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Brentano.

Die eigenthümliche Anlage, die ich den romantischen Charakter nannte, wie sie an Tieck, dem Dichter der ersten Romantiker, sich typisch zeigt, tritt in ihrer Besonderheit bis zum Aeußersten verstärkt, in den Geschwistern Brentano, namentlich Clemens und Bettine, hervor. Dies wird so allgemein empfunden, daß die Namen Brentano und Romantik im allgemeinen dieselben Vorstellungen erregen, Romantik nämlich im Sinne des Reizvollen, des Unfertigen und Selbstzerstörerischen, das zu ihrem Wesen gehört.

Als die wesentliche Eigenschaft des Brentano'schen Charakters, der die letzten Stadien der Romantik überhaupt begleitet, möchte ich Mangel an Receptivität, wie an Aufnahmefähigkeit oder Fassungskraft bezeichnen. Nicht nur als Kaufmannslehrling, wo die Abneigung gegen den Beruf ihn entschuldigen konnte, auch als Student hat Clemens niemals irgend etwas gründlich gelernt oder in sich aufgenommen.

In Jena pflegte Mittags um 12 Uhr der Marktplatz von Studenten erfüllt zu sein, die so lebhaft mit einander redeten, daß man hätte denken können, ein Auflauf oder sonst etwas besonderes sei im Werke; der Kundige wußte, daß um diese Zeit Schelling sein Colleg über Naturphilosophie las. Clemens war einer der wenigen, die es nicht besuchten, und wenn er je einmal an der Unterhaltung über einen solchen Gegenstand, der damals alle die jungen Köpfe leidenschaftlich erregte, theilnahm, war es nur, um ihn zum Ausgangspunkt seiner Witzeleien zu benützen Bei aller Hochschätzung der Bildung, über die er unvergleichlich schön und wahr zu sprechen wußte, blieb er sein Leben lang eigentlich ungebildet, weil er sich nicht entschließen konnte, etwas gründlich zu lernen. Bald schämte er sich dessen, bald prahlte er damit, und wo ihm nicht ein genialer, überlegener Geist entgegentrat, rächte er sich gern durch Witz und Hohn an der Gelehrsamkeit, der er sich nicht hatte bemächtigen können. Wenn er in späteren Jahren sagte, ein Tropfen Weihwasser, den ein altes Mütterchen im frommem Glauben beim Eintritt in die Kirche nehme, sei ihm lieber als die ganze Schelling'sche Philosophie, so klang darin, neben der neu errungenen katholischen Geistesdemuth der alte gehässige Neid auf Bildung und Wissen nach. Je älter er wurde, desto klarer sah er ein, was ihm fehlte. »Ich armer Teufel« schrieb er einmal an Görres, »fühle jetzt mehr als sonst, daß ich ohne Logik und Fassung, voll Einfälle bin, die oft nicht Stich halten, aber stechen (Hund voll Flöhe).« Aber auch schon in früher Jugend, wenn er auch nicht an sich selbst arbeitete, suchte er doch die jüngere Schwester Bettine, an der er mit Schrecken dieselbe Art erkannte, auf die Gefahren derselben aufmerksam zu machen.

Bettine, die viel mehr Selbstbewußtsein hatte als ihr Bruder, empfand vieles als Reiz und Kraft an sich, was ihm mehr zur Pein und zum Selbstvorwurf wurde. Wenn sie sagt, sie könne sich keiner gründlichen Beschäftigung hingeben, weil es sie bald hierhin, bald dorthin locke, weil es bald vor, bald hinter ihr flüstre und Stimmen in der Luft durcheinander gingen, die sie riefen, war sie augenscheinlich stolz auf diese allerdings nur feineren Naturen eigene Reizbarkeit. Mitunter aber brachen ihre Klagen über die innerliche Zerstreutheit rührend hervor.

»Eben weil kein Bestand in mir ist« schrieb sie an Clemens, »weil ich von so manchem ein profundes Gefühl habe und dennoch ein Spielball der Zerstreuung bin, die ganz gehaltlos ist, das fühl' ich, das quält mich, davon möcht ich gesunden und weiß nicht wie.« Namentlich vor den klaren, ruhigen Augen der Günderode, die ihr bis auf den Grund sahen, wagte sie ihre Gaukeleien seltener und gab zu: »Du hast Recht, ein muthwilliger Wind jagt meine Gedanken wie Spreu aus einander, ich werde fortgerissen von einem zum andern von meiner Zerstreutheit, dann ist's so nüchtern in mir und beschämend öde, wenn ich mich sammeln will.« Wollten aber die guten, redlich meinenden Freunde ihr helfen zu gesunden, wonach sie selbst verlangte, empörte sich bald die Eitelkeit, bald die Trägheit dagegen. Plötzlich von der Angst erfaßt, Bettine möchte nie »zu sich selbst kommen«, verbündete sich Clemens mit der Günderode, um sie zur Besonnenheit zu bringen.

Das Mittel, das sie ihr zu diesem Zweck immer wieder anriethen, war Arbeit, den Geist sammeln und fest auf einen Gegenstand richten, wie um ihm dadurch Gelegenheit zu geben, sich zu verdichten. Von jeher hatten wohlmeinende Leute in dieser Richtung auf sie einzuwirken versucht. Ihre Großmutter, die alte Frau de la Roche, stammte aus einer Zeit, wo man dem bewußt wollenden Geiste alles zutraute und die ganze Bildung aus ihn stellte. Sie richtete auch jetzt noch ein aufmerksames Auge in die Außenwelt verfolgte die Zeitereignisse und wirkte in ihrer Art an der Kulturarbeit mit, indem sie zum Beispiel Musterkartoffeln züchtete, wozu ihr von allen Enden der Welt Proben geschickt wurden und über deren Ertrag genau Buch geführt wurde. Bettine hörte zwar gern zu, wenn die Großmutter von der französischen Revolution sprach, was die Phantasie angenehm erregte, ohne den Verstand anzustrengen, als aber die alte Dame von ihr verlangte, sie möchte Latein lernen, widersetzte sie sich. Trotz alles Zuredens blieb sie dabei, sie könne sich's nicht zu leid thun: »ich habe ja nicht eine Vernunft, der ich folge, ich bin ja ein elektrischer Funke und in's Latein kann ich nicht hineinfahren.« Schiller's Aesthetik, die ein Freund der Großmutter ihr gab, damit sie ihren Geist bilde, schleuderte sie erschrocken von sich im Gefühl, es möchte ihr schaden. Flehentlich beinah erhob Clemens seine Stimme in dem Chor der Warner. »Sei fleißig« schrieb er, »und mache, daß dir das bürgerlich Mechanische im Leben nicht verächtlich wird, es ist die Quelle von viel Geistigem.« Die Zeit solle ihr getheilt in unschuldigem Genuß und ernstem, seelenvollen Geschäft hingehen; sie solle ein recht lebendiges Interesse an allen Dingen fassen und in das, was sie lerne, tief eindringen, nicht oberflächlich sein; er klagt bitterlich, daß auf das gerührte Gefühl des Erwecktseins in ihr keine Arbeit, kein Streben folge: »ach lerne, arbeite, was es auch sei!« Dergleichen Zumuthungen verlachte Bettine entweder als eine »große Philosterglosse«, oder sie sprach in ein paar hübschen Bildern von ihrer elementaren Unbändigkeit und Naturwildheit, daß Clemens überwältigt ausrief: »ach, was brauchst du zu lernen, wenn du so lieb bist beim Nichtlernen!« oder sie wies ihn mit solcher Härte zurück, daß er für eine Weile verstummte. Der Günderode gegenüber halfen ihr alle Ausflüchte nichts, denn diese, anstatt sich blenden zu lassen, entgegnete, sie könne nicht genug der Lügen aufbringen, um ihre phantastischen Abweichungen zu unterstützen Die Günderode setzte es denn auch durch, daß Bettine Geschichtsunterricht nahm, ein Studium, das ja für Menschen, die phantasievoll, aber zu strenger, logischer Denkarbeit nicht geneigt sind, in der Regel anziehend ist. Es scheint, daß der Lehrer, den Bettine so launig und treffend zu parodiren wußte, seiner Aufgabe in der That nicht gewachsen war; andrerseits kann man seine Forderung, der freie aufgeweckte Mensch solle mit vollem Interesse dabei sein, nur berechtigt finden und begreift, daß er es mit ihr nicht aushalten konnte, die eben noch nicht ganz aufgewacht war und es auch durchaus nicht sein wollte. Karoline lächelte zwar darüber, daß es Bettine vorkam, wenn der Lehrer seinen Mund aufthat, als sähe sie in einen unabsehbaren Schlund, der die Mammuthsknochen der Vergangenheit ausspiee, aber sie ermahnte die Freundin doch ernstlich, noch eine Weile anzuharren, ja versuchte sogar ihr brieflich den Stoff interessanter zu machen, indem sie ihn mit allgemeinen Anschauungen und Folgerungen belebte. Als Bettine, um nur der Geschichte zu entgehen, sich mit phantastischer Begeisterung auf den Contrapunkt warf, ließ die Günderode sich durch den »enharmonischen Schwindel«, den Bettine ihr vorzauberte, keineswegs blenden, sondern schrieb ihr: »Wenn's nur nicht bald einmal aus sein wird mit der Musik wie mit dem Sprachstudium, und dies alles als erstarrte Grille in dein Dasein hineinragt, wo du vor Hochmuth nicht mehr auf ebenem Boden wirst gehen können, ohne jeden Augenblick einen Purzelbaum wider Willen zu machen.« Man muß an diese Weissagung denken, wenn Jahre später Clemens, nachdem er sie als Frau v. Arnim in Berlin besucht hatte, von ihrem »heftigen Kunsttreiben« erzählt, wie sie mit »stetem Reden, Singen, Urtheilen, Scherzen, Fühlen, Helfen, Bilden, Zeichnen, Modelliren alles in Beschlag nehme und in Taschenspielerfertigkeit sich alle und jede platte Umgebung zurecht gewaltthätige, um das Gemeine als Modell zum Höheren in irgend einen Akt zu stellen und das Ungemeine sich gesellig bequem zu machen, das alles aus einem geheimen Hintergrund des Nichtgenügenden.«

Später. als sie schon über zwanzig Jahre alt war, wollte Tieck sie einmal Englisch lehren, wurde dabei aber ungeduldig über ihre absurden Fragen und daß sie nie die Antwort verstehe. »Ich auch bin verwundert; denn ich hab' mit den Leuten geglaubt, ich sei sehr klug, wo nicht gar ein Genie, und nun stoße ich auf solche Untiefen, wo gar kein Grund zu erfassen ist, nämlich der Lerngrund, und ich muß erstaunt bekennen, daß ich in meinem Leben nichts gelernt habe.« Man hört durchklingen, daß sie das doch eigentlich für ein Zeichen von Genialität ansieht, ganz im Gegensatz zu den älteren Romantikern, die in der Ausbildung der genialen Anlagen einen wesentlichen Theil der Künstlerschaft sahen.

Ebenso sanft, schön und klug wie die Günderode Bettine zu erziehen suchte, mahnte später Sophie Mereau Clemens: »Gebrauchen Sie die einfachsten, natürlichen Mittel, den Dämon namenloser Unruhe zu verbannen, der in Ihnen, nicht außer Ihnen wohnt. Sie haben viel Talente; aber viel Talente ohne Willenskraft gleichen einem zarten, blüthenbeladenen Zweig ohne Stütze, den seine Zierde selbst nur tiefer herabzieht. Suchen Sie durch einfache Beschäftigung, Arbeit, körperliche Anstrengung ruhiger zu werden; aber ernstlich und ausdauernd.« Es handelte sich bei beiden Geschwistern aber weit weniger um Nichtwollen als Nichtkönnen. »Wenn ich nur Fassungskraft habe« ruft Bettine aus, »denn gewiß, Feuer hab ich!« Wollte doch Arnim scherzweise die ganze Familie Brentano aus der Verbindung von Feuer und Magnetismus construiren. Bettine läßt sich häufig über ihr Nichtlernenkönnen aus; den inneren Genius fragen und von ihm die Antwort erwarten, das war nach ihrer Ansicht die einzige Art etwas Wissenswürdiges zu erfahren. In ein Gefäß, aus dem immerwährend etwas herausströmt, läßt sich eben nichts hineingießen Nicht einmal zuhören konnten sie; wenn Savigny im Familienkreise vorlas, konnte Bettine es nicht lassen, obwohl sie wußte, daß es ihn ärgerte, ihre Unaufmerksamkeit nicht sowohl zu verrathen als möglichst zur Schau zu tragen, und wenn Savigny von Clemens sagte, er schließe seine Freunde mehr zu als daß er sie sich öffne, beruht das auf dem Gefühl, daß sie sich des Andrangs seiner Mittheilung beständig zu erwehren hatten, nie aber bei ihm einen Zugang für die ihrige fanden. Infolgedessen war es schwer, ein eigentliches Gespräch mit ihnen zu führen. »Ich kann aber nicht disputiren« sagte Bettine, als ihr hochmüthige Ungeduld in der Unterhaltung vorgeworfen wurde, »ich muß mich nur todtärgern, bis der Kerl fertig ist, wo ich gleich bei der ersten hölzernen Redensart als schon außer mir komme, ich kann auf nichts acht geben.« Ebenso sagte Clemens von sich, daß er im Gespräch eine Neigung habe, aus Ungeduld bizarr zu werden.

Beide, wenn sie nicht glänzen und stark auf andere wirken konnten, verstummten gänzlich, wie Bettine auf dem Balle, wo sie nicht sogleich genügend beachtet wurde und den sie infolgedessen von Anfang bis zu Ende verschlief.

Denken, das war die einzige Geistesarbeit, die sie gern leisteten, im Denken fühlten sie sich recht eigentlich heimisch. Clemens nannte es die Heimath der Seele, ein Schöpfen aus dem Quell des Vertrauens und der Weisheit in der Region des innersten Daseins, die einzige Vermittlung mit dem Göttlichen. »Es stellt sich gleich einer Säulenreihe um dich auf und ein Tempel wölbt sich über dir und dein Gedanke durchduftet ihn.« Woraus Bettine ebenso schön antwortet: »Denken beseelt, alle Wesen färben sich im Gedankenlichte. Und wäre Denken nicht, so würde kein Wesen mehr beseelt sein, und die Schöpfung würde stumm in sich versinken.«

Aber handelte es sich bei ihnen um eigentliches Denken? Da doch eine Verwandte Bettinen's Narrheit mit ihrem gänzlichen Mangel an historischem Sinn und an Logik beweisen wollte! Im Denken ist der Geist thätig, aber was jene beiden Denken nannten, war etwas leidendes: sie ließen eine Reihe von Vorstellungsbildern, die rastlos wie in einer Laterna magica einander folgten, an ihrem inneren Auge vorüberziehen und sich davon überwältigen. Das war so sehr der Fall, daß Bettine traurig wurde, als ihr Musiklehrer Hoffmann ihr sagte, sie werde des Komponirens schon Meister werden: ich mag nicht Meister werden, klagte sie, ich will mich bemeistern lassen von diesen Musikfluthen. »Du kommst mir immer vor«, schrieb ihr die Günderode, »als entlüden sich elektrische Wolken über deinem verschlafenen Haupt in die träge Lust, der Blitz fährt dir in die gesunkene Wimper, erhellt deinen eigenen Traum, durchkreuzt ihn mit Begeisterung, die du laut aussprichst, ohne zu wissen, was du sagst, und schläfst weiter. Ja, so ist's. Denn deine Neugierde müßte auf's höchste gespannt sein auf alles, was dir dein Genius sagt, trotzdem daß du ihn oft nicht zu verstehen wagst. Denn du bist feige – seine Eingebungen fordern dich auf zum Denken; das willst du nicht, du willst nicht geweckt sein, du willst schlafen.«

Clemens gestand in späteren Jahren selbst ein, daß er sein Leben lang beständig reflektirt habe, aber der Gegenstand seiner Reflexion sei immer nur er selbst gewesen.

Was als Denkschärfe bei ihnen erscheint, war mehr eine innerliche Sehschärfe; eine außerordentliche Stärke und Helligkeit des Bewußtseins. Bettine, die eine so feine Uebersetzerin der Natur in Geist war, von ihren zartesten Fühlfäden berührt wurde und die Berührung in menschlicher Sprache wiedergeben konnte, sagte, daß alle Menschen die Natur ebenso empfänden wie sie, der Unterschied sei nur, daß die andern es nicht wußten, während sie bewußt sei. Ein andermal verglich sie ihr Bewußtsein einem Gesange ihrer Seele, dem sie mit Vergnügen lausche oder sie faßte es als den Genius, mit dem sie Zwiesprache hielt. Das »Denken« strömt und drängt desto ungeberdiger heraus, wenn etwas ihm entgegen, hinein strebt. Man kann das Buch oder die Rede des andern nicht in sich aufnehmen, weil das erste Wort schon eine Menge von Einfällen erregt, die ihrerseits ausgesprochen und aufgenommen werden wollen.

Wir haben also überwiegenden Produktionstrieb, wie Schelling das ausdrückt, und welchen er mit einem Strome verglich, der, wenn ein Produkt entstehen solle, gehemmt werden müsse. Nur wer beides, produktiv und receptiv ist, kann ein schaffender Künstler sein. Bereits die ersten Romantiker klagten, wovon ich viele Beispiele gegeben habe, über das rastlose Strömen und Treiben in ihrem Innern. Mit dem klaren Bewußtsein ihrer inneren Zustände, das alle ihre Aeußerungen psychologisch so interessant macht, sah Bettine als ganz junges Mädchen ein, daß die Melancholie, an der sie oft litt, aus der Quelle des inneren Lebensdranges fließe, der sich nirgends ergießen könne.

Clemens braucht gelegentlich in einem Novellenfragment das Bild des Strahls, der keine Ruhe findet, bis er dem Spiegel begegnet, der ihn aufnimmt und zurückwirft, gewissermaßen zum Bewußtsein bringt.

»O du lieber Freund, wie sehr vermissest du ein Weib, das, gleich einem reinen Spiegel, dein herrliches Leben auffängt und dir wiedergiebt. Auch mir war es oft, ehe ich meine gute Hausfrau kannte, als wäre ich ganz vergebens da; ich floß gleichsam wie ein unendlicher Strahl, den nichts umarmt, ohne allen Widerstand in das weite Leben hinein, und wußte nichts von mir noch von der Welt. Nur ein undeutliches geheimes Sehnen regte sich in meiner Brust und setzte mich in die Empfindung eines Flüchtigen von Haus und Hof der Schöpfung, der nirgends einen Ruhepunkt findet. Als sie aber mit ihrem hellen Auge mich anblickte, da hatte sich der liebende Strahl in dem schönsten Spiegel des Lebens gebrochen und sank mit den buntesten, freundlichsten Farben der Natur in sich selbst zurück. Ich fühlte mich und wußte, daß ich lebte; ich konnte mich und die Welt erkennen, und es war aus mir ein schöner Stern hervorgestiegen, der ruhig, vom weiten blauen Himmel der Liebe herab, das Getümmel der Welt anblickte.« Daß die Liebe und nur die Liebe die im eigenen Organismus fehlende Sammlung ersetzen könne, wird als selbstverständlich gefühlt, wie auch die älteren Romantiker als den Zielpunkt aller aus dieser Quelle fließenden Leiden den Besitz eines Weibes hingestellt hatten, sei es in guten Treuen oder mit bitterer Ironie. Clemens und Bettine waren ihr Leben lang auf der Suche nach Ruhegebern und Beschwichtigern, wie verirrte Quellen rieselten sie drangvoll über Stock und Stein, einen See oder ein Meer zu finden, das sie aufnähme und in sich faßte.

Zuerst wendeten sie sich hilfesuchend gegen einander und gossen sich in Briefen einer gegen den andern aus, aber sie konnten sich wahre Befriedigung nur geben, solange sie mühsam eine willkürliche Täuschung über einander aufrecht hielten. Viel geeigneter fand Bettine ihre um einige Jahre ältere Freundin Karoline v. Günderode, die »mit der sanften Würde ihres dichterischen Standpunkts« ruhig gesammelt und freundlich gerecht auf alle Dinge um sich her sah und auch auf die junge Seele, die vor ihren Augen schimmernde Pfauenräder schlug, gern aufmerkte und sie bewunderte. Das vornehm zurückhaltende, zaghafte Mädchen mit der fließenden Gestalt und dem sanften, girrenden Lachen war der vollkommenste Gegensatz zu der kecken, knabenhaften, dunkeläugigen Bettine, die sich suchend und zuversichtlich den Menschen entgegendrängte. Harmonischer und der Ergänzung von außen weniger bedürfend, gab sie sich willig dazu her, Bettinen als Spiegel zu dienen; »ich bin zufrieden«, schrieb sie ihr, »daß du mich zum Kerbholz deiner heimlichen Seligkeiten machst; ich möchte dir immer stillhalten, so anmuthig fühle ich mich bemalt und beschrieben von deinen Erlebnissen.« Ihre eigenen Briefe hielt sie meist kurz, im Gefühl jedenfalls, daß ihre Aufgabe im Zuhören bestand; sie sind einem freundlichen Kopfnicken zu vergleichen, das anzeigt, man habe verstanden, und ermuntert fortzufahren.

Nach dem Tode der unglücklichen Günderode fand Bettine Ersatz in Goethe's Mutter, die sich schon durch ihr Alter vorzüglich zur Freundin für sie eignete.

Goethe's Mutter, eine geniale Frau, die von jeher ein zur Anschauung der Welt offenes Auge gehabt, dazu im Alter noch Feuer hatte, war das Ideal einer Freundin der mittheilsamen Jugend; sie ihrerseits war gerührt, daß die junge Bettine den Umgang mit einer alten Dame jedem andern vorzog, denn sie ahnte wohl kaum, daß ein williges und verständnißvolles Auffassen dessen, was nicht in unmittelbarer Beziehung zu einem selbst steht, so selten, eigentlich nur bei harmonischen oder genial veranlagten Personen oder bei Greisen sich findet. Hieraus erklärt sich, warum Clemens und Bettine die Größten mit feinem Spürsinn herausfanden und für sich in Anspruch nahmen, andererseits aber auch mit den einfachsten und niedrigsten Menschen vorlieb nahmen, wenn diese durch Alter, Wesensbeschaffenheit, oder Lebensstellung, die ein Selbsthervortreten verbot, sich zum Publikum eigneten; warum sie gegen den Durchschnittsmenschen von äußerster Unduldsamkeit waren, von ähnlich gearteten aber sich mit instinktivem Widerwillen abwandten. »Die stillen Leute sind doch die größten«, sagte Clemens: »Das Große ist still und fest, es schallt nicht in jedem Winde, es klingt wenn man anschlägt.«

Für Bettine war Frau Rath die Vorstufe zu dem Allergrößten, nach dem sie schon seit geraumer Zeit ahnungsvoll hintappte: willig knüpfte die Greisin eine Berührung an zwischen ihrem Sohne und dem interessanten jungen Wildfang, der sich so stürmisch hingab und als Kind einer Jugendbekannten ein gewisses Anrecht auf Theilnahme hatte. Jetzt glaubte die kleine Quelle das Meer, das wirkliche große Weltmeer, die Endstation ihrer Wanderungen gefunden zu haben und stürzte sich mit voller Wucht und jubelndem Entzücken hinein. Es ist begreiflich, daß Goethe, das Meer, von dieser für Bettine außerordentlichen Kraftanstrengung nur mäßig erschüttert wurde, wenn er auch, wie jeder andere, seinen Umfang gern erweitert sah, sei es auch nur um wenige Tropfen. Ließ er sich auch bei persönlicher Begegnung gern von ihrer jugendlichen Gluth umschmeicheln, im Grunde war ihm die »wunderliche Heilige« doch viel zu unharmonisch und ungeordnet; seine Antworten auf ihre unaufhaltsamen, nicht enden wollenden Ergüsse haben eine charakteristische Aehnlichkeit mit denen der Günderode, insofern er sich auch auf Stillhalten und hie und da ein beifälliges Kopfnicken beschränkte, nur daß es naturgemäß steifer und erhabener ausfiel als das der jungen Freundin. Zuweilen, wenn das anbrandende Wellchen allzukühn wurde, wies er es auch wohl mit einer olympischen Geberde in seine Schranken zurück; ihre grenzenlose Demuth und Unterwürfigkeit wechselte nämlich oft mit Uebermuth und anmaßendem Siegesbewußtsein, das in einem so jungen Mädchen dem berühmten Goethe gegenüber lächerlich oder abstoßend erscheinen müßte, wenn man es nicht als Folge eines einseitig angelegten Wesens erkennte, in dem die reißende Fluth des Begehrens keinen regelnden Damm findet. Auch Clemens schwankte beständig zwischen maßloser Selbsterniederung und rasender Selbstüberhebung, je nachdem der innere Strom im Fluthen oder Ebben war und dadurch das Gefühl überschwänglicher Kraft oder hilfloser Ohnmacht erregte.

Für Clemens war es nicht so leicht wie für Bettine ein Meer zu finden, in das er sich ergießen konnte; denn einen weiblichen Goethe gab es nicht. Hätte es aber auch einen gegeben, so würden männliche Eitelkeit und Sinnlichkeit ein solches Verhältniß, wie zwischen Bettine und ihrem Halbgott bestand, doch nicht haben aufkommen lassen. Immerhin brachte ihm in seinen jüngeren Jahren die Freundschaft Glück, und zwar verdientes, insofern er sicheren Takt in der Auswahl seiner Freunde besaß und von unbegrenzter Anhänglichkeit war, wo er einmal überlegenen Charakter, verbunden mit Wohlwollen für sich selbst gefunden hatte. Savigny, der später berühmte Jurist, imponirte ihm und ärgerte ihn zugleich durch seine unerschütterliche Ruhe und seinen zielbewußten Fleiß. »Ich dachte, hier« schrieb er an Bettine, als er mit ihm zusammen auf einer Rheinreise war, »wo seine Studirmaschine nicht fortwährend im Gange ist, würde endlich einmal sein Inneres zu Worte kommen; doch stumm wie immer, marschirt er neben mir die Natur auf und ab, und das verdirbt mir alles Genießen.«

Die Freundschaft mit Görres, den Clemens in Heidelberg als verheiratheten Mann kennen lernte, dauerte bis an's Ende; beide waren Katholiken, beide Rheinländer, und dadurch natürlich verbunden. Aber auch Görres betrachtete Clemens nicht wie einen andern Mann, sondern wie ein liebes, oft unartiges Kind, nicht einmal sein fanatisches Religionstreiben nahm er ernst. Immerhin waren die Beziehungen zu dem harmonischen, heitern, selbstsichern Manne die reinsten und beglückendsten, die Clemens hatte.

Eine gewisse Starrheit und Abgeschlossenheit gehörte dazu, um die Probe der Freundschaft mit Clemens zu bestehen; spürte er, daß irgendwo der Widerstand nachließ, das Gestein seinem geschäftigen Anschäumen und Nagen nachgab und bröckelte, drängte er sich übermüthig, zerstörungslustig ein und schätzte nicht nur das Ueberwundene nicht mehr, sondern goß wohl auch nachsichtslosen Hohn darüber aus. Auch von Armin wußte er, daß er nicht mit sich spielen ließ; doch war dieser von Natur zugänglicher und heiterer als Savigny und dadurch, daß seine Hauptinteressen im Bereiche der Poesie lagen, stand er Clemens näher, der denn in der Verherrlichung, ja Vergötterung eines solchen Freundes keine Grenzen kannte. Beide, Savigny und Arnim, waren durch und durch norddeutsch: ernste, willensstarke, in sich gefestigte Männer; es ist merkwürdig, daß sie, die auf Clemens, indem und trotzdem sie ihn lieb hatten, nicht ohne ein gewisses wohlwollend mitleidiges Lächeln herabsahen, und im späteren Leben auch nur äußerlich mit ihm verbunden blieben, Schwestern von ihm, und keineswegs von ihm sehr verschieden geartete, geheirathet haben. Eben das, was die Liebe am schnellsten und stärksten hervorruft, durchgehende Entgegengesetztheit der Naturen, erschwert das Zustandekommen und Bestehen der Freundschaft.

Die Freundschaft ließ nun doch bei Clemens einen Rest immer unbefriedigt und es gingen unzählige Liebeleien nebenher, die ihm aber wenig wahres Glück eintrugen. Durch sein empfindliches, beständig Beachtung und Nachsicht heischendes Wesen auf den Verkehr mit Frauen hingewiesen, wußte er sich doch fast nie in ein gutes, würdiges Verhältniß mit ihnen zu setzen. »Ich bin in meinem Leben«, schrieb er in späteren Jahren, »nur drei Frauen begegnet, in deren Nähe die Furien ihren Gepeinigten verließen.« Die eine von diesen war jedenfalls die Frau seines ältesten Bruders, Antonie, die durch ihre fast mütterliche Stellung zu ihm wie durch ihr edel harmonisches Wesen jede Einmischung der Sinnlichkeit verbot; als zweite mag er an seine eigene Frau, Sophie Mereau, gedacht haben und schließlich an Louise Hensel, die, sei es nach gemachten Erfahrungen, sei es durch natürliche Anlage, jede andere als rein freundschaftliche Annäherung von Männern zurückwies.

Wehe aber solchen Frauen, die durch Schwäche die Triebe seiner hitzigen Natur freiwerden ließen. Mit der Sinnlichkeit wuchsen in ihm Grausamkeit, Zerstörungslust und jede feindselige Gewalt, und kam noch gekränkte Eitelkeit hinzu, konnte er sich dann so bösartig benehmen, wie jenem armen Mädchen gegenüber, das ihn, um einen begüterten Mann zu heirathen, verlassen und in der Ehe kein Glück gefunden hatte; obgleich er sie zu einer Zeit wiedersah, wo er selbst das schönste Liebesglück seines Lebens genoß, ruhte er nicht, bis er ihr die Größe ihres Elends recht zum Bewußtsein gebracht hatte und sie in Thränen ausbrach, worauf er sich zufrieden und so recht im Innern vergnügt zurückzog. Andere dagegen, die immer in überlegener Zurückhaltung blieben, konnten, sogar wenn er ihnen vergebliche Huldigungen dargebracht hatte, gute Beziehungen zu ihm erhalten, so die Günderode; sie fühlte sich durch den schwülen Gifthauch seiner kranken Seele peinlich berührt und hielt ihn, bei aller Gerechtigkeit, die sie ihm milde widerfahren ließ, in heilsamer Entfernung. Den Lebensbalsam, den er für andere habe, verglich sie einem feinen, geistigen Oel in einem verschlossenen Gefäße: nur wenig verbreitet erquicke und belebe es, ganz geöffnet sei es tödlich und verzehre sich selbst.

Auch Bettine hatte neben ihren Göttern noch allerlei Fetische und Puppen; denn jene waren meist entfernt und ihre hohe Unzugänglichkeit ließ geringeren Geistern in mancher Abstufung Raum. Zu den höheren gehörten zum Beispiel Tieck und Jakobi, die vorübergehend eine Art Stellvertreterschaft Goethe's übernehmen mußten und bekränzt und angebetet wurden, allerdings auch nach Belieben wieder abgesetzt und ausgelacht, wie es ihrer Götzenrolle entsprach. Während sie aber für die Hauptschwärmereien so hoch wie möglich griff, war ihr zum Tändeln jeder recht: der Gärtnerbursche, der Bischof, der Tischnachbar in Gesellschaft, die Studentenschaar, die an ihrem Fenster zufällig vorüberzog, kurz alle, diejenigen ausgenommen, die für ihre Eigenart ganz unempfänglich waren oder sich davon abgestoßen fühlten. Diese suchte sie durch paradoxe Behauptungen und ungewöhnliches Betragen in Staunen, Schrecken oder Unwillen zu setzen, wie den Naturforscher Ebel, der bei einem Gewitter aus dem Wagen sprang, um nicht in ihrer elektrischen Nähe zu bleiben; denn einfach zu sein oder sich unauffällig im Hintergrunde zu halten war ihr unmöglich. Clemens ermahnte sie häufig, nichts zu affektiren; namentlich wenn ihn die Verwandten auf ihre Wunderlichkeiten aufmerksam machten, ihm wohl auch vorwarfen, daß er sie in diesem Wesen bestärke, gingen ihm plötzlich die Augen auf, und da er selbst, wie alle zerrissenen Männer, an den Frauen nichts mehr verabscheute als Ueberspanntheit und nichts mehr liebte als ruhige, schlichte Liebenswürdigkeit, wurde ihm bange um die Schwester, die er, um sein eigenes Ideal aus ihr zu bilden, wie die Günderode sagte, in einer Richtung bestärkt hatte, die sie den guten und vernünftigen Menschen nur entfremden konnte. »Noch eins,« schrieb er dann weise ermahnend, was Bettine allerdings gerade von ihm lächerlich und anmaßend vorkommen mochte, »hüte dich sehr, aufzufallen, sei oder scheine stets in der Gesellschaft lieber dumm als vorlaut und mit den Händeklatschen der Thoren belohnt, es verführt zu einer miserablen Selbstgefälligkeit, die alle Fortschritte auch bei dem besten Willen tödtet, und kannst du es nicht bis dahin bringen, so vermeide lieber die Menschen, denn es ist entsetzlicher, von gemeinen Menschen für genialisch als für einen Narren gehalten zu werden, am besten aber für einen guten ruhigen Menschen.« Beide, wenn sie sich auch wie Verliebte gegen einander geberdeten, bezweifelten im Grunde doch, ob sie Liebe erwecken und einen Mann, beziehungsweise eine Frau würden wahrhaft beglücken können. »Ich würde zagen,« schreibt Bettine an Clemens, als er sich verlobt hatte, »wenn ein wonneträumender Trunkener vor mir stände und wollte mich fragen: willst du mich glücklich machen?« und Clemens zweifelt, ob es möglich sein werde »auf einem solchen Parterre des Witzes und des Extraordinairen (wie sich bei Bettinen findet) einen freundlich häuslichen Garten anzulegen, wo jeder gern sein möchte«. Trotzdem waren sie eifersüchtig auf einander, und nahmen ein Aergerniß an den kleinen Liebeleien, die sie anzettelten, was freilich auch darauf beruht, daß sie sich zu gut kannten, um nicht über einander zu erröthen, wenn sie sich auf dieser Schwäche ihrer Natur ertappten. Mit Clemens Verheirathung hatte das geschwisterliche Verhältniß in seiner oft nur zu absichtlichen Innigkeit ein Ende: er hatte einen andern Spiegel gefunden, einen weit stilleren, klareren und liebevolleren, und bekränzte jetzt dankbar diesen mit allem Zierrat seiner Phantasie, und sie beschaute sich nicht gern mehr in Augen, die zum größten Theil von einem andern Bilde ausgefüllt waren. Im Grunde hatten sie, einander zu wesensähnlich, sich niemals viel sein können; mit Clemens, schreibt Bettine an die Günderode, könne sie sich nicht geben wie sie wirklich sei: »er kann nicht vertragen, daß ich mich ausströme«. Die elementare Gewalt, mit der sie sich wie zwei gleichartige Pole abstießen, verrieth sich beständig. Tadelte eins das andere, brauste namentlich Bettine in leidenschaftlicher Entrüstung auf, und die Sprache, die sie dann gegen den Bruder führte, scheint mehr vom Haß als von der Liebe eingegeben zu sein.

Da die Receptivität das wesentlich Weibliche im Menschen ist, wird eine Frau, der diese Eigenschaft mangelt, immer den Eindruck des Unweiblichen machen. So wollte man auch Bettine »nicht für ein ächtes Mädchen gelten lassen,« und alles Interesse, daß sie bei Männern erregte, alle die Liebeleien, hatten nie den Charakter der Liebe, wie der Mann sie für die Frau empfindet.

Das Wesen des Mannes, der ja der eigentliche Mensch sein will, wird nun aber durch das Fehlen oder die mindere Ausbildung der receptiven Seite ebenso gestört wie das der Frau, wenigstens nach germanischer Anschauungsweise. Eben wegen der überwiegenden Produktivität erscheint uns der Südländer, Italiener oder Franzose, bald kindlich, bald dämonisch »Du bist ein Dämon! Du bist wunderlich, du bist ein Geist, kein Mensch!« sagte Sophie einmal zu Clemens. Ebenso fiel an Bettine das Wunderliche, Dämonische, Geisthafte auf; man wird an Kobolde, an die neckischen Wesen mit dem Fischschwanz erinnert.

Diese Dämonen haben der Sage nach keine unsterbliche Seele. Das Fehlen eines Mittelpunktes, einer Sammelstelle ist eigentlich nur ein anderer Ausdruck für das vorher Gesagte. Seele entsteht erst mit der Besonnenheit. Die Zerstreutheit, über die Bettine so viel klagte, ist, wie auch das Wort sagt, nichts anderes als das Fehlen eines beherrschenden Mittelpunktes. »Ich will alles thun, dich wieder zu dir selbst zu bringen« schrieb Franz Brentano an Clemens und dieser seinerseits war, wie wir gesehen haben, besorgt, Bettine möchte »nie zu sich selbst kommen«. Die Günderode sagte von Bettine, es lasse sich nicht thun, ihren brausenden Geist »wie Most zu keltern und auf Krüge zu füllen, daß es klarer, trinkbarer Wein werde,« und der spätere Cardinal Melchior Diepenbrock verglich Clemens mit Most, den man nicht täglich trinken könne; zu seiner Weingährung und Klärung ließe er es aber nicht kommen. Sein Inneres war ein wogender, sich ewig drehender Seelennebel, aus dem das Ich, der feste Kern, der den ganzen Menschen regiert hätte, sich noch nicht herausgebildet hatte. Die Günderode sprach deshalb mit Recht von den vielen Seelen, die Clemens hätte, und Bettine nannte diese Seelen Kobolde, die ihm oft selber einen Streich spielten. Keiner erkannte das besser als Clemens selbst: sein Kopf, sagte er einmal, sei eine Summe von vielerlei Naturen, wo er oft ein sehr gemischtes Publikum ertappe.

So wenn er im Gespräch mit einer koketten Weltdame, vor der er glänzen möchte, bizarre, witzige Aeußerungen thut: »ich sage, ich schaute oft, ja schaue immer, durch solche Rede, die der Zweite einstweilen in mir hält, quer durch in eine Wüste, wo ich auf die Kniee niedersinke und als eine arme, elende, sündige Kreatur Jesum um Erbarmen anflehe«. Oder er überläßt seine Worte »ihrer inneren lebendigen Selbständigkeit, und die Rede wirthschaftet dann auf ihre eigene Hand, munter drauf los, während meine Seele in der Angst, Trauer und Sehnsucht liegt«. Mäuse, Raubthiere, Diebe, Buhler, Flüchtende nennt er einmal die Worte, die ihm mit seinen Empfindungen aus dem Maule laufen. Es ist wunderbar, wie übereinstimmend die Freunde von Clemens, wenn sie sein Wesen charakterisiren wollen, es als Besessenheit bezeichnen. Nicht nur Dorothea Schlegel, die ihn nicht sonderlich liebte, sagte, er sei von einem bösen Geiste besessen, der alle seine schönen Gaben oft mit einer plötzlichen Grimasse vernichte, auch Arnim schrieb hin: »das kam von deinem Dämon, der dich damals besetzt hielt!« und Görres sprach von dem bösen Feind, den er im Leibe habe, und der von Zeit zu Zeit den Herrn im Hause spiele. Bettine zwar prahlte gern mit ihrem Selbst, das sich keiner fremden Leitung hingeben wolle, ja verstieg sich bis zu dem Ausspruch, Freundschaft sei Brudermord, eine die höchsten Seelenkräfte verzehrende Schmarotzerpflanze, Heldsein sei nicht Befreundetsein, alle Gefühle, auch Großmuth und Mitleid, seien Vampyre, die das Selbstsein des freien Willen aussögen; aber eben die Angst vor fremden Einfluß, die Heftigkeit, mit der sie die Nothwendigkeit, sein Ich durchzureißen, sein Ich zu bleiben betont, beweist, das ein gesichertes, unumstößliches Ichgefühl noch nicht vorhanden war. Auch sie sagt von sich: »Kann ich denn wissen, ob ich nicht vielleicht von einem Geist besessen bin? Und ist Besessensein nicht vielleicht ein Aufgeben der Individualität?« Nur ist bei ihr weniger von einem bösen Dämon als von einem Genius die Rede.

»Eines fehlt uns, liebe Bettine,« schrieb Clemens, »und mir mehr als dir; es ist die Kunst, mit sich selbst genug zu haben, die müssen wir erlernen«. Was er in sich nicht fand, einen festen Mittelpunkt, der ihm Halt gäbe, suchte er in anderen; weil er in sich nichts Ruhendes, Bleibendes hatte, auf das er die wechselnden Erscheinungen hätte beziehen können, mußte ihm ein anderer sein Ich leihen, damit er überhaupt wahrnehmen und genießen könne. »Ich kann mich mehr für deinen Eifer für die Dinge als für die Dinge selbst interessiren«, schreibt er an Ringseis; »es würde mir leid thun, z. B. wenn du dein Vaterland, weniger liebtest, als wenn Bayern zu Grunde ginge. Warum in allen Stücken so?« Und ein andermal: »Gott weiß, ich sehe nur alles im Auge, im Genuß derer, die ich liebe, und ohne sie ist die Welt mir eine ausgebrannte Kohle«.

Er hänge sich zu sehr an die Menschen, warnte der ältere Bruder Franz schon den Knaben; und in der That grenzte seine Art, sich den Menschen, die er liebte, hinzuwerfen oft an Würdelosigkeit. »Ich weiß nicht, was es ist«, sagte er selbst, »daß ich immer so heftig liebe und so auf Gnade und Ungnade mich hingeben muß, ob ich gleich ewig mißtraue.« Nicht ohne eine peinliche Empfindung kann man lesen, was er i. J. 1811 an seinen Schwager Arnim und seine Schwester schrieb: »Lieber bester Bruder, nimm dich doch mit deiner Frau meiner ein wenig an. Ich will mich Eurem Willen ganz unterziehen, ich will Euch nicht stören, ich will Euch Freude machen auf alle Weise, alles was Euch Unrecht scheint, will ich vermeiden. Ich will fleißig sein und Euch meine Arbeit wie ein Pensum mittheilen. Nur laßt mich bei Euch bleiben, damit ich mich wieder sammle und auf den Boden des Rechten komme.«

Der Mangel des zügelnden Ich führte, sowie nicht ein überlegener Freund da war, bei beiden, sowohl bei Bettine wie bei Clemens, Zuchtlosigkeit hervor, vor der es Clemens von Zeit zu Zeit graute, während Bettine stolz darauf war. Dieser Unterschied hängt auch mit ihrem Geschlecht und den verschiedenen Anforderungen, die man an Mann und Frau stellt, zusammen. Die Erfüllung der täglichen Pflichten, wozu sie von allen Seiten ermahnt wurde, verschmähte sie; reinlich, fleißig oder häuslich sein, wie Franz verlangte, schien ihr etwas armselig Geringes, verglichen mit den gewaltigen Kraftanstrengungen, zu denen sie sich fähig glaubte. »Sehe ich mich um nach meiner Pflicht«, antwortete sie Clemens auf sein diesbezügliches Zureden, »so freut mich's recht sehr, daß sie sich aus dem Staub macht vor mir, denn erwischte ich sie, ich würde ihr den Hals herumdrehen«.

Die Art, die Clemens an sämmtlichen Gliedern seiner Familie beobachtete und tadelte, leicht von schönen Aufwallungen hingerissen zu werden, denen kein entsprechendes Thun dauernd folgte, ist durchaus italienisch. Dort fördert das heiße Blut heroische Thaten, während die Kraft zu täglicher Erfüllung der kleinen, oft mühseligen Pflichten seltener ist. Man muß die italienische Abkunft bedenken, wenn man diesen Heimathlosen gerecht werden will. »Sie ist das wunderlichste Wesen von der Welt« urtheilte Goethe «von Bettine, »unglücklich zwischen dem Italienischen und Deutschen hin und her schwebend, ohne Boden fassen zu können.«

Auch die Neigung zum Uebertreiben und Lügen ist ein südliches Element. Neben den wahren Propheten tauchen immer die Lügenpropheten auf, und im Propheten selber wechseln die echten Offenbarungen mit den erkünstelten. Wie nah unter sich verwandt Erfinden, Dichten und Lügen ist, kann man am Kinde am besten beobachten, und auch im Erwachsenen bleiben diese Geistesvorgänge leicht ungesondert wo, wie bei den Brentano's kein waches, ordnendes Ich vorhanden ist, das jedem seinen Namen gäbe und seinen Platz anwiese. »Wenn's nur auch wahr ist«, antwortete Frau Rath Goethe auf Bettinen's Schilderung einiger Kunstwerke, die sie auf einer Rheinreise gesehen hatte, »denn in solchen Stücken kann man dir nicht wenig genug trauen. Du hast mir ja schon manchmal hier auf deinem Schemel die Unmöglichkeiten vorerzählt, denn wenn du, mit Ehren zu melden, in's Erfinden geräthst, dann hält dich kein Gebiß und kein Zaum«. Und wie hätte man Clemens für das, was er sagte, verantwortlich machen können, dem die Worte wie selbständige Wesen ohne sein Zuthun aus dem Munde liefen! In verträumten Naturen, wo keine deutliche Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit wahrnehmbar ist, nistet sich Lüge leicht hinein, die noch dazu durch das häufige Nachdenken über sich selbst, das solche nach Innen lebende Menschen pflegen, befördert wird. Als Clemens und Bettine anfingen Briefe miteinander zu wechseln, forderte er die Schwester zwar selbst auf, alle ihr auffallenden Gedanken zu Papier zu bringen und empfahl ihr das Briefschreiben deshalb als wichtig, weil man, indem man zugleich an sich selber schreibe, mit sich bekannt würde und sich gleichsam in einen Spiegel schaute; aber er fügte doch warnend hinzu, es thue eben deshalb die tiefste Wahrheit noth, damit man nicht über sich selber in Irrthum gerathe. Und nun ist es peinlich zu sehen, wie sie sich gegenseitig bewachten: »Ach Clemens, wir wollen recht vertrauend einander schreiben und nichts weißmachen einander!« oder seine ängstlich Frage: »Deine Briefe sind ja doch keine Kunstarbeit? Oder kannst Du sie nur in gewissen Stimmungen hervorbringen?«

Wie leicht kann es bei solchem Ineinanderschwimmen von Phantasie und Wirklichkeit geschehen, daß man erträumte Thaten sich für gethane anrechnet und stolz ist auf das, was man sein oder thun möchte, als wäre man es schon oder hätte es schon gethan. Es kann schließlich, wo ein feuriges Blut heroische Aufwallungen leicht erzeugt, entsprechende Leistungen aber nicht folgen, der Mensch dahin gerathen, sich selbst, sein ganzes Wesen als eine große Lüge zu verabscheuen und entweder verlogen werden, um es sich selbst, oder zur Verstellung geneigt, um es andern zu verbergen, wenn er nicht eine cynische, verzweifelte Selbstverachtung zur Schau trägt. Die heroischen Aufwallungen waren bei Bettine an der Tagesordnung; sie hatte das Gefühl, als müsse sie die Welt umwenden, so stark, daß sie sich in Träumen, wie sie erzählt, zuweilen nach dem Scepter umsah, das Gott für sie hingelegt habe. »In dich hinein«, schrieb ihr die aufrichtige Günderode »bist du nicht selbstthätig, vielmehr ganz hingegeben bewußtlos, aus dir heraus zerfließt alle Wirklichkeit wie Nebel – und doch bist du immer bereit, unbekümmert alles zu beherrschen«. Aber es kamen doch Augenblicke, wo auch sie es als einen Widerspruch empfand, daß sie sich von jugendlichen Verehrern als Jeanne d'Arc bewundern ließ, daß sie ein Revolutionstagebuch führte und mit den darin niedergelegten Umwälzungsideen die Großmutter erschreckte, während ihre wirklich geleisteten Heldenthaten sich auf waghalsiges Klettern, herausforderndes Benehmen in Gesellschaft und auf der Straße und Umgang mit mehr oder weniger verpönten Menschen wie armen Juden, Bettlern, Handwerksleuten beschränkte. »Ich thue meine großen Thaten alle im Traum,« klagte sie. »Und dies ist, was mich oft erschreckt, daß ich im Lande der Phantasie mir eine große Rolle auserwählt habe, die ich zwar ohne Gefahr spiele, die aber nicht die Wirklichkeit berührt.«

Selbstverständlich liegt in diesem schnellen Funktioniren des Herzens auch etwas schönes und etwas liebenswerthes, und das Walten von Dämonen im Menschen verräth sich nicht allein durch Grimassen, sondern ebenso oft durch wundervolle Eingebungen. Nicht nur Kranke, sondern Propheten, Heilige und Pythien sind besessen, und von jeher hat das Volk in denjenigen ein göttliches Wirken verehrt, aus denen eine Stimme redete, deren sie selbst nicht mächtig waren, ja selbst, wenn an Stelle des Weissagens Wahnsinn oder Raserei trat, noch eine halb ehrfürchtige Scheu vor dieser fremden, dunkeln Macht bewahrt.

Clemens und Bettine liebten es, schwerfälligere Naturen durch das Feuerwerk ihres Geistes zu verblüffen; aber auch der streng Prüfende wird gestehen, daß ihre Einfälle nicht selten ein offenbarungsvolles Licht auf die Dinge werfen. Eben das Unsystematische, Sprunghafte ihres Denkens, dem die Mittelglieder fehlen, so daß es lauter Drucker und Glanzlichter giebt, machte ihre Aeußerungen im geselligen Kreise oder in Briefen so reizvoll und anregend. Diese beiden Menschen, die infolge einer abnormen Anlage im Leben überall anstießen, ziehen durch ihre Schriften, die sie hinterlassen haben, unwiderstehlich an. Auch darin ist Mangel an Sammlung und Concentration, aber überschwänglicher Reichthum an Witz und Poesie, Wärme und ein fein sehendes, ergründendes Auge. »Wer liebt den Clemens nicht? so wie er einem entgegentritt, wer durchschaut alle Menschen, wer geht so tief in dem Auffinden der Innerlichkeit, und was könnte man ihm sagen, was er nicht schärfer und wahrer aufgefaßt hätte! Alle Menschen berührt kaum sein Hauch und sie athmen, als wenn sie aufblühen wollten in edlere Begriffe und schönere Handlungen«. So urtheilte die Günderode, die klar wie kein anderer in sein Wesen hineinsah. Und wer hätte den Unglücklichen nicht bemitleiden sollen, der der Menschen so sehr bedurfte, sich ihnen ganz hingab und doch alle Herzen, die sich ihm freundlich zuneigten, tödtlich kränkte und verwundete, wider seinen Willen, aber mit Bewußtsein, wirklich wie von einem bösen Dämon gezwungen. Wen hätte die Innigkeit seiner Reue, überhaupt seine Warmherzigkeit nicht rühren und gewinnen sollen? Kehrte er das Teuflische noch so sehr heraus, merkte man doch bald, daß er im Grunde ein sehr »gutartiger Mephistopheles« war. Auch Bettine war gutherzig und nahm sich von frühester Jugend der Unterdrückten eifrig an; doch urtheilte die Günderode, es sei ihr Thätigkeitstrieb, der sie bewege, andern zu helfen, eigentlich mitleidvoll sei sie nicht. Clemens dagegen, der seine Wohlthaten ganz in der Stille wirkte, litt in Wahrheit mit den Leidenden, ein Unglücklicher erweckte seine Liebe, sei es auch zum Theil, weil er sich selbst unglücklich und hilflos fühlte. Er war recht eigentlich ein religiöses Gemüth, durch sein reizbares Gewissen sowohl wie durch sein Sichabhängigfühlen von etwas Höherem. »Ich glaube, daß ihr alle aus Ostindien stammt,« schrieb der junge Arnim an Clemens, »aus der Brahmanenkaste; denn ihr habt doch alle etwas Heiliges an euch«. Aber die kindliche Frömmigkeit, die nach Gott dem Vater verlangt, sich in der Welt verirrt fühlt und voll Inbrunst nach der allgütigen Hand ausblickt, die ihn in die Lichtung führen soll, hatte keiner wie Clemens. Hier wurzelte auch alles, was an ihm liebenswerth war und mit seinen Schwächen, Härten und Widersprüchen versöhnte. Wer ihn recht anzufassen wußte, fand in ihm bis zuletzt noch das sehnsüchtige, weiche Kind, dem Frau Rath in's Stammbuch geschrieben hatte:

»Wo dein Himmel ist dein Vadutz,
Ein Land auf Erden ist dir nichts nutz.

Dein Reich ist in den Wolken und nicht von dieser Erde, und so oft es sich mit dieser berührt, wird es Thränen regnen.«

Wer weiß, wie viele seiner Tücken und Gehässigkeiten in dem Bemühen entstanden, diese Thränen vor den Menschen zu verbergen, die weichen kindlichen Züge in's Mannhafte zu verstellen. »Darum,« sagte er, »sehe ich immer in mich hinein und spreche mir allerlei Wiegenlieder vor, damit das weinende Kind in meinem Herzen endlich schweigt«.

Ebenso verhängnißvoll wie für Clemens, daß er immer ein Kind blieb, war es für Bettine, daß sie immer eins bleiben wollte. In dem Gefühl, auf Erden nicht heimisch zu sein, nirgendshin ganz zu passen, rechnete sie sich stolz zu einem andern Kreise von Wesen, in den sie faßte: Kinder, Helden, Greise, Frühlingsgestalten, Liebende, Geister.

Wieder kommen wir auf das Geisterhafte, Nicht-menschliche. Bettine, die lange körperlich unentwickelt blieb und mit 23 Jahren für 13jährig angesehen werden konnte, stellt sich, solange sie jung war, unserer Phantasie als etwas bald kobold-, bald elfenartiges vor. Diese Geschöpfe altern nicht; den Boden des Irdischen nicht berührend, ohne Saft und Kraft zu voller Entwickelung zu haben, überschlagen sie gewissermaßen die Zeit des Reifwerdens und schrumpfen aus übermäßig lang ausgedehnter Jugend plötzlich in's welke Alter zusammen. Peinlich und unheimlich berührt der Kinderton in dem Briefwechsel Ilius Pamphilius, den Bettine als alternde Frau mit einem jungen Manne führte. Sie hatte viele Kinder bekommen und war innerlich doch nicht Mutter geworden. Die Unfähigkeit des schönen Altwerdens ist ein wesentlicher Zug der romantischen Naturen.

»Viele schöne, heitere und rührende Erfahrungen könnten mir an deiner Seite nicht fehlen,« schrieb Clemens an seinen Bruder Christian, eine Einladung desselben, mit ihm in Rom zu leben, ablehnend. »Wie bald aber enden die Feste zwischen Naturen wie wir, die alles auf einmal geben, auf einmal verschlingen, sich leicht erschöpfen und ausleeren für einander!« Wie bald auch endet für sie das Fest des Lebens überhaupt. Bettine schloß daraus, daß ihr Geist nicht Honig machen wolle, sondern alles gleich selbst verzehre, daß sie in ein Land des einigen Frühlings gehöre. Ist dies das Land der Poesie, so haben sich darin allerdings die Heimathlosen Heimathrecht erworben.

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