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14. Kapitel.

Frank Wesson ging unruhig in seinem kleinen, vornehm ausgestatteten Bureau auf und ab. Es war am Abend und genau um dieselbe Zeit, zu der Frau Ellinor ihn vor drei Tagen aufgesucht und schon nach einer so kurzen Unterredung wieder verlassen hatte.

Der Detektiv war gewiß kein Gespensterseher, sondern ein sehr kluger, klarblickender Mensch, aber er war seitdem doch jeden Tag um diese Zeit zu Hause geblieben, in der unbestimmten Annahme, die rotblonde Frau müsse wiederkommen.

Die Sehnsucht nach dem schönen Weibe, das mit seinen dunklen Augen und schimmernden Haaren noch immer vor seinem inneren Auge so lockend einherschwebte, der heiße Wunsch, sie bei sich zu sehen, war so lebhaft in ihm, daß er sich mit der Wirklichkeit nicht abfinden konnte.

Und es fiel ihm jetzt doppelt schwer aufs Herz, daß er so gar nicht edelmütig gehandelt und die schon verzweifelte Frau vor eine Entscheidung gestellt hatte, die einer schweren Nötigung ähnlich war.

Der Detektiv war alles andere eher, als gewissenhaft. Er hatte längst eingesehen, daß man die Moral und Vornehmheit solange in den Geldschrank legen muß, um sie diebes- und feuersicher zu bewahren, wie man als Detektiv tätig ist. Die Geschäfte, die einen vollkommen korrekten Verlauf nahmen, brachten ihm wahrlich das Geld nicht, das er zu seiner kostspieligen Lebensweise benötigte, und er hatte es sich daher längst abgewöhnt, den Maßstab einer wirklich rechtmäßigen Handlungsweise an sein geschäftliches Tun zu legen.

Aber er erinnerte sich doch aus seiner Jugend und aus den Anfängen seiner Laufbahn, daß auch er einst die Ideale des Detektivs gehabt hatte, daß ihm ungeheure Kapitalverbrechen vorgeschwebt hatten, durch deren Aufdeckung er sich nicht allein berühmt und reich, sondern auch zu einem Wohltäter der Menschheit zu machen gehofft.

Aber das war lange her. Er wußte heute, daß die besten Einnahmen für den Detektiv bei den schmutzigsten Ehebruchs- und Scheidungssachen abfallen, und daß überhaupt das Verdienst des Privatpolizisten um so größer zu sein pflegt, je dehnbarer sein Gewissen und seine Moralbegriffe sind.

Daß er darüber heute überhaupt nachdachte, seine Handlungen abwog und unzufrieden mit einer Schlechtigkeit war, die er begangen, das hatte nur jenes seltsame Gefühl bewirkt, das von der Schönheit der rotblonden Frau in ihm entzündet, so heftig in seiner Seele brannte, daß kein Spott, keine Ueberlegung und kein Aerger es zum Erlöschen bringen konnte.

Dieser kühle, klarblickende und scharf rechnende Mann, der sich gefeit geglaubt hatte gegen jede derartige Anfechtung, war verliebt wie ein Primaner und wußte vor ungeduldiger Aufregung nicht, was er beginnen sollte.

Daß er sich jetzt eine Zigarre ansteckte und einen Kognak zu sich nahm, half auch nicht. Schließlich zog er seinen Pelz an und verließ das Haus.

Die Straßen waren schon erfüllt vom Weihnachtstrubel. Eine Menge Fuhrwerk, das sich mit einer fast verwunderlichen Raschheit durcheinander schob, füllte die Dämme, und Frank Wesson mußte sich beim Ueberschreiten der Straßenkreuzungen gut vorsehen, was ihn heute mehr als sonst ärgerte. Er hatte auch nicht wie sonst das scharfe Auge für die mehr oder minder auffallenden weiblichen Schönheiten, die um diese Zeit die Geschäftshäuser verließen und in hellen Scharen ihrem Heim zustrebten.

Er sah nur immer Frau Ellinor vor sich, die ihn anlächelte wie an jenem Abend, wo sie das Armband bei ihm zum Pfande ließ.

Der Detektiv ging durch das Menschengewühl der Königstraße hinaus nach den Linden zu. Der Frost hielt an, der Neptunsbrunnen vor dem Schlosse glitzerte im Rauhreif. Hier war es einsamer. Frank Wesson tat das wohl.

Er zermarterte sein Gehirn, um einen Weg zu finden, der zu der geliebten Frau hinführte. Und er, der Verstandesklare und nach jeder Richtung hin Vorsichtige kam schließlich, wie ihm so gar nichts einfallen wollte, auf die törichte Idee, sie einfach in ihrer Wohnung aufzusuchen und unter irgend einem nichtigen Vorwande nach Frau Brunner zu fragen.

Inzwischen ging er weiter, bog in die Breitestraße ein und sah ohne eigentliches Interesse nach den Frauen hinüber, die vor einem großen Modewarenhause standen und die Auslagen bewunderten.

Auf einmal bekamen die Augen des Detektivs, die noch eben so müde und gleichgültig blickten, etwas förmlich Strahlendes: Der Polizist in ihm bemerkte etwas, was alle seine Nerven spannte!

Da stand vor einem der großen hellerleuchteten Schaufenster eine schon ältere Dame in pelzbesetzter Plüschjacke, einen großen Nerzmuff in der schlaff herunterhängenden Hand.

Und in diesem Muff versenkte sich jetzt eben noch eine zweite Hand, die unter dem Mantel einer Nachbarin jener alten Dame an einer Stelle hervorkam, wo man ihr Erscheinen wahrlich nicht hätte vermuten sollen.

Die Taschendiebin stand unbeweglich neben der alten Dame und hielt ein ziemlich großes Paket scheinbar mit beiden Händen fest. In der Tat war die linke aber nur ein ausgestopfter Handschuh, der in einen falschen Aermel gesteckt, eine wirkliche Hand täuschend nachahmte. - Ein nicht neuer Trick, der jedoch immer wieder angewandt wird, da der Stehlende dabei völlig unbemerkt arbeiten kann.

Nun kam die wirkliche Hand der schwarzhaarigen Frauensperson aus dem Muff der anderen zurück, und zwar, wie der Detektiv deutlich bemerkte, mit einer Geldbörse.

Gleich darauf verschwand der weibliche Paddendrücker nach der Gertraudtenstraße zu, und Frank Wesson, der im ersten Augenblick ein wenig unschlüssig war, folgte der Gaunerin in gemessener Entfernung.

Er hatte sich entschlossen, sie doch weiter zu beobachten, um sie verhaften zu lassen, sobald er einen der ihm ja durchweg bekannten Kriminalbeamten irgendwo bemerken würde.

Er selbst hätte das ja auch tun können, da es das gute Recht eines jeden Staatsbürgers ist, einen andern, den er bei der Begehung eines Verbrechens ertappt, festzuhalten. Aber einmal wollte Frank Wesson das Aussehen vermeiden, und dann war ihm nicht klar, ob nicht seine Nationalität doch vielleicht für dieses Vorhaben ein Hindernis sein konnte. Besonders lag ihm aber daran, den Kriminalbeamten, deren Gefälligkeit er auch manchmal in Anspruch nahm, einen guten Fang zu verschaffen.

Die Taschendiebin, ihrer ganzen Haltung und Figur nach ein noch junges Mädchen, bog nach rechts ein und ging über den Spittelmarkt in die Leipzigerstraße, um hier vielleicht weiter zu »arbeiten«.

Es dauerte auch gar nicht lange, da hatte sie vor einem Staffelladen sich wiederum ein Opfer ausersehen. Diesmal war es ein Ehepaar, und die junge Frau behauptete später, daß sie nichts davon bemerkt habe, wie ihr die Taschendiebin, wahrscheinlich mit einer besonders dafür gearbeiteten Schere, das Armband von dem allerdings mit einem starken Lederhandschuh bekleideten Handgelenk geschnitten hätte.

Gerade, als dieser Diebstahl vor sich gehen sollte; erblickte Frank Wesson auf der anderen Straßenseite zwei ihm bekannte Kriminalschutzleute, die, wie er wußte, der sogenannten »Taschendiebs-Kontrolle« angehörten.

Ohne die Diebin aus den Augen zu lassen, deren Manöver er allerdings diesmal nur zum Teil wahrnahm, setzte er sich mit den beiden Beamten in Verbindung, die natürlich sofort an der Jagd teilnahmen. Der eine von ihnen wollte hier schon eingreifen. Aber sein Kollege hielt es für richtiger, die Diebin, die ihnen jetzt, wo sie zu dreien waren, ja gar nicht entschlüpfen konnte, noch weiter zu beobachten. -

»Es ist Spitzfinger,« sagte der Kriminalschutzmann Voigt zu seinem Kollegen Riesendahl, »ich kenne sie ganz genau! Uebrigens müssen wir uns da sehr vorsehen, die ist plötzlich weg, als wenn der Boden sie verschlungen hätte!«

»Na, na,« meinte der andere, der den Rat gegeben hatte, sie weiter zu beobachten, »das soll ihr nun doch wohl schwer werden, um so mehr, da der Herr Kollege ja auch noch bei uns ist … Aber jetzt scheint sie weiter zu wollen. Paßt mal auf, ich glaube, die hat genug gearbeitet und geht die Sore verschärfen.«

Der Ansicht war Frank Wesson auch. Hätte er eine Ahnung gehabt, wohin sich Spitzfinger begeben würde, so wäre es ihm gewiß nicht eingefallen, die Polizei auf die Paddendrückerin zu hetzen.

Das Mädchen ging bis zum Spittelmarkt zurück und benutzte von dort die Straßenbahn, die nach der Königstraße hinfuhr. Sie stellte sich auf die vordere Plattform, Frank Wesson nahm neben ihr Platz. Die Beamten, die ihr ja vielleicht bekannt sein konnten, blieben hinten auf dem Anhängewagen stehen. An der Klosterstraße sprang die Diebin plötzlich herunter, und es schien dem Detektiv beinahe, als habe sie ihre Verfolger bemerkt.

Aber es war doch vielleicht nur ein Manöver der allgemeinen und stets von ihr geübten Vorsicht, daß die schwarze Recha für eine Zeit in dem offenen Hausflur eines jener großen, alten Geschäftshäuser verschwand, die es dort in großer Menge gibt, um erst nach zehn Minuten wieder zum Vorschein zu kommen. Dann ging sie über den Neuen Markt nach der Rosenstraße zu und verschwand in dem Torweg des kleinen, schmutzigen Gebäudes, in dem Margutta Makropolska ihren Laden hielt.

»Siehst du,« sagte Herr Riesendahl zu seinem Kollegen, »wie recht ich damit hatte, daß wir sie ruhig laufen lassen sollten! - Ich glaube, jetzt ist uns ein Fang geglückt, um den uns die ganze Kriminalpolizei beneiden wird! Weißt du, wer hier wohnt?«

»Die alte Makropolska!«

Riesendahl nickte. »Jawohl! - Und wir, wir bekommen es heute heraus, worüber sie sich oben schon tausendmal ihren Kopf zerbrochen haben: nämlich wer die Hehlerin ist für all' die Frauenzimmer, die den Ladendiebstahl im großen betreiben …«

»Aber wie machen wir's?« fragte Voigt und wandte sich dabei auch an Frank Wesson, der in diesem Augenblick wünschte, gar nichts gesehen und noch weniger angezeigt zu haben. Scheinbar gleichgültig antwortete dieser daher:

»Ich glaube, Sie werden sich da irren, meine Herren. Ich halte die Person, die ich übrigens auch kenne, für vollständig harmlos.«

»Na, hören Sie mal,« Riesendahl lachte gedämpft, »das kann doch Ihr Ernst nicht sein: eine so abgefeimte Diebin wie Spitzfinger, die kommt nicht umsonst hierher … Aber wenn Sie sich an der Festnahme der beiden nicht beteiligen wollen, werden wir auch allein damit fertig!«

Frank Wesson schwieg einige Augenblicke. Er wußte ganz gut, daß die beiden Kriminalisten, wenn er sich jetzt zurückzog, den Ruhm ihrer Tat und natürlich auch die Belohnung ohne weiteres für sich allein behalten würden und daß er den beiden sicherlich keinen größeren Gefallen erweisen könnte, als wenn er seiner Wege ging. Das war natürlich auch sein Wunsch und Wille. Er dachte gar nicht daran, die alte Makropolska mit zu verhaften, mit der er so gut bekannt war und die sich, wenn er jetzt als ihr Verfolger auftrat, jedenfalls in einer sehr unangenehmen Weise rächen würde. Aber der Detektiv ärgerte sich doch auch wieder, daß er den beiden Kriminalbeamten so ohne weiteres den Erfolg lassen sollte. So sagte er denn frei heraus, er würde ihnen ja diese Sache sehr gern allein überlassen, bäte sich dafür aber aus, daß sie ihm gelegentlich auch ihre Hilfe nicht versagten.

Das versprachen die beiden Kriminalschutzleute gern. Frank Wesson ging - aber nur scheinbar. Kaum waren die Beamten im Hausflur verschwunden, so schlich er ihnen nach und beobachtete alles, was dort drüben vorging.



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