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7. Kapitel.

>Na, sag' mal, mein lieber Junge, was ist dir denn eigentlich?« eröffnete der Geheimrat das Gespräch, indem er an das Zigarrenschränkchen seines Bruders trat und sich dort eine besonders schwere Zigarre anweisen ließ. »Du hast doch während des ganzen Essens dagesessen, als wenn dir garnicht so recht um die Leber herum wäre … Ich meine das nicht etwa nur bildlich! Sag mal, ist denn der Druck wiedergekommen, hier so um die Hüften herum?«

»O nein, ich fühle mich körperlich ganz wohl, lieber Eberhard.«

»Na, was ist es denn? Ich kenne dich doch, lieber Hermann, du bist doch an sich eine Frohnatur. Ohne besonderen Grund sitzt du doch nicht da wie ein verlegenes Kaninchen? … Du hast doch nicht etwa Pech gehabt an der Börse, hast spekuliert?«

Ernst, fast finster erwiderte der andere:

»Du weißt, Eberhard, daß ich das grundsätzlich nicht tue. Ich spekuliere nicht, ich hätte auf diese Weise schon sehr viel Geld verdienen können …«

»Oder vielleicht auch sehr viel Geld verlieren,« lachte der Geheimrat in seiner rauhen, dabei aber doch nicht unangenehmen Weise.

»Eben dies ist es, was mich hindert,« meinte Hermann, »ich habe nichts zu verlieren, und mit fremdem Gelde etwas Unsicheres zu unternehmen, erscheint mir in jedem Falle als ein Verbrechen, gleichviel, ob man damit Glück hat oder nicht.«

»Na natürlich, das sind die alten, guten Grundsätze, die schon unser seliger Vater hochgehalten hat, und die ihn bis zu seinem Ende in den Augen seiner Mitbürger hochgehalten haben. Aber sage mal, Hermann, irgend etwas ist doch, irgendwo fehlt's! Brauchst du Geld? Hast du heimliche Sorgen?«

Der Geheimrat war durch seine, schon vor Jahren verstorbene Frau zu großem Vermögen gekommen, und wenn er auch sonst kein Verschwender war, so konnten sich doch besonders seine Verwandten niemals über Geiz oder Hartherzigkeit bei ihm beklagen.

Der Makler schüttelte energisch den Kopf.

»Nein, Eberhard. Es ist mir schon unangenehm genug, wenn der Junge dich anpumpt - wie ich vorhin bemerkt habe! Ich werde ihm meine Meinung darüber auch gründlich sagen.«

»Na, das wäre wirklich das Verkehrteste, was du tun könntest! Was ist denn da weiter dabei? Johannes ist ein junger Mann, obendrein ein Referendar, und nach dem, was ich so gehört habe, scheinst du ihm seinen Wechsel auch wirklich nicht allzu reichlich zu bemessen.«

Der Geheimrat trat näher an den vor dem Schreibtisch stehenden Bruder heran, legte seinen Arm um die Schulter des Jüngeren und sagte leise, mit eindringlicher Stimme:

»Sage mal, lieber Hermann …«

Dieser von dem alten Mediziner immer wieder beliebte Redeanfang schien jedoch nicht ohne weiteres eine Fortsetzung zu haben. Der Sprecher zögerte und zögerte, bis ihm schließlich der jüngere Bruder, wenn auch nicht gerade und frei wie sonst, ansah und ermunterte:

»Geniere dich nur nicht, Eberhard, ich kann mir ja schon denken, was du sagen willst!«

»Kannst du dir das wirklich denken? … Na, dann sollte ich meinen, du müßtest bei deinem sonstigen verständigen Charakter auch die Konsequenzen deines Denkens zu ziehen wissen. Wir haben doch schon oft genug darüber gesprochen: Deine Frau kostet dich zu viel, und du bist in dieser Hinsicht wehrlos!«

Hermann Brunner schüttelte den Kopf, aber er sagte nichts.

»Ja, ja,« der Geheimrat begleitete seine Worte durch leichte Schläge auf die Schulter des Bruders, »rede, was du willst, die Leidenschaft, die dich damals in einer Stärke befallen hat, wie ich es überhaupt bei einem so gemäßigten und klugen Charakter niemals für möglich gehalten hätte, diese Leidenschaft spielt dir heute noch die tollsten Possen. Du siehst, wie die Frau dich ruiniert, wie sie es dir fast zur Unmöglichkeit macht, deinen Pflichten als Familienvater nachzukommen, und du bringst nicht die Energie auf, hier mit einem Machtwort dazwischen zu fahren und besonders den wahnsinnigen Toilettenaufwand deiner Frau ein für alle Mal auf das richtige Maß zu beschränken.«

Der Fondsmakler hatte sich auf den hochlehnigen Ledersessel vor dem Schreibtisch niedergelassen. Mit tiefem Mitleid sah der ältere Bruder, wie die Schultern des Jüngeren, wie sein ganzer Körper in einer Art von innerem Krampf zitterte, und mit warmer Stimme redete der Weißbärtige auf den anderen ein.

»Sprich dich doch aus, Hermann, vertraue dich mir doch an. Es sind vielleicht doch die pekuniären Sorgen, die dich so schlapp und matt machen. Ich kann doch helfen, und ich helfe so gern.«

Aber der Makler schüttelte eigensinnig seinen Kopf.

»Nein, nein, es ist etwas ganz anderes,« sagte er mit unterdrückter Stimme.

Und plötzlich, die Arme und den Kopf auf die Tischplatte werfend, brach er in hilfloses Schluchzen aus, und nur undeutlich und verloren erreichten die zusammenhanglosem dumpfen Ausrufe das Ohr seines Bruders.

Der stand einige Augenblicke ganz ratlos. Dann kam etwas wie Erkennen, wie plötzlich aufleuchtendes Verständnis in sein kraftvolles Gesicht. Leise sagte er:

»Es ist also nicht die Verschwendung allein …? noch andere Dinge … o, o, das habe ich gefürchtet,« und wie zu sich selber redend, das langsame Heraufdämmern und allmählich immer stärker werdende Verständnis vor sich selbst aussprechend, setzte er hinzu:

»Dieses Auge, dieses merkwürdig glänzende Auge, und das Sprunghafte in den Ideen und Worten dieser Frau! … Der Stimmungswechsel, dieser ganz unerklärliche Umschwung in den Empfindungen, der oft von Sekunde zu Sekunde eintritt … das alles … ja, Hermann, ich ahnte und fürchtete so etwas schon längst!«

»Was denn?« fragte, mit seinem tränennassen Gesicht jetzt zu dem Bruder emporblickend, der Makler, »was hast du denn gefürchtet, Eberhard?«

»Daß da eine besondere Krankheit des Geistes, der Nerven vielleicht … daß da eine Anomalie vorliegt … vielleicht sogar eine Manie, die nach irgend einer Richtung auch der Familie gefährden kann.«

Hermann Brunner nickte voll schmerzlicher Zustimmung.

Und der ältere Bruder, in jener begreiflichen Befriedigung, die den Arzt bei einer schweren und doch richtig gestellten Diagnose leicht über die für die Umgebung des Kranken so schmerzlichen Begleitumstände hinwegsehen läßt, sagte frohlockend:

»Ja, ja, es konnte ja nicht anders sein, alle Anzeichen sprechen dafür! Was mir zuerst verdächtig vorkam, das war die nach einer eben noch klar erkennbaren, schweren, seelischen und körperlichen Depression plötzlich auftretende Frische und Munterkeit …«

Er versank dann wieder in Grübeln und fuhr plötzlich, als sei ihm jetzt erst die wahrhaft richtige Lösung des unheimlichen Rätsels gekommen, auf mit den Worten:

»Ich sage dir, Hermann, sie braucht Stimulantien!«

Mit einem jähen Schrei emporgeschnellt, starrte der Makler den Bruder an.

»Stimulantien? … Was sagst du, sie braucht Stimulantien? … Was heißt denn das? … Was willst du damit sagen?«

Der Aeltere war jetzt wieder vollständig ruhig geworden und sah ein, daß wichtiger noch als seine Entdeckung Trost und Beruhigung für den ohnehin schwergeprüften Bruder waren. Er versuchte deshalb sofort seine eigenen Worte zu entkräften.

»Gott, das ist ja gar nicht so schlimm, lieber Junge. Sie tut das, was heutzutage leider so viele Modedamen tun, denen alles daran liegt, immer wieder jung, schön und begehrenswert zu erscheinen. Sie braucht irgend ein Nervenreizmittel, das imstande ist, sie in wenigen Minuten wieder aufzufrischen, ihr fortwährend und zu jeder Zeit die Frische und Munterkeit zu geben, über die sie sonst nicht mehr verfügen würde.«

Der Makler versank in Schweigen. Das war etwas, woran er noch gar nicht gedacht hatte. Diese merkwürdigen Veränderungen von der tiefsten Abspannung in die glänzendste Stimmung hinein, die sich im Handumdrehen bei seiner Frau vollzogen, die waren ihm natürlich auch aufgefallen. Aber er hatte seinen Kopf selbst so voll. Die Tatsache, daß Frau Ellinor immer von selbst wieder auf die Beine kam, genügte dem vielbeschäftigten Manne, dem sein Beruf nicht Zeit ließ, sich eingehender mit seiner Familie zu beschäftigen.

Was ihm der Geheimrat da eben gesagt hatte, das warf alles, was ihm bisher bei seiner Frau aufgefallen war, über den Haufen, und - merkwürdig - es diente zu ihrer Entschuldigung! Er sah plötzlich Ellinors Verfehlung in milderem Lichte. Nun kam es ihm auch so vor, als ob er, er ganz allein imstande sein würde, ihr Heilung zu bringen! Er brauchte ihr ja nur dieses Gift, mit dem sie sich da betäubte, fortzunehmen und ihr nicht mehr zu gestatten, sich neues anzuschaffen. Damit fiel dann sicherlich der Trieb, verbrecherische Handlungen zu begehen, ein für allemal fort.

Noch vor wenigen Minuten war der Makler willens gewesen, sich seinem Bruder ganz zu offenbaren und sich bei ihm Rat zu holen. Jetzt aber glaubte er die eigentliche Triebfeder dieser unseligen Handlungen, die seine Frau offenbar schon seit Jahren beging, erkannt zu haben. Und er hoffte, sie bemeistern zu können. Er fühlte sich Herr der Lage und wollte niemand, selbst den Bruder nicht in das Geheimnis einweihen. Er schämte sich ja so unsäglich für sein Weib, das er, darüber war er sich nie vordem so klar gewesen, noch heute ebenso sehr liebte wie an dem Tage, da sie zum ersten Mal in seinen Armen lag.

Der Geheimrat schrieb das stumme Nachdenken, des Bruders scheinbare Apathie dem Schreck zu, den da jedermann bekommen muß, wenn ihm plötzlich und unerwartet eine solche Gewißheit über die eigene Gattin wird.

»Vor allen Dingen ist es nun wichtig, festzustellen, welches von den vielen Reizmitteln da in Frage kommt. Entweder Ellinor nimmt Arsenik, was in der sogenannten guten Gesellschaft sehr viel benutzt wird, oder sie gebraucht, was ich für schlimmer halte, Morphium. Natürlich wird sie sich da subkutane Einspritzungen machen.« …

Der jüngere Bruder nickte.

»Das fürchte ich auch, Eberhard. Du wirst dich entsinnen, daß seinerzeit nach Effies Geburt bei ihr eine eigenartige Neuralgie auftrat, wobei sie sich von Professor Gutberg behandeln ließ. Damals hat sie, das weiß ich, Morphium bekommen.«

»Na natürlich, wie immer in solchen Fällen, wenn die Herren Kollegen nichts anderes zu verschreiben wissen. Und der Patient, besonders ein so empfindlicher und nervöser Mensch wie Ellinor, gewöhnt sich im Handumdrehen an dieses Teufelszeug und kann nachher nicht wieder davon loskommen … Du, da ist es jetzt vor allen Dingen deine Aufgabe, dich ganz genau zu unterrichten und vor allen Dingen Klarheit zu schaffen. Sind wir uns erst über das ›Wie‹ und ›Was‹ einig, dann werden wir auch die Art und Weise herausfinden, mit der man ihr diese schreckliche Angewohnheit wieder abgewöhnt. Darum brauchst du den Mut noch nicht zu verlieren. Kopf hoch, alter Junge! … Wir haben doch schon so manchen Kampf durchgefochten und sind ans Ziel gekommen, also werden wir doch mit solcher kleinen Frau fertig werden! Und jetzt komm' rüber, es wird Zeit zum Kaffeetrinken, ich möchte gern noch ein bißchen mit der Käte plaudern … 's ist eine rechte Herzensfreude mit dem Mädel, auf die kannst du wirklich stolz sein!«

Der Makler lachte über das ganze Gesicht.

Nun dachte er wieder an das, worauf Käte ihn vorbereitet, und dann konnte er nicht anders, er teilte es seinem Bruder mit.

»Na, da bin ich gespannt,« meinte der Geheimrat, »weiß der Teufel, wenn man ein nettes Mädel im Hause hat, da kommt im Handumdrehen solch fremder Kerl und schnappt sie einem weg!«



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