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15. Kapitel.

Die beiden Beamten hatten erst den Hof und alle Zugänge, die die Wohnung der alten Russin etwa haben konnte, besichtigt. Dann verließ der Kriminalschutzmann Voigt das Haus wieder, um vor dem Laden aufzupassen.

Riesendahl klopfte am hinteren Eingang.

Es dauerte ziemlich lange, und der Beamte mußte sein Klopfen mehrfach wiederholen, ehe die Alte sich meldete.

Auf ihr: »Nu, wer ist da?« antwortete der Beamte:

»Ein Kunde!«

»Er soll vorn reinkommen in den Laden,« schrie die Hehlerin mit ihrer heiseren Fistelstimme, »hier ist kein Eingang!«

»Ich bring' Sachen!« meinte der Beamte wieder.

»Häng' dich auf!« schrie die Alte, »ich brauch' nix.« -

»Es ist aber 'n gutes Geschäft,« beharrte der Beamte.

Ihre Habgier lockte die Alte näher.

»Was heißt 'n gutes Geschäft,« knurrte sie noch immer durch die Tür, »was habt Ihr? Was wollt Ihr?«

»Ich kann's so laut nicht sagen! … Lassen Sie mich doch schon herein!«

Ein Schlüssel knarrte im Schloß. Schwere Riegel wurden zurückgeschoben. Aber die Sicherheitskette, die nur einen schmalen Spalt der Tür zu öffnen gestattete, blieb vor.

»Was ist denn?« fragte die Alte, argwöhnisch in die Dunkelheit spähend.

Der Beamte war schnell etwas zurückgetreten und sagte leise, seinen Hut tief ins Gesicht drückend:

»Ich habe Diamanten!«

Doch das Mißtrauen der Alten war noch nicht überwunden.

»Kommt morgen wieder!« sagte sie heiser, »bei Nacht mach' ich nicht auf!«

»Dann bring' ich's zum andern,« sagte der Beamte, »es gibt ja noch mehr Leute, die Geld verdienen wollen!«

Und nun überwand die Habsucht und die Gier nach Geld bei der alten Frau doch die sonst so peinlich geübte Vorsicht. Sie öffnete, riß den Beamten fast hinein und schloß hinter ihm die Tür. Auf dem Korridor, ihm jetzt mit einer altertümlichen Leuchte in der Hand gegenüberstehend, sagte sie:

»Denkt nur nicht, daß 'r mich überrumpeln könnt! - Hier guckt mal her!«

Sie deutete auf eine riesenhafte Dogge, die sich in diesem Moment von ihrem Lager aus dem Korridor erhob und mit einem dumpfen Knurren die Glieder dehnte. Wenn Bekannte kamen, so blieb Pascha, ihr Beschützer, im Hintergrunde. Fremden gegenüber war das Tier fast noch mißtrauischer wie seine Herrin.

Auch der Kriminalbeamte, gewiß kein Feigling, sah die Situation im Angesicht dieses Beschützers bedeutend ernster werden. Er wußte wohl, daß solche Hunde, wenn man sie nicht mit dem ersten Schuß zu Boden streckt, über den Angreifer herfallen und ihm die Kehle aufreißen, ehe selbst die schnellste Hilfe heran ist. Er sagte sich auch, daß die Alte, um einer Verhaftung zu entgehen, sicherlich zu den äußersten Gewaltmitteln ihre Zuflucht nehmen würde. Dieses bucklige und dabei doch kraftvolle Weib mit der ungeheuren Nase und den flammenden Augen war allein schon eine nicht zu verachtende Gegnerin. Und der Kriminalbeamte erwog ernstlich, ob es nicht gescheiter wäre, unter irgend einem Vorwande die Wohnung zu verlassen und erst Hilfe herbeizuholen.

Aber dann sagte er sich doch, daß er damit das Mißtrauen der Alten von neuem wachrufen würde und daß sie, gewarnt, selbst alles mögliche beiseite bringen könnte. Außerdem aber würde er später die jetzt in der Wohnung befindliche Taschendiebin gewiß nicht mehr antreffen.

Er durfte auch nicht lange überlegen. Die Alte beobachtete ihn mit argwöhnischen Blicken. »Nu, wo sind de Diamanten?«

Er faßte in seine Tasche und zog plötzlich einen Browning hervor, den er der Alten vors Gesicht hielt.

»Befehlen Sie sofort dem Hund, sich nieder zu legen, sonst knallt's! Ich bin Kriminalbeamter!«

Dabei zeigte seine Linke die Erkennungsmarke.

»Gott meiner Väter!« winselte die Alte, »wie könn' Se mich so erschrecken, Herr Kommissar! Was hab' ich denn getan! Ich bin Händlerin und hab' mei Geschäft, und daß ich kaufe alte Kleider und alte Schmuckstücke, das weiß doch die hohe Polizei!«

Der Kriminalbeamte ließ sich durch das Gejammer der Alten nicht beirren. Er behielt sie fest im Auge und bemerkte wohl die Handbewegung, mit der sie den Hund anzufeuern suchte.

Pascha duckte sich zum Sprunge. Der Beamte richtete die Pistole auf den Kopf des Hundes.

»Rufen Sie ihn ja zurück, oder er liegt tot vor Ihren Füßen! -«

In diesem Augenblick stürzte sich der Hund, der seine Herrin verstanden hatte, mit wütendem Geheul auf den Beamten. Zwei Schüsse knallten und das Tier wälzte sich durch Kopf und Hals geschossen am Boden.

Die Alte warf die Leuchte fort und floh. Der Kriminalschutzmann packte sie an dem Tuch, das sie um die Schultern geschlungen hatte. Das blieb ihm in der Hand, die Alte war verschwunden! -

Zu gleicher Zeit hörte er drinnen im Laden Lärm.

Voigt war auf die Schüsse in den Laden gedrungen, hatte instinktiv durch all die Kleider und das alte Gerümpel hindurch den Weg zu dem hinteren Raum gefunden und hielt, als sich jetzt die beiden Kollegen drinnen wiedersahen, die sich heftig sträubende Recha im Genick gepackt. Einige Augenblicke später hatte Spitzfinger schon ein paar stählerne Armbänder um die Handgelenke, und die Beamten drohten, ihr auch noch die Füße zu fesseln, wenn sie den geringsten Versuch machen würde, zu entfliehen.

Nun begann die Suche nach der Alten, die wie von der Erde verschwunden schien.

Die Taschendiebin, die ja alle Verstecke kennen mußte, wurde gezwungen, vor den Beamten herzugehen und ihnen jeden Winkel zu zeigen. Trotzdem hätten sie die in einer Nische des Korridors befindliche Falltür, die in einen Keller führte, fast übersehen. Als man aber hinunterkam, war die alte Frau Margutta auch dort nicht zu finden. Sie hatte von ihrem Keller aus einen benachbarten erreicht und war, wie die nach dem Hofe zu geöffneten Fenster bewiesen, dort hinausgekrochen.

Schimpfend traten die Beamten den Rückweg an in die Wohnung, wobei sie über den Kadaver des erschossenen Hundes steigen mußten, dessen Blut in dicken Strömen über die Diele rann.

»Da hast du wohl zum erstenmal deine Browningpistole probiert?« fragte Voigt.

Riesendahl nickte, aber man sah es ihm an, daß ihm der Anblick des erschossenen Hundes peinlich war.

Und nun begann drinnen das Oeffnen und Aufbrechen der Kommoden und Behältnisse. Denn aus der Flucht der Alten ließ sich mit Sicherheit entnehmen, daß sie sich sehr schuldig fühlte und offenbar die Hehlerei im großen Stil betrieben haben mußte.

Mit einem Raffinement sondergleichen versteckt, fand sich schließlich eine Kiste, die nichts enthielt als echte, ungemein kostbare und zum Teil überhaupt nur nach ihrem Sammelwert abzuschätzende Spitzen.

»Hab' ich dir's nicht gesagt!« triumphierte Riesendahl, »daß wir hier etwas finden würden, um das uns die ganze Kollegenschaft beneidet! - Weißt du, was das ist? - Das sind die Spitzen, die hier und in anderen Städten von der geheimnisvollen Spitzendiebin gestohlen sind, die wir schon Gott weiß wie lange suchen und nicht kriegen können!«

»Von der Spitzenkönigin!« sagte Recha, die in der Nähe auf einem Stuhl saß, grinsend, »ja, von der Spitzenkönigin!«

»Weißt du denn was von der?« fragte Voigt grob.

»Nee, wenn Sie mich nicht anständiger fragen können, denn nich!«

Riesendahl warf dem Kollegen einen bezeichnenden Blick zu und wandte sich an die Diebin:

»Das müssen Sie meinem Kollegen nicht weiter übelnehmen, der ist immer ein bißchen geradezu! … Aber wenn Sie uns darüber Bescheid sagen können, … oder ich will mal sagen, wenn Sie uns dazu verhelfen würden, daß wir diese Spitzenkönigin abfassen … ja dann glaube ich, Ihnen versprechen zu können, daß wir Sie selber laufen lassen!«

Spitzfinger überlegte eine Weile, dann sagte sie leise:

»Ist das auch nicht etwa bloß Falle?«

Riesendahl schüttelte den Kopf, und sein Gesicht sah ernst und aufrichtig aus, als er antwortete:

»Sie wissen ja selbst, daß wir nicht ohne weiteres derartige Dinge fest versprechen können. Aber die Verhaftung der Spitzenkönigin wäre so außergewöhnlich wertvoll für die Polizei, daß ich fest überzeugt bin, man würde Sie noch einmal mit 'ner Ermahnung davon kommen lassen, wenn Sie uns die andere in die Hände lieferten! …«

Spitzfingers Ueberlegung war schon zu Ende.

Die Freigebigkeit, mit der die schöne, rotblonde Frau sie an jenem Abend beschenkt, hatte ja einen tiefen Eindruck auf das Gemüt der Taschendiebin gemacht, und unter gewöhnlichen Umständen wäre es Recha gewiß nicht eingefallen, ihre Wohltäterin von damals zu verraten. Nur waren die Umstände leider durchaus nicht »gewöhnlich«! Spitzfinger konnte sich auf jahrelange Gefängnishaft gefaßt machen, wenn die Kriminalbeamten sie einbrachten … Da war die Versuchung, sich durch Verrat der anderen loszukaufen, denn doch zu groß! …

»Also, was wissen Sie von ihr?« fragte der Kriminalschutzmann noch einmal.

Spitzfinger beschloß, ihre Wissenschaft so hoch wie möglich zu verwerten. Dazu war es aber nötig, die beiden Beamten glauben zu machen, sie wisse viel mehr, als ihr tatsächlich bekannt war, und deshalb sagte sie denn auch in geheimnisvollem Tone:

»Etwas will ich Ihnen ja verraten, aber das können Sie nicht von mir verlangen, daß ich Ihnen alles sage, und nachher denn markier'n Sie'n Dummen und denken gar nicht mehr daran, was Sie mir versprochen haben!«

»Ach,« meinte Voigt, »die weiß ja gar nichts, laß dich bloß nicht beschmusen, Riesendahl!«

»Was Sie schlau sind!« griente Spitzfinger, »da wo Sie stehen, hat die Spitzenkönigin mir vor acht Tagen gegenübergestanden!«

Nun wurden die beiden Kriminalisten sehr aufmerksam, und Riesendahl sagte:

»So? … Wie sieht sie denn aus?«

Spitzfinger schilderte jetzt Frau Ellinor viel genauer, wie dies irgend ein Steckbrief hätte tun können. Sie übertrieb die Vorzüge der Rotblonden vielleicht noch. Aber jedenfalls konnten sich die Beamten ein klares Bild von der Person der »Spitzenkönigin« machen, und beide fühlten mit Sicherheit, daß die Beschreibung der Diebin auf Wahrheit beruhte, und daß sie selbst darnach ohne weiteres imstande sein würden, die berüchtigte Ladendiebin zu erkennen und dingfest zu machen.

»Aber wo sie sich aufhält, wie sie heißt und wer sie eigentlich ist, das wissen Sie auch nicht?« fragte Riesendahl.

Spitzfinger sagte nicht Ja noch Nein. Sie schwieg erst und meinte dann maulend:

»Ich sehe ja doch, daß ich nicht freikomme. Warum soll ich da noch 'ne andere ins Schlamassel bringen!«

Statt der Antwort nahm der Beamte ihr die Fesseln ab.

»Ich bin überzeugt, Sie werden vernünftig sein und ruhig mit uns gehen, und ich verspreche Ihnen nochmals, was ich zur Erleichterung Ihrer Lage tun kann, das soll geschehen!«

»Aber mit muß ich,« sagte Spitzfinger weinerlich, »nicht wahr?«

»Ja, das kann ich nun leider nicht ändern,« meinte Riesendahl, während Voigt, der weniger mitfühlend war, dröhnend lachte. »Gewiß müssen Sie mit! … Immer los! …« Dann schlossen die Beamten die Wohnung ab, nachdem sie vorher den Kadaver des Hundes auf den Hof gezogen hätten. Sie wiesen noch den Hausverwalter an, das Tier zu beseitigen und begaben sich mit ihrer Arrestantin nach dem Präsidium.



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