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Die Zerstreuung.

Innerer Krieg, Familienzwist und Liebesleidenschaften, und der große Völkerkrieg lösten den Kreis der ersten Romantiker auf und vertrieben sie aus Jena. Nie dachten die Glieder der Urgemeinde ohne Wehmuth an den lieblichen Ort zurück, der für sie in jeder Hinsicht ein Paradies gewesen war: das Heim ihrer Jugend, ihrer Einigkeit, ihrer lebendigen und fruchtbaren Ideen. So schädlich für die einzelnen die Absonderung, das Aufhören des Zusammenwirkens war, so förderlich war die Zerstreuung für die Ausbreitung ihrer Ideen, freilich mit der nothwendigen Kehrseite, daß, indem viele, verschiedenartige Menschen sie aufgriffen und sich ähnlich machten, auch ihre Verunstaltung und Verflachung begann.

Einen Mittelpunkt, wie die ältere hatte, erlangte die sogenannte jüngere Romantik nicht wieder, weder in leitenden Personen, wie die Schlegel gewesen waren, noch örtlich. Im großen Ganzen wurde der Schwerpunkt der Romantik mehr und mehr nach Süden verrückt, räumlich und geistig, wenn man einmal Norden mit Gedanken und Süden mit Gefühl gleichsetzen will.

Dem älteren Schlegel, August Wilhelm, wurde ehrenhalber eine gewisse Pietät gezollt, und Gelehrte gab es auch, die ihn, weil er in Erforschung orientalischer Sprache und Literatur die Wege gewiesen hatte, dankbar verehrten. Friedrich blieb das Vorbild der jungen Dichter, die dem Katholicismus zuneigten; aber gerade die maßgebenderen Persönlichkeiten hielten sich von beiden zurück. Die neue extreme Richtung fühlte sich von dem norddeutschen Wesen, das in beiden Brüdern so durchaus ausgeprägt war, abgestoßen; die Gründlichkeit und Schwere selbst, mit der Friedrich sich in den Süden versenkt hatte, war nordisch und geborenen Süddeutschen im Grunde unverständlich.

Die Schlegel ihrerseits sahen voll Aerger auf die Geister, die sie geweckt hatten, und vollends die Berlinerin Dorothea, die Tochter des alten Mendelssohn, konnte ihre Entrüstung über die verschwommene Schwärmerei, die sich romantisch nannte, kaum zurückhalten und gerieth oft in Verlegenheit, wenn sich die Träger solcher ihr lächerlichen und ärgerlichen Dichtungen mit dem Anspruch von Jüngern und Glaubensgenossen zugleich an Friedrich und sie drängten. Werner's Dramen machten ihr einen »unanständigen Eindruck«, auch als Friedrich ihn noch vertheidigte, erklärte sie ihn nachdrücklich für ihre ganze Antipathie. »Es ist kein Leben, kein warmer Hauch, keine Natur, kein Glauben und kein Gefühl, keine andere Bewegung, als die bei einem todten Frosch wohl durch den Galvanismus hervorzuckt. Es ist die Sünde und die kalte Hölle. Pfui!« Von dem Roman »Arkadien« des Grafen Loeben sagte sie, es sein ein »Scandal von einem Roman! Wahrer Mißbrauch der Sprache und der Worte, der Dichtkunst und des Papiers.« Zwischen Clemens Brentano und Friedrich und Dorothea bestand seit der Zeit, wo jener als blutjunger Student nach Heidelberg gekommen war, ein mißliches Verhältniß, das sich nie wieder ganz ausglich. Mit Tieck war Clemens zeitenweise recht befreundet, aber Tieck dachte sehr gering von Arnim's dichterischer Befähigung und hielt das, was an seinen Werken gut wäre, für Nachahmung seiner selbst. Schelling, dessen überwiegende Kraft Anfangs alles an sich gezogen hatte, vereinsamte mehr und mehr, wie sein Hochmuth mit den Jahren wuchs und die unbedingte Annahme seines Systems, die er herrisch verlangte, um so seltener wurde, je kräftiger die Ideen, die er ausgesät hatte, keimten und wuchsen.

Die jüngeren Romantiker schließlich wollten nichts von den letzten Ausläufern der Richtung, den Hyperromantikern wissen, deren Typus Graf Isidor Loeben war. »Es ist aber auch jetzt ein solches Gesinge und ein solcher Romantismus eingerissen«, schrieb Clemens schon i. J. 1803 an Arnim, »daß man sich schämt auch mit beizutragen.« Ueber die »Lotosblätter von Isidorus«, nämlich dem Grafen Loeben, urtheilte E. T. A. Hoffmann, er ersehe mit Vergnügen daraus, »daß die Clarinette deßhalb so heißt, weil sie klar und nett ist, übrigens auch als ein liebenswürdiger Charakter und herziges, himmelblaues Vergißmeinnicht überall ungemein gelitten wird &c. Noch bemerke ich, daß mir wenigstens der musikalische Theil solche Ansicht gewährte, als wenn ich viele kleine plinzernde Fischchen in einem sehr trüben Wasser spielen sähe.«

Die Ideale der jüngeren Romantik waren denn auch andere geworden; von Goethe, dem Götterbilde, das sie in ihrem Tempel aufgestellt hatten, wandten sich zum Theil auch die älteren ab, je mehr ihre besonderen Tendenzen sich ausbildeten. Schon Novalis erklärte den von der Schule als Musterroman ausgerufenen Wilhelm Meister für prosaisch; Arnim klagte sogar, daß »der verdammte Werther« und seine »falsche Verehrung der Goethe'schen Formen« ihn verleitet habe, das Beste aus seinem Hollin wegzuschneiden. Andererseits wurde bekanntlich die Goethe-Verehrung durch Bettina auf's Höchste gesteigert. Arnim fand Tieck's Lovell »himmlisch,« den Ofterdingen des Novalis dagegen, der den Freunden des Verstorbenen heilig war, mittelmäßig, das »dummgelehrte Bauerngeschwätz allenthalben« störte ihn, das darin enthaltene Märchen erklärte er für langweilig. Brentano stimmte bei, noch hinzusetzend, die Figuren darin hätten Fischschwänze, alles Fleisch darin wäre Lachs, er empfände physischen Ekel, es zu lesen. Folgendes war sein Urtheil über die Fragmente: »es ist, als sähe man ein vom Schweinemetzger geschlachtetes und am Boden ausgespanntes Universum und bei jedem Gedärm eine Nummer und über alles ein Register.« Der wissenschaftliche Geist der älteren Romantik war ihnen zuwider, auch Tieck ihnen zu kritisch. Daß Clemens Schiller's Maria Stuart ein »erbärmliches Machwerk« nannte, »langweilig, bizarr und lächerlich durch und durch« kann nicht überraschen; aber über Friedrich Schlegel's Alarkos dachte er nicht besser, sondern erklärte ihn für das Schlechteste, was er kenne. Am meisten befremdet, wie wenig Brentano eines der schönsten Produkte der Romantik, Grimms Märchen, zu würdigen wußte; sie seien, sagte er, »aus Treue äußerst liederlich und versudelt und in manchem dadurch sehr langweilig.« Dann wieder finden wir unbegreifliche Blindheit den Werken der Freunde gegenüber: Arnim fand, es sei nur Brentano im Roman Godwi gelungen, einen jungen werdenden Dichter darzustellen, Brentano sagte, Arnim habe in Hollins Liebeleben Schiller übertroffen. Wenn vollends Justinus Kerner den Zauberring von Fouqué mit Cervantes vergleicht, so sehen wir, wie der kritische Verstand abhanden gekommen ist, um einem zufällig persönlichen, oft ganz irreleitenden Gefühl Platz zu machen. Nicht alle übrigens trifft das: E. T. A. Hoffmann zum Beispiel hatte ein zutreffendes, klar abgewogenes Urtheil; er war auch einsichtsvoll genug, um Schiller nicht zu verkennen, den er gelegentlich den Heros nannte. Die Schwaben alle verehrten ihren großen Landsmann; man weiß, was für ein schwärmerisches, an Anbetung grenzendes Gefühl Hölderlin – ähnlich wie der etwas jüngere Novalis in seinen Anfängen – Schiller widmete.

Kurze Zeit war die Romantik eine centralisirte Monarchie gewesen, nach deren Auflösung wurde sie ein aus lauter kleinen selbstständigen Gemeinden bestehende Republik.

Berlin, der nördliche Punkt der Romantik und zugleich der, wo ihre Elemente zum großen Theil sich gesammelt hatten, blieb dauernd für sie von Bedeutung. Die Stadt, wo Tieck und Wackenroder geboren waren, wo Wilhelm Schlegel seine Vorlesungen über Literatur, Fichte seine Reden an die deutsche Nation hielt, wo in späteren Jahren ein romantisirender König auf dem Throne saß, verdiente wohl von Zacharias Werner in Bezug auf die Romantik das »neue Bethlehem« genannt zu werden. Hier besuchten Aerzte und Neugierige Wolfart's Anstalt für magnetische Kuren durch vermittelnde Agentien, und die Schöngeister Europas waren glücklich, wenn sie sich bei Rahel und Bettina einführen lassen konnten, die sich an Geist und Poesie zu überblitzen suchten. Als Hoffmann i. J. 1814 nach Berlin kam, fand er zu seiner Ueberraschung, daß seine ersten Novellen, der Hund Berganza und der Magnetiseur, ihn bereits bekannt und merkwürdig gemacht hatten; ein Diner, daß an einem der ersten Tage stattfand, und an dem Tieck, Fouqué, Franz Horn, Chamisso, Hitzig, Bernhardi theilnahmen, kam ihm höchst interessant vor. Mit der Zeit beschränkte er sich auf den Umgang mit dem humorvollen Contessa, mit Hitzig, dem er von der Warschauer Zeit her anhänglich war, und dem glänzenden Koreff, bald aber waren ihm auch diese nicht »stomachal« genug, und er tobte sich mit dem Schauspieler Devrient in den berüchtigten Nächten bei Luther und Wegener aus.

Berlin, das preußische, mechanische, cerebrale, war trotz aller romantischen Bestrebungen die Stadt der Widersacher Die Romantik verlor dort nie den Kopf, unächte Töne aus der Aufklärungszeit, Schöngeisterei und witziges Aesthetisiren, spielten beständig hinein. Dresden, die Stadt edler Stimmung mit schönem landschaftlichem Hintergrunde hat einen bescheideneren, aber klangvolleren Namen in der Geschichte der Romantik. Nicht nur verlebte der Altmeister Tieck hier sein Alter, in Dresden hatte sich eigentlich bei Gelegenheit eines freundschaftlichen Zusammentreffens die erste romantische Schule konstituirt. Wie mancher hatte sich, seit Wilhelm und Karoline das Gespräch über die Gemälde schrieben und Steffens vor dem Bilde der Sixtinischen Madonna unter heftigem Erzittern zu Thränengüssen hingerissen wurde, an derselben Stelle Erleuchtung über Kunst und Kirche geholt!

Durch ihre Schwester Charlotte Ernst, die dort lebte, blieben die Schlegel stets mit Dresden in Verbindung. Als Schubert auf Anregung von Adam Müller und namentlich von Kleist, dem »sanften, ernsten Manne,« der nicht genug über Magnetismus hören konnte, vor einem vornehmen Publikum Vorträge über die Nachtseiten der Natur hielt, wurde er mit beiden Brüdern bekannt und fühlte sich namentlich von dem gemüthreichen Friedrich angezogen. Dorotheen's Sohn aus erster Ehe, Philipp Veit, kam, etwa 14jährig, um die Malerei zu studiren, nach Dresden und hatte, als er im Schubert'schen Hause das Weihnachtsfest mitfeierte, Gelegenheit, die kleine 3jährige Tochter zu retten, die, im weißen Kleidchen um ein Weihnachtslicht tanzend, Feuer fing und ohne die Geistesgegenwart des Knaben vielleicht verbrannt wäre. Schubert berichtet, er habe nur wenige Knaben gesehen, bei denen die innere Schönheit so sichtbar durch die äußere hindurchgeschienen habe. Auch der Maler Otto Runge, dessen symbolisirende Bilder Brentano, Tieck und Görres entzückten, erlebte glückliche Studien- und Liebesjahre in Dresden. Vor allem aber malte hier der »edle Pommer« Caspar David Friedrich, ein Mann mit schwermüthigernster Stirne und kindlich treuherzigem Blick der Augen, seine träumerischen Landschaften und Luftschaften: ein Felsen im anbrandenden Meere; ein abgestorbener Baumstamm, auf dem ein Rabe sitzt; ein Wald, dem ein Sturm die herbstlichen Blätter entreißt; eine Eule bei Mondschein zwischen Wolken schwebend. Der melancholische Mann pflegte heiteren Scherz im Freundeskreise und namentlich im Umgange mit Kindern. Er war arm und genügsam: in seinem Zimmer, das zugleich sein Arbeitsraum war, fand sich nichts als ein hölzerner Stuhl und ein Tisch; kam jemand um ihm zu sitzen, wurde aus der Schlafkammer noch ein ebensolcher Stuhl geholt.

Den Frühling und Sommer des schicksalvollen Jahres 1815 brachte E. T. A. Hoffmann in Dresden zu; am Altmarkt Nr. 33 bewohnte er vier Treppen hoch ein »höchst romantisches Stübchen« und flüchtete sich aus der düsteren Zeit in ein phantastisches Reich, das aus seinem Innern sich gestaltete, und wo ihm wohl war. Sein vollendetstes Werk, das Märchen vom goldenen Topfe, das damals entstand, spielt in Dresden: im schwarzen Thore sitzt das schreckliche Aepfelweib, im Linkischen Bade will der Student Anselmus Kaffee mit Rum und eine Bouteille Doppelbier trinken, und nicht weit davon unter dem Hollunderbaum, da wo »hinter dem schönen Elbstrom das herrliche Dresden kühn und stolz seine lichten Thürme emporstreckt«, sieht er zum ersten Male die grüngoldnen Schlänglein und die dunkelblauen Augen seiner Serpentina

In den 20er und 30er Jahren führte Carus, der Leibarzt des Königs von Sachsen, als Ausbeute seiner abendlichen Spaziergänge in der Umgebung Dresdens, ein malerisches Tagebuch, das ein eindringliches Sehen und Verstehen der Natur bekundet, wie es damals unter Malern selten war. Ein Novemberbild: »Abends grau bewölkter Himmel, einzelne hellgelbe durchbrochene Stellen im Westen. In der Elbe hinter der Brücke lag längs dem Ufer ein Schiff mit schlaff aufgehangenem Segel. Alles dunkel; hinter dem Segel blitzte eine gelbliche Stelle hervor. Mehr südlich die katholische Kirche und das Schloß riesenhaft dunkel und scharf; dahinter eine wundersam bewegte hellere Wolkenpartie.« Wundervolle Bilder giebt die Brühl'sche Terrasse bei Schnee und Mondschein, wir sehen das Schauspielhaus, die Bastion, die gewaltige Kuppel der Frauenkirche; anderes ist im »großen Garten« beobachtet. »Die Sonne war unter; vor dem mattgeblichen Abendhimmel stand ein breites bis zum Horizont monotones graues Schneegewölk, drüben am bläßlichen Himmel wurden lockere Cumuli noch von dem verlöschenden Tageslichte erleuchtet. Dunkel breitete sich in bräunlichen, grünlichen und endlich violetten Farbentönen die Ferne hinaus. Schneestreifen, heller als das graue Gewölk, aber dunkler als der helle Himmel, unterbrachen die finstere Fläche.

Im Heimgehen trieb der Wind das Schneegewölk näher, wunderlich sauste es in tiefer Dämmerung in den kahlen Baumwipfeln und Fichten, und ein Mann vor mir hergehend in weitem Mantel, platter Mütze, mit schwarzem Hund zur Seite, gab eine Belebung, wie sie dieser trüben Nachtstimmung angemessen war.«

Gleichzeitig wurde ein Kreis in Dresden tonangebend, der eine jämmerlich verdünnte Romantik auf den Markt brachte und ihren Namen dadurch entwerthete. Die schwächlichen, ganz reizlosen Dramen Houwald's wurden als Meisterwerke ausposaunt, obwohl noch der alte Tieck die lichten Schätze der Romantik, die er hatte heben helfen, Shakespeare und Calderon, seinen Zuhörern zum Besten gab.

Im Nordwesten war ein Punkt, wo die Romantik fußte, das heilige Köln, das freilich mit seinen mittelalterlichen Kirchen und Bildern wie kaum eine andere Stadt dazu geeignet scheint. Dennoch hat die Romantik niemals das geistige Leben der Stadt durchdrungen; man kann es fast zufällig nennen, daß gerade dort das größte Denkmal, der Dom, steht, das zeugt, »wie stark der Geist dieser Zeit« war.

Als der Jenenser Kreis sich auflöste, begab sich Friedrich mit Dorothea nach Paris, wo er mit seiner tiefgründigen Romantik sich als Bischof in partibus infidelium fühlte. Um ihn sammelten sich allerlei Deutsche und Ausländer, die in der Fremde das gemüthliche deutsche Heim genießen wollten und sich von Friedrich in die Lehren der modernen Schulen einführen ließen. Besser als Achim von Arnim, der die Gründlichkeit Friedrich's langweilig fand, würdigten ihn die jungen Brüder Sulpiz und Melchior Boisserée, in denen er die Liebe zur mittelalterlichen Kunst anregte, die für die Kunstgeschichte so bedeutende Folgen hatte. Sulpiz, der zum Kaufmann bestimmt war, dann Jurist werden wollte, war durch den etwas älteren Bertram auf die ihm bisher unbekannten Schriften der Romantiker Tieck und Novalis aufmerksam gemacht worden und hatte von diesen einen nachhaltigen Eindruck empfangen, den Friedrich nun verstärkte und bildete. Nach Köln zurück gekehrt begannen die Brüder, denen eine glückliche Vermögenslage erlaubte, ihrer Liebhaberei in großartiger Weise nachzugehen, emsig die mittelalterlichen Bilder zu sammeln, die theils durch Klosteraufhebungen zerstreut, theils durch Ungeschmack oder die antikisirende, dem Mittelalter abgeneigte Kunstrichtung von den Altären und anderen Plätzen in der Kirche verbannt und in Nebenräumen, unter Schutt und Plunder, vergessen worden waren. Wohl hatten schon die älteren Kölner Kunstfreunde dergleichen Bilder in ihre Sammlungen aufgenommen, doch war es niemals systematisch und mit absichtlicher Beschränkung auf die mittelalterliche Epoche zum Zweck besserer Kenntniß und Schätzung ihrer Kunst geschehen, wie die Boisserée, denen ihr unzertrennlicher Freund Bertram sich anschloß, es thaten. Sie hielten die Bilder der Kölner Meister und die im Styl verwandten für Erzeugnisse einer Schule, die sie die neugriechische nannten, weil das Streben nach schöner Form sie charakterisire.

Mit dem Anwachsen der Schätze stieg die Lust, eine möglichst vollkommene Sammlung herzustellen; werthvolle Funde brachte Melchior aus den Niederlanden heim. Der Hauptgegenstand von Sulpizens Wirksamkeit wurde nun aber das Wahrzeichen Kölns, die edle Ruine des Domes, die er zunächst nur vor dem Verfall zu retten dachte, bis allmählich der große Plan der völligen Wiederherstellung sich an's Licht wagte. Bei der Gemahlin Napoleon's, Marie Louise, der er, als sie i. J. 1810 nach Köln kam, als der Tochter der alten deutschen Kaiser, die Sache des Domes an's Herz legte, fand er freilich kein Verständniß und keinen guten Willen. Desto inniger war die Theilnahme der romantisch-vaterländischen Deutschen und bald konnte Görres, der gleichzeitig mit Sulpiz den Ausbau des Kölner Domes angeregt hatte, verzeichnen, daß Cotta die Herausgabe der graphischen Darstellung des Domes in allen seinen Theilen durch Sulpiz übernommen hatte, mit der Bemerkung: »so stark ist der Geist dieser Zeit.« Als beinah 60jähriger Mann erlebte Sulpiz eine Genugthuung, wie sie selten einem Menschen zu Theil wird, indem er dem Feste der Grundsteinlegung im Dome beiwohnte.

Eine denkwürdige Stadt war Köln für Friedrich Schlegel und Dorothea, die, begierig in die Heimath zurückzukehren, dem liebgewordenen Brüderpaar nach ihrer Heimath folgten. Dorothea blickte später auf die Zeit am Rheine, dem vor allem romantischen Strome, der mit goldenen Wellenklang durch die ganze Dichtung der Brentano rauscht, als auf die schönste ihres Lebens zurück. Den Rhein hat die Romantik eigentlich entdeckt, ja man kann sagen, geschaffen. Es giebt kaum ein besseres Beispiel für die Uebermacht der Phantasie: man vergleiche den Rhein wie er ist mit der Vorstellung, die man im Allgemeinen, sogar im Auslande, von ihm hat, nicht nur bevor man ihn, sogar wenn man ihn gesehen hat. Auf diesem lieben landschaftlichen Grunde nun entwickelte sich den Schlegel's ein bedeutendes innerliches Erlebniß: umringt von katholischem Leben und erhabenen katholischen Erinnerungen planten und vollzogen sie den Uebertritt zur katholischen Kirche. Friedrich's Hoffnung, in der Stadt, wo er und besonders Dorothea sich so heimisch fühlten, eine Anstellung zu finden, verwirklichte sich indessen nicht, und sie wandten sich südwärts, wohin der Zug der Romantik ging.

In Mitteldeutschland gab es außer Jena noch einen kleinen, aber hervorragenden Sitz der Romantik, Halle, dann, weiter südlich, Bamberg. Seit den Tagen, als Tieck und Wackenroder am buschigen Ufer der Saale in der Nähe von Giebichenstein die Feste ihrer Freundschaft feierten, gehörte Halle zur Romantik. Um zwei Anziehungspunkte sammelte sich dort das romantische Leben: um den Mediciner Reil und um die Familie Reichardt. Reil, ein großgewachsener Mann mit großen blauen Augen, scharfen Zügen mit mildem Ausdruck und überzeugender Sicherheit des Wesens, gehörte zu den durch Geist und Charakter ausgezeichneten Männern wie Fichte und der Geologe Werner, die die Romantiker als Vorbilder der Deutschen hinstellten. Er war der erste, der die Irrenheilkunde zu einer Wissenschaft erhob und verinnerlichte; von der Wirklichkeit des animalischen Magnetismus, wie von dem Einfluß der Metalle auf den menschlichen Organismus war er überzeugt.

Reichardt, als Charakter nicht zuverlässig und als Musiker schwächlich, besaß doch eine gewisse Großartigkeit des Lebens. Mit Tieck und Steffens verwandt hielt er ein schöngelegenes, gastliches Haus, voll schöner und begabter Töchter, ihren Freunden und Gesinnungsgenossen offen. Bei Reichardt fand die erste Begegnung zwischen Tieck und Voß statt, bei welcher der schelmische Tieck den mißtrauischen Gegner durch Hinweis auf einen siebenfüßigen Hexameter in Goethe's Hermann und Dorothea zu gewinnen wußte. Auch Arnim's Bekanntschaft, der 1798 und 99 in Halle Mathematik, Chemie und Physik studirte, machte Tieck auf Giebichenstein. Uebrigens verkehrte Arnim in Halle mit Contessa und Houwald, deren Werke den letzten, faden, üblen Aufguß der Romantik vorstellen und einem späteren, geistig erschöpften Publikum eben recht waren. In dem weitläufigen Drama Halle und Jerusalem hat Arnim seine Studenteneindrücke nicht gerade glücklich wiedergegeben.

Im Beginn des neuen Jahrhunderts wanderte der junge Gotthilf Schubert mit mehreren Kameraden zu Fuß von Leipzig nach Halle, um dort »in dem Cos an der Saale, dem äskulapischen Heroënsitz unserer Zeit«, seine medicinischen Studien zu vollenden. Indessen, so mächtig Reil anzog, noch gewaltiger packte die Nachricht von Ritter's Beobachtungen und Versuchen über die Wirkungen des Galvanismus auf die Nerven des menschlichen Körpers, die in einer Zeitschrift mitgetheilt war. Sofort nachdem Schubert das gelesen hatte, machte er sich, obwohl es schon Nachmittag war, auf den Weg nach Jena, wo er am folgenden Tage mit seinen Begleitern eintraf. Kaum hatten sie Ritter gesehen und gesprochen und Schelling gehört, als sie für Jena entschieden waren, wo sie denn mit Beginn des Sommersemesters wieder einrückten. »Es war ein milder Frühlingsnachmittag, als wir auf dem Wege von Bürgel her die Saale und die alte, ehrenwerthe Musenstadt vor uns liegen sahen. Wir konnten es nicht lassen, wir wendeten uns noch hinüber nach dem Berge, auf dem die Burgruine mit dem Fuchsthurme weithin im Thale gesehen wird. Die Abhänge der kahlen Höhen erschienen jetzt wie in violblauen Sammet und grünliches Seidengewebe gekleidet, denn es war die Zeit, in welcher die Pulsatillen ihre großen, dunkelpurpurnen Blüthen aufthaten, deren zahllose Menge den felsigen Boden in einen Blumengarten verwandelte.« Aehnlich hatte zwei Jahre vorher Dorothea Schlegel die sanften Höhen um Jena beschrieben. Erst im Wintersemester las Schelling sein berühmtes Colleg über Naturphilosophie, um dessentwillen Schubert hauptsächlich nach Jena gekommen war. Dem jungen Zuhörer war es zu Muthe, als ob er Dante, »den Seher einer nur dem geweihten Auge geöffneten Jenseitswelt« hörte; der Inhalt seiner lapidarischen Rede erschien ihm »wie ein gebundener Prometheus, dessen Bande zu lösen und aus dessen Hand das unverlöschende Feuer zu empfangen, die Aufgabe des verstehenden Geistes ist.« Kurze Zeit darauf verließ Schelling, später auch Ritter und damit die Romantik das freundliche Jena, Halle dagegen gewann Steffens und Schleiermacher, von denen wenigstens der erste fortwährend ein gemäßigter Vertreter der Romantik blieb. Eichendorff, der 1805 in Halle studirte, wurde hier zuerst durch die Bekanntschaft mit Novalis' Werken die Welt der Romantik eröffnet. Ein Jahr später folgten die jungen Leute vom »Polarstern«, Varnhagen, Koreff und Andere, die Anhänger der »neuen Schule« waren, vorzüglich aber Fichte verehrten. Im Jahre 1809 kam Wilhelm Grimm, um Reil zu konsultiren, nach Halle und wurde während des längeren Aufenthaltes, den er der verordneten Kur wegen nehmen mußte, von Steffens in alle Ideale der Romantik eingeführt. Er lernte Jakob Böhme und Paracelsus, Bilder von Runge, Magnetismus und Siderismus und die indische Philosophie kennen und begann unvermerkt romantisch zu denken, interessante Vergleiche zwischen Farben und Tönen zu machen. Reichardt war damals fern von Halle und seine Familie lebte in bedrängten Umständen; die schönen Tage auf Giebichenstein waren vorüber. In vielen Herzen mag das wehmuthvolle Lied Eichendorffs mitgeklungen haben:

Da steht eine Burg über'm Thale
Und schaut in den Strom hinein,
Das ist die fröhliche Saale,
Das ist der Giebichenstein!

Da hab ich so oft gestanden,
Es blühten die Thäler und Höhn,
Und seitdem in allen Landen
Sah ich nimmer die Welt so schön.

Auf dein verfallenen Schlosse,
Wie der Burggeist halb im Traum
Steh ich jetzt ohne Genossen
Und kenne die Gegend kaum.

Die uralte Bischofstadt Bamberg mit dem romanischen Münster und der Bergruine des Babenberger Schlosses war durch das Krankenhaus, an dem Markus und Röschlaub erst die Brownische Erregungstheorie, dann die neue naturphilosophische Medicin lehrten, für die Romantik bedeutend. Im Herbst 1801 wanderte Schubert von Jena aus über das Fichtelgebirge nach Bamberg. Auf der Höhe des Ochsenkopfes las er Steffens Beiträge zur Geschichte des festen Erdkörpers, besah die Quellen der Saale, des Main und Eger, das Grabmal einer alten, sagenberühmten Zigeunerin und stieg dann nach Bayreuth und Bamberg hinab. Als Student aus Jena, wo Schelling »als geistiger Herrscher waltete«, wurde Schubert von den Studirenden der Bamberger Medicinschule mit Jubel und Hochachtung empfangen und in fröhlicher Gesellschaft wurde voll Begeisterung die Gesundheit der verehrten Lehrer, Röschlaub's und Schelling's, ausgebracht. Nach der Verlegung der medicinischen Hochschule nach Würzburg erlebte Bamberg noch einmal eine romantische Zeit durch die Anwesenheit E. T. A. Hoffmann's, der in den Jahren 1809-13 als Musikdirektor und Musiklehrer dort lebte. In Bamberg brachte Hoffmann Calderon's Andacht zum Kreuze, den standhaften Prinzen und die Brücke von Montible in Schlegel'scher Uebertragung auf die Bühne und malte selbst die Dekorationen dazu, auf denen er als »angenehme Schnörkel« an irgendwelchen versteckten Ecken sein Bild oder das eines Freundes anbrachte. Kleist's Käthchen von Heilbronn ging auf seine Veranlassung in Bamberg zum ersten Mal in Scene. Auf der Altenburg, die dem Medicinaldirektor Markus gehörte, war er oft zu Gaste, machte dort die ersten Entwürfe zu den »Kreisleriana« und malte, als ein Gastgeschenk, einen Thurm der Ruine mit geschichtlichen Fresken aus dem Leben Adalberts von Babenberg aus. In dem Garten des dicken, gebildeten und selbstzufriedenen Weinhändlers und Verlegers Kunz leerte er manche Flasche Burgunder und rief, alle die kleinlichen Plackereien seines Musiklehrerlebens vergessend, mit hochgehaltenem Glase: Wie ist die Welt doch schön! Ein Besuch bei den Kapuzinern in der Gesellschaft von Kunz, wobei ein alter Pater die beiden Weltleute in die Gruft an die Gräber seiner entschlafenen Genossen führte, gab die erste Anregung zu den Elixiren des Teufels; und da sich nun hier die Liebe zu Julia abspielte, die erste Idee zum goldenen Topf entstand, kann man sagen, daß die Elemente zu den meisten Dichtungen Hoffmann's sich in Bamberg angesammelt haben.

Aber die eigentliche Stadt der Romantik, wo sie ihr wildestes Fest feierte, dessen Raketen und Funkensprühen weithin sichtbar wurde, war Heidelberg, das altehrwürdige, malerische, von Hügeln und Wäldern umringte, mit der herrlichen Schloßruine, von der man auf den reizenden Schlangenlauf des Neckar herabsieht. Clemens Brentano hatte hier das Nest für Weib und Kind gebaut und lockte den Freund Arnim nach; zu ihnen gesellte sich Görres, jung, wagemuthig, zuversichtlich, überströmend von Ideen, mit einer schönen sanften Frau und lieblichen Kindern. Die schöne, gute Sophie Mereau, harmonisch wie Karoline Schlegel, aber in kleineren Maßen, und die ruhige, beharrliche Frau Görres, die, wie Clemens sagte, zehn Bücher zugleich lesen konnte, sorgten für gemüthliche Häuslichkeit. Daß sie sämmtlich nur beschränkte Geldmittel zur Verfügung hatten, erhöhte den Reiz des jungen, hoffnungsvollen Lebens. Der vielseitige Görres las als Privatdocent an der Universität über Mythologie und Physiologie und fesselte die jungen Zuhörer unwiderstehlich durch seine Persönlichkeit und seine Rede. Eichendorff, der damals, von Halle kommend, in Heidelberg studirte und sich hier völlig der Romantik hingab, fand, daß Arnim und Brentano sich zu Görres verhielten wie Schüler zu ihrem Meister. »Sein durchaus freier Vortrag«, so erzählt derselbe, »war monoton, fast wie Meeresrauschen schwellend und sinkend, aber durch dies einförmige Gemurmel leuchteten zwei wunderbare Augen und zuckten Gedankenblitze beständig hin und her. Es war wie ein prächtiges, nächtliches Gewitter, hier verhüllte Abgründe, dort neue ungeahnte Landschaften plötzlich aufdeckend, und überall gewaltig weckend und gründend für's ganze Leben!« Eichendorff war so eingefangen von Görres genialem Wesen, daß er lange Zeit in seinem Style sprach; aber noch viele andere Schüler behielten das dankbare Gefühl, von ihm geweckt, angeregt und auf immer bereichert worden zu sein.

Arnim und Brentano arbeiteten indessen an der Volksliedersammlung und aus gemeinsamem Wirken entstand die Zeitung der Einsiedler, in der die ersten altgermanischen Studien der Brüder Grimm erschienen, Görres' «knolligter« Aufsatz über die Nibelungen, Uhlands erste, volksthümliche Lieder und unter andern jenes schwungvolle Lied von Arnim: Jugend hat ein heißes Blut! das die bayrischen Studenten, Ringseis an der Spitze, zu der enthusiastischen Kundgebung an die Herausgeber bewog. Mit Bezug auf solche Thätigkeit mochte wohl der Freiherr von Stein in späteren Jahren sagen, in Heidelberg habe sich ein guter Theil des deutschen Feuers entzündet, welches später die Franzosen verzehrt habe.

Zwei schöne Früchte dieser Jahre, 1806-1808, waren ferner die asiatische Mythengeschichte von Görres und die Symbolik von Creuzer, die allerdings erst später als Bücher erschienen.

Vollendet wurde dies reiche Leben durch die Nähe der Gegner, die sich um den nordischen Bauern Voß schaarten, und durch die Anwesenheit der fast ebenso feindlich angesehenen Hyperromantiker, deren Haupt Graf Otto v. Löben, der »Hohepriester der Winkelkirche« war. Als einen »sehr guten, reichen, garstigen Grafen«, der einem »schimmlichten Käse« gliche, beschrieb ihn Clemens Brentano. Auch daß es nur ein kurzes Vorüberrauschen, wie vorher in Jena, war, gehörte wohl dazu, den Sommernachtstraum der Romantik in Heidelberg so schön zu machen.

Im Frühling des Jahres 1808 erwartete Sophie Brentano, der schon zwei Kinder, kaum geboten, wieder gestorben waren, zum dritten Male ihre Niederkunft. In fröhlich-wehmüthiger Erwartung waren die letzten Tage vergangen, und als plötzlich am schönsten Sommerabend die Zeichen der nahenden Geburt sich meldeten, milderte Görres' beschwichtigende Gegenwart Brentano's Aufregung. Der nach schmerzvoller Entbindung eintretende Tod der lieben Frau, woran ernstlich niemand gedacht hatte, schmetterte Clemens völlig nieder. Nie vergaß sein dankbares Herz, was Görres, der »göttliche, herrliche«, ihm in diesen Jammertagen gewesen war. Aber es litt ihn doch nicht mehr in Heidelberg, wo er hoffnungslos starrend und brütend in verödeten Räumen saß, und er begann seine Junggesellen-Wanderschaft auf's Neue. Ihm folgte im Herbst Görres, dem eine Anstellung an der Heidelberger Universität nicht geworden war, und bald auch Arnim, so daß der vollste Akkord der Romantik in dieser Gegend nun verklungen war. Zurück blieben Creuzer, der Mytholog, und Daub, der Theologe, stillere Gelehrtennaturen, die immerhin die Fahne der Romantik noch lange Jahre hoch hielten. Im Jahre 1810 kam vorübergehende Verstärkung durch die Leute bei den Bildern, wie Görres die Brüder Boisserée nannte, deren Sammlung viele Menschen anlockte und für die Kunst des Mittelalters gewann. Auch Hegel, der eine gewisse Richtung der Romantik ergriff und einseitig fortführte, bis er in äußersten Gegensatz zu ihr gerieth, lehrte zwei Jahre – von 1816 bis 1818 – in Heidelberg, und hielt bei den Kämpfen zwischen Voß und Creuzer zu letzterem. Besonders merkwürdig war Wilhelm Schlegel's Erscheinung in Heidelberg, der nicht nur bei Voß leidlich gut aufgenommen wurde, sondern sich sogar mit der Tochter des Professor Paulus, des rationalistischen Theologen und erpichten Gegners der romantischen Schule, verlobte und vermählte. Die Verbindung zwischen dem alternden, eiteln Manne und dem koketten jungen Mädchen war ein trauriger Mißgriff und mußte nach häßlichen Vorgängen und Auseinandersetzungen schleunig wieder gelöst werden.

Wir kommen nun zu den großen Centren der Romantik im Süden: München, Wien und außerhalb Deutschlands: Rom. Nur einen Blick werfen wir vorher noch auf ein urdeutsches Stammland, das von alters ein fruchtbarer Boden für Poesie gewesen war. »Im Schwabenlande«, schrieb Heinrich Voß um 1814 »hat sich ein ganzes Nest solcher Dichter aufgethan, die, hoffe ich, nach ihrem 40sten Jahre aus der heiligen Raserei zur Vernunft zurückkehren werden.« Der gute Voß wußte nicht, daß man von »heiliger Raserei« in Bezug auf keinen anderen deutschen Dichter wie auf den Schwaben Hölderlin so berechtigt war zu sprechen. Ueberhaupt, nicht die größte Anregung, aber das Vollkommenste was die Romantik geschaffen hat, ist von Schwaden ausgegangen, war doch Schelling ein Schwabe und darf man die Bezeichnung »Klassiker der Romantik«, die eigentlich dem Schwaden Uhland galt, mit vollem Recht und im höchsten Sinne auf Hölderlin und Eduard Mörike anwenden. Den deutsch-romantischen Ton im Bilde und in der Romanze hat außer Brentano keiner getroffen wie Justinus Kerner und keine Novelle von Eichendorff, keine von Arnim, versetzt so mitten in die Romantik hinein wie seine Schattenbilder. Es ist, als wäre das durch keine fremden Zuflüsse in Gährung versetzte, gute Schwabenblut ein Gesundbrunnen, erscheint doch sogar der Wahnsinn Hölderlin's gesunder und harmonischer als das Dämonische und Verzerrte in Brentano oder Hoffmann oder Zacharias Werner. Die Dichtung der Heimathlosen schlägt Wurzel in dieser mütterlichen Erde; aus der Stammeskraft mag es zu erklären sein, daß hier Gedichte entstanden, wie manche von Hölderlin und Mörike, die, aus romantischer Seele aufgetaucht, von griechischen Lippen gesungen zu sein scheinen.

München, die Stadt, von der Gustav Adolf gesagt haben soll, sie gleiche einem goldenen Sattel auf dürrer Mähre. war nicht wie Jena oder Heidelberg oder das schwäbische Bergland zur Bühne für die Romantik geeignet. Immerhin konnte Bettine Spaziergänge im englischen Garten machen, und die Isar, über die vor der Stadt ein schwindelnder Brettersteg führte, erschien ihr wie ein »schäumender Drache mit aufgesperrtem Rachen.« Die Stadt selbst war vielleicht damals romantischer als später, wo Carus trotz aller Anerkennung der großartigen, von König Ludwig angeordneten Bauten und Anlagen, das Historische und Irrationale, also eben das Romantische, so durchaus vermißte. Jedenfalls war der genius loci der Romantik nicht abhold.

Es war dort ein Mann einheimisch, den schon Novalis und Friedrich Schlegel in der ersten Jenenser Zeit als in Denken und Fühlen sich verwandt erkannten, und dessen Werke sie mit Theilnahme und Bewunderung verfolgten. Franz Baader, der »heitere Gewaltige«, stammte aus einer kinderreichen bayerischen Familie, studirte Bergbau und Chemie und kam also, ganz romantisch, über die Naturwissenschaften auf die Philosophie. Von Schelling unabhängig hatte er gleichzeitig mit ihm naturphilosophische Ideen angedeutet, mit dem Unterschiede, daß er, innerhalb der katholischen Kirche geboren und aufgewachsen, sie von Anfang an mit katholischer Religionswissenschaft in Berührung brachte. Seine »wolkenzerreißenden Gedankenblitze« vermochten selbst Goethe zu dem Bekenntniß, daß er hier etwas Bedeutendes ahne, wenn er es sich auch nicht recht aneignen könne. Baader machte es sich zur Aufgabe, Jakob Böhme's mystische Philosophie in die Sprache moderner Wissenschaft zu übertragen, es kam aber so, daß das Studium seiner eigenen Philosophie durch Hinübernahme Böhme'scher Anschauungs- und Ausdrucksformen erschwert wurde. So streng sich Baader an die großen Lehrer der mittelalterlichen Kirche hielt, so wenig band er sich an die bestehende, hierin Görres ähnlich, der einen Conflikt mit dem Papste durchaus nicht scheute. Mißtrauen und Eifersucht hielten ihn stets von Schelling fern, der nach kurzem Aufenthalt in Würzburg i. J. 1805 in München anlangte. Abgesehen davon, daß Baader'n der pantheistische Ton, der in Schelling's Naturphilosophie anklang, zuwider war, stießen sich auch die beiden Naturen ab: Schelling war schroff, vornehm zusammengefaßt, herrisch, in Baader's Wesen und Werken war Schwung und Wurf, feuriges Ueberwallen der lockeren Form. Karolinen's Anmuth, Geist und Liebenswürdigkeit machten sich, trotz des üblen Rufes, der ihr vorangegangen war, auch in München sogleich geltend; aber bei der anspruchsvollen Unverträglichkeit ihres Mannes war es nicht leicht, einen Kreis lebendiger Mittheilung um sich zu sammeln. Als Bettine Brentano i. J. 1809 nach München kam, trafen die ältere und die jüngere Romantik unfreundlich auf einander. Zwei Rassen und zwei Generationen – denn Karoline war 20 Jahre älter als Bettine – standen sich in den beiden Frauen gegenüber. Bettinens wunderlich schillerndes Wesen erschien der harmonischen Holdseligkeit Karolinens gemacht, aufgebauscht und verzerrt. Sie konnte es nicht lassen, wenn Bettine mit ihren Beziehungen zu Goethe prahlte, ihr von Pauline Gotter, der Tochter ihrer Jugendfreundin zu erzählen, mit der der frauenfreundliche Dichter gleichfalls in einem väterlich-zärtlichen Verhältnisse stand – nicht ahnend, daß dieselbe Pauline bald, wenige Jahre nach ihrem bevorstehenden Tode, ihre Nachfolgerin im Herzen und an der Seite ihres Mannes werden sollte. Bettine verzieh Schelling diese Frau, die er liebte, nicht; doch bewunderte sie den »großen, prächtigen, viereckigen Schelling'skopf«, wie er aus den Händen Friedrich Tieck's, des Bildhauers, hervorging.

Infolge seiner Lage auf der Verbindungslinie zwischen Deutschland und Italien, das von Romantikern so viel besucht wurde, sah München häufig Gäste, die von hüben oder drüben kamen: Tieck, Carus, Rumohr, der vielen Maler nicht zu gedenken. Tieck kam von Rom, krank und gichtbrüchig, und ließ sich von schöngeistigen Damen pflegen und von Bettine bald bewundern, bald hänseln. Die eigentlich romantische Zeit begann für München erst, als Karoline und Ritter bereits gestorben waren, nach den Freiheitskriegen unter dem kunstliebenden, deutschthümelnden König Ludwig, als Schelling, Baader, Görres, Schubert, Ringseis, Oken neben einander an der Universität lehrten und Clemens Brentano seinen letzten Weihrauch und seine letzten Witze verpuffte. In der Nähe ihrer Bilder, die sie an König Ludwig verkauft hatten, siedelten sich auch die Brüder Boisserée und Bertram nach langen Wanderjahren in München an. Alle diese Elemente versammelten sich an dem gastlichen Tisch der liebenswürdigen, bescheidenen und ganz unromantischen Baslerin Emilie Linder, Clemens Brentano's letzter Liebe, die dem Geiste der Zeit ihre Schuld zahlte, indem sie zum Katholicismus übertrat. Seit den Landshuter Studententagen war Ringseis mit den Savigny und Arnim befreundet; an der Wiege seiner jüngsten Tochter standen als Pathen 3 Schwestern Brentano's: Kunigunde v. Savigny, Meline v. Guaita und Bettine v. Arnim

Das kleine Landshut »mit seinen geweißten Giebeldächern und dem geplackten Kirchthurm, mit seinem Springbrunnen, aus dessen verrosteten Röhren nur sparsam das Wasser lief, um den die Studenten bei nächtlicher Weile Sprünge machten und sanft mit Flöte und Guitarre accompagnirten«, wo Röschlaub und Savigny lehrten, und Clemens Brentano Altarthüren zu 45 Kreuzer und Altäre mit Reliefs zu 4 Gulden kaufte, muß füglich neben München genannt werden. Als Clemens mit Savigny und Bettine im Herbst 1808 hier ankam, schrieb er Arnim, die Landshuter Universität sei nichts als eine Gesellschaft katholischer Pfarrer, die Abends bei einem »guten Mann und modernen Mystiker, dem Religionsschriftsteller Sailer« zusammenkämen und Schach spielten. Später gewann Sailer, der »allgemein Gefeierte, Geliebte, der Philosoph Gottes« ihn wie so viele andere Irrende und Schwankende für die Kirche.

Der Seelenfischer von Wien war Pater Hoffbauer, geistlicher Berather und Hausfreund bei Friedrich und Dorothea Schlegel, deren beiden im Judenthum geborenen Söhnen, den Malern Jonas und Philipp Veit er die Taufe ertheilte. Hoffbauer konnte sich weder an Bildung noch an edler Liebenswürdigkeit noch an weitblickender Menschlichkeit mit Sailer vergleichen. Von wissenschaftlicher Begründung des Glaubens wollte er nichts wissen; als Friedrich Schlegel ihm einmal sein neurologisches (oder mesmerisches) System des Katholicismus auseinandersetzte, rief er erst ablehnend, das sei nichts, gar nichts, dann, da Friedrich nicht abließ, es ihm aufzudrängen, umarmte er ihn und sagte: Du bist doch mein Friedrich! Gutherzig war er und hülfreich, daher im geselligen Verkehr behaglich. Die Frömmigkeit war in Wien besonders in den vornehmen Kreisen verbreitet und vertrug sich mit leichtsinnigem Lebensgenuß. In dem verführerischen Wien, das Grillparzer das Kapua der Geister genannt hat, konnte Ernst und Tiefe nicht aufkommen. Man hatte Recht, es dem preußischen Berlin nach romantischer Art gegenüberzustellen wie das Gefühl dem Kopfe oder, wie man damals sagte, wie das Bauchsystem dem Cerebralsystem. Litt die Romantik in Berlin an zuviel Verstand, so litt sie in Wien an zu viel Sinnlichkeit, dort artete sie in Schöngeisterei aus, hier wurde sie Fleisch und bekam sogar etwas hautgoût.

Es war verhängnißvoll, daß Friedrich Schlegel am Scheidewege die Straße nach Wien einschlug; ob ihm nun andere nachfolgten oder nicht, so hatte die Romantik damit doch die abschüssige Bahn nach Süden betreten. Friedrich und Adam Müller, den Brentano als einen »gescheiten, zur Vornehmigkeit und Noblesse geneigten, etwas eindärmigten Mann« schildert, »ruhig und hinlänglich und länglich, zu Zeiten sogar langweilig«, hielten philosophische Vorträge für das Wiener Publikum, und da Adam Müller dasselbe weniger langweilte als Friedrich, waren seine besuchter, was eine heimliche Eifersucht auf Schlegel'scher Seite mit sich brachte. Beide waren grundverschiedene Naturen, obwohl sie sich in den Ideen vielfach trafen: Adam Müller fand sich in die zweideutige Lage, ausdrücklich gläubiger Katholik zu sein und die irreligiösen Lebemänner Gentz und Metternich als Freunde und Führer zu verehren, mit weit mehr Geschick und Anstand als der schwerere, ehrliche und gemüthvolle Friedrich. Beide starben kurze Zeit nacheinander im Beginn des Jahres 1829 eines plötzlichen Todes, als die Zeit der Romantik in Wien und überhaupt vorüber war. Sechs Jahre vorher war Zacharias Werner gestorben, der den vornehmen Wienern die Religion viel kurzweiliger vorgetragen hatte als Friedrich Schlegel die Philosophie. Als Werner auf seinen Fahrten das erste Mal nach Wien kam, sprach er sich herzlich billigend namentlich über die Wiener Frauen aus, »denen man es ansieht, daß sie außer dem Gebetbuch nie etwas gelesen, außer dem Waschzettel nie etwas geschrieben haben; alle wie von lauter Sahne und Milchbrot aufgepappt, alle nichts fürchtend als den Regen, der die Schlapphauben naß machen könnte, und nichts wünschend, als morgen,über morgen und immerzu in den ewig neuen, wimmelnden Prater an der Hand des Bräutigams herausschlänkern, Caroussel fahren und reiten und gebackene Hendel essen zu können, und bei diesem allein alles Frauenvolk so unendlich naiv, froh, zwecklos und liebenswürdig.«

Die älteren Romantiker hatten andere Ideale in Bezug auf das Weib; immerhin gewann auch Schlegel mit der häßlichen, tüchtigen, strebsamen Frau an seiner Seite allmählich Verständniß und Neigung. Aber nicht nur solche Reize, auch etwas ernsteres, nämlich die medicinische Fakultät zog Romantiker, unter denen ja viele Mediciner waren, nach Wien, so Ringseis, Justinus Kerner, Passavant. Wer sich im thierischen Magnetismus, dessen Geburtsstadt Wien war, unterweisen lassen wollte, fand einen geübten Lehrer in Malfatti. Still, unbemerkt bereitete sich auch die neue Malerei, die prärafaelitische, in Wien vor, indem einige junge Akademieschüler, von denen Overbeck der berühmteste wurde, i. J. 1808 die Lukas-Brüderschaft begründeten, deren Zweck Befreiung der Kunst von den Fesseln des Manierismus sein sollte. Um ihre Ideale in Kunst und Leben in's Werk zu setzen, siedelten sie nacheinander nach Rom über und bezogen ein altes Kloster, in dem sie brüderlich träumten und arbeiteten.

Rom war die südlichste Station der Romantik, wohin die Nadel ihres Kompaß von Anfang an gewiesen hatte und wo sie schließlich im Schooße der Kirche unterging, ihr Hafen und Grab zugleich. Wackenroder und Tieck hatten die Sehnsucht nach Rom in die Literatur eingeführt, Sehnsucht nach dem mittelalterlichen Kirchen-Rom wie nach dem Kunst-Rom der Renaissance; Sternbald's Wanderungen sollten damit abschließen, daß er in Rom zum Katholicismus übertrat. Tieck war auch der erste Romantiker, der die Wallfahrt nach Rom antrat, und es war nicht zu verwundern, daß ihn sein Lebenlang der Verdacht verfolgte, er sei dort katholisch geworden, während thatsächlich nur das harmlose Spiel getrieben war, daß seine Schwester Sophie Bernhardi und die schöne Frau von Humboldt als Maria und Venus zwei Lager gründeten, in denen sich je nach Neigung die Verehrer sammelten Der Verkehr unter den Deutschen war außerordentlich lebhaft; wer länger dablieb konnte sich kaum dem Bekehrungseifer der Neubekehrten – Oberkirch Christian Schlosser, Zacharias Werner – entziehen. Die Aufgabe, die Schwankenden im Glauben fest zu machen, fiel dem Cardinal Ostini zu, einem klugen, feinen und liebenswürdigen Manne, der die Menschen mit großem Geschick nach ihrer Eigenart zu behandeln wußte. Einige wurzelten in Rom fest: Jonas Veit, der eine Italienerin zur Frau nahm, und Overbeck, der Lübecker, der Nina Hartl heirathete, eine schöne Wienerin und junge Freundin von Dorothea Schlegel, die auch Wilhelm Schlegel in Italien hofirt und besungen hatte. Overbeck starb i. J. 1869, 80jährig, in demselben Jahre, wo Böcklin, 42jährig, seinen Ritt des Todes malte; er hatte damals schon jahrelang in Rom gelebt und war mit einer Römerin verheirathet.

Die Schweiz, dein Schwabenlande stammverwandt, hatte mit ihrer schwereren Art der Romantik, als sie in Deutschland blühte, nicht folgen können. Der merkwürdige Besuch Tieck's bei Ulrich Hegner in Winterthur zeigte, daß zwar der bewegliche, feinfühlige Tieck den Werth der stilvollen Novellen des Schweizer Schriftstellers erkennen konnte, diesem aber der deutsche Romantiker unverständlich und fast unheimlich war. Doch waren es Schweizer, Gottfried Keller und Arnold Böcklin, die uns die endlich gereiften Früchte der Romantik gereicht haben, allerdings zum kleineren Theile auf Schweizer Boden gereift und nicht in der Schweiz zuerst schmackhaft gefunden.

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