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16. Kapitel.

In der Wohnung des Fondsmaklers ging jeder auf den Zehenspitzen. An jenem Abend, wo Käte und die beiden Dienstmädchen auf den Knall der Revolverschüsse herbeieilten und den Makler blaß, verstört und ohnmächtig in den Armen seiner Gattin fanden, war Hermann Brunner heftig erkrankt.

Sein Bruder und mehrere andere Aerzte behandelten ihn, konnten aber nur eine schwere Nervenstörung feststellen. Er hatte längere Zeit, wirre Reden ausstoßend und phantasierend, gelegen, und dieser an sich bedenkliche Zustand wich schließlich einer völlig Lethargie, die man vorläufig nicht einmal ernstlich zu bekämpfen wagte.

Der Geheimrat in seiner unermüdlichen Sorge um den Bruder, konnte von Käte ebensowenig eine Aufklärung über die Ursachen dieser rätselhaften Erkrankung erhalten, als Frau Ellinor sie ihm gab.

Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die Lüftung des hier sicherlich obwaltenden Geheimnisses von der Zeit zu erwarten.

Für Käte war dieses Vorkommnis am allerunangenehmsten. Ihre zärtliche Liebe für den Vater verhinderte sie, sich ihrem Verlobten zu widmen, der aber als ein kluger und gütiger Mensch ohne weiteres einsah, daß er hier vorläufig zurückstehen müsse.

Das Brautpaar saß oft Hand in Hand am Bette des Leidenden, und es schien, als husche dann ein freundlicher und zufriedener Strahl über das eingefallene, blasse Gesicht.

In dieser traurigen Lage empfing Hermann Brunner auch zum ersten Mal den Besuch des alten Herrn von Materstein. Der, ein Hüne mit mächtigem, weißen Reiterschnurrbart, der ihm den immer heiteren Mund bedeckte, und der die frischen Farben des alten Herrn noch mehr hervorhob, faßte sofort die Schwiegertochter, die er sich ja eigentlich selbst ausgesucht hatte, mit seinen beiden mächtigen, gebräunten Händen um den blonden Kopf, zog sie ohne weiteres an sich und küßte sie auf die blauen Augen.

»Die sind's, die ich zuerst gesehen habe,« sagte er lachend, »und die sind's auch, die ich bei meinen Enkeln wiedersehen möchte!«

Käte wurde rot, aber sie war ein viel zu vernünftig erzogenes Mädchen, um sich dadurch etwa verletzt zu fühlen. Auch war sie ja durch ihren Bräutigam schon hinreichend mit den Ansichten und Wünschen seines Vaters vertraut gemacht, ihr waren also dessen Lieblingsreden nichts Fremdes mehr.

Der alte Baron hörte mit großer Teilnahme von der Erkrankung des Fondsmaklers, und es war charakteristisch für seine Denkart, daß er sich sofort mit seiner großen Bekanntschaft in ärztlichen Kreisen zur Verfügung stellte, bis er hörte, daß der eigene Bruder, der Geheimrat Brunner, den Patienten behandele. Als bald darauf dieser selbst kam, waren die beiden Herren bald in eifrigem Gespräch. Natürlich fragte der alte Herr nach der Ursache von Brunners Erkrankung, und als ihm Frau Ellinor auch nur mit einem Achselzucken und ausweichenden Worten antwortete, betrachtete er mit seinen hellen Augen die schöne Frau lange Zeit.

Er tat das in unauffälliger Weise, indem er sich mit ihr unterhielt, aber man sah ohne weiteres, daß diese Unterhaltung nur den Zweck hatte, sich über Wesen und Charakter der Dame klar zu werden.

Und Frau Ellinor merkte das selbst am allerbesten. Sie fühlte, daß zu dem Schwager, der sie seit langem wie ein Kriminalist beobachtete, nun auch noch der alte Baron von Materstein gekommen war, um womöglich mit noch größerer Schärfe in ihr dunkles und verworrenes Leben einzudringen.

Als später der Oberleutnant mit seinem Vater das Brunnersche Haus verließ, sagte dieser zu seinem Sohne:

»Ich habe ein instinktives Mißtrauen gegen diese allerdings geradezu pompöse Dame! Das ist eine Erscheinung, wie man sie in den Speisesälen von Monaco anzutreffen gewohnt ist … Ich weiß, ich weiß! Du hast mir ja alles geschrieben! Sie ist die Tochter eines australischen Spekulanten, der seine Millionen und gleichzeitig auch sein Leben bei einem Krach verloren hat. Aber das ist es nicht allein, was ich in der Frau finde. Ich habe schon mehr Töchter von verkrachten Millionären gesehen, und ich sage dir, mein Junge, das sind oft sehr einfache, bescheidene und ganz und gar nicht extravagante Frauenzimmer … hinter dieser hier steckt noch etwas anderes, und ich möchte wohl wünschen, deine Käte hätte eine andere Mutter!«

Hans von Stark besann sich eine Weile.

»Wenn du nur nicht ungerecht bist, lieber Papa! Im Anfang kam mir Frau Ellinor ja auch etwas seltsam vor, aber wenn man so längere Zeit mit ihr zusammen ist … ich sage dir, sie hat eine Gabe zu reden! Ich bin fest überzeugt, sie wickelt jeden Menschen um den Finger, wenn sie es will! … Die Dame ist dann von einer so entzückenden Liebenswürdigkeit und …«

»Ist dir dieses fahrige, offenbar mit der äußersten Willensanstrengung geraffte Wesen denn noch nie aufgefallen?« unterbrach ihn der Vater von neuem.

Der Sohn nickte.

»Doch, Papa, aber ich sagte dir ja eben, die Frau ist nervös wie so viele Menschen, die hier in der Großstadt leben müssen … Darum werde ich auch meine Käte hier nicht bleiben lassen … Die beiden, ich meine Effie, die ich selbstverständlich mitnehme, die kommen zu dir hinaus, und ich, na, ich werde ja nun wohl auch bald meinen Abschied-nehmen! So lieb mir auch der grüne Rock ist, ich weiß zu genau, daß du mich zu dir haben möchtest, nicht wahr, Papa?«

»I, kein Gedanke!« lachte der alte Herr. Aber an seinem Lachen merkte der Sohn, wie sehr er recht hatte und wie sich der Vater noch mehr freute über die Nachricht seines Sohnes.

* *
*

Die beiden Herren von Materstein hatten sich noch nicht lange empfohlen, als Hermann Brunner, bei dem augenblicklich nur Käte im Zimmer war, sich zum erstenmal seit Wochen ein wenig aus den Kissen hob und den Namen Eberhard ausstieß.

Zitternd vor Freude und Aufregung sagte Käte leise: »Ja, ja, Papa, - ich gehe und hole den Onkel schon!«

Dann war sie draußen, und gleich darauf trat der Geheimrat ins Zimmer. Er tat indessen so, als sei ihm dieser Ruf gar nicht unerwartet gekommen, als wäre er vielmehr jeden Augenblick darauf gefaßt gewesen.

Am Bette des Bruders sich niedersetzend, sagte er voll Herzlichkeit:

»Na, mein alter Junge, was hast du mir denn zu sagen? Etwas drückt dich doch, nicht wahr?«

Der Kranke, der auf dem Rücken lag, sah seinen Bruder nicht an. Er starrte zur Deckte hinauf. Seine Augen bewegten sich wie in trostlosem Suchen nach einem Gedanken, und ab und zu machte sein Mund den Versuch, Worte zu formen.

Endlich sprach er, offenbar mit großer Anstrengung:

»Ich muß dir etwas sagen, Eberhard!«

Der Anblick des offenbar auch seelisch Leidenden zerriß dem Geheimrat das Herz. Nur mühsam konnte er seiner Bewegung soweit Herr werden, daß er wenigstens ruhig sprechen konnte.

»Was hast du denn, mein lieber Junge? Was ist dir denn? Sprich dich doch aus! … Wir warten ja nur darauf, daß du dein Herz von der Bürde befreist, die dich doch gewiß sehr drücken muß!« - -

»Nicht alle!« stammelte der Kranke, »nicht alle!«

»Nein, nein,« meinte der Geheimrat, der sofort begriff. »Ich, ich allein will hören, was du mir sagst!«

In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, die sich gleich darauf öffnete, und Frau Ellinor trat ins Zimmer.

Der Kranke hob in sichtlicher Erregung die matt auf der Decke liegenden Hände und machte schlagende Bewegungen nach der Eintretenden hin.

»Nicht Ellinor!« brachte er mit verzerrtem Munde heraus.

Sofort erhob sich der Geheimrat, ging auf die schöne Frau zu und sagte, sie sanft beim Arm nehmend, im Flüsterton:

»Wie Sie sehen, Frau Schwägerin, ist Hermann noch nicht so weit, um mit Ihnen reden zu können … Ich werde Sie aber nachher benachrichtigen, bitte gehen Sie jetzt.«

Sie war empört. Ihr dunkles Auge flammte ihm entgegen, und man sah, wie sich ihr böse Worte auf die Lippen drängten. Aber sie bezwang sich, und mit einem gemurmelten: »Wie Sie meinen … Ich kann ja wiederkommen!« verließ sie das Zimmer.

Die Augen des Kranken hatten ihr angstvoll nachgeblickt. Jetzt schien sich der Leidende zu beruhigen, und als der Geheimrat wieder am Bette des Bruders Platz nahm, da tastete des Maklers blasse, magere Rechte nach der Hand des Bruders.

Hermann Brunner versuchte laut zu sprechen, aber es ging nicht. Und so mußte sich der Geheimrat tief hinabbeugen, um die Worte, diese entsetzlichen, fürchterlichen Worte, deren Wahrheit er doch so klar erkannte, in sein Ohr aufzunehmen.

Es dauerte lange, bis Hermann Brunner dem Bruder alles gesagt hatte, was ihm das Herz beschwerte, und dann trat die Frage, die schon so lange in den kranken Augen irrte, auch auf die Lippen des Leidenden.

»Wirst du mir helfen?«

»Ja!« gelobte der Geheimrat, seine beiden Hände in die Rechte des Bruders legend. »Ja, ich will alles tun, was in meinen Kräften steht. Heute zum erstenmal bin ich froh darüber, daß meine Verbindungen so weitreichend sind … Und du weißt bestimmt, daß es Freitag Söhne sind, wo dieser Strolch Ellinor abgefaßt hat? … Ich frage nämlich deswegen,« fügte der Geheimrat hinzu, als er den Bruder lebhaft nicken sah, »weil ich einen von den Inhabern dieses Warenhauses früher behandelt und ihn von einem recht unangenehmen Leiden befreit habe. Ich werde da auf jeden Fall Näheres erfahren und kann durch diese Bekanntschaft vielleicht auch noch größerem Unheil vorbeugen … Meinst du denn, lieber Hermann, daß sie auch jetzt noch immer solche …« - er scheute sich offenbar, das Wort auszusprechen, »solche Sachen macht?«

Der Makler hob die Hände mit einer müden Bewegung des Zweifels und ließ sie gleich darauf wieder auf die Bettdecke fallen.

»Jedenfalls ist's möglich,« hauchte er, »und, lieber Eberhard …« - und mit lauterer Stimme stieß er angstvoll hervor: »es darf … nicht zu einem Skandal kommen! … Denke nur, wenn Käte …«

»Aber nein, nein,« sagte der Geheimrat beschwichtigend, »ängstige dich doch nicht! … Du kennst mich doch, Hermann, wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es auch. Von morgen an werde ich nicht nachlassen, bis ich einen Weg finde, der wieder herausführt aus diesem schrecklichen Labyrinth! Ich würde ja ohne weiteres raten, Ellinor in eine Anstalt zu bringen, schon als Morphinistin …«

Der Makler schüttelte heftig den Kopf.

»Nein, nein, du hast recht,« sagte Eberhard Brunner, schon um den Kranken nicht aufzuregen. »Ich selbst sehe ja ein, daß es nicht geht … gerade jetzt, wo Käte sich verlobt hat, das würde einen zu schlechten Eindruck machen.«

Er überlegte einen Augenblick und fuhr fort:

»Wir müssen eben sehen, daß wir ihren Taten vorbeugen, wenn sie, was ich ja immer noch bezweifle, überhaupt jetzt noch den Mut findet, solche Streiche auszuführen.«

Hermann schüttelte abermals den Kopf.

»Du meinst, sie tut es doch noch?« fragte Eberhard.

»Das wäre Kleptomanie,« meinte der Geheimrat nachdenklich. »Aber wir Aerzte glauben heute nicht mehr so recht daran, wenigstens nicht in der Form, wie sie sich den Augen des Laien für gewöhnlich darstellt. Na, das ist ja gleich, das sind wissenschaftliche Fragen! Hier haben wir es mit der Wirklichkeit zu tun, und zwar mit einer sehr ernsten, denn an ihr hängt das Schicksal der ganzen Familie. Ich bin nur froh, Hermann, daß du nun endlich anfängst, wieder teilzunehmen am Leben. Nun werden wir auch dieser Sache Herr werden! …«

Und der Aeltere strich zärtlich und leise mit seiner weichen Hand über den Scheitel des jüngeren Bruders, aber auf dessen Gesicht lag ein so todestrauriger Ausdruck, daß der Geheimrat, der fort mußte, sich kaum entschließen konnte, zu gehen.



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