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E. T. A. Hoffmann.

Heimathlose könnte man die romantischen Menschen auch in Bezug auf ihren Körper nennen, in dem sie sich nicht zu Hause fühlten; die unmittelbare Heimath des Menschen ist ja sein Körper, und ob er sich in dieser Umgebung wohl oder elend fühlt, das entscheidet über sein Heimathsgefühl auf der Erde. Hoffmann konnte mit seinem kleinen, mehr possirlichen als häßlichen Körper nicht zufrieden sein, dem reizbaren, den das heiße Blut zu einer brennenden Hölle machte, von dem er schon als Jüngling glaubte, er würde ihn nicht lange mehr brauchen können, sondern sich empfehlen, ohne ihn mitzunehmen. Bis aber der Tod ihm den Auszug ermöglichte, half ihm die Kunst wenigstens zeitweilig die unbequeme, drückende Wohnung zu verlassen. Daß er ein großer Künstler nicht war und Meisterwerke nicht schaffen konnte, sah sein scharfer, königsbergischer Verstand wohl ein; denn die Natur, sagte er, habe bei seiner Organisation ein neues Recept versucht, welches aber mißlungen sei, indem dem überreizbaren Gemüth, der bis zur zerstörenden Flamme aufglühenden Phantasie zu wenig Phlegma beigemischt und so das Gleichgewicht zerstört worden sei, dessen der Künstler durchaus bedürfe. Besonnenheit, Ruhe und Heiterkeit, die nach seiner eigenen Aussage vom wahren Genie unzertrennlich sind, fehlten ihm; sein Wesen und seine Kunst beruhten auf einem in ihm selbst begründeten Mißverhältniß, auf der Disharmonie. Der harmonische, objektive Dichter kann zwar gerade die interessanten Charaktere in unerreichbarer Reinheit und Anschaulichkeit hinstellen, wie Goethe's Werther, Faust, Tasso und Meister beweisen; aber etwas verlieren sie doch, indem sie sich in dem Auge des Besonnenen spiegeln und dort eine Ganzheit gewinnen, die ihnen in Wahrheit abgeht. Er hat die Sehnsucht, die Pein, das Unbehagen, alles was den unharmonischen Dichter martert, nicht selbst empfunden, und einzig darin liegt das, was dieser vor jenem voraus hat. Das Schöne, das Seiende zu schaffen ist ihm versagt, aber wie er selbst etwas Interessantes, d. h. etwas Werdendes ist, können es auch seine Werke sein, seine Subjektivität macht seine Größe aus, und je mehr wir ihn selbst in seinen Werken antreffen mit allen seinen Unvollkommenheiten, desto reizvoller sind sie.

Die Sehnsucht also war seine Muse, Sehnsucht nach einem Geisterlande, wo es eine so quälende Körperlichkeit wie die seinige nicht gäbe; ihr zur Seite standen ein klarer, scharfer Verstand und eine bewundernswerthe Geisteskraft, was alles zusammengenommen erst seine Eigenart ausmacht und ihn wesentlich von den meisten andern romantischen Schriftstellern unterscheidet Der innere Zwiespalt, die Einsicht in sein Wesen, die Sehnsucht, sich über ihn zu erheben, die Kraft es zu thun, daraus ging sein Humor hervor, der seinen Werken, die sonst höchstens ein jugendliches Alter durch starke Mittel und Seltsamkeiten eine Weile spannen könnten, die Weihe giebt.

Häufig tritt in seinen Erzählungen eine Person auf, die durch groteske Eigenthümlichkeit der äußeren Erscheinung und des Betragens beinah widerwärtig auffällt. Ein skurriles Lächeln, eine kreischende Stimme, ein stechendes Auge, ein Gehen in seltsamen Bocksprüngen sind ihre unerfreulichen Kennzeichen. So der wahnsinnig diabolisch höhnende Rath Krespel, der kleine Obergerichtsrath Drosselmeier, der statt des rechten Auges ein großes schwarzes Pflaster und statt der Haare eine schöne reine Glasperrücke trug, der Professor in der Automate mit der unangenehm dissonirenden hohen Stimme, der Spieluhren und musikalisch-mechanische Figuren verfertigt, der hagere Archivarius Lindhorst mit den großen starren Augen, die »aus den knöchernen Höhlen des mageren, runzlichten Gesichtes wie aus einem Gehäuse hervorstrahlten«, den die Schöße des Ueberrocks, wenn der Wind hineinfährt, wie ein Paar große Flügel umflattern.

Plötzlich, zuweilen, verändert sich die bizarre Erscheinung, die Verzerrung glättet sich in sanfte Erhabenheit und durch die komisch häßliche Maske scheinen ehrfurchtgebietende Mienen. Dann verwandelt sich der weite damastene Schlafrock des Archivarius in einen Königsmantel, ein goldnes Diadem schlingt sich durch seine weißen Locken und von seinen anmuthigen Lippen strömt anstatt der kuriosen, unverständlichen Redensart gemüthvolle Weisheit. Dann tritt auf das Antlitz des Professors statt des abschreckenden sarkastischen Lächelns ein tiefer melancholischer Ernst, die grauen stechenden Augen blicken in seliger Verklärung himmelwärts und während ihn sonst das geistlose taktmäßige Geklingel seiner Maschinen umgab, strömt jetzt wunderbare Musik aus Büschen und Bäumen und erfüllt die Seele mit himmlischen Ahnungen. Daß der Obergerichtsrath Drosselmeyer eigentlich ein guter Wundermann ist, der alles weiß, fühlen die Kinder, und auch den Rath Krespel schauen die Kinder freundlich und ehrfürchtig zugleich an. In diesen Männern malte sich Hoffmann selbst ab, der mit seiner kleinen behenden Gestalt, den feinen, zusammengepreßten Lippen, um die ein ironisches Lächeln schwebte, den großen spähenden Augen unter mephistophelischen Brauen und dem grotesken Ziegenbocksprofil wie ein Hexenmeister oder Zaubermännchen erschien und auf Fremde zunächst abstoßend wirkte; der aber, wenn er in seinen Träumen von der Außenwelt Abstand nahm, sich anders fühlte und schaute, gut, sanft und weise, wie er gewesen sein mochte, als er, ein kleines Kind, seiner selbst noch nicht mächtig, auf dem Schoße der jungen Tante Füßchen saß und ihrem süßen Gesange zuhörte oder wenn ihn in der Neujahrsnacht die sanfte Musik von Clarinetten und Hörnern auf dem Schloßthurme weckte und er glaubte »silberne Engel trügen jetzt das neue Jahr einem Sterne gleich am blauen Himmel vorbei,« aber den Muth nicht hatte aufzustehn und zu sehen. Es gab für ihn, der sich nicht eins in sich fühlte, in Wirklichkeit zwei Welten, und diese Doppelgängerei, diese Bürgerschaft in zwei ganz verschiedenen Reichen, bildet den poetisch-philosophischen Grundgedanken der meisten seiner Schriften.

Am vollkommensten ist Hoffmann die Darstellung dieser Doppelwelt im Märchen vom goldenen Topfe gelungen. Der Archivarius Lindhorst ist ein wunderlicher Mann, der zu seinem Vergnügen chemische Experimente macht und alte Bücher liest, viel seltene Maunskripte in fremden Sprachen besitzt, dazu drei Töchter, mit denen er in einem abgelegenen Hause vor den Thoren Dresdens wohnt. Aber für den Eingeweihten ist er der Salamanderfürst, entsprungen aus der Verbindung der Feuerlilie mit dem Jüngling Phosphorus, seine Töchter gleiten als goldgrüne Schlänglein am Stamme des Hollunderbaumes, in der Abendsonne blitzend auf und nieder, und die jüngste entzündet das Herz des Studenten Anselmus, der darunter liegt und träumt, zu unendlicher Liebe. In dem kleinen Garten vor dem Thore blühen Kaktus und flammende Lilien, rieseln krystallene Fontänen in Marmorbecken und plaudern fremde, wundervolle Vögel und die Decke des Zimmers, in dem Anselmus Manuskripte abschreibt, ist ein azurblauer Himmel, den grüne Palmensäulen tragen. Aber nur Anselmus sieht dies alles; nur er weiß, daß die alte Liese, das Apfelweib, die Abends heimlich verbotene Wahrsagerei treibt, der Abkömmling des Flederwisches und der Runkelrübe ist, ein teuflisches Princip, das dem Salamanderfürsten nachstellt, weshalb sie sich auch in den bronzenen Thürklopfer an seiner Hausthür verwandelt und als der Student ihn anfassen will, ihn ekelhaft angrinst und mit entsetzlichen Worten anschnarrt, daß er augenblicklich in Ohnmacht fällt und sein beabsichtigter Besuch unterbleibt. Als er dann des Archivarius Tochter Serpentina geheirathet hat, weiß nur er, daß das Rittergut, welches nach der Meinung der Leute sein Schwiegervater dem jungen Paare geschenkt hat, in Wahrheit das Wunderland Atlantis ist, die Heimath des Salamanders und der Feuerlilie, wo der Einklang aller Wesen verwirklicht ist.

Die Komik und der Humor entstehen nun aus dem Zusammenstoß dieser Welt mit der der reinen Prosa, die vertreten ist durch den Conrector Paulmann mit seiner Tochter Veronika und den Registrator Heerbrand, der um sich einen Schein höherer Bildung zu geben, Verständniß, ja eine gewisse Neigung für das Wunderbare und Poetische trägt, was ihm aber in der That womöglich noch ferner liegt als jenem. Veronika dagegen, ganz jung und unreif, doppelt bildsam durch ihre Verliebtheit in Anselmus, schwankt eine Weile zwischen den beiden Welten, bis eitle Sinnlichkeit den Sieg über sie davonträgt, so daß sie sich begnügt Hofräthin Heerbrand zu werden.

Bewunderungswürdig durchgeführt ist der Uebergang aus einer Welt in die andere, so nämlich, daß wir ihn sich vollziehen sehen durch die Augen des Studenten Anselmus und es uns freisteht wie der Conrector Paulmann zu glauben, derselbe sei betrunken oder wahnsinnig, oder dies sei die Art eines poetischen Gemüthes die Dinge aufzufassen. Die letztere Deutung flicht Hoffmann selbst mit überflüssiger Deutlichkeit in die Geschichte ein, die man aber nur im Lichte seiner, der romantischen Weltanschauung, recht versteht: daß der Bildersprache des Dichters, des Kindes und des ursprünglichen Menschen eine Wirklichkeit entspricht, die durch die Entwickelung des Unbewußten zum Bewußtsein in Zeit und Raum verloren, aber ewig wahr und da sei und auch für den Menschen wiedergewonnen werden müsse.

Dieselbe Idee wird in derselben Art in mehreren andern Erzählungen ausgeführt. Im Klein Zaches ist das Fräulein von Rosenschön für den Wissenden die Fee Rosabelverde, die vor dem Aufklärungsedikt des Fürsten Paphnutius in einem Fräuleinstift Zuflucht suchen mußte, und der Doktor Prosper Albanus ein Zauberer, der bei Zoroaster die Weisheit erlernt hat. Aber nur Balthasar sieht die weißen Einhörner, die seinen Muschelwagen ziehen und den Silberfasan, der ihn lenkt, nur er vernimmt die Himmelsmusik, die in herrlichen Akkorden durch seinen Garten wogt; der Pöbel sieht nur ein wunderlich aufgeputztes Cabriolet und hört die Klänge einer geschickt angebrachten Aeolsharfe. Klein Zaches ist das mißgestaltete Kind eines armen Bauernweibes, dem die Fee aus Mitleid die Gabe verliehen hat, alle Bewunderung die andere verdienen auf sich zu lenken. Aber die Kraft, die nicht aus seinem Selbst hervorgeht und ihm nur äußerlich angeklebt ist wie ein paar Flügel, die dem Menschen doch nicht zum Fluge helfen, kann nicht dauern: Klein Zaches geht elend zu Grunde, aber nach seinem Tode fängt der Liebeszauber der guten Fee wieder zu wirken an, daß er allen erscheint was er niemals war: als ein vollendeter Mensch. Auch über diesem Stiefkinde der Natur, dessen äußere Häßlichkeit seine innere ausdrückt, waltet die erbarmende göttliche Liebe und birgt es tröstend in ihren geheimnißvollen Schatten. In wenig anderen Erzählungen zeigt sich Hoffmann so schön als der Humorist, der im Urdarbrunnen, dessen Geschichte er dem tollen Märchen von der Prinzessin Brambilla zu Grunde gelegt hat, sich und die Welt geschaut und erkannt hat. Nach seiner eigenen Ausdrucksweise bedeutet die Urdarquelle nichts anders als »die wunderbare, aus der tiefsten Anschauung der Natur gebotene Kraft des Gedankens, seinen eigenen ironischen Doppelgänger zu machen, an dessen seltsamlichen Faxen er die seinigen und – ich will das freche Wort beibehalten – die Faxen des ganzen Seins hienieden erkennt und sich daran ergötzt.« Denn wer sich selbst im Bilde, sich selbst als Erscheinung sehen kann, hat sich eben dadurch von der Scheinwelt gelöst und schwebt unberührt von ihrem Jammer als freies seliges Bewußtsein über ihr.

Im Märchen »das fremde Kind« ist der Magister Tinte zugleich der Gnomenkönig Pepser und eigentlich eine Fliege. Den Eltern seiner Zöglinge ist im Laufe des Lebens der innere Sinn schon etwas stumpf geworden und sie suchen ihren Kindern ernstlich einzureden, daß sie einen würdigen, menschlichen Erzieher haben; als er aber eines Tages seine Natur verräth, indem er sich summend und brummend über einen Milchnapf stürzt, ihn mit »widrigem Rauschen« ausschlürft, dann die nassen Rockschöße schüttelt und mit den dünnen Beinchen rasch darüber hinführt um sie glatt zu streichen, werden auch sie an ihm irre und zweifeln, ob sie den Magister Tinte oder eine Fliege vor sich haben.

Im Meister Floh ist Peregrinus Tyß der kindliche Träumer, für den, weil er den zauberkräftigen Karfunkel im Herzen trägt, die Welt durchsichtig ist und das Leben sich in ein schönes bedeutungsvolles Märchen verwandelt. Wenn das Volk sich zu dem Flohbändiger und Taschenspieler Leuwenhöck drängt, bei dessen Vorstellungen als stärkste Anziehungskraft ein reizendes kokettes Frauenzimmer, Dörtje Elverdink, wirkt, zu deren ernstesten und hitzigsten Verehrern der Student George Pepusch zählt, erlebt Peregrinus in diesem alltäglichen, zum Theil gemeinen Vorkommniß wundervolle Begebenheiten; denn Dörtje Elverdink ist eigentlich die Prinzessin Gamaheh aus Famagusta, die der häßliche Egelprinz todtküßte und der plumpe Genius Thetel entführte, wodurch sie in die Nachbarschaft der Distel Zeherit gerieth, nämlich des Studenten Pepusch, der sich auf ewig in sie verliebte. Zwei Magier entdecken die nicht gestorbene, nur verwandelte Gamaheh im Blumenstande einer Tulpe und rufen sie in's Leben zurück, aber »die wahnsinnigen Detailhändler der Natur, die die Natur zu erforschen trachteten, ohne die Bedeutung ihres innersten Wesens zu ahnen«, nützen die Entdeckung der Schönen nur aus, um sich ihren Besitz streitig zu machen. Sie, die der Welt in früheren Zeiten als die berühmten Naturforscher Leuwenhöck und Swamnerdam bekannt waren, fristen ihr Dasein jetzt als unrühmliche Taschenspieler und setzen ihren Kampf um die Prinzessin fort, bis er durch die Dazwischenkunft des Peregrinus zu beider Ungunsten entschieden wird. Den komischen Höhepunkt der Geschichte bildet das optische Duell der beiden alten Naturforscher, die jeder ein Fernglas aus der Tasche ziehen, es in's Auge setzen und grimmig gegeneinander ausfallen, wobei sie die Waffen durch Ein- und Ausziehen bald verkürzen, bald verlängern.

Eine verwandte Scene ist im Klein Zaches, wo Prosper Albanus und die Fee Rosabelverde, die ihre Geisterart gegenseitig durchschauen, sich zu überzaubern suchen, und in der Brautwahl, wo von den beiden Unheimlichen der eine schön ausgeprägte flimmernde Goldstücke aus den Rettigscheiben schlägt, die der andere jedesmal, indem er sie auffängt, in knisternde Funken zerstieben läßt.

Was nun Anselmus, Balthasar und andere Hoffmann'sche Lieblinge befähigt, die Wunderwelt jenseits der Sinnenwelt zu sehen, ist der innere Sinn, von dem so überaus viel in seinen Werken die Rede ist; er vergleicht ihn einmal mit dem sogenannten sechsten Sinne, den der Anatom Spalanzani an der Fledermaus entdeckt haben wollte, der nicht nur ein Stellvertreter der übrigen sei, sondern mehr leiste als sie alle zusammen. Das wäre also dasselbe was die Beobachter somnambuler Zustände damals das Gemeingefühl nannten, vermöge dessen die Schlafwachen und Hellseher die Funktionen ihrer entschlafenen Sinne und zwar im erhöhten Grade ausübten. Mit dem Fledermaussinn vergleicht Hoffmann die Sehergabe derjenigen, die in jeder Erscheinung, wie er sich ausdrückt, dasjenige Excentrische schauen, zu dem wir im gewöhnlichen Leben keine Gleichung finden und das wir daher wunderbar nennen, woraus denn wieder das Wunderliche hervorgeht, Nicht ohne Wehmuth nannte er sich selbst die Spalanzanische Fledermaus und allerdings starren aus seinem Selbstbilde die großen, weitoffenen Augen hervor, als ob sie ganz andere und weit seltsamere Dinge wahrnähmen, als die handgreifliche Alltagswelt aufgestellt hat.

Der Sinn für das Wunderbare war so stark ausgeprägt in Hoffmann und so in seinem Wesen begründet, daß er sich seiner Umgebung mittheilte und er selbst den andern als höchst wunderbar und wunderlich erschien und der geringste Vorfall, in dem er eine Rolle spielte, einen, wie Hoffmann gesagt haben würde, exotischen Charakter erhielt. Wenn er und sein Verleger Kunz auf einem Burgunderfaß im Keller reitend einander gegenüber saßen und tranken, währenddessen ein Gewitter aufzog, ein plötzlicher Donnerschlag trachte und der Blitz, das dunkle Gewölbe erhellend, ihnen, die gerade mit den gefüllten Gläsern anklingen wollten, ihre entsetzten Gesichter zeigte, das muthet gerade so an, wie eine groteske Scene aus einer Hoffmann'schen Novelle.

Der exotischen Stimmung, in der die Sehergabe erwachte, war Hoffmann nicht in jedem Augenblick mächtig, sie hervorzurufen oder zu steigern diente ihm der Weingenuß. In je bunteren, leuchtenderen Farben, in je drolligeren Verzerrungen ihm dann die Welt aufging, desto grauer und kälter erschienen ihm die Stunden der Ermattung, woraus sich der Drang erklärt, die exotische Laune immer häufiger und in erhöhtem Maaße herbeizuführen. Blieben auch die körperlichen Beschwerden hernach nicht aus, so entschädigten ihn die Kobolde und Gespenster, der tolle Reigen, den die ganze Welt vor seinen jubelnden Augen aufführte, reichlich dafür. In fast allen seinen Erzählungen spielt der Wein eine Rolle. besonders über die Scene der Punschbereitung wußte er den Zauber der romantischen Behaglichkeit auszubreiten, die er selbst so oft dabei empfunden hatte. Sogleich setzte sich das Rad seiner Phantasie sanft schnurrend in Bewegung, die Fledermaus begann ihren lautlosen Flug und der irdische Vorgang des Punschbrauens wandelte sich ihm in ein sichtbares Kampfspiel der Elementargeister um. Punsch empfahl er den Musikern, wenn sie sich zu romantischen Compositionen wie seine Lieblingsoper Don Juan stimmen wollten, alten Rheinwein für Kirchenmusik, für ernste Opern Burgunder, für komische Champagner und für Lieder die feurigen Weine Italiens.

Hoffmann's Verstand beurtheilte übrigens die Ursachen und Folgen seiner Neigung zum Alkohol mit strengster Einsicht. Geistiges Getränk, sagte er, befördere den regeren Umschwung der Ideen, die Phantasie sei wie ein Mühlrad, das der Strom stärker und schneller drehe, wenn man Wein aufgieße. »Doch überlasse ich jedem seine individuelle Meinung und finde nur nöthig für mich selbst im Stillen zu bemerken, daß der Geist, der von Licht und unterirdischem Feuer geboren, so keck den Menschen beherrscht, gar gefährlich ist, und man seiner Freundlichkeit nicht trauen darf, da er schnell die Miene ändert und statt des wohlthuenden, behaglichen Freundes zum furchtbaren Tyrannen wird.« Hoffmann erzwang sich mittels des Weines ein intensiveres, wenn auch kürzeres Leben; aus der Disharmonie seines Wesens, die er gewaltsam von außen her zu heben suchte, ging der verhängnißvolle Trieb hervor.

Merkwürdig ist es, seine exotischen Erzählungen mit seinen nüchternen zu vergleichen. Zu den letzteren gehören z. B. das Fräulein von Scudery und »Meister Martin«, die in der Literaturgeschichte als seine besten und an sich vorzüglich gepriesen werden. Daß sie ohne starken alkoholischen Einfluß geschrieben wurden, beweist unter anderem ihre Verwandtschaft mit denjenigen Geschichten, die Hoffmann auf seinem Kranken- und Todtenbette schrieb – Johannes Wacht, der Feind, des Vetters Eckfenster – wo ihm der Genuß des Weins gänzlich versagt war. Muß nun auch jeder sehen, daß sie an Einheit, Straffheit und Faßlichkeit den anderen überlegen sind, so wird der Liebhaber der Poesie doch immer, wie Hoffmann selbst, die vorziehen, die der stärkste Extrakt seines Wesens würzt, mögen sie sich auch noch so zerfetzt und wirbelnd darstellen. Die Sehergabe, die er in »des Vetters Eckfenster« so anschaulich und geistreich schildert, ist nur die feine Beobachtung und rasche Verknüpfung eines guten, phantasiebegabten Kopfes, nicht der hellseherische sechste Sinn, der den fünfsinnigen Durchschnittsmenschen zeigt was jenseits ihrer Welt liegt. Ob er bei besserer Verwendung seiner Kräfte den sechsten Sinn mit den übrigen fünfen harmonisch hätte verschmelzen können, welche Einheit dann seinen Werken zu gute gekommen wäre? Einige Züge in seinen letzten Schriften lassen die Möglichkeit ahnen – aber ob sich nicht da schon die nahe Auflösung geltend machte, ähnlich der Verklärung, womit der Feenzauber den armen Klein Zaches nach seinem Tode schmückte? Er durfte ja endlich sich selber entfliehen, wozu ihm seine Phantasie, während er lebte, hatte dienen müssen; damit es die unmögliche Aufgabe erfülle, hatte er das edle Flügelpferd über Vermögen angestrengt und immer wieder aufgepeitscht, bis es verendend mit ihm zusammenbrach.

Auf die Mitwirkung des »inneren Sinnes« gründete er jedenfalls sein Kunstprincip. Was nicht im Inneren des Verfassers aufgegangen und angeschaut war, zählte er nicht zur Kunst. Aber keineswegs sollte diese Innenwelt ohne Zusammenhang mit der Sinnenwelt schweben, vielmehr sollten es gerade die alltäglichen Figuren des Lebens sein, die der Künstler eintauchen ließ in seinen Jungbrunnen, daß sie vergoldet und phantastisch geschmückt, als reizende oder groteske Gestalten, je nachdem der Geisterputz ihnen anstand, daraus hervorgingen. Das rühmte er an den Märchen aus Tausendundeiner Nacht, daß eben das gemeinste tägliche Leben sich dort in einer tollen Märchenwelt durcheinanderbewegte, und deswegen bewunderte er den Maler Jacques Callot so sehr, weil er alles – seien es Bauerntänze, Schlachten, Aufzüge – in »den Schimmer einer gewissen romantischen Originalität« zu kleiden wußte und dabei in seinen abenteuerlich aus Mensch und Thier zusammengesetzten Gestalten die tiefsinnige Ironie zeigte, die des Menschen Bestimmung mit des Menschen Thun halb wehmüthig halb ausgelassen scherzend vergleicht Aus diesem Grunde, weil Hoffmann sich auf den Boden der Wirklichkeit stellte, sagte schon Heine, er sei ein größerer Dichter als der poetischere Novalis. Er wußte seine »hohen Phantasieen« bis zu einem gewissen Grade wenigstens »als einen festen Einschlag kühn und stark in das irdische Leben einzuweben.« Auch er sah Kunst und Leben, Ideal und Leben in ewigem Gegensatz, aber während der junge Wackenroder an dem unversöhnlichen Zwiespalt zu Grunde ging, verstand er es, beide in lebendige Verbindung zu sehen.

Tieck hatte mit seinem Sternbald einen Weg eingeschlagen, der über Mörike's Maler Nolten zu Gottfried Kellers Grünem Heinrich führte. Der Held leidet an der Wirklichkeit wie der Dichter und sucht sie sich durch Kunst und Liebe poetisch zu machen; je unkräftiger Held und Dichter sind, desto mehr kommt die Wirklichkeit zu kurz und desto weniger gelingt es, ihn mit ihr auszusöhnen. Sternbald hängt in der Luft, Maler Nolten setzt den Fuß schon fester auf die Erde, den Grünen Heinrich sehen wir leibhaftig aus dem Boden wachsen und seiner Krone Raum im Leben schaffen. Gestaltlos ist Sternbald, schattenhaft noch Maler Nolten, und doch sind diese, ja selbst die verschwommenen Werke Eichendorff's, Pflanzen, die aus dem Leben hervorgehen und Früchte hervorbringen können, die speisen, nähren und Samen tragen. Die Novellen und Romane von Brentano und Arnim sind im gläsernen Warmhause getrieben, ihre erzwungenen Blüthen vertragen die freie Luft nicht, sie sind zu schnellem Welken in unnatürlicher Atmosphäre bestimmt. Ist auch die gerühmte Geschichte vom braven Kasperl und schönen Annerl gut im Ton und von einer Geschlossenheit, die man an Brentano bewundern muß, so hat sie unserer Seele doch nicht viel zu sagen, und nur die Liebhaber der Literaturgeschichte lesen sie noch. Arnim, den Heine so überschwänglich lobt, indem er ihm gleichzeitig das Leben abspricht, hat eben aus diesem Grunde zu keiner Zeit Leser gefunden.

Golderz, aber voll Schlacken, das im Leben keinen Kurs hat, so urtheilte Varnhagen über Arnim; Goethe nannte seine Dichtungen »unklar, ungesellig und zum Traume geneigt« und verglich ihn mit einem Faß »wo der Bötticher vergessen hat, die Reifen fest zu schlagen, da läuft's denn auf allen Seiten heraus.« Görres gab ihm den Beinamen der geschwätzige, und die Brüder Grimm verwunderten sich gelegentlich über seine unerhörte Produktivität. Freilich konnte er viel auf den Markt bringen, da er keine künstlerische Arbeit leistete; er lieferte nicht Kunstwerke, sondern den Rohstoff, woraus etwa der Leser selbst sich welche machen kann.

Arnim's Theorie betreffend kann man aus einigen Brentano gegenüber geäußerten Bemerkungen: Alles geschieht in der Welt der Poesie wegen – die Poeten arbeiten für die Menschheit, daß diese nach der Arbeit einen poetischen Genuß findet – der Poet ist ein Märtyrer und Eremit – dies freiwillige Cölibat, diese Entfernung von Himmelreich erfordert die Aufopferung des Regulus – aus solchen Bemerkungen kann man schließen, daß er Leben und Dichtung für zwei durchaus geschiedene Welten ansah und zwar die des Dichters als die erhabenere, eine Art Einsiedelei, aus welcher er dem handelnden und leidenden Menschen von Zeit zu Zeit eine Erquickung zukommen lassen kann. Die Blume des Lebens blüht denn auch nicht in Arnim's Schriften. Er konnte die Kulissen des Mittelalters oder sonst einer farbig gedachten Ferne zu schönen, mitunter packenden Bildern zusammenfügen und damit wohl eine Erholung nach durchhetztem Arbeitstage bieten; weiser und reicher, muthiger das Leben durchzukämpfen und sich darüber zu erheben, geht der Leser nicht von ihm.

Immerhin besaß Arnim mehr Wirklichkeitssinn als Fouqué oder gar Graf Löben. Anmuthig, einem das Sonnenlicht brechenden Thautropfen vergleichbar, ist Fouqué's symbolisches Märchen Undine; aber völlig versagte ihm die Kraft, wo es galt ein Stück Wirklichkeit mit handelnden Menschen zu schaffen. Seine seichten und sentimentalen Geschichten wirken um so lächerlicher, weil sie mit dem Kostüm einer fabelhaften Heldenzeit ausstaffirt sind. Vollends was Isidorus Orientalis, Graf Löben, als Menschen und Leben ausgab, ist nichts als die Verlogenheit der Schwäche. Man kehrt von solchem Dunst, der in den meisten Fällen nicht einmal das schöne Farbenspiel der Seifenblase hat, desto lieber zu Hoffmann zurück. Während jene sich der Häßlichkeit und Schwere des Lebens zu entziehen suchen, indem sie sich vom Leben entfernen, sucht er sie zu überwinden, indem er tiefer in das Leben hineindringt. Wie er im Leben mit gesunder Kraft sich in allen Wirren und Schwankungen behauptete, so führte ihn in der Kunst ein gesunder Instinkt immer wieder zur Wirklichkeit. Er war der einzige unter den Romantikern, der das Alltagsleben liebte, das unter seinem Fenster auf dem Markte wimmelte, dessen starkes Auge gerade da Wunder und Räthsel wahrnimmt, wo ein oberflächlicher poetischer Sinn nur uninteressante Prosa vermuthet.

Das Interesse für das Naheliegende, Gegenwärtige, Wirkliche bringt es mit sich, daß Hoffmann's Werke nicht wie die der anderen an der Unermeßlichkeit des Planes zerrinnen. Nichts ist vielleicht für die romantische Dichtung so charakteristisch wie der Zug ein Ganzes zu geben, nicht Bruchstücke aus dem Leben oder der Natur, sondern den Widerschein der Welt. Der Roman ist deshalb die eigentliche Form der romantischen Richtung, das romantische Buch, wie Friedrich Schlegel es nannte, das alle Gattungen in sich schließt. Weder Lyrik, noch Novelle, noch Drama, die immer nur einen Höhepunkt, einen Akt geben, können der Anforderung an ein Weltbild genügen, sie sind dem Strom, Bach, Wasserfall oder Teich vergleichbar, die entweder einem Ziele zustreben oder einen Ausschnitt der Natur widerspiegeln. Der Roman allein ist das Meer, das ruht, auch stürmisch aufgewühlt nicht vorwärts eilt, gelassen alles in sich aufnimmt, oft regungslos daliegt, aber doch immer die Unermeßlichkeit des Himmels über sich hat und Leben im Schooße hegt. Die Romantik hat die Kraft und den Weg nicht gefunden, einen in dieser Weise vollendeten Roman hervorzubringen. Ueber Arnim's auseinandergelaufene Werke sich auslassend, schrieb Wilhelm Grimm einmal an Görres: »Daß dazu eine Nothwendigkeit und Bedürfniß im Dichter liege, glaube ich wohl, denn es ist ja auch in der Wissenschaft der Gedanke lebendig geworden, daß alles in einem großen Zusammenhang stehe, und das Geringe und Kleine erst durch seine Stelle darin Bedeutung und Werth erhalte, allein dieser Uebergang ist in der Poesie noch schwerer als in der Wissenschaft, und ich meine, jene habe mit dem Bewußtsein genug, daß über allem eine Sonne leuchte, und weil sie eine gewisse Vollendung verlangt, die der menschlichen Kraft nur in der Begrenzung gelingt, dürfe sie einen Strom, an dessen Ufern wir hingehen, nicht zu einem Weltmeer werden lassen, dem wir nicht folgen können.«

Hoffmann hatte keinen weltumfassenden Blick, und das sicherte ihm eben eine bedeutende Wirkung innerhalb gewisser Grenzen. Wer möchte ihn einen großen Dichter nennen? Er durchmaß den Strom des Lebens nicht in seiner ganzen Tiefe und Breite, so daß er seine Gewalt und Erhabenheit, seinen Glanz, sein Rauschen, seine Geheimnisse hätte offenbaren können; aber er verschmähte doch thörichte und heuchlerische Dekorationen, schöpfte vielmehr das Wunderbare aus der Seele des Menschen, indem er tiefer, bis zu ihrer Nachtseite, hineinschaute. Daß er mit einem Blick die Erscheinung und ihr Mysterium erfassen konnte, macht ihn bedeutend. Die Wirklichkeit sehen, aber mit dem sechsten Sinn, dem ihre tiefsten nächtlichen Wunder sich enthüllen, das hielt er für die Aufgabe des Dichters; für die des Malers, daß er die Natur male, aber so, daß ihre innere mystische Bedeutung dem Zuschauer klar werde.

Einen wesentlichen Unterschied zwischen den Künsten erkannte Hoffmann als ächter Romantiker nicht an: wie er von dem Dichter verlangte, er müsse innerer Musiker sein, so vom Maler, daß er vor allen Dingen Dichter sei. Daß Callot Fehler in der Vertheilung des Lichts und in der Gruppirung machte, hielt er für unwesentlich dem gegenüber, daß seine Bilder Reflexe seien »aller der phantastischen wunderlichen Erscheinungen, die der Zauber seiner überregen Phantasie hervorrief.« »Auffassung der Natur in der tiefsten Bedeutung des höheren Sinns, der alle Wesen zum höheren Leben entzündet, das ist der heilige Zweck aller Kunst.« Das bloße Abmalen der Natur kann demnach nicht Kunst sein, wie man auch kein Gedicht in einer fremden Sprache, die man nicht versteht, gut würde vortragen können. Zwar soll man die Natur auch im Mechanischen studiren, um »die Praktik der Darstellung« zu erlangen, nur verwechsele man die Meisterschaft in der Technik nicht mit der Kunst. Wer eingeweiht ist, wer den sechsten Sinn hat, um in die Natur hineinzusehen, für den werden die Zeichen, in denen sie schreibt, dem Unkundigen nur todte Schnörkel, zu lebendigen, bedeutungsvollen Hieroglyphen, die sich klingend und flammend von selbst zu wundervollen Landschaften zusammenfügen.

Die Landschaftsmalerei stellte er am höchsten und als die Meister derselben verehrte er Salvator Rosa und Claude Lorrain. Er selbst, abgesehen davon, daß er ein geschickter Dekorationsmaler gewesen sein soll, hatte natürliche Begabung nur für die Karrikatur, und wenn er sich ernstlich auf die Malerei verlegt hätte, wäre es ihm wohl so ergangen wie seinem Berthold in der »Jesuitenkirche«, dem zwar in inneren Traumgesichten das heimliche Wesen der Natur herrlich aufgeht, dem aber die Schöpferkraft sie so darzustellen, gebricht. Denn auch in seinen Dichterwerken treffen wir ebensowenig jemals die reine schöne Natur wie die Liebe. Liebe hatte er lebenslang ersehnt, aber niemals schön in sich selbst erlebt und auch nicht dargestellt. An Heißblütigkeit glich er einem Italiener, wie er auch äußerlich, wenn er seine Dienstuniform trug, einem italienischen oder französischen General ähnlich gewesen sein soll. Er selbst klagt, daß die Heftigkeit, vielmehr Raserei seiner Empfindung, stets sein Glück zerstört habe. Man weiß aber, daß, je sinnlicher ein Volk, desto niedriger die Stellung seiner Frauen und sein Begriff von Liebe ist, und wenn nun auch Hoffmann's als eines so aufmerksamen und idealistischen Mannes, Begriff der Liebe außerordentlich hoch war, so war er doch nicht im Stande ihn aus der Erde unter wirklichen Menschen unterzubringen. Eine Frau anders als vom geschlechtlichen Standpunkte anzusehen war ihm unmöglich; handelte es sich auch nur um ein flüchtiges Gespräch oder um einen Tanz, so mußte er selbst für diese kurze Dauer wenigstens die Möglichkeit sich zu verlieben sehen, wenn er sich unterhalten sollte. Er gab zwar zu, daß eine ältere Frau, wenn sie Geist besitze, das jüngste Mädchen an Anmuth und Reiz übertreffen könne, aber sein Temperament zog ihn doch immer unwiderstehlich zu diesen jüngsten Mädchen hin, die er hernach verspottete. Für seine Freunde war es ein Aergerniß mitanzusehen, wenn er, als reifer Mann, sich für irgend ein sechzehnjähriges Mädchen auf's Aeußerste erhitzte, was um so peinlicher war, als er sich selbst dabei lächerlich vorkam und der innere Zwiespalt ihn häßlich verzerrte. Auch in seinen Liebesgeschichten ist die Heldin ein »liebes Engelskind« oder »holdes Himmelsbild« von sechzehn Jahren, deren Erscheinung aber in den meisten Fällen eine leise Ironie begleitet, so daß man spürt, die thörichte Verherrlichung gehe eigentlich nicht vom Dichter, sondern von seinem verblendeten Liebhaber aus, den er sogar zuweilen noch zu retten für gut findet. So schließt die Brautwahl damit, daß der Maler Edmund seine Braut Albertine, um deren Besitz sich die ganze Erzählung gedreht hat, verläßt, um eine Kunstreise nach Italien zu machen, und der Leser wird mit der frohen Ueberzeugung entlassen, daß er sich ganz von ihr losmachen und nur der Malerei leben wird. In der «Jesuitenkirche« wird ein verwandter Gegenstand behandelt, daß nämlich ein von hoher Liebe Begeisterter, namentlich ein Künstler, niemals sein Ideal als Frau heimführen und dadurch in den Kreis des Alltäglichen herabziehen dürfe. Berthold heirathet die herrliche Geliebte, die ihn eigentlich zum Künstler gemacht hat, indem er sein Genie in der Bemühung, ihr Ebenbild wiederzugeben entdeckte, und von dem Augenblick an erlahmt seine Kraft, er sieht den überirdischen Schimmer nicht mehr, der sie früher umgab, der Aufschwung, den seine Liebe ihm sonst verlieh und der ihn zu großen Leistungen befähigte, stellt sich nicht mehr ein, er fängt an als hemmend zu empfinden, was ihn sonst beflügelt und seine Frau, trotzdem er sie innigst bemitleidet, zu hassen, bis er sie schließlich in der Raserei der folternden Qualen ermordet. Die erschütternde Tragik, die in dieser Verwickelung liegt, hat Hoffmann allerdings nicht gestalten können. Seine Kraft liegt im ironischen Humor, den er im Artushof so allerliebst spielen läßt: dort rettet er den kunstbegabten Treugott erst vor der häuslichen, ganz prosaischen Christine und dann vor deren Gegenstück, der geheimnißvollen Felicitas, die er eigentlich nur als Bild kennen und lieben lernt. Denn als er hört, daß das hohe Ideal, daß er nie zu gewinnen dachte, aber auch nie verlieren zu können glaubte, Kammerräthin Mathesius in Marienwerder geworden ist, erlöscht die Schwärmerei in seiner Brust, und wenn Hoffmann ihn doch noch in eine in der Zukunft liegende Verlobung einmünden läßt, so ist das wohl mehr ein Zugeständniß an das Publikum oder der Wunsch, die Geschichte mit einer hübsch beleuchteten Gruppe zu schließen.

Im »Klein Zaches« ist man jeden Augenblick darauf gefaßt, daß Hoffmann seinen dichterischen Balthasar noch, eh' es zur Hochzeit kommt, der holden Candida im Triumphe entführt; wenn er ihr diesmal sein Wohlwollen nicht entzieht, ist es jedenfalls, weil er sie von Anfang an als ein lustiges, unbefangenes Mädchen hingestellt hat, das Schiller, Goethe und Fouqué zwar gelesen, aber auch gründlich wieder vergessen hat, reichlich Kuchen zum Thee ißt und weder empfindsam noch sonst gebildet ist und sein will. Den vernichtendsten Spott hat er im »Sandmann« über die Frauen und zugleich über die Gesellschaft ausgegossen, wo es dem Professor Spalanzani gelingt, eine Wachspuppe in die ästhetischen Kreise einzuführen. In höchst vernünftigen Theezirkeln hat sie Glück gehabt, nur einige kluge Studenten haben bemerkt, daß es eine eigene Bewandtniß mit ihr hatte. Seitdem »schlich sich ein abscheuliches Mißtrauen gegen menschliche Figuren ein«, und mehrere Liebhaber verlangten von ihren Damen, daß sie nicht nur zuhörten, sondern auch manchmal so sprächen, »daß dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze.« Es ist anzuerkennen, daß Hoffmann hinzusetzt, es wären manche Liebesbündnisse dadurch viel fester und anmuthiger geworden.

Aehnlich wie mit der Liebe ging es Hoffmann mit der Natur. Wie er am schönsten die traumhafte Liebe zu dem Zauberwesen Serpentina schildert, so malt er auch am liebsten und am reizendsten Atlantis, das Dschinnistan seiner Sehnsucht, das sich zur Natur etwa so verhält wie eine durch farbige Gläser geschaute Landschaft zu einer mit dem bloßen Auge gesehenen. In seinen Gärten blühen Tulpen, Kaktus und Feuerlilien, exotische Vögel mit glitzerndem Gefieder schwirren kreischend darin umher. So viel er auch den Frieden des Waldes der Stadt gegenüber hervorhebt und gewiß empfunden hat, athmet uns doch nie die Natur selbst aus seinen Werken an, die, als etwas einmüthiges, nie komisch wirkt, wenigstens erst, wo sie sich im Thierleben darstellt. Bei dieser Veranlagung hat die späte Leidenschaft, die der sterbende Dichter für die Natur empfand, etwas Rührendes und Merkwürdiges. Auf seinem Krankenlager ergriff ihn eine solche Sehnsucht nach dem Grün der Bäume, daß er willig die Schmerzen ertrug, die mit einer Ausfahrt verbunden waren, um nur den Anblick des Waldes zu genießen, und er pflegte von einem solchen Ausfluge, der für die begleitenden Freunde um seinetwillen etwas Jammervolles hatte, entzückt heimzukehren. Tiefes Erlebniß spiegelt sich in der fragmentarischen Novelle »die Genesung«, die man nicht das beste seiner Werke nennen kann, aber das seelenvollste.

Einem alten Manne entsteht infolge einer Nervenkrankheit die wahnsinnige Einbildung, die Natur habe den Menschen aus Zorn über ihre Abtrünnigkeit das Grün entzogen und damit alle Hoffnung und Seligkeit des Lebens; kein Augenschein kann ihn von diesem Wahne zurückbringen. Niemand wird ohne Rührung die Scene lesen können, wie der Alte nach dem Rath eines jungen Arztes in magnetischen Schlaf versetzt und so in einen frühlingsgrünen Wald gebracht wird, wo der unerwartete Anblick des belaubten Zeltes über ihm den Erwachenden heilt.

»Da ließ es die ewige Macht des Himmels geschehen, daß eine besonders anmuthige Gunst des Schicksals die Liebe des Fräuleins lohnte und die Bemühungen des guten Doktors unterstützte. In dem Augenblick, als der Onkel das Wort ›Grün‹ lallte, fuhr nämlich ein Vogel tirilirend durch die Aeste des Baums, und von dem Flattern seines Gefieders brach ein blühender Zweig und fiel dem Alten auf die Brust.«

Aber erst nachdem ein jähes Entzücken mit quälendem Zweifel in ihm gewechselt hat, wird er ruhiger und während ein Strom von Thränen aus seinen Augen bricht, ruft er anbetend aus: »O Kinder, Kinder, welche Zunge singt das Lob, den Preis der Mutter würdig genug! O Grün! Grün! mein mütterliches Grün! Nein, ich allein war es, der trostlos vor dem Throne des Höchsten lag – nie hast du der Menschheit gezürnt! Nimm mich auf in deine Arme!«

Das mag in ihm selber vorgegangen sein, als der arme Körper, in dem er sich nie heimisch gefühlt hatte, sich aufzulösen begann, als das hitzige Blut, das ihn so sehr gepeinigt hatte, schwächer rollte, und der Geist, nun ihn die Furien verließen, aufathmend um sich schaute. Wie die drohenden Stimmen und die verfolgenden Schritte verhallten, zog Frieden in seine erschöpfte Seele ein. Er sehnte sich nicht mehr nach dem entfernten Zauberlande, da er die schönste Natur, eine versöhnte Mutter, um sich hier blühen sah. Wie er im Leben das Kind geschiedener, durch unvereinbaren Zwiespalt entfremdeter Eltern war, so hatte er auch in einem weiteren Kreise sich niemals des gemeinsamen liebenden Schutzes von Geist und Natur erfreuen können. Mit bewundernswerther Kraft hatte er gegen diesen Fluch des Schicksals gekämpft und wohl verdient, als ein Genesener in das Geisterreich des Jenseits hinüberzugehen.

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