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Ausblicke.

»Denn es wird doch immer der wesentliche Charakter des Romantischen bleiben, daß die Abgeschlossenheit fehlt, und daß immer noch auf ein Weiteres, auf ein Fortschreiten gedeutet wird.« Diese Worte schrieb Carus in sein Tagebuch, nachdem er den Regensburger Dom betrachtet und von ihm den Eindruck des Poetischen empfangen hatte, den ihm die kurz vorher gesehene Aukirche in München eben wegen ihrer Regelmäßigkeit und Vollendung nicht hatte geben können.

Auch die Geschichte der Romantik selbst deutet auf ein Weiteres, auf ein Fortschreiten. Daß sie weder in der Kunst, noch im Leben Vollendetes erreicht hatten, wußten die Romantiker. Es finden sich Zeugnisse genug dafür, daß sie mit sich und ihren Erzeugnissen nicht zufrieden waren, und verloren sie sich auch mit trotzigem Behagen in die Irre, so deuteten sie um so wissender nach den höchsten Zielen. Man hat den Romantikern mit Recht Willkür, Subjektivität, Individualismus vorgeworfen; mit dem Kampfe gegen die Regel hatten sie ja begonnen. Trotzdem lag zügellose Hingabe an das persönliche Belieben im Kunstbetrieb durchaus nicht in dem ursprünglichen romantischen Programm; aber Phantasie wurde gefordert, und es ist in der menschlichen Natur, daß die phantasiebegabten Künstler gewöhnlich das Gesetz scheuen, Muster nicht achten wollen und dem Einfall des Augenblicks alles zuliebe thun. Der Sucht, sich und seine Eigenheit und seine Stimmungen auszudrücken, hielt die Ehrfurcht vor überlieferten Typen zu wenig das Gleichgewicht, und so blieb vieles fragmentarisch, anderes verfiel im Streben nach Originalität in Abgeschmacktheit und Verzerrung.

Das Erschrecken vor dieser Verwilderung und die Einsicht, daß der Instinkt des modernen Menschen die Sicherheit des primitiven nicht mehr habe, ließ es hie und da wünschbar erscheinen, daß das hervorbringende Genie sich einer Aufsicht unterwürfe.

Arnim plante die Anlage einer Sprach- und Singschule, einer Schule für Bänkelsänger und einer Schule für Dichtkunst, die im Schlosse Laufer am Rheinfall eingerichtet und wo eine allgemeine deutsche Sprache erfunden werden sollte. Dies bezweckte allerdings zum Theil die Hebung des poetischen und musikalischen Sinnes im Volke und sollte ferner der deutschen Einheit vorarbeiten. Zugleich spricht sich doch aber darin der Wunsch nach einer festen Grundlage, einem Gerüste, woran der Dichter sich zu halten hätte, aus; klagten doch gerade Arnim und Brentano über das »Gesinge und den Romantismus«, das eingerissen sei, und die Schwäche seiner eigenen Arbeiten sah Clemens in dem Zufälligen des Guten darin, was er nur durch außerordentliche Planmäßigkeit – zu der er sich aber zu schwach fühlte – bessern könne. Es zeigt sich dasselbe Verlangen nach einer Richtschnur, welches in der Religion zum Katholicismus führte. Im Gefühl des Schwankens, der Unsicherheit geht die Einsicht auf, daß »uralte Traditionen mehr Werth haben, als die Philosopheme der gescheitesten Denker« und daß der Grundsatz der katholischen Kirche, das quod semper ubique et ab omnibus creditum est zur allgemeinen Richtschnur zu machen, dem subjektiven Drange eines jeden sich einen eigenen Glauben zu erfinden ein berechtigtes Gegengewicht giebt.

Ausdrücklich damit »die Literatur nicht blos Privatbestrebungen überlassen bleibe«, verlangt J. J. Wagner die Gründung von Akademieen, die die Ueberlieferungen festzuhalten, die literarische Wechselwirkung und Schulung herzustellen und eine letzte Instanz zu bilden, also das Typische gegenüber dem Individuellen zu retten hätten. Dies wurde zur selben Zeit und auch von romantischer Seite gesagt, als junge Maler, die nochmaligen Nazarener, den Protest gegen die Maler-Akademie erhoben; aber eben Overbeck, der späterhin nicht nur sein Leben, sondern auch seine Kunst dem katholischen Dogma unterwarf, beweist, daß es nicht der Zwang an sich war, den man scheute. Der kirchliche Zwang erwies sich nun freilich den Künstlern, die ihn sich auferlegten, nicht günstig; Erwin Speckter, obwohl ein Vertreter Overbeck's, giebt ihm die Schuld einer gewissen frostigen und heuchlerischen Unwahrheit, die er in seinen Bildern findet. Speckter seinerseits fordert, die Künstler müßten zuerst Handwerker werden, damit die Kunst sich wieder einen Weg bahne in das innere Leben der Welt; offenbar in der Meinung, daß sich die Kunst zu weit vom Leben entfernt habe, und daß das Leben ganz von selbst Grundlage und Richtschnur geben werde, deren sie bedürfe.

Theoretisch hatten besonders die älteren Romantiker die Kunst nicht höher gestellt als das Leben. Novalis nennt denjenigen den größten Menschen, dessen Tagebuch das größte Kunstwerk wäre. Ritter stellt folgende Reihe der Künste auf: Architektur – Plastik – Malerei – Musik – Lebenskunst; und spricht von einer künftigen Zeit, wo des Menschen Leben und seine That die höchste Wahrheit und Schönheit selbst darstellen müsse. »Er selbst in seinem Leben wird das höchste Kunstwerk sein, deß Künstler mit demselben eins und gleich ist.« Er indessen verwüstete sein Leben jämmerlich, und Vielen andern zerbrach und zerfloß es, ohne zuweilen daß nur der Versuch einer planvollen Gestaltung unternommen wäre. Im Allgemeinen waren die Romantiker in erster Linie denkende, dichtende und ausdauernde, am wenigsten handelnde Menschen. Den sittlichen Gesichtspunkt ordneten sie dem ästhetischen unter, schien ihnen etwas schön oder ihrem Gefühle entsprechend, fragten sie nicht, ob es moralisch sei. Görres unterschied einmal gemäß den drei Vermögen Vernunft, Wille und Phantasie die drei Reiche Wissenschaft, Sittlichkeit oder Ethik und Schönheit oder Kunst und nannte als ihre philosophischen Vertreter Schelling, Fichte und Jakobi. Es ist bezeichnend, daß von Fichte, dem eisernen, unbeugsamen, sittlichen, die Romantiker sich mit Entschiedenheit abwandten; je mehr sie Gefühls- und Stimmungsmenschen waren, desto unbegreiflicher und abschreckender war er ihnen. Die Helden ihrer Dichtungen waren Dichter, Maler oder Musiker, als höhere Menschen über den Gemeinen stehend, die sie theils verehrten, theils aus roher Unwissenheit verachteten. Die Gebräuche und Gesetze der Durchschnittsmenschen galten für diese Ausnahmemenschen nicht, sie befanden sich immer in außergewöhnlicher, »romantischer« Lage, wo der gemeine Maßstab nicht anzulegen war. Liest man die Romane und Novellen Eichendorff's, wo die Studenten, Grafen, Dichter, Jäger und Zigeuner von einem Abenteuer zum andern vagabundiren, so ergreift einen bald ein ungeheurer Ueberdruß, und einen solchen empfanden die Romantiker zuweilen an sich selbst, ihrem beruflosen Leben und ihrer Kunst. Neben der Ueberschätzung der Kunst entsteht im Schooße der Romantik selbst ihre gänzliche Verwerfung beziehungsweise Unterordnung unter Religion und Leben.

Daß es ohne Religion keine Kunst geben könne, war einer der ersten Grundsätze der Romantik; etwas anderes ist es aber, wenn nun die Kunst als ein Uebergang oder Mittel zur Religion aufgefaßt wurde, an sich werthlos, nur als Vorbereitung zu etwas Höherem schätzbar. So urtheilte Zacharias Werner, und zwar lange bevor er katholisch und Priester wurde: die Kunst an sich habe keinen Werth, nur insofern sie Ahnungen der Gottheit gebe. Das Bücherschreiben sei ihm nur werthvoll, weil er damit Gemüther für das Heilige gewinnen könne. Kunstwerke seien Vorarbeiten der neuen Religion, die der Menschheit gegeben werden müsse. »Sie, mein lieber Adalbert«, schrieb er an Chamisso, »können füglich noch nicht heirathen. Zum Heirathen gehört nämlich hauptsächlich, daß man dem Götzendienst nicht anhängt, und dem sind Sie noch sehr ergeben. Jede reine Seele durchlebt die Periode der Ideale, indessen behält dennoch Gottes Gebot: du sollst keine anderen Götter haben neben mir, seine unumstößliche Kraft.« Hier ist es am deutlichsten ausgesprochen, daß die Kunst im Leben des Einzelnen, wie natürlich im Leben der Menschheit, nur eine Episode sei, ein Behelf der Suchenden gewissermaßen und Unreifen, die die Wahrheit noch nicht fassen können.

Brentano empfand nach seiner Bekehrung Ekel vor seinen Schriften. Als er zum ersten Male etwas von E. T. A. Hoffmann las, war sein erstes Gefühl Ueberraschung und Bewunderung; er sagte sich wohl, daß er selbst dergleichen hätte schaffen mögen, es aber nicht vermocht hätte. Kam nun Eifersucht und Unbehagen hinzu, oder war es seine ernstliche Meinung, kurz, er schrieb an Hoffmann, eine solche Kunst, die den Dichter selbst und nicht nur Gott spiegle, flöße Grauen ein.

Bei Brentano und Werner liegt es auf der Hand, daß der krankhaft übermäßige Kultus des Ich, den sie in ihren Dichtungen getrieben – Brentano sagte selbst, alle seine Schriften seien Bekenntnisse, und der Gegenstand seines Nachdenkens sei immer nur er selbst gewesen – ihnen diesen Widerwillen erregte und sie als einzig würdige Kunst eine religiöse begreifen läßt, wo sich das Ich in Gott verliert. Es war die einzige, die sie außer ihrer subjektiven ausüben konnten: etwa wie schwache Menschen nur Säufer oder geschworene Antialkoholiker sein können.

Merkwürdiger noch ist der Ausspruch des jungen Malers Runge, er möchte, es sei nicht nöthig, daß er die Kunst treibe, »denn wir sollen über die Kunst hinaus, und man wird sie in der Ewigkeit nicht kennen.« Ihm war die Kunst ein Mittel sich zu äußern; wären nun die Seelen durch den schweren Vorhang des Körpers nicht gehindert, sich unmittelbar mitzutheilen, so bedürften sie der Kunst nicht mehr. Es würde dasselbe bedeuten, sagte man anstatt dessen, wer sich völlig darleben könnte, hätte das Mittel der Kunst nicht nöthig.

Man sieht, wie die subjektiven Künstler dahin kommen, ganz an der Kunst zu verzweifeln. Der Körper, der dem naiven Künstler, der die Welt der Objekte liebt und an sie glaubt, eine Lust ist, empfinden sie als Last und Behinderung. Nicht das Schaffen und Bilden an sich ist ihre Sehnsucht, sondern sich darstellen; und daß diesem Bedürfniß die Kunst doch nicht ganz genug thut, hat sie der Schmerz der Erfahrung gelehrt.

Ergreifender hat keiner die Qual des vom Leben abgesonderten Romantikers geschildert, als der junge Wackenroder im Briefe Joseph Berglinger's des Musikers, an einen väterlichen Freund. Da spricht er von seinen »lüsternen Kunstfreuden«, die »im Keime vergiftet« sind. »Was bin ich? was soll ich, was thu ich auf der Welt? Was für ein böser Genius hat mich so von allen Menschen weit weg verschlagen, daß ich nicht weiß, wofür ich mich halten soll? daß meinem Auge ganz der Maßstab fehlt für die Welt, für das Leben und das menschliche Gemüth? daß ich nur immer auf dem Meere meiner inneren Zweifel mich herumwälze, und bald auf hoher Welle hoch über die anderen Menschen hinausgehoben werde, bald tief in den tiefsten Abgrund hinuntergestürzt?« Kaum hat ihn das Gefühl erhoben, wie göttlich die Kunst sei, gerade weil ohne Zweck und Nutzen, gerade weil sie »von keinem Rad des großen Räderwerks getrieben wird und keines wieder treibt«, so fliehen auf einmal die hohen Bilder seiner Phantasie von ihm fort in die Welt der anderen Menschen, die vielleicht gering von der Kunst denken und ihre edelsten Werke mit Füßen treten, aber mehr Gutes wirken und gottgefälliger leben als er. »Die Kunst ist eine verführerische, verbotene Frucht; wer einmal ihren innersten, süßesten Saft geschmeckt hat, der ist unwiderbringlich verloren für die thätige, lebendige Welt. Immer enger kriecht er in seinen selbsteigenen Genuß hinein, und seine Hand verliert ganz die Kraft, sich einem Nebenmenschen wirkend entgegenzustrecken. – Und wenn ich nun die Botschaften höre: wie unermüdet sich dicht um mich her die Geschichte der Menschenwelt mit tausend wichtigen, großen Dingen lebendig fortwälzt, wie da ein rastloses Wirken der Menschen gegen einander arbeitet, und jeder kleinen That in dem gedrängten Gewühl die Folgen, gut und böse, wie große Gespenster nahetreten – ach! und dann das Erschütterndste – wie die erfindungsreichen Heerschaaren des Elends dicht um mich herum, Tausende mit tausend verschiedenen Qualen in Krankheit, in Kummer und Noth, zerpeinigen, wie, auch außer den entsetzlichen Kriegen der Völker, der blutige Krieg des Unglücks überall auf dem ganzen Erdenrund wüthet und jeder Sekundenschlag ein scharfes Schwert ist, das hier und da blindlings Wunden haut und nicht müde wird, daß tausend Wesen erbarmenswürdig um Hülfe schreien! – Und mitten in diesem Getümmel bleib ich ruhig sitzen wie ein Kind auf seinem Kinderstuhle und blase Tonstücke wie Seifenblasen in die Luft: – obwohl mein Leben eben so ernsthaft mit dem Tode schließt.«

Das sei das Gift der Kunst, daß der Künstler ein Schauspieler würde, der jedes Leben als Rolle betrachte, seine Bühne für die Musterwelt, für den Kern, und das wirkliche Leben nur für die Schale, eine »elende, zusammengeflickte Nachahmung« ansehe.

Innerlich von Vollkommenheit zu träumen, anstatt lebend und handelnd nach Vollkommenheit zu ringen, Gott innerlich anzubeten, ohne das von ihm verliehene Leben auf sich zu nehmen und ihm dadurch zu dienen, das ist ganz besonders die Schwäche und der innerste Verzweiflungsgrund des romantischen Dichters. Wackenroder fühlte deutlich, daß auch Gottgläubigkeit und Verherrlichung Gottes den zweifelnden Künstler nicht rette, wenn sie ihn nicht zur Uebernahme der Aufgabe des Lebens mit dem Willen des Guten vermöge. Die ruhigeren, mehr harmonisch veranlagten Dichter und Denker der Romantik, die sich nicht bis zur Uebelkeit an der Kunst berauscht hatten, zweifeln nie an ihrer erhabenen Bedeutung, betrachteten sie aber nicht als Selbstzweck und wollten sie nicht vom handelnden Leben trennen.

Röschlaub, der naturphilosophische Mediciner, der Lehrer von Ringseis, unterschied die großen Künste Erziehung, Politik und Taktik von den schönen; den großen, meint er, nähere sich die Medicin. Ringseis fügt hinzu, die höchste Kunst sei ein wahrhaft christliches Leben, womit wir also zu dem vorher erwähnten Ausspruch Ritter's zurückkämen. An den Ausspruch Röschlaub's erinnert eine Ordnung der Künste, die Oken in seinem im Jahre 1809 erschienenen, Schelling und Steffens gewidmeten Lehrbuch der Naturphilosophie aufstellt: in der Dichtkunst, sagt er, vermählten sich alle Künste, in der Kriegskunst alle Wissenschaften und Künste; die Kriegskunst sei die höchste, erhabenste, göttliche Kunst; der Held sei der höchste Mensch, der Gott der Menschheit, Gott. »Der Sieger ist nicht der Held, der Held aber ist der Sieger.« Diese Aeußerung ist zweifelsohne beeinflußt durch den Drang der Zeit, welche handelnde Männer, Helden forderte. Bedeutsam ist es nichts desto weniger, daß hinter den Taugenichtsen und Guitarrenspielern der romantischen Novellistik doch das Ideal des Helden, des Genies der Moral, steht. Die Darstellung versuchte sich sogar an ihm; aber die Recken Fouqué's haben das Blut ihres Schöpfers in den Adern – »ein guter Ordinari Gesellschaftsknaster, der immer lacht«, und den im besten Mannesalter ein Rückenmarksschlag traf.

Ein Mann, der heroisch an seiner Selbstveredelung arbeitete, Passavant, sah in der Ausbildung des Willens und der Erziehung zum handelnden Leben die Aufgabe der Zukunft. »Die vorzüglichsten Menschen, die ich kannte, ruhten am Ende ihres Lebens in dem Glauben an die Gemeinschaft der Heiligen, aber es war eine Ruhe, die einem thätigen Leben folgte.« Ueberall finden wir Hindeutungen auf eine Zukunft, die die Einseitigkeiten der Gegenwart ausgleichen soll.

Ein einigermaaßen zusammenhängendes Bild erwünschter künftiger Lebensverhältnisse fand ich in dem Büchlein »Religion, Wissenschaft, Kunst und Staat in ihren gegenseitigen Verhältnissen betrachtet«, 1819 erschienen und von Joh. Jak. Wagner verfaßt, einem Schriftsteller, der, ein Zeitgenosse der Romantiker und Naturphilosophen, sehr von ihnen beeinflußt war. Die Produkte des Heidenthums, sagt er dort, seien Wissenschaft und Kunst; die jüdisch-christliche Idee, welche die Propheten verkündeten, sei die des Reiches Gottes, nämlich einer Universalkultur und Universalmonarchie, welche herzustellen der Menschheit noch obliege. Die ungeheure Ungleichheit des Kulturstandes mache zunächst das Bestehen einer Universalkirche unmöglich: »eine gottverehrende Gemeinde ist eine Gesammtheit, in welcher alle Einzelnen ihren Gegensatz aufgeben und zusammenfließen. Dazu muß der Kulturstand gleich sein. Darum hatte der Kultus des Mittelalters so viel Feuer und Kraft.« Solange die Ungleichheit der Kultur unter den Menschen dauere, müsse der Privatkultus freigegeben werden. Der Kultus sei aber nichts anderes als die Gesammtheit aller Künste in ihrer höchsten Bedeutung, eine allseitige Symbolisirung des Göttlichen durch die Künste. Predigt solle ausgeschlossen sein; Musik, Malerei, Plastik und Dichtkunst im Verein müßten den Kultus bilden, in welchem das ganze Leben religiös begriffen und zur Anschauung gebracht werden müsse. Auch Erwin Speckter sah im harmonischen Zusammenwirken aller Künste das Ideal, und Eichendorff drückt dasselbe in den Worten aus, alle einzelnen Künste seien Arabesken am Dorne der Kirche.

Als poetische Aufgaben, »an welche der Kunstinstinkt bisher in seinen Launen noch nicht gekommen ist«, nennt Wagner die Stufen der Natur, des Gewerbelebens, das öffentliche Leben, die Stände und dergleichen, Gegenstände, die jetzt erst – nämlich nachdem die Kunst auf der mit Wissenschaft verbundenen Religion beruht – in ihrer Idee erkannt werden. Da der Staat »mit der allgemeinen Form des Weltgesetzes in Einklang gebracht ist«, gehört er nicht mehr zu den mechanischen, autipoetischen Dingen. »Der Unterschied zwischen innerem oder Moralgesetz und äußerem oder politischem Gesetz muß wegfallen.« Uebrigens sei der Staat relativer Natur und die vollendete Existenz des Menschen nicht in ihm zu suchen. Man solle die Menschen durch humane und liberale Behandlung womöglich aus der Herrschaft des Gesetzes in die Freiheit des eigenen Gewissens retten.

Die nächste Aufgabe der Menschen wäre demnach die Gründung von Mittelpunkten der Kultur, als welche, wie ich schon sagte, Wagner Akademieen vorschlug, die gewissermaaßen an die Stelle des alten Priesterthums treten sollten. Das Zusammenschließen in Gemeinschaften, welches die Romantiker von vornherein charakterisirt, gehört denn auch gewiß zu ihren bedeutungsvollsten Bestrebungen. Noch einmal erinnere ich an den warmen Eifer Friedrich Schlegel's für die Gründung einer Hanse, an seine Vorliebe für das óõìöéëïëïãå?í êá? óõíåíèïõóéÜîåéí. Diese Verbrüderungen lösten sich immer wieder auf und wurden doch immer von neuem angestrebt. Brentano plante eine Verbindung mit poesiefördernden Zweck, an deren Spitze Tieck stehen sollte. Werner hätte allen poetischen Lorbeer hingegeben, um Stifter einer religiösen Sekte zu sein. Bücherschreiben sei weniger wichtig; als Schriftsteller, Leser und Kritiker suche er nur verwandte Seelen. Zweck des zu gründenden Bundes sollte sein, die Menschen zu erwärmen und zu vergöttlichen. Er wie Brentano flüchteten sich schließlich in die Gemeinschaft der katholischen Kirche, ja Werner dachte gegen das Ende des Lebens noch daran, in einen Orden einzutreten. Doch unterließ er es im letzten Augenblick: »denn sonnenklar ist es mir geworden, daß das Christenthum unmöglich etwas ist, als der alles Wahre, Gute und Schöne krönende Culminationspunkt der durch die Gottheit gereinigten Menschheit.«

Der schweizerische Naturphilosoph Troxler warf die Fragen auf, welches das Ziel der Entwickelung des Geistes, und welches das der Entwickelung des Seins sei, und antwortete auf die erste: Lebensweisheit, nämlich Vollendung von Wissenschaft und Geschichte; auf die zweite: Lebensgenuß, nämlich Durchdringung von Kunst und Ethik. Von allen Seiten deutet es darauf, daß auch die Kunst dem großen Zweck, gottähnliche Menschen zu bilden, sich nicht entziehen dürfe. Kaum wird jemals eine Romantik, welche die Kunst vom Leben ablösen, wie eine selige Luftinsel darüber schweben will, lange gedeihen. Je mehr sie Kraft hat, desto besser wird es ihr gelingen, das Innere mit dem Aeußeren zu verbinden, in das große Räderwerk einzugreifen, ohne der Zweckmäßigkeit ihre Schönheit, ohne der Berechnung ihre Mysterien aufzuopfern.

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