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Die romantische Zahl.

Novalis schon, der fast ein jedes Thema angab, über welches die Romantik sich später erging, dichtete einen Hymnus auf die Mathematik, diese Wissenschaft, die den meisten Menschen als die eigentlich unpoetische, jedenfalls unromantische erscheinen mag. Wie nun aber die Romantik immer die entgegengesetzten Pole zu verbinden strebte, so wollte sie die Mathematik, scheinbar die weitgehendste Abstraction, das Leerste, das ganz Seelenlose, mit der größesten Fülle, mit der Seele selber, der Religion, verbinden.

Wir begegnen in den Werken der Romantiker häufig einer Zeitgröße und einer Raumform als Innerstes, worauf eine Welterscheinung zurückgeführt wird; nämlich die Dreieinheit und die Ellipse. Die Dreieinheit hängt auf's Engste zusammen mit der naturphilosophischen Lehre von der Polarität, als von zwei sich wechselseitig voraussetzenden Gegensätzen, die in einem Dritten, das ohne diese Gegensätze nicht wäre, eine innere Einheit bilden.

Malfatti definirt die Polarität als einen von der Unität ausgegangenen genetischen Dualismus; man könnte das die Formel der romantischen Weltanschauung nennen, die sich geometrisch ausdrücken ließe durch den Kreis-, das Zeichen der Einheit, und die Ellipse, das Zeichen der Zweiheit, eine nicht absolute Form, die bestimmt ist, sich wieder zum Kreise auszugleichen, der nichts anderes ist, als eine Ellipse, deren Brennpunkte sich decken. In der Sprache Jakob Böhme's heißt das Dritte, in welchem die Polaritäten sich immer wieder auszugleichen suchen, der Ternar, wonach zum Beispiel der Ternar von Mann und Weib das Kind wäre.

Die Einheit der Dualität oder das Bestreben der Polaritäten, sich in einem Dritten auszugleichen, findet sich außer in der auf Geschlechtstrennung beruhenden Gattung auch im einzelnen Menschen, der den Gegensatz von Mann und Weib in sich vereinigt, in der Seele, die Geist und Leib zu einem Ganzen zusammenfaßt, vor allem in Gott, der Gott Vater, Gott Sohn und Gott Geist zugleich ist. Während die Materialisten und Atheisten gerade oft das Dogma der Dreieinigkeit herausgreifen, um die Absurdität der Religionslehren darzuthun, sahen die Romantiker es als das tiefste Mysterium des christlichen Glaubens, ja als sein wesentliches Merkmal an. Eine alte kirchliche Begriffsbestimmung des katholischen Glaubens lautete: fides catholica haec est ut unum deum in trinitate et in trinitatem in unitate veneremur. Die Dreieinheit liegt als Maaß in allen Verhältnissen der Natur und in allen Formen des Denkens, nach ihr gliedert sich das Weltall und sie ist der Punkt, wo alle Wissenschaften und alle Glaubenslehren zusammentreffen müssen.

Die Frage, wie der Mensch dazu gekommen ist zu zählen, ließe sich demnach so beantworten, daß er zählt, weil Gott zählt, vielmehr weil Gott Zahl ist, und wie Gott zählt. Mit der Ueberlieferung, nach welcher die Menschen an den zehn Fingern das Zählen gelernt hätten, stimmte die Thatsache überein, die man beobachtet haben wollte, daß alle Völker, auch solche verschiedenen Ursprungs, nach dem Decimalsystem zählten.

Ich fand die romantische Anschauungsweise der Zahl in zwei Werken behandelt: in Wilhelm Butte's, eines Professors in Landshut, Grundlinien einer Arithmetik des menschlichen Lebens und in Malfatti's Studien über Anarchie und Hierarchie des Wissens, von denen das Erstere um 1811, das Letztere erst 1845 erschien.

Butte nennt die Zahlen Schatten, getödtete Zahlen, hinter denen ewige und lebendige stehen; die todten, die wir einzig kennten, hätten eine rein mathematische Bedeutung, während die lebendigen von einst auch eine pyhsikalisch-philosophische gehabt hätten, die im Laufe der Zeiten verloren gegangen sei. Bruchstücke der uralten Kenntniß seien aus der alten Welt auf uns gekommen, so der Ausspruch des Pythagoras, daß das Weltall aus Zahlen bestehe, die herkömmliche Unterscheidung der geraden und ungeraden Zahlen als männliche und weibliche, der volksthümliche Glaube an heilbringende und verderbliche Zahlen; das alles wären Trümmer untergegangener, räthselhafter Weisheit. Die Zeit ihrer Wiederbelebung, glaubte Butte, sei nicht ferne, die Zeit des Novalis hänge mit der des Pythagoras zusammen. »Wenn die Mathematik ihre ganze Bahn der Entfernung vom Leben durchlaufen hat, wird sie zur Physik zurückkehren und sich mit ihr begegnen, die zuletzt keine qualitativen Verhältnisse mehr kennen wird, als welche sich in quantitative auflösen lassen.« Andere Stimmen ließen sich in ähnlichem Sinne vernehmen, so daß die Ansicht, die mystische Bedeutung der Mathematik ginge neuer Enthüllung entgegen, berechtigt erschien. So sprach Joh. Jak. Wagner die Meinung aus, die Wissenschaft müsse das in der Mathematik enthaltene Weltgesetz wiederfinden und die Religion müsse auf Mathematik zurückgeführt werden. Eschenmayer sagte mit Hinblick auf des Pythagoras »großen Gedanken«, – Malfatti nannte ihn kolossalisch, – daß die Gestaltung des Universums im Zahlensystem verhüllt liege, jedem Dinge in der Welt sei eine Zahl einverleibt, und könne der Mensch die Zahlen der Dinge erforschen, so würde er auch ihre Eigenschaften erkennen, und die Natur würde sich ihm in ihrem innersten Wesen enthüllen.

Von einigen Dingen nun nannte uralte Ueberlieferung die einverleibte Zahl: 5 galt als die facultas animae vivendi, als die Hieroglyphe der Pflanze, 7 als die des Thieres, 9 als die des Menschen und in's Besondere des Mannes, während das Wesen des Weibes ebenfalls durch die 7 ausgedrückt ist – womit die volksthümliche Bezeichnung einer zänkischen Frau als böse Sieben in merkwürdiger Uebereinstimmung ist. Butte machte, von solchen Grundsätzen und dem Urmaaß der Dreieinigkeit ausgehend, den Versuch, für den Verlauf des menschlichen Lebens eine Zahlenreihe zu finden, die, da der Mensch ein verkleinertes Abbild der Menschheit und ein Theil des Erdorganismus sei, auch in Bezug auf die Menschheit und die Erde gelten müsse, deren Alter sich danach berechnen ließe.

Nie wird der Zusammenhang des Weltalls so deutlich, als wenn man sich die Gültigkeit der Zahlensymbole für alle menschlichen, natürlichen, göttlichen Verhältnisse vorstellt. Von hier aus fällt Licht auf die verrufene Astrologie, welche im Grunde nichts war als ein Versuch, die Zahlenverhältnisse des Weltalls auf die des menschlichen Lebens zu übertragen. Den Satz des Hyppokrates, daß keiner ein guter Arzt sein könne, der nicht ein guter Astronom sei, glaubten die Romantiker wohl mit Recht als Beweis für die in der alten Welt herrschende Voraussetzung betrachten zu dürfen, »daß die Pulse des Lebens in den Pulsen des Menschen und in den Rotationen der Sphären zusammenhängend schlagen müssen.«

Der große dreitaktige Rhythmus des menschlichen Lebens, Jugend, Reise, Alter, schlägt durch die ganze Natur und verbindet die Seele innig mit den wechselnden Jahreszeiten. Nur hingedeutet wurde durch die Romantiker auf den Rhythmus, der in mannigfachen unbewußten Vorgängen wahrzunehmen sei: im Verlaufe der Krankheiten, im Pulsiren des Herzens, im Athmen, im Gang und in den Bewegungen, im Gesange der Vögel.

Dem Rhythmus der Lebenserscheinungen, der Arithmetik des Lebens, steht die Geometrie des Lebens, der Typus der Erscheinungen gegenüber. »Das Beseelende spricht sich rhythmisch in Zahlen, das Beseelte typisch in Formen aus.« Auf das Wundervollste thaten die Chladni'schen Klangfiguren den Uebergang von Rhythmus in Typus dar und machten es dem Gläubigen anschaulich, wie jedem Dinge sowohl ein Rhythmus, eine Musik, wie eine Figur zu Grunde liege. So gut wie Oken sagte: was tönt gibt seinen Geist kund, wäre zu sagen: was tönt gibt seine Zahl kund. Die früh von der Romantik gefundene Gleichsetzung von Architektur und Musik wäre demnach darauf zurückzuführen, daß Musik der unmittelbare Ausdruck der Mathematik-Religion sei, und könnten wir in das Innerste des Menschen und des ganzen Weltalls vordringen, so müßte uns die Musik der Sphären sowohl, wie die zauberhaften Zeichen des Makrokosmus und Mikrokosmus aufgehen.

Malfatti gründete sein kleines, schwieriges Werk auf das Studium der durch die Romantik entdeckten Urkunden der alten Inder, von denen ja auch die sogenannten arabischen Ziffern ausgegangen sind, und die er im Besitz einer göttlichen Ur- und All-Wissenschaft, der Mathesis, glaubte. Dieses »mystische Organon« wurde entzweit in Mathematik und Metaphysik, die, der lebendigen Mitte verlustig, uns gewissermaaßen Steine statt Brod reichen, uns nie das Ganze anschauen lassen, sondern Bruchstücke liefern, die wir zusammensetzen müssen.

Vor jeder Zahl, den neutralen Punkt zwischen Mathematik und Metaphysik bezeichnend, steht die Zero oder Null, eigentlich Nichts und Alles bedeutend, die Form der reinen Ellipse, deren Entwickelung in Zeit und Raum die mathematischen Zahlen sind. Das, was man den metaphysischen Inhalt der Zahlensymbole nennen könnte, ist die Offenbarung des Gottes, des Brahm, der sich erstlich als Dreieinigkeit, Trimurti, und zweitens in sieben göttlichen Mächten offenbart, womit die Dekas abgeschlossen ist. Die Zahl-Bilder selbst sind abgekürzte geometrische Formen aus Symbolen der Götter oder des Weltlebens.

Es ergeben sich eine arithmetische und eine geometrische Grund-Größe: die Dreieinigkeit und die Ellipse. Die Dreieinigkeit, Gottes erste Offenbarung, ist »die metaphysische Evidenz, die allgemeine Form des Daseins, der Stempel der Gottheit.« Die Ellipse ist »die Grundhieroglyphe der hierarchischen Mathesis, nicht bloß eine menschliche, sondern eine Welthieroglyphe«, die Hieroglyphe der Schöpfung. »In der Erscheinung drückt sich das Geheimniß des Lebens als Dreieinigkeit aus, in der Existenz das Wunder des Lebens als Ellipse.« Während der Kreis den Indern das Symbol des vorgenetischen Lebens, des in sich ruhenden Gottes war, war die Ellipse das Symbol des Weltlebens, das werdend ist. Wo immer Leben, Werden, Bewegung ist, da finden wir elliptische Form und elliptische Bahn: stellt sich doch das Sonnensystem selbst, das »nach dem großen Gesetz der Einheit vor den Augen der Sterblichen sich hinwälzt«, in elliptischer Form dar. Wie die beiden Brennpunkte der Ellipse, stehen sich Mann und Weib, ewig bestrebt, sich zu vereinigen und auszugleichen, stehen sich Kopf und Herz, Denken und Leiben – nach einem von Baader aus Jakob Böhme übernommenem Ausdruck – gegenüber. Wo Leben ist, ist ewig dieser Streit und diese Liebe, und wo Leben erscheint, erscheint die Form des Eies, von der Zelle an, deren stete Wiederholung den Körper bildet, bis zu der Blüthe des Körpers, dem Gehirn. Der menschliche Leib läßt sich, nach Ennemoser, als aufrechtes Ellipsoid auffassen, wo Kopf und Becken die Brennpunkte bilden, und der Naturforscher Cassel bemerkt, daß die Urformen Kreis und Ellipse in allen Organismen und Organen durchschimmern, und zwar um so deutlicher, auf je niederer Stufe der Entwickelung sie sich befanden.

Die Kreisform steht der Ellipse einmal als die Erscheinung des Ursprünglichen, sodann als die des Vollkommenen gegenüber, demgemäß, daß der Kreis den Ursprung und das Ziel des Lebens bedeutet. So ist das Kindesgesicht rundlich und geht allmählig, wachsend und alternd, in's Oval über, wie überhaupt der Kreis das Symbol des unbewußten und ungeschlechtlichen Kindeslebens ist; aber auch den Genius zeichnet unbewußtes Schaffen und möglichst geringes Entbranntsein im Geschlecht aus, weshalb man wohl von der Kindlichkeit des Genius spricht.

Auch in Bezug auf diese Dinge schöpften die Romantiker Belehrung aus dem Somnambulismus. Man beobachtete nämlich, daß Personen im Zustande des Hellsehens ein eigenes Zeitmaaß hätten, das mit uralten Zahlensystemen Aehnlichkeit haben sollte. Ueberhaupt verglich man die Somnambulen mit den alten, namentlich den morgenländischen Völkern und schrieb ihnen den sogenannten All- oder Gemeinsinn zu, dessen Eigenheit es sein sollte, die Welt in Zahlen und Figuren anzuschauen. Durfte man den hellseherischen Zustand als ein Bild der Zukunft, gewissermaaßen als ein Vermögen des Uebermenschen ansehen, so wäre verbürgt, daß die verlorene Wissenschaft der Religion-Mathematik dereinst wieder in den Besitz der geläuterten Menschheit gelangen würde.

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