafter Kleidung.

Er blieb stehen und begrüßte den Geheimrat ungemein herzlich. Dabei lächelte sein fast frauenhaftes Gesicht, das mit dem blonden und wohlgepflegten Backenbart den angelsächsischen Typus zeigte, in aufrichtigem Vergnügen.

»Mein lieber Herr Geheimrat, das ist wirklich das Angenehmste, was mir so früh begegnen konnte! Sie wissen, ich bin ein bißchen abergläubisch, und das Ergebnis eines Tages hängt bei mir davon ab, wem ich am Morgen zuerst die Hand reiche … Gerade heute habe ich viel vor, und da sind Sie es! … Nein, ich bin Ihnen wirklich von Herzen dankbar!«

Eberhard Brunner lachte mit seinem dröhnenden Baß.

»Sie haben eine Art, einem Liebenswürdigkeiten zu sagen, verehrter Herr Baron, die jeden Einwand entwaffnet! Anstatt daß ich mich freue, Sie begrüßen zu können, tun Sie, als wenn ich Ihnen die größte Wohltat erwiese, dadurch, daß ich Ihnen hier begegne, … und zwar, wie ich Ihnen ohne weiteres eingestehe, absichtlich begegne! …«

»Soll das heißen, daß Sie mir erlauben wollen, Ihnen einen Gefallen zu tun?« erwiderte der schlanke Mann im Zobelgehpelz, die verbindlichste Haltung annehmend.

Der Geheimrat nickte eifrig.

»Anders wird man es kaum nennen dürfen, Herr Baron.«

»Nun, dann bitte ich Sie, ganz frei von der Leber weg zu reden, lieber Herr Geheimrat! Ohne Sie würde ich heute längst in einem Krematorium als Urneninhaber an der Wand stehen, woran mir, ganz offen gesprochen, wenig gelegen wäre … ja, ja, … Sie können sagen, was Sie wollen! Sie haben mir klipp und klar das Leben gerettet und das, nachdem mich drei Aerzte schon aufgegeben hatten.«

Der Geheimrat zuckte die Achseln.

»Mein Gott, es war eine einfache Lungenentzündung! … Ein bißchen Emphysem …«

»Nun, ich danke schön!« Der andere lachte und dieses ganze, an sich so ungemein liebenswürdige Gesicht bekam dadurch einen noch viel gewinnenderen Schimmer, sodaß selbst die Vorübergehenden sichtlich mit ihren Blicken davon festgehalten wurden. »Das kleine Emphysem wünsche ich meinem ärgsten Feinde nicht! Aber Ihnen, lieber Geheimrat, bin ich, auch wenn Sie es nicht wollen, dafür so lange dankbar, wie es mir vergönnt ist, in dieser trotz alledem recht angenehmen Welt umher zu spazieren … Ja, ich gestehe es ganz offen, ich lebe furchtbar gern … So gesund wie ich jetzt bin, und ich bin auch nicht der Meinung, daß der Reichtum dabei überflüssig ist!! … Im Gegenteil, es ist entzückend, Geld zu haben und gesund zu sein!«

Die Augen des großen und auffallend hübschen Mannes strahlten bei seinen Worten, und der Geheimrat konnte nicht umhin, sein Gegenüber zu bewundern, wie dieser, so recht als ein Kind des Glückes, ein verwöhnter Liebling des Schicksals, vor ihm stand.

Man wußte nichts recht Genaues über den Baron Emersund. Er hatte augenscheinlich auch keine politische Stellung. Ebenso wie wahrscheinlich die Gerüchte, die über seine sehr hohe Abstammung umliefen, auf leerem Gerede beruhten. Aber eines war sicher, der Mann besaß einen ungeheuer weit reichenden Einfluß.

Man wußte, daß der Baron auch unbehinderten Zutritt in allen Ministerien hatte und dort stets gern von den maßgebendsten Persönlichkeiten empfangen wurde. So traf man den schönen, blonden Mann, der keinen Feind zu haben schien und der überall dabei war, wo die gute Gesellschaft sich zusammenfand, stets dort, wo man es am wenigsten erwartete. Es war daher kein Wunder, daß sich all die skrupellosen Aemterjäger und Schmarotzer an ihn herandrängten und um seine Protektion buhlten. Aber so bereitwillig er sich für die ihm würdig Erscheinenden verwandte, so abweisend konnte er auch sein.

Der Geheimrat hatte ihm in der Tat einmal durch seinen ärztlichen Beistand das Leben gerettet, und man brauchte dem Baron nur ins Auge zu sehen, um zu wissen, daß dieser Mann einen solchen Dienst schwerlich vergessen würde.

»Ich warte immer noch darauf, daß Sie mir das mitteilen sollen, was Sie vorher Ihren Wunsch nannten!« sagte er zu dem Geheimrat.

Dieser nickte bedächtig.

»Das will ich, Herr Baron. Aber es ist gar nicht so leicht.«

»Desto mehr Mühe will ich mir geben, Ihnen gefällig zu sein!«

Und die beiden Männer reichten sich zum Zeichen ihrer gegenseitigen Wertschätzung mit kräftigem Druck die Hand.

Dann erzählte der Geheimrat von dem Unglück seines Bruders, dessen Frau durch ihr seltsames Wesen und ihre tollen Extravaganzen das Schicksal der Familie gefährdete.

Der Diplomat - Baron von Emersund hatte in der Tat vor Jahren einer Gesandtschaft angehört - hörte dem Geheimrat zu, ohne daß der Ausdruck seines Gesichtes irgend ein Gefühl des Befremdens oder der Verwunderung gezeigt hätte.

»Sie, Herr Geheimrat, sind also fest überzeugt, daß die … nun man kann da wohl nicht anders sagen, die Kleptomanie dieser Dame maniakalischen Ursprunges ist?«

Bei diesen Worten blickte der Baron seinem Begleiter mit einem Ausdruck in die Augen, der, das war unzweifelhaft, ein »Ja« als Antwort verlangte.

Eberhard Brunner zögerte etwas verwirrt mit der Erwiderung. Seine streng wissenschaftliche Ueberzeugung stand der sogenannten Kleptomanie skeptisch gegenüber. Er glaubte nicht daran, daß Menschen nur aus dem Drange, sich etwas anzueignen und völlig ohne den Trieb der Habgier zum Diebstahl kommen können. Zweifellos war nach seiner Ansicht das Unterscheidungsgefühl zwischen Mein und Dein in den verschiedenen Individuen mehr oder minder stark entwickelt. Und zwar ging diese Verschiedenheit durch alle Gesellschaftsklassen hindurch. Es gab unter den sogenannten vornehmen Leuten ebenso wie unter den Proletariern Individuen, denen der Keim ungesetzmäßigen Handelns angeboren war und die nur durch eine sehr verständige und ernste Erziehung davor bewahrt werden konnten, später einmal zu Feinden der Gesellschaft zu werden. Daß alle diese Menschen abnorm veranlagt waren, darin bestand für den Geheimrat kein Zweifel. Aber diese Abnormität äußerte sich allzu verschieden, und der Geheimrat war zu sehr in seinen Anschauungen aufgewachsen, die das Individuum verantwortlich machen für jede seiner Handlungen, als daß er sich so leicht hätte dazu aufschwingen können, im Verbrechen nicht nur die Abnormität der Lebenserscheinung, sondern auch den Mangel an Verantwortlichkeitsgefühl für das Abnorme zu erblicken.

So kämpfte denn sein Gewissen jetzt einen zwar nur kurzen, aber desto schwereren Kampf. Eberhard Brunner wußte: Der Baron, der den besten Willen hatte, ihm in dieser schwierigen Sache behilflich zu sein, konnte diese Hilfe nur leisten, wenn er selbst die Ueberzeugung gewann, daß es sich dabei um eine kranke, vor dem Gesetz nicht verantwortliche Person handle. Und diese Ueberzeugung ihm beizubringen, dazu bedurfte es von seiten des Geheimrats nur eines einfachen »Ja«.

Trotz der kalten Winterluft traten dem Geheimrat große Schweißtropfen auf die Stirn, und nur zögernd antwortete er:

»Der Fall, Herr Baron, kompliziert sich noch in einer Weise, von der ich bis jetzt noch nicht gesprochen habe. Wir, das heißt, mein Bruder und ich, sind nämlich seit einiger Zeit dahinter gekommen, daß die betreffende Dame in hohem Grade Morphinistin ist …«

»Aber ich bitte Sie!« … unterbrach ihn der Baron, indem er die beiden Hände leicht erhob. »Da wird ja die Frage nach der Krankhaftigkeit dieser … dieser merkwürdigen Erscheinung hinfällig! … Mit dieser Ihrer Erklärung haben wir ja das ausgesprochene Bild einer Maniakalischen. Ich habe mich früher selbst ein bißchen mit Psycho-Pathologie befaßt, und wenngleich mein Wissen und mein Erkennen in dieser Materie nur ein ganz laienhaftes ist, so sehe doch selbst ich, daß sich hier, ich möchte mich fast eines ärztlichen Ausdrucks bedienen, ein geradezu typisches Krankheitsbild vor uns aufgerollt. Hier stehen ja Ursache und Wirkung klar und deutlich, ja man kann sagen, überzeugend vor unseren Augen:

Die reiche Erbin, die durch den Vermögensverfall ihres Vaters, wenn auch nicht in Not, so doch in große materielle Abhängigkeit geraten ist. Der Selbstmord des Vaters, der, wie ich wenigstens glaube, auf alle Fälle auf eine schlummernde Geisteskrankheit zurückgeführt werden muß! … Daher sicherlich auch eine erbliche Anlage, die sich wahrscheinlich in schweren nervösen Störungen, Kopfschmerzen und all' dem Aehnlichen frühzeitig geäußert haben mag! … Und nun dieses unglückselige Morphium! Dieses furchtbare Gift, dem so viele gerade unserer bedeutendsten und intelligentesten Mitmenschen zum Opfer fallen! … und aus dem Morphium die Wahnvorstellungen, die den einstigen Glanz des Reichtums wieder aufleuchten und die Begierde nach dem Luxus in den Zeiten der Ernüchterung desto brennender werden lassen … So kommen wir ja mit einer geradezu unerbittlichen Konsequenz zur Kleptomanie, zum Diebstahl wider Willen und zur Unverantwortlichkeit für die verbrecherische Tat! …«

Auf dem Gesicht des Geheimrats prägte sich tiefe Rührung aus. Er konnte nicht anders, als dem Baron beide Hände hin zu strecken und mit einem leise gesprochenem: »Ich danke Ihnen, Sie nehmen mir eine Last von der Seele!« den Blick zu senken.

Der Baron lächelte, als sei eigentlich keine Ursache zu dieser Rührung vorhanden.

»Es wird sich darum handeln, den Weg zu finden, auf dem wir Ihre Familie vor dem schlimmen Skandal bewahren können, der ja notwendig ausbrechen muß in kurzer Zeit … denn das wird Ihnen ebenso klar sein, wie mir, Herr Geheimrat, unsere Berliner Polizei, soviel die Zeitungen auch an ihrem Wirken auszusetzen haben, die Polizei kann einer solchen Erscheinung gegenüber auf die Dauer nicht blind bleiben. Es ist überhaupt ein Wunder, daß die Dame bis heute nicht gefaßt worden ist. Aber wir müssen unweigerlich damit rechnen, daß dies in der allernächsten Zeit geschieht! Und da, dessen freue ich mich ganz besonders, bin ich in der Tat mit meinen bescheidenen Verbindungen in der Lage, Ihnen nützlich zu sein. Ich hoffe, daß es mit gelingen wird, die maßgebenden Personen dahin zu unterrichten, daß, wenn es zu einer Verhaftung oder sagen wir, zu einem Zusammenstoß zwischen der Kriminalpolizei und jener Dame kommen sollte, dieses Zusammentreffen so glimpflich wie möglich für Sie alle verläuft. Man wird dann ohne weiteres wissen, es handelt sich um eine Kranke. Man wird nicht erst eine hochnotpeinliche Untersuchung über sie verhängen, sondern man wird sie dahin bringen, wohin diese arme Frau - das wollen wir uns doch keinen Augenblick verhehlen, nicht wahr? - in der Tat gehört … ich meine, in eine Anstalt.«

»Ich danke Ihnen von ganzem, ganzem Herzen, Herr Baron!«

Herr von Emersund schüttelte den Kopf.

»Wie leicht ist es doch, sich einen Dank zu verdienen! Mich kostet das ein paar Worte …« Und wie mit sich selber zu Rate gehend, fügte er nach einigem Zögern hinzu: »Wir wollen ja doch nichts Unrechtes tun. Im Gegenteil, wir wollen einem Unrecht vorbeugen und wollen eine ganze Reihe von braven, ehrenwerten Menschen, die durch das geheimnisvolle Leiden einer der ihren in der größten Gefahr sind, vor unabsehbarem Unglück bewahren. Nein, ich muß Ihnen wirklich sagen, lieber Herr Geheimrat, es ist ein stolzes und schönes Gefühl, wenn man imstande ist, so etwas zu bewerkstelligen … und damit meine ich, ist diese Sache denn auch erledigt … wir haben nämlich noch anderes zu besprechen. Haben Sie schon gehört von den neuesten, in Aussicht stehenden Veränderungen im Kultusministerium?«

Interessiert schüttelte der Geheimrat den Kopf, und Baron von Emersund begann in seiner fesselnden Weise eine Menge Einzelheiten aus den Kreisen zu besprechen, die Eberhard Brunner aus seinem ärztlichen Beruf naturgemäß am meisten interessierten. Aber der alte Herr war sich trotzdem klar darüber, daß dieses schnelle Ablenken von dem peinlichen Thema doch auch wieder nur eine Feinfühligkeit seines Freundes sei.

Die Herren waren inzwischen längst umgekehrt und befanden sich wieder am Brandenburger Tor.

Dort fuhr eine elegante Viktoria, die mit zwei schönen, silbergeschirrten Pferden bespannt war, an dem Bürgersteig vor, und der Bediente sprang vom Bock, um seinem Herrn hinein zu helfen.

Der Baron forderte den Geheimrat zur Mitfahrt aus, dieser dankte aber. Er wollte auf dem schnellsten Wege zu seinem Bruder, um ihm die tröstende Nachricht zu bringen.

Mit herzlichem Abschiedsgruß trennten sich die beiden Herren, und der Geheimrat blickte im Vorwärtsschreiten dem prächtigen Wagen nach, in dem dieser wirklich harmonische Mensch davon fuhr.



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