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Kampf und Niederlage.

Justinus Kerner macht einmal die Bemerkung, es sei wunderbar und wie in der Natur begründet, daß die Plattisterei nur an der vorigen Generation hänge, an der zehn bis zwanzig Jahre vor ihm blühenden, deren Höhepunkt in die französische Revolution falle; so daß man sagen müsse, die jetzige Romantik und Philosophie liege nicht am Einzelnen, sondern an der Zeit.

Die Geburt der ersten Romantiker fällt in die Mitte der 60er Jahre, die der jüngeren in die Mitte der 80er; nach 1790 sind nur noch vereinzelte Nachzügler geboren. Es konnte daher schon um 1820 ein neu herangewachsenes Geschlecht von Plattisten sich mit den letzten Vertretern des alten begegnen und die ihnen entsunkenen Waffen aufnehmen. Die Romantiker waren von Anfang an Kämpfer gewesen, zugleich Neues proklamirend und das Alte angreifend in die Schranken gesprungen; kaum aber hatten sie gesiegt, so sahen sich triumphirenden neuen Gegnern gegenüber, die nun ihrerseits angriffen und sie in die Vertheidigung drängten. Unvermerkt hatte sich inzwischen das Verhältniß so umgekehrt, daß Jugend, Kraft und damit schließlich auch das Recht auf Seiten der »Plattisten« oder »Physikanten«, Greisenhaftigkeit und Verfall auf Seiten der Romantiker war.

Schelling und die Schlegel hatten in Jena glänzend gesiegt: die Jugend strömte den selbst noch Jungen zu, Kunst, Wissenschaft und Leben trugen ihre Farben. Die Gegner mußten machtlos grollend zusehen, gaben aber deshalb den Widerstand nicht auf. Der rationalistische Theologe Paulus begleitete die Zerstreuten von Jena auf fast allen ihren Wegen, warf ihnen Steine vor die Füße und erwartete die gelegene Stunde zu größeren Vortheilen. Vom Norden her rückte i. J. 1802 der »Großinquisitor des Rationalismus«, der alte Voß, nach Jena, das noch widerhallte von den Waldhornklängen der Romantik und dem Nüchternen durch eine gewisse prickelnde, narkotische Atmosphäre, die über den Hügeln schwebte, unleidlich wurde. Nach kurzem Schwanken folgte er im Sommer 1805 dem Rufe des Großherzogs von Baden nach Heidelberg, wo er sich inmitten der reichlichen Natur überaus wohlgefiel. Er fand nichts Verdächtiges vor als Creuzer, den weitaus jüngeren Mann, der ihm den Eindruck großer Bescheidenheit und Schüchternheit machte und leicht lenkbar schien. Auch Brentano und Arnim, die nun nach einander einrückten oder vielmehr, nach einem später von Voß gebrauchtem Ausdruck, sich einnisteten, »übten zumeist nur Sang und Klang für die geahnten Anschauungen des karfunkelnden Orients und des südlichen Sonnenlichtes« und kamen ihm daher zwar lächerlich, aber unschädlich vor. In Wahrheit waren sie ihm Anfangs sogar sympathisch, vorzüglich Arnim, mehr aber noch er ihnen, die garnicht anders konnten, als für eine so unmittelbar aus dem Volke hervorgehende Erscheinung, die eine urbäuerliche, naturstarke Stimmung umgab, Sinn und Neigung haben. Creuzer äußerte, daß Voß ihm in den Abendstunden, wo er ihn zuweilen sähe, als Mensch und Hausvater sehr ehrwürdig erschienen sei, und Brentano fühlte für die begabte, regsame, dabei ganz unverkünstelte Frau Ernestine herzliche Liebe und Achtung.

Nun zeigte es sich aber bald, daß ein Bauer als Bauer, vom verfeinerten Kulturmenschen betrachtet als ein Stück Natur, wonach er sich hinsehnt, etwas ganz anderes ist als ein Bauer, der seine Anschauungsweise zur Geltung bringen und den Kulturmenschen aufzwingen will. Es war in Vossens Abneigung gegen die Romantiker etwas von der zerstörenden Wuth der Bauern, die, wenn sie einen Luftballon oder ein Rad vorübersausen sehen, es sogleich mitsammt dem dazu gehörigen Reisenden zusammenschlagen möchten. Sowie sie anfingen ihre Ideen lauter zu äußern, erkannte er sie als etwas ihm fremdes, als Menschen auf einer höheren Kulturstufe, die, indem sie ihm vorauseilten an der Kraft und Gesundheit, die in ihm war, eingebüßt hatten; was sie gewonnen hatten, schätzte er nicht, und was sie verloren hatten, machte sie ihm verächtlich. Außerdem fehlte es nicht an natürlichen Gegensätzen: Arnim war ein Edelmann, und vollends mit Brentano, dem Sohne einer vornehmen Süddeutschen und eines italienischen Juden, hatte der niederdeutsche Bauernsohn keinen Zug gemein. Solcher Leute, wie Brentano war, glaubte er mit Gelächter und Nasenrümpfen leicht Herr werden zu können; schwerer war es, Görres beizukommen, dem die moderne Art zu denken aus einer festen, gesunden, naiven Natur herauswuchs, und er haßte ihn infolgedessen als den gefährlichsten Gegner.

Der bescheidene, ungeniale Creuzer hätte ruhig weiter wühlen, Arnim und Brentano ihre läppischen Reime weiter singen mögen, erst dadurch, daß der »struppige Lauscher« Görres mit »unstätem Aug' unter altdeutschem Haargebüsch« sich an ihre Spitze stellte, wurden sie bedeutsam. Hierin leitete Voß sein Gefühl nicht irre: er war wirklich die Seele der kleinen Schaar, sie sowohl durch seine Persönlichkeit, sowie durch seine Ideen begeisternd; war er auch nicht der Schöpfer, so doch sicherlich der Anreger der Symbolik, mit der Creuzer's Name unzertrennlich verwachsen ist.

Görres hatte zuerst die romantische Idee von der »heiligen Unität« mit klaren Worten auf die Religion angewendet, indem er einen Zusammenhang zwischen allen Religionen und ihre gemeinsame Abkunft von einer gemeinsamen Ur-Religion annahm. Die Gottheit an sich, im Abgrunde der Ewigkeit, lehrt er, habe keine Geschichte, erst in der Zeit beginne sie. »Die Geschichte ist der Gottheit exoterisch, weltlich Leben, das in rauschenden Strömen abläuft, innerhalb der ungetrübten Ruhe des innerlichen, göttlichen Lebens, und während dieses kein Alter und keine Wendepunkte kennt und nicht in Tag und Nacht und Jahre und Jahrhunderte geschieden ist, muß jenes, wenn gleich eben seiner Unendlichkeit wegen unsterblich, alle Formen der endlosen Metamorphose durchschlagen.« Daher sei zu allen Zeiten die Idee der Gottheit gleich gewesen, ungleich ihre Anschauung in Reflexen; das Bild der Gottheit wachse ohne Grenzen, die äußerliche Inkarnation der Religion schreite mit der Religion fort, jede Zeit habe ihre Propheten, aber sie redeten die Sprache ihrer Zeit. Indessen galten dem Romantiker die Aeußerungen der alten morgenländischen Völker, in deren Sprache die Elemente noch forttönten, deren Worte wie Blitze aus weissagenden Träumen hervorbrachen, vorzugsweise als Offenbarung höherer Wahrheit, während seiner Ansicht nach in den Hellenen die Menschheit schon wach werde und die Untrüglichkeit unmittelbarer Traumesanschauung ihnen nicht mehr zukomme. Es sei nicht zufällig, sagte Passavant, daß, während die Naturforscher, unbefriedigt von der hellenischen und römischen Weisheit, deren ernstere Mutter im Morgenlande aufsuchten, wo sich eben jene verkannten Kräfte des Geistes und der Natur in alten Sagen und Gewohnheiten bis heute wiederfänden.

Diese Anschauungen trafen auf Widerspruch sowohl bei gläubigen Christen wie bei den Griechenfreunden, die ersteren nämlich setzten zwischen das Christenthum und den anderen Religionen einen wesentlichen Unterschied, wollten es, wie z. B. Adam Müller, nicht als eine, sondern als die Religion angesehen wissen, und in ähnlicher Weise betrachteten die Hellenisten die griechische Kultur als etwas selbsteigenes, urthümliches, durch nichts bedingtes, was sie gerade dem formlosen, überschwänglichen Orientalismus als erste, göttliche Erscheinung der Schönheit entgegensetzten.

Creuzer hatte sich, angeregt durch Görres Ideen, die Aufgabe gestellt, den Zusammenhang der religiösen Symbole aller alten Völker darzuthun, insbesondere die Abhängigkeit der griechischen Mythologie von der älteren orientalischen, wodurch er Voß auf seinem eigensten Gebiete herausforderte. Für Voß war es eine Sache persönlicher Eitelkeit, daß die Auffassung Griechenlands, die er sich gebildet und die er verkündigt hatte, nicht untergraben würde. Er hatte den Olymp protestantisch und aufgeklärt behandelt: die Götterwelt war schön, klar, marmorn, ohne Geheimnisse und Untiefen; die Romantiker wollten sie orientalisiren. Durch Voß und Wieland hatten die Griechengötter die Gemeinverständlichkeit und »gemüthlose Grazie« bekommen, die romantische Gemüther abstieß; ohne Görres und Creuzer's Wirksamkeit hätte Schütz i. J. 1841 nicht behaupten können, daß das Hellenenthum näher als der Protestantismus mit dem Katholicismus verwandt sei. Gerade dies, daß durch Görres und Creuzer das Griechenthum, altorientalische Ideen vermittelnd, in eine Art Beziehung zum katholischen Christenthum gesetzt wurde, erboßte Voß am meisten. Wenn er in der Schule das Hauptgewicht auf griechische Geschichte und Literatur als vorzüglich menschenbildend gelegt haben wollte, so gebrauchte er natürlich ein einem protestantisch-liberalen Deutschland angepaßtes Griechenthum, das eben die Ideale lehrte, die er der deutschen Jugend förderlich hielt. Nichts konnte ihn mehr erbittern, als wenn auf einmal Dinge über die Griechen und ihre Mythologie behauptet wurden, die sich mit seinem Schulplan nicht vereinigen ließen, und da nicht alle Ansichten, die Görres und Creuzer aufstellten, sich buchstäblich beweisen ließen, sondern von einem universellen Standpunkt aus combinirt, mit genialem Sinn geahnt und aus der Kenntniß der menschlichen Phantasie heraus erspäht werden mußten, war es das leichteste und billigste, sie einfach als Schwindel zu brandmarken. Vossens Genugthuung war es, eine Menge von Thatsachen zusammenzubringen und zu erklären; für Creuzer hatten Thatsachen nur Werth, wenn sie zu einem Ideenergebniß führten, als Symbol, das sich auf eine höhere Einheit beziehen ließ. Daß dabei Irrtümer unterliefen, gab Voß den erwünschten Anlaß, seine Gegner als leichtfertige Betrüger hinzustellen, die im Dienste der Pfaffenherrschaft arbeiteten; denn da seinem »philologischen Nagen an der Schale der Wissenschaft« die Idee von dem organischen Zusammenhang der Religionen und ihre Bedeutung völlig fremd war, konnte er sich nichts anderes vorstellen, als daß sie der Deckmantel für irgend einen das Licht scheuenden Zweck wäre.

Wie sehr Voß die romantische Bewegung mißverstand, geht daraus hervor, daß er ihre Anfänge in der »Frömmle- und Wundersekte« sah, die sich in Berlin um den König Friedrich Wilhelm III. geschart hatte, und für deren Ziel er gleichfalls »papistischer Mysterien Fortpflanzung« hielt. Mit diesen brachte er auch Jung Stilling und Lavater in Verbindung, der »arglos den arglistigen Pfaffenplan förderte.« Die philosophischen Keime der Romantik sah er, mit weit mehr Recht, in Kant und Fichte: »mit solchem Anwachs voraussetzender und sich selbst ›construirender‹ Idealdenker verbrüderten sich anwachsende Idealdichter, deren Ideal, Urschrei der Wildniß, und Urkunst des wildkräftigen Mittelalters, unter dem Namen der Romantik römelte. … Man lud öffentlich junge Männer von Kraft sich anzuschließen; Schutzbedürftige folgten im Troß; und endlich im Jahr 1807 verkündete der Rottmeister Wilhelm Schlegel mit lautem Ruf: ›eine unsichtbare Gemeinschaft edler Menschen‹ zur Verjüngung der kräftigen Pfaffenzeit.«

Ein Gedicht Friedrich Schlegel's, in welchem er sagte, es sei des Dichters Ziel und Trachten, den Heldenruhm des deutschen Namens aus der Zeit »als Ritterthum der Andacht sich verbunden« wieder herzustellen, das also einen rein patriotischen Charakter hatte, und eine erklärende und empfehlende Recension, die Wilhelm Schlegel diesem und anderen Gedichten vorausgeschickt hatte, schien Voß ernstlich als Beweis für das Bestehen eines »sündhaften« Bundes zur »Herstellung des für Fürsten und Volk unerfreulichen Nachtsonnenthums« anzusehen Es ist interessant, wie, während die Romantiker in allen Dingen organischen Zusammenhang erkannten und alle Erscheinungen aus dem Unbewußten zu erklären suchten, Voß, ihr Gegner, überall bewußten Zweck sah; die Annahme verbrecherischer Absicht gestattete ihm ein ungemeines, zwar komisches, aber pöbelhaftes Schimpfen.

Seine ersten öffentlichen Angriffe galten Arnim und Brentano, von denen er sich in der Einsiedlerzeitung angegriffen glaubte, in Bezug auf ihre Volksliedersammlung. Nicht allein mit dem Orientalischen nämlich, auch mit dem Volksthümlichen und Altdeutschen bedrohten die Romantiker, so schien es Voß, seine Griechen. Da Arnim sagte, die Nibelungen könnten den Deutschen werden was den Griechen Homer, entgegnete er, das hieße einen Saustall einem Pallast vergleichen. Ueber Volksdichtung hatte er nikolaische Plattistenbegriffe. Sein Sohn Heinrich fand, ein Volksmärchen verhalte sich zu einem Märchen von Musäus wie ein Skelett zu einem Schiller von Dannecker. Aber die Worte einfach, kindlich, natürlich seien einmal an der Tagesordnung. Der alte Voß nannte die Volksliedersammlung von Arnim und Brentano einen »heillosen Mischmasch von allerlei butzigen, schmutzigen, trutzigen und nichtsnutzigen Gassenhauern, sammt einigen abgestanden Kirchenhauern, uns vorgeschüttet«; und wie er immer bewußte Schlechtigkeit voraussetzte, so warf er auch hier den Herausgebern, die durchaus nicht verhehlten, daß sie sich, wo es ihnen gut schien, willkürliche Veränderungen der Lieder oder Zusätze erlaubten, Betrug vor und sprach von einem »zusammengeschaufelten Wust von muthwilliger Verfälschung sogar mit untergeschobenem Machwerk.«

Arnim war darüber um so mehr entrüstet, als er am längsten der Vossischen Biederkeit vertraut hatte und verwies dem Angreifer die aus der Luft gegriffenen, verläumderischen Behauptungen in herrisch strafenden Worten, besonders ernstlich rügend, daß Voß ein alterthümliches Kirchenlied als »Lied der Romantiker an ihren Herrgott« parodirt hatte:

Herr ich will ja gerne bleiben
Was ich bin, dein armer Hund.

Die kleine Schaar der Romantiker hatte mit Ausnahme von Creuzer Heidelberg bereits verlassen, als Baggesen, der Däne, sich auf eine Zeit lang dort niederließ und seinen Witz und sein bewegliches Talent mit Vossen's gröberen Gaben vereinigte, um ein öffentliches Hohngelächter über die »rohzierliche Modeschwäzerei« der »romantisch gaukelnden Wildfänge« zu erheben. Die Sammlung von Spottgedichten, die Baggesen unter dem Titel: »Der Karfunkel oder Klingklingel-Almanach. Taschenbuch für vollendete Romantiker und angehende Mystiker« im Jahre 1810 bei Cotta in Tübingen erscheinen ließ, ist weitaus witziger und treffender als die oft wunderlich verhüllten und ausgetüftelten Spöttereien der jüngeren Romantiker über ihre Gegner. Man mag noch so innig überzeugt auf der Seite der Romantiker stehen, doch muß man bei den behaglichen Späßen dieser Schelmen-Sonate mitlachen, deren Verfasser die verwundbare Seite der Gegner – vielleicht gerade weil sie ihre tiefere Bedeutung nicht verstehen – mit schneller Witterung herausfinden und, weniger aus Bosheit als um des Vergnügens willen, von ihrer Sache immer weiter gelockt, in komisch übertriebener Form darstellen.

Das romantische Paradoxe, das Verbinden der entgegengesetzten Pole, dessen Tragweite als wissenschaftlichen Grundsatz Voß nicht begriff, was ihm aber in der Weise wie nachplappernde Anhänger und Schüler der Romantik es mißbrauchten, als Unsinn einleuchtete, trifft das Sonett »Zweifel, Glaube und Zuversicht.«

Kann ihren Ahn die Enkelin gebähren?
Kann Körperlicht entstehn aus Geistesdunkel?
Kann Kuhmist je sich wandeln in Karfunkel?
Kann das Vergangn' als Zukunft ewig währen?

Du fragst – und siehst du nicht den Nektar gähren?
Aus der Endivie, Honig aus der Runkel
Und Engelsschwangre Jungfraun an der Kunkel
Aus Spargeltöpfen und aus Waizen-Aehren?

Dank sey der alten Schöpfung neuen Tiefe,
Auch gottlos kannst du göttlich einig glauben,
Und voll Verzweiflung immer fröhlich hoffen;

Wenn auch der Schöpfer selig selbst entschliefe,
Unhörbar wird der Klang erfreun die Tauben;
Denn des Karfunkels Thor steht ewig offen.

Ebenso ergötzlich wird die Schauer-Poesie persiflirt in dem Gedicht welches betitelt ist: Winterabendempfindungen im Mondschein.

Wie trübe dort die Klostermauern schimmern!
Es will mir bangsam im Geblüth gemuthen,
Als säh ich die eilftaufend Jungfraun bluten,
Als hört' ich halbgeborne Engel wimmern.

Auch scheint mir, daß die Kirchenfenster flimmern
Von ungewöhnlichen Gespenstergluthen,
Hohl schallt herab vom Thurm des Wächters Tuten,
Als stieg es unten aus des Kirchhofs Zimmern.

Es regen sich die längst verwesten, mürben
Prälatenknochen neben Layenschädeln,
Die Sterne sehen aus wie lauter Hippen;

Es ist mir, als wenn alle Seelen stürben,
Als wären dort die Bursche mit den Mädeln
Nur Schatten auf dem Schnee von Spukgerippen.

Angriffe dieser Art konnten Menschen von Humor und Einsicht sich wohl gefallen lassen. Aber allmählich folgten auf die nett geschnitzten Pfeile Waffen derberer Art, Prügel und Keulen. Es geschah allerlei, um Vossens üble Laune zu bitterstem Ingrimm zu steigern. Im selben Jahre wie der Klingklingel-Almanach erschienen die Mythengeschichte der asiatischen Welt von Görres und der erste Band von Creuzer's Symbolik, Werke in denen die Ansicht vom Zusammenhange der orientalischen und occidentalen Religion und Kultur durchgeführt war und gedruckt vorlag. Die Symbolik konnte nun den Ruhm Creuzer's weiter verbreiten, der in Heidelberg selbst schon eine bedeutende Höhe erreicht und die Vossische Richtung gänzlich überflügelt hatte. Mit ansehen zu müssen, wie die jungen Leute dem Gegner zuströmten und mithin in ihr Verderben eilten, erbitterte den alten Pädagogen. Doch traten diese Dinge zunächst gegen die großen politischen Ereignisse, Napoleons Sturz und die Erhebung der Deutschen zurück: eine Zeit der Glorie für die Romantiker, deren Richtung man undeutsch geschmäht hat, und die doch in gefahrvoller Zeit den Namen des Vaterlandes muthig bekannten, während der alte Voß im Jahre 1805 Napoleon scherzhaft »unseren Bundesgenossen« nannte und sein Sohn Heinrich nach der Schlacht bei Jena schrieb: »Da es einmal so steht, so wünsche ich von ganzem Herzen den Franzosen ferneren Sieg und baldigen Frieden.«

Indessen, als die Siegesbegeisterung verrauscht war und die häßlichen inneren Kämpfe begannen, kamen zu den alten Streitpunkten politische Gegensätze, die die feindseligen Gemüther vollends vergifteten. Im Jahre 1819 wurde der badische Landtag eröffnet, in welchem der liberalen Partei die Hauptrolle zufiel. Ihr gehörten Voß und Paulus an, der seit 1811 in Heidelberg Professor war, Creuzer und Daub, der romantisirende Theologe, hielten zur Gegenpartei. Nun es sich um praktische Fragen handelte, greifbare Ziele galt, gewann Vossens Neigung, dem Gegner böse Absicht unterzuschieben, erst recht Boden. Weil Creuzer und Daub das Bestehende nicht zu Gunsten liberaler Neuerungen umgeworfen sehn wollten, gehörten sie zu der »Bubenrotte der Pfaffen und Adelsknechte«, die die »hildebrandische Domherrnzeit« wiederherstellen wollten, wo das Volk in Verdummung und Sklaverei schmachtete. Andererseits ergrimmte auch Creuzer einigermaaßen und schrieb: »Voß gehört jetzt zu der sauberen Zunft, die sich Religion und Staat selber machen will.«

Gerade weil die Romantik um diese Zeit auf allen Gebieten siegreich war, glaubte Voß etwas Gewaltiges zur Rettung von Licht und Vernunft unternehmen zu müssen und wählte als Zielscheibe den alten Grafen Stolberg, um in seiner Person zugleich das »dumpfige Dunkel der Pfäfferei« und einen alten Feind zu vernichten. Stolberg, dem nach eigener Aussage Vulkan die Feile versagte, aber das Feuer verlieh, gehörte seinem Alter und seiner Art nach der Zeit von Sturm und Drang, nicht der Romantik an. Der junge Boisserée nannte ihn in einem Gespräch mit Goethe den Heros unter den Protestanten, die katholisch wurden, worauf Goethe antwortete, ja, es sei die Fülle der Menschheit in ihm, das Gemüth des Großen, das Naturell; selbst das Kindermachen deute auf die eigentliche Fülle des Menschlichen. Obwohl, vielleicht auch gerade weil von ihnen ganz verschieden, verehrten die katholischen Romantiker den vornehmen und liebenswürdigen Greis, der mit seinem im Jahre 1800 erfolgten Uebertritt die Reihe der Conversionen eröffnet hatte. Adam Müller veranlaßte ihn, in seinen Staatsanzeiger einen Aufsatz über den Zeitgeist zu schreiben, und seine Religionsgeschichte blieb nicht ohne Einfluß auf schwankende Gemüther.

Das Organ, welches dem Kampfe gegen die Pfäfferei dienen sollte, war eine von Paulus herausgegebene Zeitschrift »Sophronizon«, in welcher eine von ihm selbst verfaßte Kritik der Stolberg'schen Religionsgeschichte und im Jahre 1819 die berüchtigte Schrift von Voß »Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier« erschien. Die pietätlose Rohheit dieser Schmähung wurde selbst von protestantischen Gesinnungsgenossen beklagt und ernstlich getadelt und was den beklemmenden Eindruck, den sie überall machte, verschärfte, war der bald darauf erfolgende Tod Stolbergs, dessen letzte Lebenstage der unerwartete Anfall getrübt hatte. Um nur den Vorwürfen Anderer und des eigenen Gewissens Stand halten zu können, arbeitete Voß sich unwillkürlich immer heftiger in die Vorstellung hinein, daß höchste Gefahr im Verzuge und Deutschland durch den vorausgesetzten Dunkelmännerbund ernstlich bedroht sei. Perthes fühlte sich durch eine Claudius betreffende Aeußerung, die Voß in der Schrift gegen Stolberg hatte fallen lassen, bewogen eine »Zurechtweisung« zu veröffentlichen, die Voß und Paulus durch die Verläumdung beantworteten, Perthes sei das Werkzeug katholischer Propaganda und empfange Geld aus einer Heilands- und Missionskasse.

Das Jahr 1819 hatte eine kräftig ausgesprochene Prägung. Heftig äußerte sich die junge Opposition – der unglückliche Sand ermordete Kotzebue –und die Romantik hielt sich noch auf der vornehmen Höhe der Vermittelung. Im Herbst entfloh Görres, von der preußischen Regierung wegen seiner unerschrockenen, volksfreundlichen Politik verfolgt, nach Frankreich und schrieb aus der Verbannung: »Die Jugend wächst gegen das Alte in einem Haß auf, den die Schufte und Thoren, die in dessen Vertheidigung sich theilen, jeden Tag mehr rechtfertigen.« Sein Buch »Deutschland und die Revolution« erschien im selben Jahre, ein Muster großartigsten Weitblicks über die Parteien, und doch schrieb Gentz, nachdem er das neue Erzeugniß aus Görres' »Riesenfeder« nach seiner eigenen Aussage verschlungen hatte, triumphirend – denn »diesen Löwen zahmer zu machen«, war längst sein Ehrgeiz gewesen –: »In der Hauptsache ist er unser und kann uns nicht mehr entrinnen. Mit der Demokratie ist er nun auf ewig zerfallen.«

Etwa mit dem Jahre 1820 beginnen die Zeichen des Alterns, stellenweise der Altersschwäche an der Romantik, und langsam drängt das neue Geschlecht sie in den Hintergrund. Wie die Jugend ist, geht sie auf die Aelteren, die ihr wohl ein gewisses Verständniß entgegenbrächten, nicht ein, sie übertrumpft sich selbst, um darzuthun, daß sie mit ihnen nichts gemein hat, die nun ihrerseits den Unterschied begreifen und sich mit Bitterkeit und Abneigung zurückziehen. Im Jahre 1822 bemerkte Creuzer zuerst, daß sich an der Universität die Professoren in zwei Gruppen sonderten, die der Mystiker und der Physikanten, welche mit Voß und Paulus schön thaten, und »die krasseste Empirie auf den Thron setzen möchten.« Wie eigen, daß die haßerfüllten Gegner der Romantik das Wort Physik auf die Fahne schrieben, dem gerade die Romantiker Glanz und Bedeutung gegeben hatten!

J. J. Wagner machte im Jahre 1819 die richtige Bemerkung, die Naturforscher, denen durch die Naturphilosophie ein Auge zum Sehen gegeben sei, fingen nunmehr an, es zu gebrauchen, als ob sie es von sich selbst hätten, und mit ihren damit gemachten Entdeckungen sich gegen die Philosophen zu brüsten, als bedürften sie ihrer garnicht.

Während nun bei den jungen Leuten die Ansicht sich einbürgerte, daß nur mit dem zu rechnen sei was die Sinne wahrnehmen, ließ Görres nachträglich seine Ehe kirchlich einsegnen, die er vor zwanzig Jahren auf bürgerlichem Wege abgeschlossen hatte.

Hinter den schon verdrängten Gegnern, die freilich nach außen hin mächtig schienen und von oben mehr denn je beschützt wurden, donnerte Voß das schwere Geschütz der Antisymbolik her. Durch den Tod seines Sohnes Heinrich verdüstert, ließ der Alte dem seit lange angesammelten Groll in einem bissigen, in studentischer Kraftsprache verfaßten Buche freien Lauf. Um es seinen Feinden sammt und sonders zu geben, führte er in demselben den Ursprung der Symbolik auf den verstorbenen Philologen Heyne zurück, der sein Lehrer gewesen war und mit dem er die ersten Händel gehabt hatte: »Wie aus Nilschlamm die Sonne Gewürm ausbrütet, so aus Heyne-Herrmann's modernder Symbolik erwuchs das Ungeziefer der Creuzerischen Symbolik an der Religionssonne von Indien, ein unholdseliges Gewimmel. Alles aus Faulung.« Dazu kam der »Gestaltwechsler« und »ohnehosige Fanatiker« Görres und lehrte wie die Religion aus Oberasien durch Indien, wo Krischna, »der alfanzige Afterchristus der indischen Madonna« die Idee des zukünftigen Heilands vorbildete, zuletzt in die gothischen Dome eingekehrt sei. Voß schimpft saftig auf die »herzlosen, wollüstigen Morgenländer« und den indischen Bacchus, »diesen rothäugigen Lump Schiwa-Deunysos, wie er, von des Schmauchpfeifchens mythischem Qualme duselig, auch seine Andächtigen benebelt.« Daß der zeugungskräftige Stier, eben um dieser Eigenschaft willen, daß Sonne und Lotosblume Symbole für Göttliches sein sollten, fand er abgeschmackt und gemein, und in unzähligen Wendungen sucht er »den urweltlichen, aus Indiens Urdämmerung westwärts leuchtenden Sonnenstier Dionysos«, das »indische Urgespenst«, lächerlich zu machen. »Wo der begeisterte Symboliker nur irgend was Rindernes bemerkt, gleich setzt er ihm nach, und sollt' er's aus der spätesten Zeit rückwärts am Schwanz in seines Uralterthums mythische Dunkelhöhle hineinschleppen«. Schließlich scheut er sich nicht, Creuzer einen Unsauberen zu nennen, weil er auf Symbole der Fruchtbarkeit hingewiesen, und »den mystischen Mistkäfer aus gekugeltem Ochsenmist als schmutziges Bild der Sonne, der Zeugung und der Seelenwanderung« gedeutet habe.

Creuzer schrieb es diesem Angriff zu, daß sein Ruhm merklich erblaßte. »Jetzt ist alles voll von der ganz frischen Vossischen Antisymbolik« schrieb er an Görres. »Die Studenten fangen schon an, den Physikanten zuzulaufen. Sie sind sehr thätig, die Mystiker unthätig.« Seine Entgegnung war feiner, aber weder so witzig, noch so herzhaft wie Vossens Schrift. Das alles hatte übrigens nicht viel mehr zu bedeuten: Voß starb zwei Jahre später, aber Creuzer's Ansehen wuchs deswegen doch nicht wieder. Er fing an sich verhaßt und verachtet zu fühlen. Die Hieroglyphik, meldet er den Freunden, werde nun auch Parteisache. Phantasie, Gemüth, großartige Combination und Philosophie würden nachgerade als Contrebande behandelt. »Es kann ja heutiges Tags nichts Ehrwürdiges und Alterthümliches mehr zur Sprache kommen, ohne daß es diese Philister in ihrer liberalen Dummheit verhöhnen. Die Physikanten meinen, sie wären die Regenten der Welt, und Tiedemann hat neulich in einer Rede gezeigt, daß es mit allen Wissenschaften außer der erfahrungsmäßigen Naturwissenschaft nichts sei, und wie es der höchste Triumph des menschlichen Geistes sei, in dem Cadaver eines Krokodils eine neue Thränenfistel entdeckt zu haben.« Ja, die Staatsräthe selbst, die für die Universitäten sorgen sollten, klagt er, hätten ganz nordamerikanische Ideen vom relativen Werth der Studien. Es wende sich alles mehr der Praxis und Wirklichkeit zu: in seinen mythologischen Vorlesungen habe er gerade die wenigsten Zuhörer.

Länger hielt sich die Romantik in München, wo sie mit dem Regierungsantritt Ludwigs I. erst recht eigentlich auf den Thron gesetzt wurde. Um neben der Kunst auch die Wissenschaften in der Hauptstadt heimisch zu machen, verlegte er die alte Universität von Landshut nach München und berief an dieselbe eine Reihe von deutschdenkenden Männern, die während der Franzosenzeit zu ihm gehalten hatten, so Görres, Schubert, Ringseis, Schelling. Um 1828 hatten Görres, Schelling und Schubert die meisten Zuhörer; aber drohend machte sich die neue Zeit und Wissenschaft bemerkbar in der Person Oken's, der neben Schubert Vertreter der Naturwissenschaften war.

Oken war Naturphilosoph und stand insofern ursprünglich der Romantik nicht ferne; aber er führte die jugendlich phantheistische Richtung Schelling's weiter und zwar so, daß sie sich von der Religion, die sie anfänglich beinah berührte, mehr und mehr trennte und zu den späteren Materialisten wie Vogt und Büchner hinleitete. Als im Jahre 1819 Oken in der Isis die Behauptung aufstellte, die ganze Welt des Lebendigen auf der Erde, auch der Mensch, sei aus einem Urschleim hervorgegangen, der das Urmeer erfüllt habe, spürte der Alterthumsforscher Kanne, damals bereits Pietist, darin eine große Gefahr, ein »aufsteigendes Gewölk, das den heiteren Morgenhimmel der Naturwissenschaft trüben sollte.« So, setzte er dem Freunde Schubert auseinander, würde die moderne Naturwissenschaft bald auch den Gedanken, mit dem der Geist Gott denkt, aus einem im Gehirn aus dem Blute präparirten, nachträglichen Urschleim abstammen lassen; sie würde frei hervortreten mit dem Bekenntniß: es ist kein Gott, kein Geist, keine Seele, alles ist nur so oder anders gestalteter Meeresschaum, dessen Formen sich mit dem Tode wieder in Schaum auflösen und zerfließen.

War Schubert damals auch weniger bedenklich, so ängstigte es ihn später doch, neben Oken lehren zu sollen, dessen Ansichten sich mit den seinigen immer weniger vertrugen, und der doch im Ganzen die Jugend auf seiner Seite hatte. Es kam denn auch sogleich zu kleinen, nach ihren Anlässen höchst unbedeutenden Feindseligkeiten, die aber dadurch aufgebauscht und peinlich wurden, daß das Publikum Partei nahm und hetzte. »Es giebt nämlich«, so erzählt Schubert, »dermalen hier bei uns in München eine Literatur, von welcher man in solcher Form und Anwendung anderwärts wohl kaum etwas Aehnliches hat. Mehrere sogenannte Volkszeitungen, die unter verschiedenen Titeln in der Stadt erscheinen und welche das Volk Käseblätter zu nennen pflegt, weil man, nachdem man sie gelesen, den Käse hineinwickelt, den man mit sich in's Bierhaus nehmen will, bilden jene Literatur, welche unter der größeren Menge die beliebteste und allgemein verbreitetste ist.« In diesen Blättern wurde Schubert stark mitgenommen, was ihn die ersten Jahre in München trotz Freundschaft und Ehre auf anderer Seite verbitterte, und eine schwere Krankheit mit veranlaßte. Vom Könige, der sogar die jüngeren Prinzen und Prinzessinnen durch ihn unterrichten ließ, wurde Schubert beschützt und die Versetzung Oken's nach Erlangen sollte dem unerquicklichen Streit ein Ende machen. Oken zog es vor, einem an ihn ergangenen Rufe nach Zürich zu folgen.

Andere Romantiker hatten nicht weniger als Schubert unter den Angriffen der Gegner zu leiden.

Der wackere Ringseis wurde von einem liberalen Gegner in der Ständekammer – wie sich denn die liberale Partei besonders auf das Schimpfen verstand – dekorirtes Skelett, Bild der Sünde und Verwesung, mystischer Gaukler, vermodertes Phantom, ärztlicher Giftmischer und frömmelnder Charlatan, Wahrzeichen des Kretinismus, in welchen die Hochschule gesunken sei, kurz auf die beleidigendste Weise betitelt. Mit der Revolution nahte das offizielle Ende der Romantik. Als im Jahre 1848 Görres starb, auf den in Zeiten der Bedrängniß das gebildete und freisinnige Deutschland vertrauend geblickt hatte, wurden die Studenten von der Polizei verhindert, ihm einen Fackelzug zu bringen und die Denkrede auf ihn in der Akademie wurde hintertrieben. Die neue Regierung stellte norddeutsche Professoren an, um die Universität intellektuell zu heben.

Manchem Schlage hatte die Romantik widerstanden, solange sie Jugendkraft hatte; allmählich verlief sie im Sande, alt geworden, stellenweise kindisch und schwachsinnig. Schließlich wurde sie gar nicht mehr bekämpft, höchstens im Vorbeigehen verlacht. Bis in die neueste Zeit wußte man nicht, was das Wort Romantisch eigentlich bedeutete und bezeichnete damit kurzweg was unpraktisch, unklar und unwahr auftrat. Es berührt einen sonderbar, wenn man hört, daß im Jahre 1869 Overbeck starb, als schon Böcklin seine ersten, die Meisterwerke der Romantik geschaffen hatte. Erst im Jahre 1880 starb Ringseis, zu einer Zeit als die Romantik fast schon wieder modern zu werden begann. Revolutionen und Kriege hatten die leichten poetischen Anlagen zerstampft, und es war um das was im Publikum von der Romantik lebte nicht schade. Wie bitter hatte Friedrich Schlegel über Unpopularität geklagt! Wie es zu gehen pflegt, machten erst die Nachahmer die Romantik populär, indem sie die neugeprägten Ideen und Bilder aushöhlten, breitklopften und mit dünnen Lappen eigener Erfindung ausputzten. Mit dem Ideengehalt der Romantik war das Mittelalter nicht nothwendig, nicht wesentlich verbunden; aber man glaubte nun, daß eine Geschichte oder ein Gedicht romantisch seien, wenn Einsiedler, Burgen, Ritterfräulein darin eine Rolle spielten. Ebenso wurde das Schaurige und Gespenstische, ferner das Exotische zum Wahrzeichen der Romantik. Die Taschenbücher und Almanache waren voll von diesen Dingen. Dieselben Menschen, die sich einmal mit Kotzebue belustigt und gerührt hatten, schwärmten nun für Fouqué's fade und thörichte Rittergesellschaft und für die schreckhaften, von den Folgen der Vaterflüche oder Zigeunerwahrsagungen umgarnten Puppen der Schicksalstragödie. In der Mitte des Jahrhunderts gab es wohl wenig Gebildete, die die Verse Jaromir's: »Ja ich bin's du Unglücksel'ge, ja ich bin's, den du genannt« nicht auswendig wußten. Werner's neunundzwanzigster Februar, von Goethe geschätzt und auf die Bühne gebracht, wurde im Erfolge übertroffen durch die brutaleren und flacheren Machwerke Müllner's, und am allerbeliebtesten wurden die blöd geschwätzigen Stücke Houwald's, eines gutmüthigen, braven Menschen, der über das begeisterte Entgegenkommen des Publikums dankbare Rührung empfand. Tieck hatte zur Eröffnungsvorstellung des neuen Schauspielhauses in Berlin den Prinzen von Homburg empfohlen: aber das Bild von Houwald, der Treffer des Tages, wurde vorgezogen. In diesen spätromantischen Geschichten und Gedichten vernehmen wir noch den erlesenen, besonnenen Ton, der von dem flackernden, herausfordernd hingeschmissenen irgend einer Sturm- und Drang-Periode so vortheilhaft absticht; aber da keine Innerlichkeit dahinter ist, wirkt er falsch, ohnmächtig und gespenstisch.

»Was hätte aus uns allen werden können, und was ist aus uns geworden!« soll Brentano's Klage im Sterben gelautet haben. Die Worte lassen sich auf viele einzelne Romantiker und auf die Bewegung überhaupt anwenden. Sie war voll Hoffnung, Reichthum, Zuversicht, als sie auftrat, sie brachte unübersehbare Fülle von Anregung auf allen Gebieten, aber während sie überall hin Samen streute, hat sie sich keine Denkmäler in reifen Werken gesetzt. Eine neue, feindselige Epoche vergötterte die Endlichkeit, deren Mangel die Ursache war, daß die Künstler des Unendlichen mit ihren Werken sich auflösten und zerflatterten. Durch die Begrenzung gestärkt, können neue Geschlechter sich wieder den zwar befleckten und entstellten, doch immer erhabenen Idealen zuwenden, die jene in der Ferne zeigten.

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