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12. Kapitel.

Frau Ellinor trug heute, wo es warm war, einen Mantel aus schwarzer, bauschiger Seide, dessen vergoldete Schließen sie unbefangen löste, nachdem sie den Chinchilla-Muff auf ein kleines Tischchen hingelegt hatte.

Frank Wesson bemühte sich, der Dame behilflich zu sein, aber er fühlte wohl, daß er seine sonstige Sicherheit hierbei sehr vermissen ließ. Sie lächelte, wie er ziemlich ungeschickt ihr die Hülle von den Schultern nahm.

Dann sagte sie, vor dem Spiegel des sehr schön in rotem Mahagoni eingerichteten kleinen Salons tretend:

»Ich möchte, wenn Sie gestatten, auch den Hut abnehmen. Bei dem nassen Wetter zerstört der Schleier die Frisur so leicht.«

Das war wohl mehr eine Redensart, denn als sie jetzt ihren Rembrandthut, um den sich eine schwere Samtgarnitur mit dunkelroten Rosen schlang, abnahm, da neigte sich der herrliche Kopf in derselben unverwüstlichen Frische, als sei er soeben erst aus den Händen eines kunstverständigen Friseurs hervorgegangen. Das Tizianblond des wundervollen Haares kam mehr denn je zur Geltung bei der dunklen, mit Schmelzstickerei übersäten Seidentoilette der jungen Frau, und in der Zartheit ihres Gesichts schimmerten die großen, tiefdunklen Augen wie schwarze Edelsteine.

Noch tausendmal mehr als bei ihrer ersten Zusammenkunft von dieser Schönheit hingerissen, geleitete der Engländer die Frau, die sein ganzes Sein gefangen genommen hatte, zu einem der niedrigen Klubsessel, die vor dem Schreibtisch standen.

Frau Ellinor ließ sich mit der Anmut, die selbst die kleinste Geste bei ihr auszeichnete, niedersinken und ging direkt auf den Gegenstand los, der sie augenblicklich allein fesselte.

»Vor allen Dingen nehmen Sie meinen herzlichsten Dank für Ihre Bemühungen entgegen und dafür, daß Sie mir voriges Mal das Vertrauen geschenkt haben, auch ohne Vorausbezahlung für mich einzutreten.«

Frank Wesson murmelte etwas Unverständliches, über das er sich vielleicht selbst nicht klar wurde, und sagte dann mit tiefem Atemholen:

»Im Gegenteil, ich bedauere unendlich, daß ich Ihnen so wenig Vertrauen entgegen gebracht habe, als wir uns zum ersten Mal sahen, meine gnädige Frau!«

»Aber nein!« sie schüttelte lächelnd den Kopf, »Sie mußten sich ja vorsehen! … ich war Ihnen ja gänzlich unbekannt, und im übrigen … hier habe ich das Geld mitgebracht und bitte Sie nun, mir mein Armband, das ich schon vermißt habe, zurückzugeben.«

Der Detektiv fühlte, das er rot wurde vor Verlegenheit. Er beugte sich tief über die ausgezogene Schreibtischlade, entnahm dieser das Armband und sagte, sich erhebend:

»Hier ist der Schmuck, meine gnädige Frau, aber ich bitte Sie, nun auch das Geld …« - er schob die bereits auf den Tisch gezählten fünf Hundertmarkscheine zurück - »wieder einzustecken! Ich erkläre Ihnen hiermit auf mein Ehrenwort, daß ich nie und nimmer auch nur einen Pfennig von Ihnen nehmen werde!«

Zuerst schien Frau Ellinor völlig ratlos. Ein grenzenloses Erstaunen spiegelte sich in ihren schönen Zügen, und die Lippen, die in ihrem feuchten Rot einen so bezaubernden Reiz besaßen, blieben leicht geöffnet, als bemühten sie sich, Worte zu sagen, die der Geist so ohne weiteres nicht finden konnte.

Endlich faßte sie sich und fragte:

»Aber ich verstehe nicht … ich weiß nicht, es ist doch Ihr Geschäft, Sie können doch nicht umsonst arbeiten! …«

»Für Sie allerdings!« sagte er fest und, wie er dabei aufblickte und seine leuchtenden Augen die ihren trafen, da kam ihm auch der Mut, da fand er die Worte, ihr alles zu sagen, was in seinem Herzen erblüht und gewachsen war seit dem Augenblick, wo er sie zum ersten Male gesehen.

Er ließ sich nicht schmachtend vor ihr auf die Knie nieder, sondern stand aufrecht da, nur den Kopf gesenkt, die Arme schlaff an den Seiten herabhängend und hin und wieder, wenn sein Gefühl stärker war, als das Wort, das ihm zu Gebote stand, die Fäuste zusammenpressend und wie in innerer Qual tief aufatmend.

»Ich weiß alles!« sagte er, »Sie brauchen mir nichts zu sagen. Ich habe mich nach allem erkundigt. Ich weiß, wer Sie sind und wo Sie wohnen, ich weiß auch, wie Sie leben und daß Sie wahrscheinlich niemand so lieben, wie sich selbst. Und weil ich mir dies sage, müßte ich selber am meisten überzeugt sein, daß meine Wünsche zwecklos und alle meine Hoffnungen umsonst sind. Aber wer liebt, kann das nicht! Ich liebe Sie, Frau Ellinor! … Und ich schwöre Ihnen, ich habe noch nie in meinem Leben ein Weib geliebt! Hören Sie mich an, ich habe Ihnen viel Wichtiges und Ernstes zu sagen.«

Er hielt inne und richtete seine jetzt so glänzenden, beschwörenden Augen fest auf das junge Weib, dessen strahlender Gesichtsausdruck einer beinahe ängstlichen, von Zweifeln und ungewissen Erwartungen gequälten Miene Platz gemacht hatte.

Ihm wurde es sichtlich schwer, das zu sagen, was er auf dem Herzen hatte, und immer wieder baten seine Augen um Verzeihung für jedes Wort, das sie bitter treffen und ihr Schmerzen bereiten mußte. Aber man sah die Energie dieses Mannes, der sich selbst in dem Augenblicke, wo seine ganze Seele darnach verlangte, Liebe zu geben und Liebe zu nehmen, doch entschließen konnte, dem geliebten Wesen ehrlich und rückhaltlos die Wahrheit zu sagen.

Er sprach leise mit eindringlicher Stimme.

»Sie sind nicht seit heute und gestern auf diesem Wege, Ellinor! Sie haben vermöge Ihrer glänzenden Persönlichkeit und Ihrer vielen glücklichen Eigenschaften bis jetzt den unerhörten Erfolg gehabt, daß Sie noch nicht mit der Polizei in Konflikt kamen. Aber Sie stehen bereits mit einer berüchtigten Hehlerin in Verbindung. Jawohl, ich weiß das! Sie waren auch gestern wieder bei ihr und haben sich da wahrscheinlich das Geld geholt, mit dem Sie mich eben bezahlen wollten!«

Der rasche Farbenwechsel im Gesicht der Rotblonden sagte dem Detektiv nur zu deutlich, daß er das Nichtige getroffen habe.

»Diese Frau,« fuhr er fort, »ist sehr gerieben, aber eines Tages wird ihr die Polizei doch auf die Spur kommen, um so mehr, als sie den Fehler macht, Diebinnen, die der Kriminalpolizei durch das Verbrecheralbum bekannt sind, bei sich aufzunehmen. Und dann wird man die Spitzenvorräte, die hauptsächlich durch eine einzige Person …« - er richtete den Blick nun fest und keinen Widerspruch duldend auf ihre Augen, die sich davor zögernd senkten - »… in den Besitz der Alten gekommen sind, vorfinden, und durch die Hehlerin wird man auch den Dieb erfahren.«

Er hielt inne. Ein leiser, schluchzender Ton sagte ihm, wie tief gerade das letzte Wort die, der es galt, getroffen haben mußte.

Ihn selbst durchzuckte bei diesem Schluchzen ein wütender Schmerz. Tausendmal lieber wäre er vor ihr niedergestürzt, die da ihm gegenüber so anbetungswürdig im matten Schein der mit seidenem Schirm verhängten Stehlampe saß, hätte sie in seine Arme gerissen und hätte den geliebten Mund mit seinen Küssen geschlossen. Aber er durfte nicht nachlassen, er durfte ihr nichts schenken von dem, was er sich vorgenommen hatte, ihr zu sagen. Nur so vielleicht war es möglich, sie zurückzureißen von dem Abgrund, dem sie entgegentaumelte. Nur so vielleicht konnte er die Geliebte retten - für sich selbst.

Aber er hatte sich doch ein wenig getäuscht in ihr, denn jetzt, wo der erste, große Schreck vorüber war, erhob sie sich plötzlich und sagte mit starker Stimme:

»Was wollen Sie eigentlich von mir, mein Herr?! Was erzählen Sie mir da für alberne Märchen! Ich bin hierher gekommen, um Ihren Schutz zu erbitten gegen einen Gauner und Betrüger, der mich und meinen Mann unter falschem Vorwande um eine Summe Geldes geprellt hat. Wollen Sie mir nicht helfen, nun so sagen Sie es einfach, und ich werde mich dann an jemand anders wenden!«

Der Detektiv biß sich auf die Lippen. Sie war ebenso entzückend in ihrer Härte, wie vorhin in dem Weh, das die ganze anbetungswürdige Person in einen Schleier von Tränen hüllte.

Aber das war nicht die Art, wie man Frank Wesson beikommen konnte. So einem leicht zu durchschauenden Manöver war er immer gewachsen.

Er lächelte.

»Sie vergessen ganz, meine Gnädigste, daß ich nicht Anton H. Wisecky heiße …«

Sie horchte auf.

»Wer ist das?«

»Der Herr, der so unbescheiden war, neulich zu Ihnen in das Automobil zu steigen.«

Ihre Augen loderten.

»Der Unverschämte! Also haben Sie ihn gefunden? Und Wisecky heißt er! Nun, jetzt soll er jedenfalls seiner Strafe nicht entgehen!«

Mit einem Lächeln, das eben so gutmütig wie spöttisch war, sagte der Detektiv:

»Das mit der Bestrafung dürfte schwer halten, verehrte Frau! Ich wüßte gar nicht, unter welchem Titel wir den Mann zur Anzeige bringen wollten. Aber es genügt ja auch, daß man ihm, wenn er das nächste Mal Sie wieder aufsucht, unter die Nase reibt, wer er eigentlich ist. Dann wird er so wie so die Beine in die Hand nehmen und sich nicht wieder bei Ihnen sehen lassen!«

»Nun, und wer ist er denn?« fragte sie voller Neugier.

Mit einer Heiterkeit, die etwas Undurchdringliches hatte, betrachtete der Detektiv sein schönes Gegenüber eine ganze Weile, dann sagte er langsam:

»Sie haben vorhin gehört, gnädige Frau, daß ich keine Zahlung von Ihnen nehme für meine Dienste. Daß ich aber umsonst arbeite, werden Sie nicht glauben und würden es vielleicht auch Ihrerseits nicht annehmen, Nun will ich Ihnen offen gestehen, was ich für meine Dienste beanspruche: Sie sollen versuchen, mir ein wenig mehr gut zu sein wie anderen Männern. Ich bin es wert, und ich glaube auch sicher, daß es Ihnen gelingen wird, wenn Sie nur wollen … Sie denken vielleicht, ich sei ein edler Charakter - das ist leider nicht der Fall. Ich habe von jeher gearbeitet und gestrebt, um meine Wünsche zu befriedigen, und seit einigen Tagen habe ich nur noch den einen einzigen Wunsch, Sie zu besitzen. Ich bin bescheiden und verlange nicht viel - vorläufig. Ich bin zufrieden, wenn Sie mir ein Wort gönnen, wenn ich einen lieben Blick bekomme, oder wenn mir ein Händedruck sagt, daß auch Sie anfangen, etwas für mich zu fühlen. Aber ich kann es nicht ertragen, Ihnen gleichgültig zu sein. Ich habe das Gefühl, daß ich wahnsinnig werden müßte in der Gewißheit, Sie werden mich niemals lieb haben!«

Der Detektiv war bei seinen Worten allmählich immer blasser und fahler geworden. Wie eine fürchterliche innere Abspannung lag es über seinem ganzen Wesen, und man sah diesem Manne, der die Kraft und Elastizität selber war, an, wie das Gefühl, das er mit so ruhiger, fast leidenschaftsloser Stimme schilderte, seinen ganzen inneren Menschen aufwühlte und zermürbte … Als er die Lider hob, hatten seine sonst so harten Augen einen feuchten Glanz, und mit einer Freude im Herzen, deren er selbst nicht fähig zu sein geglaubt hatte, bemerkte er, daß Frau Ellinors Busen stürmisch wogte und daß die feinen, schmalen Hände, die unbehandschuht in ihrem Schoße lagen, vor Erregung bebten.

Da sank er vor ihr nieder, schlang die Arme um ihren Leib und zog die nur schwach Widerstrebende langsam an sich. Für den Bruchteil einer Sekunde berührten seine fiebernden Lippen ihren weichen Mund, dann aber warf sie sich zurück, stieß den knienden Mann mit den Fäusten von sich und rief voller Empörung:

»Nein! … Nein! … Das will ich nicht auch noch! Es ist ja wahr, ich bin eine Diebin. Ich habe seit Jahren gestohlen und immer wieder gestohlen, und ich habe die Spitzen, die ich hier und anderswo genommen habe, auch bei der alten Hehlerin verkauft. Sie haben ganz recht, mir das vorzuwerfen, aber eines dürfen Sie mir nicht zumuten: treulos bin ich nicht! Ich habe meinen Mann aus Liebe geheiratet, und ich werde ihn nie und nimmer betrügen, und wenn ich darüber auch zugrunde gehen sollte!«

Der Detektiv hatte sich erhoben. Sein Gesicht hatte einen kalten, feindseligen Zug. Er sagte kein Wort. Langsam ging er zurück und ließ sich wieder hinter dem Schreibtisch in seinen Sessel fallen.

Aber jetzt stand sie auf und kam ihm nach. Und die weißen Hände faltend und sie zu ihm erhebend, sagte sie:

»Warum wollen Sie mich auch noch unglücklich machen! Sie wissen ja gar nicht, wer ich bin. Sie ahnen nicht, wie unglücklich ich bin. Helfen Sie mir, ohne daß Sie etwas von mir haben wollen! Ich liebe Sie doch nicht, wie könnte ich Ihnen da angehören! Ich bitte Sie, sagen Sie mir, was soll ich tun, um von jenem elenden Menschen freizukommen, den Sie aufgesucht und dessen Wohnung Sie gefunden haben! … Ja, wollen Sie so gut sein? … Denken Sie doch daran, ich bin nicht allein verheiratet, ich habe auch Kinder! … Ach, ich kann nicht glauben, daß Sie einer Verzweifelten auch noch die letzte Stütze, das allerletzte, was aufrecht hält, ihre Moral nehmen wollen! … Ich habe so schon nichts mehr. Wenn ich nun auch das noch verlieren sollte! … Seien Sie doch barmherzig! Geben Sie mir Ihre Hand, und sagen Sie, daß Sie mein Freund sein wollen, daß Sie mir helfen wollen, auch ohne daß ich mich wegwerfe! …«

Frank Wesson schüttelte hart und eigensinnig den Kopf. Er konnte sich dazu nicht zwingen. Nie hatte sein ganzes Sein, der ganze innere Mensch in ihm so wild und verlangend nach einem Ziele geschaut wie jetzt, wo diese Frau in ihrer berückenden Schönheit vor ihm stand, so dicht, daß er nur die Hand darnach ausstrecken brauchte - und doch so unerreichbar.

»Nein,« sagte er in eisigem Ton, »Sie lassen mich hilflos verschmachten und verlangen von mir, daß ich Ihnen Hilfe bringen soll. So uneigennützig bin ich nicht. Sagen Sie mir ein Wort, versprechen Sie mir, nicht für heute, für wann immer, nur ein Lächeln, und ich will alles tun, was Sie von mir haben wollen.«

Sie schüttelte traurig den Kopf, und mit derselben kühlen Höflichkeit, mit der er sie bei ihrem ersten Besuche angeredet hatte, sagte er:

»Dann bedaure ich, gnädige Frau, dann werden Sie sich an jemand anderen wenden müssen.«



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