Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6. Kapitel.

Das Mittagsmahl vereinte die ganze Familie, auch Onkel Eberhard, den Geheimen Sanitätsrat bei Tisch.

Aus dem Gesicht des Hausherrn war eine tiefe Niedergeschlagenheit zu lesen. Die Frau vom Hause hingegen erschien lustig, sprudelnd lebhaft und war offenbar in bester Laune.

Nach der Suppe, die schweigend eingenommen wurde, begann, wie es in diesem, noch alte, bürgerliche Sitte pflegenden Hause Brauch war, einer von den älteren Herrschaften, und zwar Onkel Eberhard, das Gespräch. Er wandte sich an seinen Liebling, Käte, und scherzte über ihr Aussehen. Eines der beiden Kinder aus Brunners erster Ehe, war sie ein großes, prächtig gewachsenes Mädchen mit vollen Formen und angeborener Grazie. Ihr Gesicht war rund und für die Neunzehnjährige noch sehr kindlich. Sie besaß die sanften, hellblauen Augen ihrer verstorbenen Mutter, deren großes Bild in Hermann Brunners Arbeitszimmer hing, und hatte starkes Haar von kornblonder Farbe. Wenn sie sprach, lächelte das ganze Gesicht, und ihre glänzenden Zähne kamen zum Vorschein - es war ein Anblick, der jeden anziehen mußte.

»Für dich gibt es jetzt wohl nur noch die Eisbahn?« meinte Onkel Eberhard. »Und das ist ja auch jedenfalls sehr gesund! Was sonst getan werden muß, na, das läßt man dann eben einen anderen tun!«

Käte verstand die Neckerei und verteidigte sich auf drollige Weise. Nun mischte sich Johannes, der neugebackene Forstreferendar, der schon nach Weihnachten fort sollte, um seine praktische Ausbildung in einer großen Oberförsterei im Posenschen zu beenden, ins Gespräch. Er war ein sehr korrekter, junger Mann mit wohlgebürstetem und bis an den grünen Samtkragen durchgezogenem Scheitel. Heute vormittag hatte er in seiner Galauniform auf der Eisbahn geglänzt. Den Schnurrbart zwischen den Fingern aufstellend, sagte er mit jenem leichten Näseln in der Stimme, das manche, besonders jüngere Herren der guten Gesellschaft für schön halten:

»Ich glaube, es wäre besser, unsere jungen Mädchen würden auch hin und wieder mal in die Küche gucken. Wenn man später als verheiratete Frau auch seine Angestellten hat, so ist es doch immer gut, wenn man wenigstens weiß, wie die Sache gemacht wird!«

Sein Vater, der bis jetzt ziemlich zerstreut dagesessen hatte, hob nun den Kopf und erwiderte, er glaube, daß seine Käte zur Zeit schon das kennen würde, was nottue. Uebrigens wäre selbstverständlich, bei der Erziehung eines jungen Mädchens auch die Kochkunst zu berücksichtigen, und er hätte gar nichts dagegen, wenn Käte vielleicht einen Kursus nehmen wollte.

Aber das Mädchen, das den Bruder zuvor mit einer lachenden Bemerkung abgefertigt hatte, wehrte sich dagegen.

»Das wäre wirklich überflüssig, Papa. Wenn man kochen lernen will, kann man es mit ein wenig gutem Willen selbst nach jedem Kochbuch. Vor vierzehn Tagen, als Mine krank war, habe ich euch beinahe eine ganze Woche lang das Essen gekocht, und ich glaube, es ist keinem von euch aufgefallen, daß es anders geschmeckt hätte als sonst.«

Nun waren sie alle sehr erstaunt, und Käte erntete Lob über Lob, besonders von Onkel Eberhard, der neben ihr saß. Der strich über ihren blonden Scheitel und lachte.

»Ich sags ja immer, du bist 'n Prachtmädel, Käte! Wer dich mal kriegt, der ist gut versorgt!«

Da wurde das Mädchen blutrot. Sie erwiderte kein Wort, aber man merkte deutlich, daß der Onkel mit seiner rein zufälligen Bemerkung einen zarten Punkt in ihrem Innern berührt hatte.

Man war jetzt beim Braten, und es wurde heute, weil Onkel Eberhard, der kein Bier trank, mitaß, Rotwein gegeben. Aber die Stimmung, die sonst so lustige, lebhafte, in dieser Gesellschaft von durchweg klugen Menschen immer rege Unterhaltung, wollte nicht aufkommen. Irgend etwas lag in der Luft; was wenigstens einige Gemüter bedrückte. Das sicherste Zeichen hierfür war das Flüstern der kleinen Effie. Das entzückende Mädel gehörte zu den nervösen und empfindlichen Kindern, die das Wohl und Wehe der Großen instinktiv mit durchleben und je nach ihrer mehr oder minder glücklichen Umgebung selbst laut und fröhlich oder still und unglücklich erscheinen.

Effie, die rechts von Käte saß, flüsterte nur hin und wieder mit der älteren, leidenschaftlich geliebten Stiefschwester, und dann warf diese sorgende Blicke nach dem Vater hinüber, der immer wieder trotz aller Fragen und Anregungen seines Bruders in schweigsame Starrheit versank.

Der Fondsmakler war froh, als dieses Mahl zu Ende war, doch ein neuer Schreck durchfuhr ihn, als beim Aufstehen von der Tafel Käte an ihn herantrat mit der leisen Bemerkung, sie möchte den Vater gern einen Augenblick sprechen.

Auf der anderen Seite des Tisches schien der junge Brunner, nicht groß von Statut, aber in seiner kleidsamen Uniform doch eine sehr hübsche Erscheinung, sich mit einem Anliegen an den alten Geheimrat zu wenden.

Eberhard war noch größer und viel breitschulteriger als sein Bruder. Ein langer, weißer, spitz zulaufender Patriarchenbart fiel ihm bis zur Mitte der Brust, und so lockig wie dieser war auch sein Haupthaar. Er hatte große, blitzende, braune Augen, war ein großer Nimrod und besaß überhaupt ein forsches, vor keinem Hindernis zurückschreckendes Wesen.

Eben ging er mit seinem Neffen in das anstoßende Zimmer, und der Vater, der genau aufpaßte, bemerkte, wie der Geheimrat sein Taschenbuch zog und dem jungen Manne Geld gab.

»Siehst du,« sagte der Fondsmakler ärgerlich zu seiner Tochter, »der Hans pumpt den Onkel schon wieder an. Bei mir weiß er, daß er damit kein Glück hat … schon, weil ich es einfach nicht kann!«

»Armer Papa,« sagte Käte, »hast du denn wieder so große Sorgen?«

Hermann Brunner nickte kummervoll.

»So groß wie nie, liebes Herz!«

»Und da willst du womöglich, ich soll noch einen Kochkursus nehmen?«

»Nun, auf jeden Fall muß doch für dich auch etwas getan werden, es ist doch nicht angängig, daß die anderen alles schlucken.«

»Na, Gott sei Dank, daß ich es nicht mehr nötig habe!« sagte das junge Mädchen. »Aber du selbst, du lieber, guter Papa, du gönnst dir garnichts …«

Mit einem halben Lächeln unterbrach der Makler:

»Du wolltest mir doch etwas sagen, Kind? … Wollen wir lieber in mein Zimmer gehen?«

Sie nickte. »Ja, Papa!«

Und als sie nun drüben waren im Arbeitszimmer Hermann Brunners, da schien es, als ob das blonde Mädchen so garnicht fertig werden konnte mit dem, was es innerlich bedrängte.

»Ich habe einen Antrag bekommen, Papa!«

»Na, und das bringst du mit einer solchen Leichenbittermiene hervor? Wer ist es denn? Doch nicht etwa jemand, den wir …?«

»Nein, nein,« sie lächelte leise, und es klang sehr glücklich.

»Er, den ich mir ausgesucht habe …«

»Ach, du hast ihn dir ausgesucht,« fiel der Vater ein, nun auch lächelnd.

Das machte sie wieder ganz verlegen, und sie wehrte sich gegen die Worte des Vaters, bis dieser sagte:

»Also, wer ist es denn?«

»Er heißt Hans Stark von Materstein und ist Oberleutnant im Garde-Schützenbataillon … Die stehen doch in Groß-Lichterfelde,« setzte sie erläuternd und rot wie eine Sommerrose hinzu.

Der Vater war ein wenig verblüfft.

»Aber, Kind, das macht mir doch ganz den Eindruck, als wäre es ältester Adel.«

»Ist es auch.«

Sie lächelte, und zwei große Tränen rollten dabei über ihre brennenden Wangen.

»Und der will dich zur Frau haben?«

»Aber Papa!«

»Nun ja, ich kenne dich und weiß, daß du für den Allerbesten gerade gut genug bist! … Aber ich weiß auch, wie unsere heutigen jungen Männer sind, und als bloßes Spielzeug für irgend solchen hochgeborenen Herrn, dazu bist du mir denn doch zu schade!«

Das Mädchen schüttelte unwillig den Kopf.

»Wie kannst du bloß so reden?! Darum wollte ich dich doch sprechen, Papa. Ich habe dir doch gesagt, er hat mir einen Heiratsantrag gemacht, und heute nachmittag kommt er her und hält bei dir um meine Hand an.«

Sie sagte das alles mit einer solchen ruhigen, selbstverständlichen Natürlichkeit, daß der Fondsmakler, der sich wohl hütete, seiner Ueberraschung noch einmal Ausdruck zu geben, innerlich betroffen, aber auch entzückt von ihrem Wesen war.

»Na,« meinte er in seiner freundlichen Art, die ihn in guten Stunden zu einem ausgezeichneten Gesellschafter machte, »da hast du ja eigentlich schon alles in Ordnung gebracht, und ich habe nur noch nötig, Ja und Amen zu sagen. Deine Mutter wird nichts dagegen haben! Und ich, ich will bloß hoffen, daß der Charakter deines Erwählten seinem Namen entspricht!«

»Sonst würde ich ihn garnicht nehmen,« sagte Käte mit einem Ernst, der so komisch wirkte, daß der Fondsmakler hell auflachen mußte.

Indem klopfte es.

Käte, der das Blut von neuem in heißem Strom bis in die Schläfen stieg, faßte mit beiden Händen den Arm ihres Vaters und sagte bebend:

»Ich glaube, da ist er schon, Papa!«

Aber diesmal hatte sie sich noch geirrt, denn der gleich darauf Eintretende war kein junger Oberleutnant, sondern der alte Geheimrat, der seinen Bruder aufsuchte.

»O, hast du uns erschreckt, Onkel!« sagte Käte.

»Na, wieso denn?« lächelte der alte Herr, »wen habt ihr denn erwartet?«

Da wurde sie von neuem rot und lief ohne Antwort hinaus.



 << zurück weiter >>