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9. Kapitel.

Frau Ellinor stand wieder auf der Straße. Sie schüttelte sich. Diese Gerüche, an die ihr feines Näschen gar nicht gewöhnt war, hatten ihr Unbehagen verursacht. Aber die kalte Winterluft fegte all das Schmutzige wieder fort, und kräftig und energisch wie nur je schritt sie vorwärts.

In einer der Hauptverkehrsstraßen der Königstadt, in einem jener großen Häuser, die nur von Geschäftsleuten bewohnt werden, befand sich das Detektivinstitut von Frank Wesson.

In einem Vorraum, der gegen das dahinterliegende Zimmer mit einer Wand aus mattem Glas abgeschlossen war, empfing ein Junge von vierzehn Jahren die schöne Frau.

Aber schon der einfache Name der Frau Makropolska genügte, um ihr den Eingang ins Privatkontor des englischen Detektivs zu verschaffen. Er war ein mittelgroßer, hagerer Mann, der seine Augen wie beobachtend halb geschlossen hielt, und dessen lange, spitze Nase sich, ohne rund zu sein, ein wenig über die schmalen Lippen senkte. Man hatte den Eindruck eines äußerst schlauen, berechnenden Menschen, der vor keiner Schwierigkeit zurückschreckt, aber auch nicht von überflüssigen Gewissensskrupeln geplagt ist.

Frau Ellinor hatte ihm, durch seine raschen, das Wesen der Sache schnell klärenden Fragen unterstützt, erzählt, daß sie vorgestern in einem Warenhause Einkäufe gemacht und dabei von einem Manne verfolgt worden sei, der sie bis in ihr Haus begleitet hatte. Dort habe er sich den Zutritt zu ihrem Gatten erzwungen und hätte diesem ein kleines Paket Spitzen gezeigt, das sie angeblich gestohlen haben sollte. Natürlich sei das eine bewußte und schamlose Lüge gewesen. Sie sei noch niemals in Verlegenheit gewesen, wie sie ihre Toilettengegenstände bezahlen sollte und hätte daher nicht die geringste Veranlassung gehabt, sich derartig zu bereichern. Trotzdem habe dieser böswillige Mensch ihrem Manne, der eine feine und weiche Natur sei, einen furchtbaren Schreck eingejagt. Schließlich hätte ihr Gatte, schon um einen Skandal zu vermeiden, sich bereit gefunden, den geforderten Betrag wenigstens teilweise zu bezahlen. Nun stünde zu befürchten, der Erpresser würde mit dieser Summe nicht zufrieden sein und würde wiederkommen, um mehr zu holen. Das wollte sie, da ihr Mann in dieser Hinsicht gänzlich unbewandert wäre, auf jeden Fall vermeiden, und deshalb habe sie sich an ihn, Herrn Frank Wesson, gewandt.

Der Detektiv stützte den mattblonden Kopf, in dessen Zügen nichts eine Andeutung gab, was er von der Erzählung seiner Klientin glaubte oder nicht glaubte, in die Hand und sagte nach einigem Nachsinnen:

»Ich werde diesen Fall übernehmen. Bedingung ist vollstes Vertrauen von Ihrer Seite, meine Dame, und selbstverständlich eine entsprechende Vorausbezahlung.«

Frau Ellinor errötete heftig. »Wie hoch wäre die Summe, die ich gleich entrichten müßte?«

»Fünfhundert Mark, wenn ich bitten darf … Das ist nicht viel, aber ich pflege meine Kunden nicht zu überteuern.«

»Nein,« meinte die schöne Frau, ihn mit ihren dunklen Augen voll anschauend, »das ist in der Tat nicht viel, aber es übersteigt trotzdem die Möglichkeiten, die mir augenblicklich zu Gebote stehen.«

»Dann bedaure ich,« erwiderte der Detektiv. »Madame werden sich dann nach einer anderen Seite bemühen müssen.«

Sie schüttelte den Kopf, und nervös an ihrem Handgelenk nestelnd, löste sie ein Armband, in dessen schweren Goldreifen eine ganze Anzahl von prächtigen, tiefdunklen Rubinen und wasserhellen Diamanten eingelassen war.

»Das Stück hat einen reellen Wert von zweitausend Mark,« sagte sie, »ich möchte Sie bitten, es als Pfand anzunehmen, bis ich imstande bin, Ihnen Ihr Geld zu geben.«

Er neigte den Kopf.

»Wünschen Sie darüber eine Bescheinigung?«

»O nein, ich habe Vertrauen zu Ihnen.«

»Darin werde ich Sie nicht enttäuschen,« sagte er. »Nur eine Frage: Wollen Sie die Ergebnisse meiner Bemühungen hier entgegennehmen, oder darf ich Sie in Ihrer Wohnung aufsuchen?«

»Ich werde hierher kommen. Wann darf ich …«

»Nun, heute haben wir Dienstag, ich glaube, daß ich Ihnen schon am Donnerstag oder Freitag einen Wink werde geben können.«

»Das würde mich sehr glücklich machen.«

Sie sah wieder zu dem Engländer hin, und dieser schlug plötzlich sein graues, jetzt aber lebhaft sprechendes Auge zu ihr auf, vor dem Frau Ellinor in plötzlicher Verwirrung rasch den Blick senkte.

Mit einer gewissen Befangenheit reichte sie ihm ihre schlanke, weiße Hand, und wie eine Beängstigung, der sie sich nicht erwehren konnte, überkam es sie bei dem Druck seiner kühlen, harten Finger.

Dann war sie draußen auf der Straße und bemühte sich vergeblich, zufrieden zu sein mit dem bisherigen Erfolg. Sie hatte beinahe die innere Gewißheit, daß dieser Mann ihr helfen würde, aber sie wußte nicht, ob der Helfer nicht mehr zu fürchten wäre, wie der andere, der sie heute mittag so hart bedrängt hatte.

Mit einer grausamen Klarheit standen plötzlich die letzten Jahre ihres Lebens vor ihrem geistigen Auge. Sie verfolgte alle die Phasen dieses seltsamen Doppelseins von jenem Tage an, wo sie zum ersten Mal dem Anblick einer Mechelner Spitze nicht hatte widerstehen können.

Diese Vorliebe für die duftigen Gebilde, die einem Frauenkleid, ihrem Geschmacke nach, erst den letzten Reiz und wirkliche Vollendung gaben, hatte sie beherrscht, solange Frau Ellinor nur denken konnte. Schon als Kind war ihr nichts lieber wie die Spitzenkleidchen gewesen, mit denen ihre Mutter, eine Kreolin, die alle Vorzüge, aber auch alle Nachteile dieser Rasse in sich vereinigte, das kleine Mädchen nur zu gern schmückte. Und es war gewiß eine Entschuldigung für die schöne Frau, daß viele Jahre ihres Lebens vergangen waren. ehe der Tag kam, der ihren ersten Wunsch unerfüllt ließ. Sie hatte es nicht gelernt, arm zu sein, und als die Notwendigkeit an sie herantrat, mit ihren Lieblingsneigungen zu brechen, da war der Drang in ihr nach jenen Dingen stärker, als der wägende Verstand und ihr moralisches Bewußtsein.

Die außerordentliche Sicherheit im Verkehr, dem verwöhnten Kinde des Reichtums angeboren, ihre gebietende Schönheit, und die, wenn sie wollte, alles bezaubernde Liebenswürdigkeit waren die besten Waffen in dem geheimen Kriege, den diese Frau der Gesellschaft erklärt hatte.

Im Anfang brauchte sie das, was ihre unglaublich raschen und geschickten Finger verschwinden ließen, nur zum Schmuck für die eigene Person. Aber die Kleidung einer Frau, die den Ehrgeiz hat, überall die Schönste zu sein, ist kostspielig, und selbst die kostbarsten Spitzen und Kanten genügen nicht, das Bedürfnis nach Luxus zu befriedigen, wenn man sie nicht in bare Münze umsetzt.

So dauerte es gar nicht lange, bis Frau Ellinor auf die Idee kam, einen Teil ihres Raubes, und besonders diejenigen Spitzen, an denen sie sich schon satt gesehen hatte, zu veräußern.

Sie wurde vielleicht noch besonders auf diesen Gedanken gebracht durch die alte Makropolska, die einen sehr umfangreichen Handel mit allen möglichen Toilette- und Schmuckgegenständen betrieb und bei der so manche Dame aus der Gesellschaft ihre kostbaren Bedürfnisse heimlich auf billige Weise bestritt.

Die schöne Rotblonde hatte bei der alten Buckligen eines schönen Tages einen Ring bemerkt, einen kleinen in Onyx geschnittenen Affenkopf mit Brillantaugen, ein ganz entzückendes und offenbar antikes Kleinod, das sie um alles in der Welt gern besessen hätte. Der Preis war ziemlich hoch, und Frau Ellinor, die mit jeder Summe, die ihr schwacher Mann ihr gab, in kürzester Zeit fertig wurde, besaß wie gewöhnlich kein Geld.

»Nu, vielleicht können wir 'nen Tausch machen,« hatte da die alte Margutta gesagt, indem sie mit lüsternen Augen nach den Spitzenmanschetten schielte, die, natürlich auch unrechtmäßig erworben, über Frau Ellinors feine Gelenke herabfielen und die, das wußte die Maklersgattin damals noch gar nicht, ungemein wertvoll waren.

Mit dem Leichtsinn, der den Grundzug ihres Charakters bildete, trennte Frau Ellinor sofort die Spitzen aus ihren Aermeln und tauschte sie gegen das heißbegehrte Kleinod ein. Sofort schlug ihr die alte Bucklige vor, sie wollten auch ferner solche Geschäfte miteinander machen, ja, wenn die Kundin mehr derartige Spitzen hätte, würde sie ihr diese gern mit barem Gelde bezahlen.

Noch manchmal wurde die junge Frau von der Trödlerin betrogen, ehe sie selbst den Wert der Spitzen so kennen lernte, daß sie beim Verkauf wenigstens einigermaßen auf ihre Rechnung kam. Aber diese Möglichkeit, mit einem geschickten Handgriff oft gar nicht unbedeutende Summen zu gewinnen, war ein noch stärkerer Anreiz, ihr verbrecherisches Tun fortzusetzen.

Und der einzige Kummer dieser schönen und eleganten Diebin war die selbst in Berlin nur geringe Anzahl von Geschäften, in denen sie ihre Diebstähle mit Gewinn und wirklichem Erfolg ausführen konnte.

Denn die merkwürdige Frau war intelligent genug, daß sie Unklugheiten, wie den häufigeren oder sich allzubald wiederholenden Besuch eines und desselben Geschäftshauses vermied. Sie operierte so geschickt, daß der Verdacht, den Diebstahl begangen zu haben, kaum auf sie fallen konnte. Und um eine größere Mannigfaltigkeit in ihre Unternehmungen zu bringen, begann sie eines Tages, die Juweliere und Goldwarengeschäfte ebenfalls mit ihren Besuchen zu beehren.

Aber es schien ihr, als sei dort die Wachsamkeit und Kontrolle größer, und ihre Erfolge waren in dieser Branche nur sehr mäßig. So griff sie wieder zurück auf ihre Lieblingswaren, die Spitzen, und begann eines Tages Kunstreisen in die Provinz zu unternehmen.

Ihre ganze exzentrische Art zu leben, ließ es nicht allzusehr auffallen, daß sie hie und da beim Mittagsmahl fehlte, und Frau Ellinor war nach dieser Richtung hin auch energisch genug, schon in aller Frühe mit dem Schnellzug - beispielsweise nach Dresden zu fahren und, noch ehe es Abend wurde, wieder in Berlin zu sein.

Wie oft hatte sie heimlich lachen müssen, wenn ein Bekannter, der sich da oder dort in der Provinz aufhielt, ihr von der schönen Doppelgängerin etwas vorschwärmte, der er irgendwo draußen begegnet wäre, während in Wahrheit doch sie selbst es war, die voll hochmütiger Unnahbarkeit den Herrn zwar gesehen, aber kein Auge nach ihm gewandt hatte.

Und das stete Glück, das ihr bei all den gefährlichen Fahrten treu blieb, hatte eine Sicherheit in ihr erzeugt, eine Gewißheit, es könne ihr auf diesen gefährlichen Wegen nichts zustoßen. Als vollständige Fatalistin hielt sie sich für eines jener unter einem besonderen Stern gebotenen Menschenkinder. Allmählich verlor sie nicht nur die Angst vor der Entdeckung, sondern auch vollständig das Bewußtsein, schweres Unrecht zu begehen.

Frau Ellinor empfand keine Scheu mehr ihrer Taten wegen, und es gab für sie weder Skrupel noch Gewissensbisse.

Da stieg an jenem hellen Wintertage Anton H. Wisecky zu ihr in das Automobil, und wie das von einem Windhauch zusammengeblasene Kartenhaus lag ihr Selbstbewußtsein, ihr stolzer Mut und das fast heitere Gefühl der Verantwortungslosigkeit am Boden.

Die Folgen, denen ihre Handlungsweise nicht allein sie selbst, sondern ihre ganze Familie aussetzte, traten plötzlich mit einer erschreckenden Deutlichkeit vor ihr Erkennen hin und machten das sonst so zielbewußte und klarblickende Weib zum hilflosen und vor all den dunklen Zufällen des Lebens zitternden Kinde.

Ein Mann mit diesen Eigenschaften hätte sich nie so in Sorglosigkeit gewiegt und die fortwährende Gefahr seiner Lage so sehr verbannt. Er wäre aber auch nicht so jäh und plötzlich von dem Gipfel seiner Unbekümmertheit hinab in den Strudel der tiefsten Sorgen und Beängstigungen gestürzt worden. Wohl gelang es Frau Ellinor durch die nie versagende Spritze neue Tatkraft und wenigstens äußere Sicherheit wieder zu gewinnen, aber das innere Gleichgewicht, die Ruhe, mit der sie auf dem unterminierten Boden ihres Doppellebens bisher dahinschritt, war fort und würde, dessen war sie sich ganz bewußt, auch niemals wiederkehren.



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