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Schöne Fremde und heimischer Nord.

Fecisti nos, Domine, ad te, et irrequietum est cur nostrum, donec requiescat in te.

S. Augustinus.
Zach. Werner.

 

Die naturphilosophisch-romantische Lehre, daß das Leben ein Oscilliren zwischen zwei Polen sei, ist buchstäblich auf die zwischen den geographischen Polen schwankende Wanderlust und Sehnsucht der Romantiker anzuwenden. Die Wanderlust überhaupt in ihrer romantischen Eigenart hat keiner wie Eichendorff zum Ausdruck gebracht: die lauen Lüfte, die verführen, das Posthorn, das ruft, tausend Stimmen der Natur verbinden sich zu einem magischen Fluß, der mitreißt –

Und ich lasse mich entführen!
Ach, wohin? mag ich nicht fragen.

Alle die fahrenden Gesellen in seinen Geschichten, vom Fürsten und Grafen bis zum Vagabunden, singen ihre tolle Reiselust in trunkenen Liedern; wer vermöchte das wundervollste von allen zu lesen, ohne daß die Sehnsucht im Innersten widerhallte:

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand,
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leibe entbrennte,
Da hab' ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!

Sollte doch ein Ziel der Sehnsucht bestimmt werden, so war es der Süden, insbesondere Italien, und der Orient, nach welchen beiden Richtungen von Alters der Kompaß des deutschen Gemüthes wies.

Die Romzüge und die Kreuzzüge sind es vor allem, die dem Mittelalter die romantische Färbung gaben; man kann sagen, daß die Weltgeschichte romantisch wurde, als die Germanen mit ihrer Sehnsucht nach Italien auftraten. Italien und der Orient lockten als die Länder der Ueberlieferung und der Sinnenfreude; der Westen, als Land der Freiheit, gegenüber dem Lande der Gebundenheit, bedeutete den Romantikern wenig, ja besonders das nördliche Amerika galt als Sinnbild der Nüchternheit, der geschichtslosen, willkürlichen Construction. Einzig Lenau, dem Kreise der Romantiker zwar nicht unmittelbar zugehörig, bereiste den Westen und besang die beschäumten Fluthen des Niagara; sodann läßt Eichendorff, auffallend genug, einen europäischen Helden seines Romans »Ahnung und Gegenwart« nach Amerika auswandern Auch nach den Ländern des Ostens gelangten naturgemäß nur wenige Romantiker, Schubert war wohl der einzige. Indessen die Richtung nach Osten hatten schon die Schlegel und Novalis gegeben und Görres und Creuzer verfolgten sie in wissenschaftlichen Werken. »Wir vom Orient so sehr isolirte Deutsche« schrieb Creuzer, »müssen auf diese Weise orientalisirt werden – sonst ist nicht zu helfen.« Aehnlich Ritter: »Wir alle leiden am Occident, an seinen Ungeheimnissen, folglich Unheimlichkeiten.« Schwärmerisch ruft Görres aus: »Kennt ihr das Land, wo die jugendliche Menschheit ihre frohen Kinderjahre lebte? … Nach dem Morgenlande, an die Ufer des Ganges und Indus, da fühlt unser Gemüth von einem geheimen Zuge sich hingezogen.« Er selbst übersetzte den Ferdusi, orientalische Märchen und Sagen wurden veröffentlicht, viele Dichter, Goethe voran, beeilten sich, ihre Lieder mit dem süßlich spielenden Dufte morgenländischer Poesie zu parfümiren.

Mit Italien war es auch schon damals etwas anderes: es wurde häufig besucht, und nur wenige von den Romantikern lernten es nicht kennen. E. T. A. Hoffmann gehörte zu den Ausnahmen; das ist jedenfalls die Ursache, warum, obwohl mehrere seiner Novellen in Italien spielen, eine charakteristische italienische Scenerie nirgends anzutreffen ist. Höchstens bemerkt man an den Namen bekannter Straßen und Gebäude oder an der Erwähnung des blauen Himmels und der milden Luft, daß man nach Italien versetzt ist. Indessen für seine Personen, namentlich wenn er junge deutsche Maler schildert, ist Italien auch das ersehnte Land. Es hatten nun freilich schon seit Jahrhunderten die Maler aller Länder, wenn es möglich war, Italien aufgesucht; aber die hatten schlechtweg die berühmten Muster der bildenden Kunst kennen lernen und studiren wollen. Die romantischen Maler empfanden zugleich die Anziehungskraft der römischen Kirche und der dunkel geahnten Wonne des Südens. Sie traten die Reise in überschwänglicher Erregung des ganzen Wesens an; vor den ersten Bildern von Bellini und Giotto, die Jonas Veit sah, glaubte er in Thränen zerfließen, vor Seligkeit hinsterben zu müssen. Für die klassischen Dichter, Lessing, Schiller, Goethe war Italien ebenfalls das Land der Sehnsucht; aber auch ihr Gefühl hatte nicht den romantischen Charakter, schon deshalb nicht, weil der Zug zur Kirche fehlte. Ihnen war Italien das klassische Land, wo man Sinn für Maaß und Form lernte, die angeborene Barbarei des Nordens mildernd und läuternd. Im Gegentheil suchten die Romantiker in Italien das Wesen des Südens als Ueppigkeit, Ueberfluß, Sinnengluth: nicht Kultur, sondern zerstörte Kultur: Verwilderung, Auflösung. Er möchte gleich nach Italien, schrieb Zacharias Werner, »nicht um dort, wo auch Tollheiten genug sind, zu wirken, sondern um unter Trümmern und Blüthen alles und mich selbst zu vergessen.« Es war ein Trieb wie der des Mannes nach dem Weibe, Trieb nach Rausch, Maaß- und Regellosigkeit, wildwachsender Schönheit.

Die am meisten so empfunden, haben begreiflicherweise ein treues Bild Italiens nicht entworfen: sie sahen, was sie suchten, sahen durch den schwimmenden Schleier ihrer Sehnsucht.

Als Bettine zum ersten Male nach Italien reisen sollte, rieth ihr der Bruder Clemens, sie möchte sich durch das Studium von Winkelmann's Kunstgeschichte vorbereiten, aber sie wies das mit lachender Entrüstung von sich.

»Wenn ich trunken bin von Seligkeit, daß dort andere Bäume, andere Blumen und Früchte sind, wenn ein schönerer Himmel über mir wogt, wenn Menschen, Knaben, Jünglinge, die mir verwandter sind im Blut, in der Faulheit, als die kalten, deutschen, fleißigen Brodstudenten, mir begegnen auf der Straße, mich sanft grüßen, umkehren, mich noch einmal grüßen, feuriger –«, ja, was hatte damit irgend eine Kunstgeschichte zu schaffen? Ebenso war für die Männer Italien hauptsächlich das Land der wunderschönen Mädchen, die den Fremden mit verführerischer Zärtlichkeit ohne Dauer, aber darum desto reizender, entgegenkommen.

Das eigentlich romantische Italien hat Eichendorff gemalt: Das Land voll verödeter Prachtpaläste, voll verwilderter Gärten, wo Marmorbilder ein einsam verzaubertes Leben führen, wo nichts sich bewegt als uralte Wasserkünste, wo es schwül und berauschend duftet, wo Vergangenheit und Erinnerung über Trümmern weben, wo gefährlicher Liebreiz allerorten das Herz umgarnt. Vom gegenwärtigen Italien ist nicht viel mehr bewußt, als daß es das Land der Päpste, der Thron der Kirche ist, und dieser Gegensatz des weltentsagenden und weltüberwindenden Christenthums, das sich über der heidnischen Wonne aufbaut, die Begegnung der beiden Pole, erhöhte das Gefühl des Romantischen.

Von kühnen Wunderbildern
Ein großer Trümmerhauf,
In reizendem Verwildern
Ein blühender Garten drauf.

Versunkenes Reich zu Füßen,
Vom Himmel fern und nah
Aus anderm Reich ein Grüßen –
Das ist Italia!

In Eichendorff's Taugenichts wird die Ankunft in Rom folgendermaßen beschrieben: als er hört, daß er nur noch einige Meilen bis zur Stadt hat, erschrickt er vor Freude – wie in Wirklichkeit den jungen Maler Erwin Speckter ein Zittern befiel, als er zum ersten Male Rom von weitem erblickte; denn von Rom hatte er als Kind schon wunderbare Dinge gehört und es sich vorgestellt »wie die ziehenden Wolken über mir, mit wunderbaren Bergen und Abgründen am blauen Meer und goldenen Thoren und hohen, glänzenden Thürmen, von denen Engel in goldenen Gewändern sangen.« Gerade so sieht denn auch Rom in Wirklichkeit aus: »die hohen Burgen und Thore und goldenen Kuppeln glänzten so herrlich im hellen Mondschein, als ständen wirklich die Engel in goldenen Gewändern auf den Zinnen und sängen durch die stille Nacht herüber.« Dann schreitet er durch ein prächtiges Thor in die Stadt hinein. »Der Mond schien zwischen den Palästen, als wäre es heller Tag, aber die Straßen waren schon alle leer, nur hin und wieder lag ein lumpiger Kerl, wie ein Todter, in der lauen Nacht auf den Marmorschwellen und schlief. Dabei rauschten die Brunnen auf den stillen Plätzen, und die Gärten an der Straße säuselten dazwischen und erfüllten die Luft mit erquickenden Düften.«

In einer anderen Eichendorff'schen Novelle zieht ein junger Mann am Abend in Rom ein. »Nur ein Streifen des Meeres in der Ferne und das Kreuz der Peterskuppel brannten noch im Widerschein, dazwischen der Klang unzähliger Abendglocken, und Gärten, Paläste und einsames Gebirg, unten wunderbar zerworfen – es war ihm, als zöge er in ein prächtiges Märchen hinein.« Eine gewöhnliche Straße mit einigermaaßen neuen, wenigstens aus dem letzten Jahrhundert datirenden Häusern scheint es in ganz Italien nicht zu geben, keine anderen Menschen als schöne Mädchen mit überflüssigen Eltern, kein anderes Geschäft als Liebestollheit und Religion

Ganz andere Schilderungen Italiens haben wir aus der Feder von Ringseis, Görres, Carus, für welche Italien auch eine ganz besondere Anziehung besaß, die aber nichtsdestoweniger die Wirklichkeit in sich aufnahmen. Muster von realistisch-romantischer Darstellung liefern die Tagebücher von Carus über seine Reisen in Italien. »Empfange gut deinen alten Geliebten, Italia« ruft er gerührt, als er nach dreizehn Jahren die Schwelle des Landes der Schönheit wieder betritt. Nach der Oede der österreichischen Alpen erscheinen ihm die kleinen Orte Resciutta, Venzano mit den malerischen, in edlen Verhältnissen gebauten Häusern, mit den schöneren Menschen, wie Traum und Dichtung. Die Einrichtung im Inneren des Hauses, das hohe und breite Bett, der Kamin, die Art der Erheizung, alles ist deutlich angeschaut und dargestellt, in seiner Einfachheit und Zweckmäßigkeit gewürdigt. »Könnte man in solchem Lande einmal nach freier Wahl mit wenig auserlesenen Freunden existiren – das schönste poetische, echt menschliche Leben müßte sich ergeben.« Die Einfahrt in Venedig aus dem Canale, wo sich Barken mit sauerriechendem Rothwein und übelriechenden Fischen drängen, das dürftige, schmutzige Gesindel an den Häusern, selbst die dunkle Rialto-Brücke, alles wirkt beinah häßlich und stimmt melancholisch. Erst allmählich, als sich die großartige Architektur der Häuser, Paläste und Kirchen geltend macht, geht der alte Zauber auf. Der erste Ausgang ist zur Markuskirche: »o Glück der Augen, das auch wieder zu sehen!« Vollends zur Aufregung steigert sich das Entzücken in der Vollmondnacht, sowohl auf dem Wege zum Theater, wo noch eine fröhliche Menge unter den Arkaden des Markusplatzes promenirt, als in der stillen Mitternacht, wenn der Mond, gegen Westen gerückt, die Façaden der Markuskirche erleuchtet, das Gold der Mosaiken im bleichen Licht schimmert und von den metallenen Rossen des Lysippos wiederglänzt, wenn die hellen Kuppeln sich in den dunkeln Nachthimmel erheben und alle Gesims- und kunstreiche Verzierungen lange geheimnißvolle Schatten werfen – »dann erst bekommt die Kirche etwas ganz eigenthümlich Magisches und tief Mysteriöses.«

Leider hängt Carus eine gewisse pedantische Lehrhaftigkeit und Feierlichkeit immer an und beeinträchtigt die romantische Gefühlsweise, die sich sonst zu den besten Erzeugnissen mit einem kräftigen Wirklichkeitssinn in ihm vereinigen könnte.

In Eichendorff's Romanen und Novellen sieht es in Deutschland nicht viel anders aus als in Italien: rauschende Gärten, Wasserkünste, verfallene Palläste, verliebte Mädchen auch dort. Es wird indessen versucht, einen gewissen Stimmungsunterschied festzuhalten, weil die beiden Länder sich durchaus wie zwei entgegengesetzte Pole verhalten sollen, wie Geistesstärke und Sinnengluth.

Wie man im Mittelalter gern von der Tücke des Welschlands sprach und den Tod junger Kaiser und Ritter, die das Klima hinraffte, dem Gift zuschrieb, das falsche Frauen oder arglistige Mönche gereicht hätten, so wird auch hier Italien als berückend schön, aber verderblich und tödtlich aufgefaßt. Es verkörpert eben die heidnische Lust der Welt, an deren Genuß die Seele sich vergiftet.

Innerhalb Italiens selbst besteht der erwähnte Gegensatz von Heidenthum und Kirche, den die deutsche Gesellschaft in Rom zur Anschauung brachte, indem Frau v. Humboldt und Tieck's Schwester Sophie Bernhardi als Venus und Himmelskönigin Maria zwei gesonderte Parteien um sich versammelten. Eichendorff behandelt den Gegenstand in einer Novelle, die »das Marmorbild« betitelt ist und in Lucca spielt. Aus einem verfallenen Venustempel, wovon nur noch geborstene Gemäuer und ein zertrümmertes Bild der Göttin zeugen, steigt in gewissen Nächten die versunkene Herrlichkeit an's Mondlicht, um den Jüngling, der für den dämonischen Reiz empfänglich ist, zu verlocken und zu verderben. Nur der Name Gottes oder überhaupt ein christlicher Sinn rettet vor dem gefährlichen Trugbilde. Diese Venus ist nicht die antike, sondern die mittelalterliche des Tannhäusers: sie hat langes, goldenes Gelock, trägt ein blaues Gewand, in das bunt-glühende Blumen gestickt sind, eine prächtige Laute, auf der sie Accorde greift zu träumerisch wehmüthigem Gesange.

Ganz Italien ist der Hörselberg; den Verlockten rettet die Kirche oder denn – Deutschland.

In dem Roman »Dichter und ihre Gesellen« vermählt sich der deutsche Student Otto mit der schönen Römerin Annidi. Seinen Freund, als er das junge Paar in einem einsamen, von Epheu und Weinlaub überwucherten, von Tauben und Schmetterlingen durchschwirrten Gärtchen selig bei einander sitzen und Kastanien schmausen sieht, überwältigt Wehmuth, »als sei Otto nun hier in der Fremde märchenhaft verzaubert«. Als Otto äußert, wie schauerlich ihm der Gedanke wäre, aus dem italienischen Glanze jemals in die deutsche Heimath zurückkehren zu müssen, entgegnet der Freund: »Hüt' dich wohl, es ist ein wunderbares Lied in dem Waldesrauschen unserer heimathlichen Berge: wo du auch seist, es findet dich doch einmal wieder.«

Rudolf, in Eichendorffs erstem Roman »Ahnung und Gegenwart« erlebt gleichfalls in Italien ein wildes Liebesabenteuer und durchstreift das ganze Land, um eine Entführte zu suchen. »Als ich endlich, erschöpft von den vielen Zügen, auf den letzten Gipfeln der Schweiz ankam, schauderte mir, als ich da auf einmal aus dem italienischen Glanze nach Deutschland hinabsah, wie das so ganz anders, still und ernsthaft mit seinen dunklen Wäldern, Bergen und dem königlichen Rheine da lag.« Er hat nun keine Sehnsucht mehr in die Ferne, die Liebe ekelt ihn an als »eine liederliche Anspannung der Seele.«

Auch in Wirklichkeit zitterte das Herz der Romantiker zwischen Italien und Deutschland. Zacharias Werner dichtet, wie es ihn, da das Ziel der Sehnsucht erreicht ist, wieder fortpeitscht zu wandern.

Von Rom nach Deutschland! Immer, immer rennen!
Du bist wahrhaftig wie der edle Jude.

Overbeck betrachtete es als seine besondere Aufgabe, in seinen Werken das Deutsche und Italienische, etwa den deutschen Ernst und die italienische Anmuth, wie es seit Wackenroder beliebt war, den herrlichen deutschen Dürer und den holdseligen Rafael nebeneinanderzustellen, zu verschmelzen. Sein in München befindliches Bild Italia und Germania, das ihn lange beschäftigte, sollte diese Idee symbolisiren. Es liegt sicherlich daran, daß wir Clemens und Bettine Brentano als so besonders romantische Erscheinungen empfinden, daß sie eine leibhaftige Verschmelzung von deutschem, italienischem und orientalischem Wesen waren, und eine derartige Mischung wird man oft bei ähnlichen Typen finden.

Wie der Tannhäuser des Hörselberges wird der Wanderer Italiens überdrüssig und verlangt nach der kräftigeren Heimathsluft.

Ich komme aus Italien fern
Und will Euch alles berichten
Vom Berg Vesuv und Romas Stern
Die alten Wundergeschichten.

Da singt eine Fei auf blauem Meer,
Die Myrten trunken lauschen.
Mir aber gefällt doch nichts so sehr,
Als das deutsche Waldesrauschen!

Dem Drang in die Ferne steht das Heimweh gegenüber.

Wie sie den romantischen Zug nach Italien aufbrachten, unternahmen Tieck und Wackenroder auch die ersten romantischen Wanderungen durch Deutschland. Das Buch, in welchem sie Deutschland, verklärt oder romantisirt durch seine Vergangenheit, schildern wollten, blieb allerdings ungeschrieben. Anstattdessen haben Clemens und Bettine wenigstens der Rheingegend, die in ihren beiden Briefen und in seinen Märchen so oft die Scene bildet, ein romantisches Gepräge aufgedrückt. Clemens' »Lieder an den Rhein« gehören zu seinen empfundensten, das von der Rückkehr an den »heiligen Strom« zu den unmittelbar hinreißenden.

O willkomm'! willkomm! willkommen!
Wer einmal in dir geschwommen,
Wer einmal aus dir getrunken,
Der ist Vaterlandes trunken!

In »krystallenen Mitternachten« am Rheine schrieb Bettine viele ihrer Briefe an Goethe und malte unvergeßliche Bilder zwischen die Ergüsse der Liebe. »Glanzverhüllt liegen die Berge da mit ihren Rebstöcken und sangen schlaftrunken das nahrhafte Mondlicht.« Spaziergänge bei Nacht am Ufer des rauschenden Stromes, Gesang und Guitarre, fröhliches Geschwätz mit Brüdern und Freunden, Rebenduft und Träumerei – so sah ein gutes Theil ihrer Jugenderinnerungen aus, und so etwa stellte man sich in der Folge das Leben am Rheine vor.

Die germanische Sprach- und Sagenforschung, mit welcher der Name der Gebrüder Grimm unzertrennlich verbunden ist, war das glückliche Ergebniß der Heimathsrichtung. Die abenteuerliche Gewalt der nordischen Dichtung – Eisgebirge schwimmend in Mitternachtsonnengluth – lockte ebenso geheimnißvoll wie Süden und Osten. Als Wilhelm Grimm die alten dänischen Lieder übersetzte, schrieb er an Görres, sie ständen wie lebendig und seinesgleichen um ihn herum, »und wenn ich sie in mir durcheinanderklingen lasse, da kommt es mir vor, als sei ich selbst eine Orgel.« Reisen nach Skandinavien wurden zwar damals noch nicht üblich, doch fingen romantische Dichter an, den Schauplatz ihrer Geschichten dorthin zu verlegen. Fouqué entzückte das verweichlichte Publikum durch seine kindlich wilden Nordlandsrecken auf der »schneeigen Insel Island mit ihrem glührothen Hekla«, die er einem flammenden Rubin in reine Krystalle gefaßt vergleicht. Der junge Schwabenritter Otto im Zauberring erreicht in lauer Frühlingsnacht zu Schiff die norwegische Küste. »Er richtete sich in die Höhe, vom hellsten Mondlicht umgossen, und eine Reihe schroffer, hoher Felsen starrte unfern des Schiffes gegen den tiefblauen Nachthimmel empor. Mächtige Buchenwälder rauschten auf der Steinberge Gipfeln, die Zinnen einzelner Warten und starke Bergthürme ragten hin und her zwischen den Bäumen und zwischen dem wilden Geklüft heraus, Adler, in den Klippen horstend, flogen rufend herunter, und über die Schiffe hin. Sehr schaurig war dem jungen Ritter zu Muth, und doch so wohl. Er sang folgende Worte:

Wie ernste Sagen wehen
Von Sangesmund, so gehen
Mir Schauer aus und ein.
Uralte Wälder rauschen,
Mondlicht und Seefluth lauschen;
Das muß hier Norweg sein.«

Stärke, Ehre, Liebe, alle Tugenden wohnen in dem wildschönen Norden, und seine wandernden Söhne kehren am Ende, der Fremde überdrüssig, in die heilige Heimath zurück, wie man nach Verirrungen zum rechten Wege zurückkehrt.

Die Ferne überhaupt, nicht nur Italien, wird dem Dichter zum Symbol für das gefährliche, verlockende und verderbliche Princip im Menschen, das dunkle Reich der Leidenschaft und Sinnlichkeit, das man damals anfing das Unbewußte zu nennen. Das Thema von dem Wanderer, dem »die schöne Ferne log« und der darüber zu Grunde geht, wird unerschöpflich in Eichendorff's Gedichten behandelt. Bald ist das Lockende der Abgrund, der hinabzieht »mit bleiernen Gewichten«, bald die »duftschwüle Zaubernacht«, die falsche, die die Sinne verwirrt, vor deren betrüglichen Klängen man auf der Hut sein muß. »Die Nacht ist eine wilde, phantastische Blume, berauschenden Duft verstreuend, schöne, gefallene Engel wiegen sich auf den Blättern und singen im Traume von den Sternen, wo sie sonst gewohnt, und zwischen den träumenden Kaiserkronen und Blüthenglocken flüsternd, ringelt die alte Schlange sich leise empor, und von ihrem Krönlein lösen sich grüngoldene Funken und schwärmen durch das Blüthengeflecht, und in ihrem streifenden Widerscheine sehen die Gesichter leichenblaß, wie Sie jetzt, Fürstin, im Mondlicht –«

»O Zauberei verbuhlter Nacht« singt auch Brentano.

Oder die schönen Waldfrauen sitzen auf hohen Felsen, von wilden Nelken umhüllt, und singen, den Jäger hinauflockend, den niemand wiedersieht; der zaubrische Spielmann zieht mit wunderbarem Gesange das Fräulein vom Schloß hinunter in den nächtlichen Grund; die Meerfei kämmt ihr Haar am Riff und singt von Inseln, die im Meere untergingen:

Wann die Morgenwinde wehn,
Ist nicht Riff noch Fei zu sehn,
Und das Schifflein ist versunken,
Und der Schiffer ist ertrunken.

Hier haben wir bereits den Typus der Lorelei, den Heine volksthümlich machte, indem er ihn etwas sentimentaler und etwas weniger geheimnißvoll unverständlich darstellte, als Eichendorff und Brentano thaten. Bei Eichendorff ist sie die Hexe, die einsam, wenn es kalt und spät wird, im Walde reitet; bei Brentano, dessen Gedicht nicht so wundervoll gedrängt ist wie das Eichendorff'sche, aber magische Töne hat, die Zauberin zu Bacharach, der niemand in die Augen blicken kann, ohne von tödtlicher Liebe erfaßt zu werden.

So wenig aber wie der Süden stillt der Norden die Sehnsucht des Romantikers, für welche es charakteristisch ist, das halb bewußt, halb unbewußt das Heimweh nach einem nicht irdischen Hafen in ihr mitklingt. Das macht hauptsächlich den Zauber der Eichendorff'schen Poesie, die wir als so ächt romantisch empfinden, aus, daß in ihnen der Drang nach den Berauschungen des Südens und nach fernen, ungenannten Wunderreichen, die Sehnsucht nach dem starken Norden und das Heimweh nach einem jenseitigen Vaterlande in einem Tone zusammenschmilzt

Nicht immer verzweifelt der Betrogene, den seine Sehnsucht in die Irre geführt hat, sondern er erkennt, daß sie Recht hatte, nur freilich ein verkehrtes Ziel sich wählte. Als Otto im Roman »Dichter und ihre Gesellen« einmal bei Nacht durchs offene Fenster über die Dächer in die mondbeglänzten Abgründe der Stadt Rom hinabsieht, über der einzelne Wolken seiner fernen Heimat zufliegen, sagt er zu sich selbst: »Wunderbar, schon in meiner Kindheit, wie oft bei stiller Nacht im Traume hört' ich der fernen Roma Glocken schallen, und nun, da ich hier bin, hör' ich sie wie damals aus weiter, weiter Ferne, als gäb' es noch eine andere Roma weit hinter diesen dunklen Hügeln.« Deutlicher besingt Eichendorff, was er meint in der Romanze »die Brautfahrt«, wo der wilde Ritter am Hochzeitstage die Braut bestürmt, mit ihm über's Meer in's Weite zu fahren:

Ich kann hier nicht müßig lauern,
Treiben auf dem flachen Sand,
Dieser Kreis von Felsenmauern
Hält mein Leben nicht umspannt;
Schön're Länder blühen ferne,
Das verkünden mir die Sterne.

 

Du mußt glauben, du mußt wagen,
Und, den Argonauten gleich,
Wird die Woge fromm dich tragen
In das wunderbare Reich:
Muthig schreitend mit den Winden,
Muß ich meine Heimath finden.

Siehst du, heißer Sehnsucht Flügel,
Weiße Segel dort gespannt?

Die Braut folgt willig dem Geliebten, stirbt aber im furchtbaren Wetter, gerade als ein zauberhaftes Eiland vor den Reisenden auftaucht. Der Ritter bricht über ihrer Leiche, mit der er schwimmend den blühenden Strand erreicht, in Thränen zusammen und seine Seele wandelt sich.

Von der langen Täuschung trennt er
Schauernd sich – der Stolz entweicht,
And're Heimat nun erkennt er,
Die kein Segel hier erreicht,
Und an echten Schmerzen ranken
Himmelwärts sich die Gedanken.

Nach der Heimath, die irgendwo hinter fernen Gipfeln liegt, ziehen unablässig sehnsüchtige Lieder; aber

Wir sehnen uns nach Hause
Und wissen nicht, wohin?

Ebenso klagt der Wanderer bei Kerner, daß ihm alle Straßen, aus denen er geht, fremd bleiben, daß die Herberge, wo er weilen möchte, unerreichbar fern ist.

So fremd mir anzuschauen
Sind diese Städt' und Auen,
Die Burgen stumm und tot!
Doch fern Gebirge ragen,
Die meine Heimath tragen,
Ein ewig Morgenroth.

Es ist der Sehnsucht Lebenslauf, heißt es wiederum bei Eichendorff, daß sie an jeden Felsen schlagen muß, ob sie vielleicht an's Licht gelangt. Es fehlt nicht an Irrungen und Kämpfen; aber gelangt der Unermüdliche einst auf den Gipfel, von dem er auf das Leben hinuntersieht:

Wie klein wird sein da, was mich hat gehalten,
Wie wenig, was ich Irrender vollbracht,
Doch was den Felsen gläubig hat gespalten,
Die Sehnsucht treu steigt mit mir aus der Nacht.
Und legt mir an die wunderbaren Schwingen,
Die durch die Stille mich nach Hause bringen.

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