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Romantische Weltanschauung.

Wie verschiedenartig sich nun aber die durch die ersten Romantiker und Naturphilosophen angeregten Ideen bei den Menschen entwickelten, so blieb ihnen doch eine gewisse Art die Welt anzusehen, über die Dinge zu denken, gemeinsam. Eine Reihe von Menschen standen auf derselben Grundlage des Glaubensbekenntnisses, das freilich in den Einzelheiten ein jeder anders gestaltete, und fühlten sich dadurch mit einander verbunden und für einander interessirt. Sogar die Verschiedenheit und Feindseligkeit der Confession wurde bis zu einem hohen Grade durch die gleichartige Weltanschauung überwunden, wie denn z. B. der Protestant Schubert im Kreise der Münchner Katholiken wohlgelitten war und der Protestant Justinus Kerner sogar für einen katholischen Kirchenfürsten Predigten verfaßte. Versucht man, von den Abweichungen absehend, die gemeinsamen oder verwandten Ideen herauszufinden, so ergiebt sich etwa folgendes: Die Welt ist eine lebendige Einheit; das ist die Grundlage der romantischen Weltanschauung, der Satz, den ihre Vertreter nicht müde wurden zu wiederholen. Sie verkündeten ihn wie ein Evangelium, das die Schönheit und den Segen künftiger neuer Zeit einschließt; und was könnte auch verheißungsvoller klingen als die Botschaft: alles lebt, alles hängt wirkend zusammen, es giebt nichts Todtes in der Welt.

Das All ist ein Organismus und jeder seiner Theile ist sein Abbild, trägt die Züge des All, jedes Glied der Welt hängt mit ihr zusammen wie der Finger des Menschen mit seinem Leibe und wiederum wie der Mensch selbst mit der Erde. Die Folgen dieser Anschauung sind so weittragend, daß sie sich im ersten Augenblick kaum übersehen lassen. Wenn die Welt ein zusammenhängender Organismus ist, so sind die wunderbarsten Wirkungen eines lebendigen Ganzen auf ein anderes oder auf ein Theilwesen oder umgekehrt eines Theilwesens auf ein Ganzes – denn alles ist ja das eine wie das andere – nicht nur dadurch zu erklären, sondern müssen infolgedessen vorausgesetzt werden. Die Frage, ob ein Geistiges auf ein Natürliches wirken könne, oder umgekehrt, ob die Seele auf den Körper, das Lebendige auf das Todte, das Organische auf das Unorganische, fällt dahin, indem diese Unterscheidungen als wesentliche, absolut trennende wegfallen.

Zwar giebt es eine große Spaltung, die ein Zwiefaches aus dem Ureinen macht und sich, dem Grundgesetz gemäß, in jedem Theile des großen Ganzen wiederholt und sich in zahllosen Formen, als Licht und Schwere, Geist und Natur, Nord und Süd, Mann und Weib wiederholt; aber das sind nicht absolute Gegensätze, sondern Polaritäten, das heißt Gegensätze, die sich voraussetzen, indem das eine nur im Gegensatz zum andern seine Bedeutung hat, und die in einem dritten eine innere Einheit haben, die ohne diesen Gegensatz nicht wäre. Licht und Schwere, Kraft und Stoff, Thätigkeit und Sein liegen dem Leben der Natur zu Grunde, theilen sie, ohne sie unversöhnlich zu zerreißen. So wenig wie Inneres ohne Aeußeres, Centrum ohne Peripherie vorstellbar ist, ebensowenig Sinn hat es, nach der Priorität von Geist und Natur zu fragen, die einander ewig voraussetzen.

Zwei Principien werden von den romantischen Denkern häufig zur Erklärung und Begründung herbeigezogen, der thierische Magnetismus und die Entwickelungslehre. Die Einheit, nämlich der Zusammenhang der Einzelglieder des großen Weltganzen, das Aufeinanderwirken der entferntesten, beruht auf der Kraft, die allein Lebenden innewohnt, und die man damals thierischen Magnetismus oder Mesmerismus nannte; einige Theorieen hielten sie dem Erdmagnetismus wesensähnlich, andere wesensgleich und ihn umfassend. Es versteht sich, daß der Magnetismus selbst wiederum erklärt werden muß, und es gab Forscher, die als Mittel der Fernwirkung einen feinsten Aether annahmen, andere, die ein unmittelbares Wirken für denkbar hielten. Hier indessen kommt es mir nur darauf an zu betonen, daß die Romantiker eine von Lebendigen ausgehende Kraft voraussetzten, die sowohl die unorganische wie die organische, die körperliche wie die geistige Welt zu einem lebendigen Ganzen zusammenbände, eine und dieselbe Lebenskraft, »die in den Pulsen des Menschen und in den Rotationen der Sphären zusammenhängend schlagen müsse.«

Wie die Romantiker so oft ihre Ideen in längstvergessener Vergangenheit wiederfanden, entdeckten sie auch diese Lehre in großartiger Einfachheit dargestellt bei Kepler, der behauptete, daß die Weltkörper thierischer Natur seien, sich selbstständig bewegten und durch die von ihnen ausgehende magnetische Kraft das Sonnensystem herstellten; eine Meinung, die ihm in späteren Jahrhunderten um seiner bekannten unsterblichen Entdeckungen willen zugute gehalten und als unvermeidliches Anhängsel seiner abergläubischen Zeit betrachtet wurde.

Ein feiner Denker der Spätromantik, Passavant der Arzt, kam bei der Untersuchung katholischer Dogmen zu dem Ergebniß, daß die Vorstellung von der Solidarität der Menschheit von jeher unbewußt in den Menschen lebendig gewesen sein müsse, denn die Lehren von der Erbsünde und von der Erlösung, Glaubenssätze nicht nur der christlichen, sondern vieler alter Religionen, haben nur dann Sinn, wenn die Menschen eine so reelle Einheit bilden, daß einer für den andern gesetzt werden kann. Dementsprechend nun, daß der Mensch sowohl Geist wie Natur ist, nahm Passavant einen doppelten Zusammenhang zwischen den Menschen an, einen organischen und einen magnetischen oder magischen, von denen der magische dem organischen so vorangehe, wie die Idee des Kunstwerks im Haupte des Künstlers dem Kunstwerk selbst vorausgeht. Wenn wir, wie der Magnetismus behauptet, durch Handauflegen unsere Kraft auf andere übertragen können, so gewinnt die Priesterweihe eine lebensvolle Bedeutung, indem dann wirklich eine ununterbrochene magische Kette vom ersten Geweihten bis zum gegenwärtig letzten herunterführt. Magisch-organische Ketten verbinden die Geschlechter, da das Kind mit der Lebenskraft der Eltern gleichsam geladen ist. An Stelle der Begriffe Menschheit, Thierheit oder Thierwelt, Pflanzenwelt, treten lebendige Individuen: nur die Menschheit ist der ganze Mensch, nur die Gesammtheit der Thiere das Thier. Man kann sich denken, welche Wirklichkeit das Bild habe, das Christus das Haupt der Menschheit nennt.

Das Romantisiren, sieht man, besteht hier hauptsächlich im Lebendigmachen und Persönlichmachen. Die Wissenschaft bestätigte die ahnungsvolle Dichtung kindlicher Völker, die Götter und Heroen als Sternbilder an den Himmel versetzte. Nicht als todte Körper nach mechanischen Gesetzen drehen sich die Gestirne, nicht als seelenlose Organismen stehen uns Bäume und Pflanzen unverständlich gegenüber: die Dryaden des Waldes, die Nymphen der Gewässer, die Elfen der Wiesen und Blumen feiern ihre Auferstehung, was Bild war wird Wirklichkeit. Vielleicht in Erinnerung an einen Ausspruch des Plato, der die Welt ein mit Seele begabtes Thier nannte, wird die Seele als »lebendiges Kugelthier« bezeichnet; Görres nennt sie einmal die göttliche Madonna mit dem geliebten Kinde, nämlich dem Menschen. Ganz allgemein fassen die romantischen Forscher die Welt als den Total-Organismus, die Erde als Erd-Organismus auf.

Von diesem Standpunkt aus wird die Zuneigung der Romantik für die Astrologie verständlich, als für die Wissenschaft, die die Beziehungen der überirdischen Weltorganismen zu dem Organismus Erde und den irdischen Organismen untersucht. In der Astrologie, sagt Windischmann, entwickelte sich zuerst in der alten Welt die Idee der Einheit in der Natur; und es gehöre deshalb der Glaube an den Bezug des Himmels und namentlich der Planeten auf die irdischen Begebenheiten zur innersten Religion. Ein so verständiger und von aller Ueberspannung entfernter Mensch wie Wilhelm Grimm schrieb gelegentlich an seinen Bruder: »Ich glaube gewiß, daß unser Schicksal an den Himmel und die Sterne geknüpft ist.«

Während Keplers Name von den Romantikern mit andächtiger Verehrung genannt wurde, verabscheuten sie in Newton den Urheber der mechanischen Weltansicht, den Feind wahrer Religion, Philosophie und Naturanschauung, da er den Weltkörpern die Seele und das eigene Leben nahm und sie zu todter, bewegter Masse herabsetzte. In seiner Lehre sahen sie den Ausgangspunkt des Materialismus, der Irreligion; wer die Sterne leugnet, leugnet die Erde, leugnet den Menschen und muß zuletzt auch Gott leugnen, heißt es bei Baader. Aehnlich drückt sich jener französische Philosoph St. Martin aus, den schon die Brüder Schlegel gern anführten, und aus dem Baader viel und gern schöpfte; die Sensibilität der Erde war ein Hauptsatz der Schule des Pasqualez gewesen, aus welcher St. Martin hervorging.

Hier schwebte also dieselbe Idee vor, die Fechner veranlaßte, den Vorschlag zu machen, man möchte einmal, anstatt das Organische aus dem Unorganischen ableiten zu wollen, das umgekehrte versuchen und das Unorganische als Residuen des lebendigen Erd-Organismus ansehen. Zwar unterließen es die Romantiker, überwältigt von der Fülle und dem Glanze ihrer Ideen, sie klar und gründlich zu verfolgen; aber wenn der übrigens dunkle und feierlich ungeschickte Ritter in einer Rede über die Physik als Kunst sagt: »Die Erde war ein vollkommen Lebendiges, ist es nicht mehr – das Feuer fehlt ihr fast ganz – wo ist das Feuer hingekommen – was bedeutet der scheidende Koloß, der leblos zu unseren Füßen liegt?« so liegt als Folgerung augenscheinlich darin eingeschlossen, was Fechner aussprach. Ist die Erde ein lebendiger Organismus, so hat es nichts räthselhaftes, daß sie lebendiges hervorbringt. Die Frage nach dem Entstehen des Lebens auf der Erde wurde erst möglich, als man das Leben als etwas der Erde mit den Organismen neu hinzukommendes anzusehen anfing. Wie selbstverständlich es für die Romantiker war, daß das All beseelt sei und der Geist Gottes ewig über den Wassern schwebe, geht daraus hervor, daß sie die sogenannte generatio spontanea im allgemeinen nicht für etwas Unmögliches oder nur wunderbares hielten: gelegentlich werden die Infusorien, aus aufgelöstem Fleisch erzeugt, animalische Atome, die Schimmelpilze vegetabilische Atome genannt. Die Erde ist die große Gebärerin, die, befruchtet von der Sonne, im Wasser das organische Leben erzeugt. Daß auch die andern Gestirne ihre Bewohner hätten, wurde für wahrscheinlich gehalten.

Im Meere, das lebendig ist, entstanden, das war die Meinung der Romantiker, sowohl die niedersten pflanzlichen wie die niedersten thierischen Organismen; nicht etwa sind diese aus jenen hervorgegangen, nicht nach dem Bilde einer Reihe oder Leiter entwickelten sich Pflanzen und Thiere, sondern sie verhalten sich wie die verschiedenen Zweige eines und desselben Baumes zu einander. In diesem Punkte schieden sich die Romantiker unversöhnlich von den Darwinisten, denen sie insofern eigentlich den Boden bereiteten, indem sie die Auffassung des Lebens als eines Entwickelungsprozesses, und daß die höheren Formen sich aus den niederen entwickeln zum Gemeingut der Gebildeten machten. Dagegen leugneten sie nachdrücklich die Veränderlichkeit der Arten, höchstens daß sie aus den untersten Stufen der Entwickelung ein Ineinanderübergehen der Formen für möglich hielten, was auch wiederum Fechner als »Princip der abnehmenden Veränderlichkeit« aufgenommen hat.

Dies hängt schon damit zusammen, wie die Romantiker klar erkannten, daß auf den höheren Stufen eine stets ausgesprochenere Individualität erreicht wird, deren Wesen eben Loslösung vom Ganzen und Unbeeinflußbarkeit ist, Gewinnen eines eigenen, unverrückbaren Mittelpunktes.

Nach der neuen Lehre wisse man nicht, sagt Baader einmal, ob nicht aus einem Stein ein Baum, aus einem Baum ein Pferd, aus einem Pferde ein Mensch werden könne. Dies sei aber unmöglich; jede Art entspreche einer ewigen Idee, habe ihren unauslöschlichen Charakter, der innerhalb seiner Grenzen durchaus verharren müsse, nur durch Wiedergeburt der eigenen Form sei Vervollkommnung denkbar. Auch Kielmeyer und Oken, die beide das biogenetische Grundgesetz wohl kannten, und von denen namentlich der erstere durch keinerlei vorgefaßte religiös-philosophische Meinung beeinflußt war, behaupteten fest die Unveränderlichkeit der Arten.

Eine bestimmte Theorie darüber, wie die Entwickelung, die die Romantiker lehrten, vorzustellen sei, liegt nicht vor. Sie glaubten, daß Gott einen gewissen Inhalt in das Weltall hineingeschaffen habe, der sich durch das Leben entwickeln solle, daß alle individuellen Lebensformen im Chaos inbegriffen waren und zugleich belebt und beseelt worden seien. Die Natur mache stets neue Ansätze, um etwas, nämlich das individuellste zu erreichen; das Leben sei ein Phönix, der sich immerfort verbrenne, um neu aus der Asche zu erstehen; die letzte Entwickelung sei der letzte Endzweck. Wenn Fechner den Kampf ums Dasein zur Erklärung der Entwickelung gering anschlägt und dagegen ein »Princip der Abhängigkeit der Existenzbedingungen der Organismen von einander« annimmt, nämlich daß das ganze kosmorganische Reich, da es in der Uranlage eine zusammengehörige Einheit bildete, sich immer mit Bezug auf einander differenziren müsse, so folgt diese Auffassung mit Nothwendigkeit aus der Anschauung der Romantiker.

Dem Gesetz von der Entwickelung der höheren Individuen aus den niederen scheint auf den ersten Blick die ebenso oft wiederkehrende Behauptung, daß der Mensch in seiner jetzigen Erscheinung gefallen sei, zu widersprechen. Doch muß man bedenken, daß die aufsteigende Entwickelung nur ein Ausdruck für die beschränkte menschliche Auffassung ist; denn insofern die ewigen Lebensformen alle Gott angehörig sind, können sie gar nicht als höhere und niedere unterschieden werden und sind es nur durch ihr vereinzeltes Erscheinen, das unsere Sinne wahrnehmen. Gehen wir von Gott aus, steht der selbstbewußte Menschengeist an der Spitze der Erdengeschöpfe, die alle gewissermaßen von ihm umfangen sind wie der Mensch selbst es von Gott ist; gehen wir von der Erscheinung in der Zeit aus, so ist der Mensch das Schlußgeschöpf oder vielmehr die letzte und höchste uns bekannte organische Entwickelungsform.

Von beiden Seiten ausgehend gelangt auch die Naturphilosophie (oder romantische Philosophie) zu der wichtigen Ansicht, daß der Mensch nicht die letzte Form sein kann, die Gott gedacht hat und die die Natur anstrebt, sondern daß die Entwickelung über den Menschen hinausgehen müsse. Ist der Mensch in göttlicher Vollkommenheit aus der Hand Gottes hervorgegangen und gefallen, so muß es wohl sein Ziel sein, diesen Zustand wieder zu erreichen; sieht man davon ganz ab, so ist doch nicht einzusehen, warum die Natur bei einer so mangelhaften Form, wie der Mensch ist, stehen bleiben solle. Am klarsten und mit der ganzen revolutionären Kraft ihrer Bedeutung erlebte die Idee des Uebermenschen der interessante spätromantische Denker Georg Friedrich Daumer. Angeregt wurde Daumer durch einige Aeußerungen des französischen Romantikers Charles Nodier, wo er aus dem Drange des Menschen nach Vervollkommnung darauf schließt, daß er der Gipfelpunkt der Schöpfung nicht wäre. Und zwar träumt er von einer erhöhten Menschheit mit neuen Organen, die die jetzige verdrängen würde, so ähnlich wie neue Thiergeschlechter sich über den ausgestorbenen erhoben haben.

Dieser Gedanke, daß der Mensch nur eine Uebergangsform sei, die ein vollkommneres Wesen, das Daumer den Engel der Zukunft nannte, vorbereitete, rief einen Umschwung in allen Anschauungen Daumer's hervor. Ein reizbarer Idealist hatte er sich durch die Mängel des Menschen niederdrücken und, wie er selbst sagt, zum odium generis humani treiben lassen; nun konnte er seine Ansprüche auf den »Zukunftsmenschen« übertragen, die jetzige Menschheit hassen und verachten und doch in Hoffnungen schwelgen. Doch löste er die Frage, ob der Uebermensch sich aus und innerhalb der jetzigen Menschheit entwickeln würde oder ob noch eine neue Artbildung erwartet werden könne, anders als Nodier; denn er entschied sich für die Ansicht, daß die jetzige Menschheit die Grundlage der neuen bilde. Schon bei Novalis findet sich die Meinung angedeutet, die auch neuerdings wieder auftaucht, daß von der Möglichkeit einer organischen Veränderung des Menschen abzusehen sei, da der menschliche Geist die Weiterentwickelung der Organe gewissermaßen selbst übernommen habe, indem er ihnen durch Werkzeuge zu Hülfe komme. Für Daumer fiel von dieser Vorstellung ein neues Licht auf die Bedeutung der christlichen Religion: in Christus sah er nun den Erstling der Zukunftsmenschen, das Vorbild, das nur durch Wiedergeburt des alten Adam, nämlich der alten Menschheit erreicht werden kann. Insofern blieb also doch die Meinung gültig, daß der Mensch das Schlußgeschöpf sei.

Fast ohne Ausnahme stimmten die Romantiker im Glauben an den Uebermenschen überein, nur daß die einen mehr vom naturwissenschaftlichen, die andern mehr vom religiösen oder mystischen Standpunkte aus dazu gelangten. Der Mensch greife tiefer in sich hinein, sagten sie, und er muß den Urmenschen wiederfinden und aus sich gebären können, der er war und der er werden soll. Der Mensch, wie er aus Gottes Händen kam, war geschlechtslos, vielmehr Mann und Weib zugleich, unsterblich, Herr der Natur. Er war mit magischen Kräften begabt, das heißt mit solchen, die uns wunderbar erscheinen, weil sie aus dem gewöhnlichen Gange der Natur heraustreten und unmittelbar wirken, wo wir materieller Vermittelung bedürfen. Mit solchen Kräften beherrschte er sowohl seine eigene Natur wie die ihn umgebende und war alles dessen mächtig, was von jeher Heilige oder Zauberer und Hexen, die die verlorene Götterkraft ganz oder theilweise, lauter oder verderbt wieder herstellten, vermochten oder denn zu vermögen vorgaben. Dieser Herrenmensch fiel zusammen mit der ganzen Natur, deren Mittelpunkt er sein sollte und die zu erlösen nun, neben der eigenen Wiedergeburt, seine wichtigste Bestimmung ist. Wie die Menschheit Christus geboren hat, damit er sie erlöse, so die Erde den Menschen; wie Gott Christus der Menschheit zum Haupt und Mittelpunkt gedacht hat, so den Menschen der Erde. Im Glauben an die nothwendige Erlösung, sagt der katholische Philosoph Baader, liege wesentlich die Religion; und allerdings setzt das Gefühl der Erlösungsbedürftigkeit ein uns tragendes und wissendes Wesen, Gott, voraus.

Ueberhaupt ist Gott für die romantische Anschauung der von selbst einleuchtende, der Erklärung nicht bedürfende Grund alles Denkens und Seins. »Gottes Dasein«, sagt Schelling selbst, »ist eine empirische Wahrheit, ja die Grundlage aller Erfahrung. Wer das gefaßt hat, dem ist der Sinn aufgegangen für Naturphilosophie.« Kann man sagen, daß, wer die Sterne leugnet, auch den Menschen und schließlich Gott leugnen wird, so muß es entsprechend wahr sein, daß, wer die Sterne glaubt, auch die Menschen und Gott glauben muß. Die Welt wäre keine lebendige Einheit, als welche die Naturphilosophie sie doch betrachtet, wenn es nicht einen Mittelpunkt gäbe, der sie zusammenhält und mit einem einheitlichen Gedanken beseelt; das ist Gott. Doch ist er nicht mit der Weltseele zu verwechseln.

Die romantisch-naturphilosophische Weltanschauung kann leicht als pantheistische mißverstanden werden; auch wurde Schelling namentlich anfangs sowohl von Anhängern wie von Gegnern der Vorwurf des Pantheismus gemacht. Je mehr aber die Romantiker diese Gefahr erkannten – denn dafür hielten sie es – desto bewußter erklärten sie sich dagegen. Sie wollten so wenig von einem bewußtlosen wie von einem werdenden Gott etwas wissen und wandten sich deswegen energisch gegen den aus der Romantik hervorgegangenen Hegel, der die Natur- und Menschengeschichte als eine Entwickelung Gottes angesehen wissen wollte. Wenn Hegel die Lehre Kant's bestritt, daß wir nur die Erscheinung, nicht das Ding an sich kennen könnten, indem er behauptete, die Erscheinung sei eben nichts als das explicirte Wesen, dasselbe gehe in der Erscheinung auf wie der Mensch in der Reihe seiner Thaten, so erhob sich dagegen wiederum die Romantik und sagte – ich führe hier Passavant an – nein, der Mensch ist nicht nur die Reihe, sondern auch die Quelle seiner Thaten, und ebenso Gott. Gott ist transcendent, geht nicht auf in der Erscheinungswelt, ein Mysterium bleibt. Passavant dachte dementsprechend daran, das Geheimniß von Freiheit und Nothwendigkeit so zu erklären, daß der Mensch nicht für seine Handlungen, aber für seinen Willen, die Quelle seiner Thaten, verantwortlich zu machen sei. Man sieht hier – wie an vielen anderen Punkten die Berührung der Romantik mit Schopenhauer.

Wo sich romantisch-naturphilosophische Strömungen mit modernen, sogenannten jungdeutschen mischen, wie z. B. bei Oken, wird man allerdings die Grenze gegen den Pantheismus hin überschritten finden. »Gott ist eine rotirende Kugel. Die Welt ist der rotirende Gott« oder »Gott ist Monas indeterminata«, das sind Aeußerungen, die auf dem Boden der Naturphilosophie gewachsen, aber über den Pantheismus nicht herausgekommen sind.

Die eigentlich romantische Idee von Gott ist die: Gott ist nicht identisch mit der Welt; sondern er ist zugleich ihr Mittelpunkt und umfaßt und trägt sie. Gott ist in allem, aber nicht alles ist Gott, ähnlich wie unsere Seele in unserm ganzen Leibe ist, darum aber unser Leib doch nicht identisch mit der Seele ist. Der berüchtigte außerweltliche Gott wäre demnach wieder da, wenn nicht stets betont würde, daß er die Welt sowohl von innen wie von außen bewegt und, wenn auch nicht nothwendig, so doch freiwillig untrennbar mit ihr zusammenhängt. Unser Verhältniß zu Gott wird am besten durch den Bibelspruch bezeichnet: in ihm leben, weben und sind wir. Weil er uns weiß, wissen wir uns, weil er der Leuchtende ist, sehen wir, weil er der Tönende ist, hören wir. Carus nannte diese Gottesauffassung Entheismus; womit hauptsächlich, im Gegensatz zum Pantheismus, ausgedrückt sein soll, daß wir uns in Gott fühlen, aber nicht mit ihm identisch halten sollen. Sehr glücklich veranschaulichten die Romantiker die Beziehung zwischen Gott und Mensch durch das Bild eines rein menschlichen Verhältnisses: nämlich zwischen dem Magnetiseur und dem Magnetisirten. Man kann sich thatsächlich das Leben der Seele in Gott, das Getragensein von ihm nicht besser deutlich machen; in gewissen Fällen der Abhängigkeit nimmt der Magnetisirte das in Zeit und Raum entfernte wahr, wenn der Magnetiseur ihn damit verbindet, das nächste nicht, wenn er nicht durch ihn damit verbunden ist; wirft er seine Sinnlichkeit auf den Magnetiseur ab und empfängt die Welt durch ihn, sieht mit seinen Augen und hört mit seinen Ohren. Der Magnetiseur ist in Wirklichkeit der Mittelpunkt des Magnetisirten geworden und hat ihn dadurch frei und leicht gemacht; je höher der Magnetiseur steht, desto glücklicher ist der Zustand des Magnetisirten, der, wäre der Magnetiseur Gott, nunmehr das Paradies wiedergewonnen hätte.

Waren die Romantiker keine Pantheisten, so waren sie ebensowenig Spiritualisten. Gott ist ihnen ein Geist, aber deswegen nicht naturlos; so wenig wie der Mensch, nach dem Bilde Gottes gemacht, ohne Leib, so wenig kann Gott ohne Natur gedacht werden. Das stete Festhalten an der Natur bei einer Richtung auf das Geistige ist wesentlich romantisch und kann auf jedem Gebiete beobachtet werden; es hängt zusammen mit der der Romantik gleichfalls wesentlichen Ehrfurcht vor der Individualität. »Die Natur ist das dem rein geistigen Princip Individualität verleihende«; es kann demnach, und wenn die individuellste Bildung Ziel der Entwickelung ist, niemals Loslösung von der Natur, sondern immer innigere Durchdringung derselben Bestimmung des Menschengeistes sein.

Diese Auffassung erweist sich vornehmlich, wenn es sich um die Frage unseres Zustandes nach dem Tode handelt. Manche romantische Dichter, die nicht gerade folgerichtige Denker waren, schwankten zwischen dem Drange nach persönlicher Unsterblichkeit und der Sehnsucht nach Auflösung in der Natur; aus beiden Trieben ist die Unsterblichkeitsansicht der Romantik erwachsen. Die naive Idee von der Auferstehung des Fleisches, in der sich der Wunsch individueller Fortdauer äußert, wird nach ihrer großartigen Auslegung durch den Apostel Paulus beibehalten. Einige nehmen einen inneren Leib oder Astralleib an, der den Verfall des materiellen Leibes überdauert, andere drücken sich so aus, daß ein Keim des materiellen Leibes nach dem Tode mitgenommen werde. Schubert gebraucht dabei zur Erläuterung das Bild von dem verdauenden Leibe, der aus der Speise die todten Reste der Speise ausstößt, aber einen Nahrungssaft zurückbehält, aus dem neues Fleisch wird; so, meint er, behielte die Seele aus dem sterbenden Leibe einen Keim der Unsterblichkeit mit reproducirender Kraft, aus welchem der Geistleib entstände. Schelling bezeugt, daß anhaltendes Nachdenken in ihm die Ueberzeugung befestigt habe, daß der Tod die Persönlichkeit nicht schwäche, vielmehr erhöhe, indem er sie von manchem zufälligen befreie; daß der Zustand nach dem Tode mit einer bedeutenden Steigerung des Bewußtseins verbunden sei.

Was hier mehr oder weniger als Glaube und Gefühl geäußert und höchstens durch ein Bild erläutert wird, suchte Passavant wissenschaftlich zu begründen in einer schönen Untersuchung darüber, ob nach dem Tode noch etwas von den Sinnen übrig bleibe. Er kam zu folgendem Ergebniß: Die Idee, welche die Richtung hatte mit der Natur in Bezug zu treten und Organe dazu bildete, wird diese Richtung nicht verlieren. Man könnte zwar meinen, daß sie, nach Schwinden dieser Organe in der uns bekannten Form, ihren Zweck auf einem ganz anderen Wege zu erreichen suchte; aber da wir uns Entwickelungszustände – und das Entwicklungsprincip wird auch nach dem Tode beibehalten – nur als Fortrücken und Potenziren früherer Zustände denken können, so muß die künftige Beziehungsweise der Seele zur Natur Aehnlichkeit mit der jetzigen haben, und es muß etwas der jetzigen Sinnesthätigkeit analoges bestehen. So könnte z. B. der künftige Leib ganz und gar Lichtorgan sein, alles könnte uns durchsichtig und das Wesen der Natur – insofern auch der göttliche Gedanke – mehr und mehr erschlossen werden. Eine entsprechende Verwandlung könnten die übrigen Sinne erfahren. Wahrscheinlich ist es, daß auf höherer Stufe die Beziehungen zur Natur nicht mehr geschieden sind, sondern an Stelle der Sinne ein Allsinn tritt, der uns die verschiedenen Manifestationen der Natur ineinander übergehend oder zugleich erscheinend vermittelt.

Also: nicht Aufgehen nieder in der Natur noch in Gott, sondern immer innigere Berührung, immer helleres Erkennen. Aehnlich nannte Justinus Kerner, während er in schweren, trüben Stimmungen das Sichauflösen in der Natur herbeisehnte, bei ruhiger Besinnung den Tod die innigste Vereinigung mit dem Geiste der Natur, den Zustand, in welchem man mit dem Leben der Geister und Gestirne befreundeter würde. Aber auch mit uns selbst werden wir in diesem Zustande inniger verbunden: wir verinnern uns gleichsam. Tiefer in unsere Seele hineintauchend begegnen uns dort lebendige Gestalten, nämlich unsere Sinnesbilder, die nun je nach ihrer Art unsern Himmel oder unsere Hölle ausmachen, so etwa wie wir es vorbildlich im Traume erleben. In diesem Sinne, kann man sagen, fügt Ringseis seiner bedeutungsvollen Theorie über die Realität der Sinnesbilder hinzu, daß unsere Werke uns nachfolgen.

Charakteristisch ist, wie ich schon sagte, daß das Entwickelungsprincip auch auf den Zustand nach dem Tode angewandt wird; so daß Passavant vorschlägt, es möchte statt vom künftigen Leben von künftigen Lebensformen gesprochen werden. Im Grunde ist es nur, wie so häufig in der Romantik, ein wissenschaftlicher Ausdruck für das, was die dichtende Mythe in Bildern verkündete; wenigstens die christliche Mythe lehrte auch eine Stufenordnung im Himmel, ein Unterwiesenwerden und allmähliges Aufsteigen der Unmündigen, wie es Goethe im zweiten Theile des Faust dargestellt hat.

Neben dieser Unsterblichkeitsanschauung begegnen wir bei den Romantikern einer andern, welche die Unsterblichkeit als etwas dem lebendigen Menschen erreichbares, oder, besser gesagt, in der Constitution des Uebermenschen liegendes ansieht. Nicht nur der phantasievolle Ringseis sagte: »Der Tod ist nicht natürlich, er kommt nur bei allen vor;« auch der alte Reil, ein Gelehrter, der ebensogut der Aufklärungszeit wie der Romantik angehörte, that gelegentlich den Ausspruch, das Sterben sei nicht als nothwendig nachzuweisen. Justinus Kerner und Baader behaupteten, vollkommen unabhängig von einander, alles Ernstes, der Tod hänge mit der Geschlechtsliebe zusammen, sei mit ihr entstanden und würde mit ihr verschwinden; einmal würden keine Kinder mehr erzeugt werden, meinte Baader in einem Jugendbriefe, und der Mensch unsterblich sein. »Warum sollten wir uns nicht einen Zustand denken, in welchem Reproduktion und Irritabilität zu einem Minimum herabsinken, die Sensibilität dagegen das Maximum wird?« In welchem also das, was man damals den Nervengeist nannte, die Hülle der Seele bildete, der neue Leib ein Hirn-Leib und insofern, – da das Gehirn immer dem Lichte gleichgesetzt wurde, ein Licht-Leib wäre. Da diese Vorstellung sowohl auf den Zustand nach dem Tode wie auf den der irdischen Zukunft anwendbar ist, ließe sich denken, daß dasselbe Ziel in der irdisch-materiellen Religion die sich entwickelnden Generationen erreichten, welchem der Einzelne nach dem leiblichen Tode entgegen ginge. Soviel bleibt als allgemeine Ueberzeugung, daß der Schauplatz des Lebens sich nicht verändert, als höchstens im Menschen selber. Das Wort des Novalis: »Nach Innen geht der geheimnißvolle Weg« bleibt die Lösung der romantischen Gedankenarbeit aus diesem Gebiete; so aber, daß das Aeußere dem Innersten nur um so näher rückt.

Gott, Welt und Individuum, keine der Größen dieser Dreiheit verläugnet oder bekämpft die romantische Weltordnung, nur will sie sich jeder im richtigen Maaße hingeben.

Carus stellt die Frage: Kann die Idee – nämlich unseres Seins – durch ihr sich Darleben ein Resultat gewinnen? oder, schlichter gesagt: Wozu leben wir? und beantwortet sie folgendermaaßen: Als Fühlende sollen wir anstatt zur Gottlosigkeit zur Gottinnigkeit gelangen, als Wollende anstatt zur Verweltlichung zur Weltinnigkeit, als Erkennende anstatt zur Selbstsüchtigkeit zur Selbstinnigkeit. Dies maaßvolle Schweben über den Polen ist freilich im Leben weit schwerer darzustellen als schrankenlose Ergebung an Eines, sei es Gott oder die Welt oder das Selbst; weswegen auch extreme Weltanschauungen, wie etwa die mittelalterlich-asketische oder der Materialismus, weit eher sich ausbreiten und zur Macht werden können.

Ich habe versucht den Boden abzugrenzen, auf dem ein reiches und buntes Gedankenleben, alle Gebiete des menschlichen Seins berührend, sich entwickelte. Man weiß, daß die Romantik keine Systeme schuf; doch eine sichere Grundlage gab es, von der alle ihre Denker ausgingen, die sich deshalb mit Recht als unter einander verbunden, Mitglieder einer unsichtbaren Kirche fühlten. Diese Grundvorstellungen, die ich angedeutet habe, von der Einheit und Lebendigkeit der Welt und von dem Gotte, der sie von innen erfüllt und von außen umfaßt, waren nicht nur Theorieen, die in Büchern standen; sondern, das ist gerade das charakteristische dieser Menschen und dieser Zeit, sie lebten in ihren Bekennern wie eine innig geglaubte Religion und beeinflußten ihr gesammtes Denken, so daß ihre systemlosen und oft im Einzelnen einander widersprechenden Schriften nichtsdestoweniger das Gepräge eines Geistes tragen.

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