Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Kapitel.

Schwankend und kaum noch fähig, sich auf den Füßen zu halten, hatte Ellinor Brunner ihr Zimmer erreicht, um dort auf dem kleinen Diwan unter dem Brokatbaldachin, den goldene Amoretten hielten, in dumpfer Betäubung niederzusinken. Sie hatte gerade noch so viel Kraft gehabt, das Zimmer hinter sich zuzuriegeln, damit niemand Zeuge ihrer grenzenlosen Verzweiflung sein könnte.

Dann war ihre schmale, zuckende Hand doch in der fast unbewußten Regung weiblicher Eitelkeit, die auch in diesem Zustand lebendig bleibt, nach dem Handspiegel hingeglitten, der auf einem niedrigen Bronzetischchen lag, und die zitternden Finger hatten das blinkende Glas vor das entstellte Antlitz gehalten, das plötzlich um Jahre gealtert aussah.

Ein Entsetzen, fast noch größer als das, das sie vorhin bei dem plötzlichen Nahen ihres Verfolgers überkommen hatte, erfaßte die Unglückliche. Ihr ganzes Leben, ihr ganzes Sein war unzertrennlich verknüpft mit dem Gedanken an ihre Schönheit. Dieses schöne Gesicht, die zarten Wangen und die rosigen, fast noch kindlichen Lippen, ebenso wie die tiefdunklen Augen mit ihrem bestrickenden Ausdruck, das war der Freibrief, der ihr alle Herzen und die Türen selbst der besten Gesellschaft öffnete. Diese Holdseligkeit und die Anmut ihrer eigenen Erscheinung, das war auch die Gottheit, zu der die kleine, flatterhafte Seele dieser Frau allein betete. Desto größer war die Qual, die sie jetzt ausstand beim Anblick ihres Spiegelbildes, das entstellt und all seiner Reize beraubt war von der furchtbaren Aufregung.

Aber sie wußte ja ein Mittel, um den Schrecken, der sich ihres Herzens bemächtigt hatte, zu bannen und ihre Schönheit mit einem Schlage wieder zu erobern. Sie besaß dieses Mittel, und weil sie es heute nicht zum ersten Mal anwandte, fürchtete sie sich auch nicht mehr so sehr davor. Schon seit Jahren hatte sie sich seiner bedient und noch nie umsonst nach dem kleinen Fläschchen und jener winzigen silbernen Spritze gegriffen, die für so manchen und so manche die Rettung aus aller Not bedeutet, bis eines Tages das Gift zu mächtig wurde in dem gefolterten Organismus und statt der beglückenden Wirkung das gräßliche, schmerzlose Ende eintrat.

Frau Ellinors Hand irrte hin und her. Da, in dem Plüsch der Wanddrapierung hing ein kleines, ängstlich geheim gehaltenes Täschchen, dessen Vorhandensein niemand im Hause ahnte. In ihm lagen die Werkzeuge, die auch jetzt dazu dienen mußten, die Leiden des schönen Weibes beseitigen und ihren Frohmut wieder herstellen zu helfen.

Aber noch während sie nach Fläschchen und Spritze griff, zögerte ihre Hand und kämpfte ihre Energie gegen dieses letzte Mittel, das sie heute an demselben Tage schon zum zweiten Male benutzte.

Längst war es ihre Gewohnheit, an den Tagen, wo sie ein neues Unternehmen vorhatte, wo sie den Kaufhäusern ihren gefährlichen Besuch abstattete, sich subkutane Einspritzungen zu machen. Ihre Geistesgegenwart und Spannkraft hatte in den letzten beiden Jahren nachgelassen, und nur das immer von neuem wirkende Reizmittel des Morphiums machte sie fähig, mit sicherer Hand und stolzer Ruhe ihre verwegenen Schläge auszuführen.

Sie hatte sonst nach solchen Tagen oft eine Woche verstreichen lassen, ehe sie wieder nach der kleinen Spritze griff. Die furchtbare Aufregung, dieser Abgrund von Schreck und Angst, in den sie das plötzliche Auftauchen jenes fürchterlichen Menschen gestürzt hatte, diese ganze ungeheuere Nervenerschütterung verlangten heute zum zweiten Mal Trost und Linderung, die für die unglückselige Frau nur noch in jenem Gift zu finden war.

Und trotzdem wehrte sie sich minutenlang. Erst als das Weinen kam, jenes starre, trockene, kindliche Schluchzen, das immer der Vorbote des gänzlichen Zusammenbruches bei Morphiumsüchtigen zu sein pflegt, erst als sie selbst erkannte, daß all ihr Widerstand fruchtlos sein würde, da brachten die fahrig hin- und hergehenden Hände die Spritze unter die Haut des rasch entblößten Oberschenkels, um dann nach wenig Sekunden unter tiefem Aufseufzen Spritze und Fläschchen wieder in der Plüschfalte zu verbergen.

Schon nach ganz kurzer Zeit fing der Körper an, sich wohlig zu strecken, und ein Rieseln und Beben ging der Liegenden durch alle Adern. Es war, als wenn ein neues, frisches Leben sich in flutendem Strom durch ihr ganzes Sein ergösse. Kraft, Mut, Besonnenheit, Geistesgegenwart und eine unverwüstliche Frische, alle jene Eigenschaften, von denen sie sich noch vor einer Minute so ganz verlassen fühlte, kamen ihr im Handumdrehen wieder, und mit einem zornigen Auflachen sprang die rotblonde Frau vom Diwan auf.

Das Dienstmädchen hatte schon mehrmals geklopft und »Gnädige Frau!« gerufen. Erst jetzt kam das Frau Ellinor zum Bewußtsein … Und plötzlich sah sie wieder alles vor sich, was in der letzten Stunde geschehen war: Drüben bei ihrem Gatten befand sich ja dieser infame Kerl, dieser Erpresser, der zu ihr in den Wagen gesprungen war und sie hierher begleitet hatte! … O, dem wollte sie das Handwerk legen! Dieser Kerl hatte sicherlich nicht die geringste Berechtigung zu seinem Vorgehen! …

Jetzt, wo sie nüchtern und klar über die Sache nachdachte, war sie völlig überzeugt, daß dieser Mensch nichts anderes als ein Gauner war, der auf seine eigene Faust handelte!

Sie riß hastig die Tür auf. Draußen stand immer noch das Mädchen.

»Die gnädige Frau möchte doch so gut sein und so schnell wie möglich zum Herrn herüberkommen.«

Ellinor hörte gar nicht auf sie. Schnellen Schrittes war sie den langen Korridor hinaufgeeilt und trat rasch bei ihrem Gatten ein.

Der Makler hatte sich eine ganze Weile gewehrt gegen den Erpresser. Aber darin, daß Ellinor trotz seiner dringenden Bitte noch immer nicht kam, daß sie nicht einmal Antwort sandte, sah Hermann Brunner nur das Eingeständnis ihrer Schuld. Und der unheimliche Geselle war inzwischen immer dringlicher geworden, bis der Makler sich nicht mehr zu helfen wußte und ihm alles Geld gab, das er im Hause hatte. Es waren etwa dreitausend Mark.

Der Gauner war gerade dabei, mit seinem schrecklichen Grinsen, das ihn nicht verließ, eine Quittung über den Betrag auszustellen, als Frau Ellinor hereinrauschte.

»Du hast doch diesem Menschen nicht etwa schon Geld gegeben, Hermann?« fragte sie. Dann sich dem Manne voll zuwendend, setzte sie mit drohender Stimme, deren Ton wie Metall klang, hinzu: »Augenblicklich scheren Sie sich zum Hause hinaus! Wenn Sie auch nur eine Minute länger hier bleiben, so schicke ich mein Dienstmädchen auf die Straße, daß sie einen Schutzmann holt, Sie gemeiner Erpresser! Haben Sie mich verstanden? Da ist die Tür!«

Und sie stand mit einer solch stolzen, hoheitsvollen Miene dem Hageren gegenüber, daß dieser trotz aller seiner Frechheit für einen Augenblick ganz aus der Fassung kam.

»Was?« schrie er setzt … »Was? … Was erlauben Sie sich! Ich habe Sie beim Stehlen abgefaßt, Sie …!«

Voll flammenden Zornes und auch nicht einen Augenblick betroffen von diesen Worten, wandte sich die jetzt wieder in ihrer ganzen Schönheit strahlende Frau an ihren Gatten:

»Ich verlange von dir, Hermann, daß du diesen erbärmlichen Menschen hier auf der Stelle hinauswirfst, sonst … sonst vergesse ich mich selber!«

Diese Kühnheit, dieser stolze, bei soviel Schönheit geradezu bewunderungswürdige Mut der Frau übertrug sich nun auch auf den Mann.

Seine etwas schlaffe Gestalt richtete sich straff empor, und er, der jetzt auch die Situation übersah, trat dem anderen einen Schritt näher und sagte mit Festigkeit:

»Gehen Sie, und ich rate Ihnen, lassen Sie sich nie wieder blicken, Sie würden sonst sofort mit der Kriminalpolizei Bekanntschaft machen!«

Das Hohnlächeln auf dem schmalen Gesicht des angeblichen Detektivs wurde zur scheußlichen Grimasse, und mit einem Zynismus ohnegleichen entgegnete er:

»Na, vorläufig haben wir dreitausend Markt. Damit werde ich mal sehen, was sich tun läßt! … Wenn es aber trotzdem nicht reichen sollte …«

Er entfernte sich rückwärts gehend, nach der Tür zu: »Dann komme ich wieder … und dann …« Er hatte jetzt die Klinke in der Hand … »wenn Sie nicht ohne weiteres zahlen, wandert die da ins Gefängnis!«

Der Makler, erbittert, wie vielleicht nie zuvor in seinem Leben, sprang mit einem langen Satz hinter dem Abgehenden her. Der Gauner war flinker. Er warf die Tür hinter sich zu, und man hörte ihn nur noch draußen das Dienstmädchen fragen, wo der Ausgang wäre.



 << zurück weiter >>