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1. Kapitel.

Ueber der von Fußgängern und Fuhrwerk belebten Straße stand die helle Mittagssonne. Trotzdem war es recht kalt, und der Schnee knirschte unter den Füßen der Leute, die meistens von der Arbeit kamen und schnell dahineilten, um die kurze Mittagspause voll auszunutzen.

Die kleinen Lehrmädchen und Geschäftsfräulein, immer adrett und munter, eilten neben ihren männlichen Kollegen den breiten Fußweg entlang und zwischendurch, langsamer und ohne das feste Ziel einer dringenden Tätigkeit, die Spaziergänger und alle die, die hier in den Hauptverkehrsstraßen der Residenz ihre Einkäufe zu besorgen pflegten.

Vor dem Riesenkaufhaus von H. M. Freitag Söhne hielt eine ganze Anzahl von Wagen, deren Kutscher auf ihre Herrschaften warteten, die in den eleganten Räumlichkeiten des großen Warenhauses mit Einkäufen beschäftigt waren.

Eben fuhr wieder eine Automobildroschke vor dem Hauptportal vor, und dieser entstieg eine Dame, die durch ihre hochelegante Kleidung, aber auch durch ihre Schönheit die Aufmerksamkeit auf sich lenkte.

Es war eine Frau von vielleicht dreißig Jahren und von imponierender Gestalt, dabei aber keineswegs von übermäßiger Fülle. Unter der Pelzjacke aus Zobel trug sie ein blaues Tuchkleid, mit dessen Farbe die des Hutes übereinstimmte, dessen weiße, wallende Federn den richtigen Schmuck bildeten für den wahrhaft klassischen Kopf der Dame. Ihr Haar, goldblond mit einem rötlichen Schimmer, und ihr Gesicht mit seinem überaus zarten Teint und den ebenmäßigen Zügen hätten vollkommen genannt werden können, wenn nicht eine gar zu große Kälte und hoffärtige Unnahbarkeit von ihr ausgegangen wäre. Schnell und stolz schritt sie zwischen den Fußgängern, die ihr unwillkürlich Platz machten, hindurch und an den Dienern des Warenhauses vorbei, die die Türen vor ihr aufrissen wie vor einer Königin.

Drinnen schien sie durchaus bekannt zu sein. Sie wandte sich sofort nach rechts, benutzte einen Lift bis zum ersten Stockwerke und ging dort in die Weißwarenabteilung. Hier ließ sie sich Wäsche vorlegen und kaufte eine Kleinigkeit, um dann am nächsten Tisch, wo das Spitzenlager begann, diese Erzeugnisse einer feinen, heute leider zurückgegangenen Kunst zu betrachten. Die modernen Arbeiten machten ihr offenbar wenig Vergnügen. Sie fragte, ob sie antike Sachen sehen könnte.

Die Verkäuferin, ein zartes, blasses Mädchen, der man es wohl anmerkte, wie wenig ihr der anstrengende Dienst im Warenhaus bekam, holte mit größter Bereitwilligkeit eine Anzahl Kartons aus starker Pappe herbei, in denen sich Spitzen von jeder Art und in allen Preislagen befanden. Die Dame war offenbar eine Kennerin, sie griff sofort nach einer ungewöhnlich schönen Rosenspitze, die, in England entstanden, aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts herrühren konnte, und vertiefte sich dann ganz entzückt in eine venezianische Retirella, die, dem Muster nach zu urteilen, den Meister Vecellio zum Urheber hatte, dessen Arbeiten um das Jahr 1700 berühmt waren. Die Dame hatte für alles Verständnis und wußte genau die antike Guipire, die aus Brüssel stammte, von der Reliefspitze zu unterscheiden, die um dieselbe Zeit in Italien unter schlanken Mädchenfingern hervorging.

Die Verkäuferin, die wohl die Namen der einzelnen Spitzen und deren Preis kannte, aber sonst nichts weiter darüber wußte, war ganz entzückt, von dieser Dame so interessante Auskünfte über die Herstellung und den Ursprung der zarten Gebilde zu erfahren.

Wie hätte sie auch nur einen Augenblick annehmen können, daß die Wachsamkeit, die den Angestellten der Lager, die besonders wertvolle Waren enthalten, immer von neuem eingeschärft wird - daß diese Wachsamkeit niemals mehr vonnöten war, als gerade jetzt, wo die schöne, rotblonde Frau ihr so interessante Dinge mitteilte.

Die Verkäuferin war eben damit beschäftigt, einen Karton der bereits durchgesehenen Spitzen zur Seite zu stellen - nur zur Seite, denn das Fortpacken, während Kunden kauften, war in diesem Lager ausdrücklich verboten! - da, der eine kleine Moment hatte genügt, verschwand ein Stück kostbarster Valenciennes aus dem 18. Jahrhundert wie durch Zauberschlag von dem Verkaufstisch. Die Kleine sah nichts davon, keine Ahnung sagte ihr, welch ein bedeutender Schaden in diesem Augenblick unter ihren Augen dem Geschäft durch diese bestechende Käuferin verursacht wurde. Ruhig legte sie der Dame neue Points vor, lächelte weiter bei deren Bemerkungen und ließ sie zum Schluß, als so ziemlich alles Sehenswerte besichtigt worden war, mit ehrfurchtsvoller Verbeugung von dannen gehen.

Einer der Diener in seiner schmucken, braunen Kleidung eilte der schönen Frau voraus und öffnete den Schlag des Automobils, in dem er ihr gleichzeitig beim Einsteigen half.

Er wollte eben die Tür hinter der Dame schließen, als ein Herr von sehr hoher, schlanker, fast magerer Figur, der einen weit hinabreichenden, braunkarrierten Ulster und einen nicht gerade neuen Zylinder auf dem Kopf trug, dem Diener die Klinke des Wagenschlags aus der Hand nahm und schnell zu der Dame hineinstieg.

In der nächsten Minute schien es, als wollte man von innen die Tür wieder aufmachen. Aber das unterblieb. Der Motor ratterte los, und das Automobil huschte davon.



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