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Romantische Aerzte.

Justinus Kerner erzählt, wie er als Knabe, etwa um 1798, von einer langwierigen Magenkrankheit heimgesucht wurde, an der die Kunst der damaligen Aerzte sich mit Mixturen, Pillen und Latwergen vergebens versuchte. Als nun der russische Geheimrath Dr. Weickardt, ein berühmter Brownianer, der Leibarzt der Kaiserin Katharina gewesen war, nach Heilbronn kam, machte sich des Justinus Mutter mit dem kranken, sehr heruntergekommenen Jungen auf, in der Hoffnung, die Wunderkuren des modernen Arztes möchten sich auch an ihm erproben. Als der Geheimrath, ein kleiner Mann mit rothem Bordenrock, hoher Frisur, blitzenden Augen und beweglichen Gesichtsmuskeln, vor dem kleinen Kerner stand und ihn untersuchte, mußte dieser an den gestiefelten Kater denken, bekam Herzklopfen und fiel in Ohnmacht. »Das ist die erklärteste Asthenie« rief der Brownianer (so erzählt Just. Kerner im »Bilderbuch aus meiner Knabenzeit«) »und da werden Hopelpopel und Pfefferkörner die zweckmäßigste Diät sein.« Hopelpopel war ein aus Thee, Eigelb und Kirschgeist gemischtes Getränk; Pfefferkörner sollten nach jeder Speise geschluckt werden. Eine befreundete Dame versicherte der Frau Kerner, daß der Doktor »entsetzliche Kuren« mit Hopelpopel gemacht und Menschen, die bereits begraben werden sollten, damit wieder in's Leben gebracht habe. Der kleine Justinus brach indessen, wie er es mit allen Medicinen zu machen pflegte, auch diese wieder heraus, und wurde darin noch durch einen andern, gleichfalls berühmten Arzt in Heilbronn bestärkt, nämlich den Dr. Gmelin, einen der ersten, der durch Magnetismus heilte. Dieser traf den bleichen, schwachen Knaben zufällig, kurz nachdem die Hopelpopel-Kur begonnen hatte, betrachtete ihn liebreich und mitleidsvoll, reichte ihm die Hand und beklagte ihn, daß ihm so viele Arzneien seien eingeschüttet worden; dann führte er ihn in sein Zimmer, sah ihn fest an, bestrich ihn mit den Händen und behauchte ihn, worauf Justinus schläfrig wurde und das Bewußtsein verlor. Er schrieb seine bald hernach sich einstellende Besserung dieser magnetischen Behandlung zu; denn den Hopelpopel, den seine Mutter ihn noch eine Zeitlang zu trinken gezwungen hatte, hatte er im Gefühl, er würde ihm nicht gut thun, beharrlich immer wieder herausgebrochen.

So treffen sich in der Jugendgeschichte Kerner's die alte Medicin, die aber damals schon anfing, sich zu überleben, und die der Zukunft, vertreten durch Gmelin.

John Brown, ein Schotte, im Jahre 1736 geboren, war ein genialischer Mensch gewesen, auch in den wilden Ausschweifungen seines Lebens nicht ohne Großartigkeit, weswegen er wohl mit Paracelsus verglichen wurde. Der Grundgedanke seines Systems war die Auffassung des Lebens als einen Erregungszustand, hervorgehend aus einer Wechselbewegung zwischen der organischen Reizbarkeit und äußeren Reizen, wobei ein Zuviel oder Zuwenig das Wesen der Krankheit ausmache. Je nachdem der Charakter der Krankheit in zu geringer oder zu heftiger Erregung bestehe, unterschied er asthenische und sthenische Krankheiten und kam dem Organismus mit stärkenden oder schwächenden Mitteln zu Hülfe.

Der deutsch-russische Arzt Weickardt brachte im Anfang der 90er Jahre das System nach Deutschland, wo es von den Aerzten Markus und Röschlaub in Bamberg begeistert ergriffen wurde. Von Röschlaub's Persönlichkeit ist mir nichts bekannt geworden, als was die Anhänglichkeit seiner Schüler im Allgemeinen Gutes von ihm aussagt. Markus scheint die stärkere Natur von beiden gewesen zu sein: ein Mensch von ausgeprägter Eigenart, thätig und energisch eingreifend, gehaßt und geliebt, so oder so unabweisbar auf die Gemüther wirkend. Ein in Mitteldeutschland geborener Jude siedelte er 1778 als tüchtiger Arzt nach Bamberg über und schuf sich dort eine hervorragende Stellung. Als Leibarzt des Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, der große Stücke auf ihn hielt, begründete er ein allgemeines Krankenhaus, das er in musterhafter Weise einrichtete. Um das Jahr 1793, gerade zu der Zeit, als er sich das Brown'sche System zu eigen gemacht hatte, eröffnete er am Krankenhause klinische Vorlesungen, welche die neue Lehre verbreiteten.

Die bis dahin in Deutschland geübte Medicin war im Allgemeinen roh empirisch verfahren oder, wenn man sich an eine Theorie hielt, war es die sogenannte Humoralpathologie, die durch massenhafte Säfteentleerungen wirkte. Das Brown'sche System, von einer Idee beseelt, einheitlich und consequent, gewann gerade die bedeutenderen Aerzte, die längst nach einem höheren Gesichtspunkt verlangt hatten, so daß sie anfänglich seine Einseitigkeit übersahen, die es ja freilich einerseits auch um so schlagender wirken ließ. Die Bamberger Klinik wurde durch das System, das Markus und Röschlaub lehrten und ausübten, so berühmt, daß lernbegierige Studenten und Aerzte nicht nur aus Europa, sondern auch aus Amerika sie besuchten.

Lustig erzählt Gotthilf Schubert, wie er als Student der Medicin in Jena, selbstverständlich eifriger Brownianer, bei Gelegenheit einer kleinen Ferienreise zum ersten Mal in die Lage kam, ärztlichen Rath zu ertheilen und seine Kur streng nach Brownischer Lehre einrichtete. Eine alte Frau holte ihn zu ihrem Manne, einem Arbeiter am Eisenhammer, der in einem entlegenen Waldthale in niedriger Hütte krank lag. Schubert betrachtete den Mann, ließ ihn seinen Zustand beschreiben und fand sich einigermaßen in Verlegenheit, da er mindestens zehn Krankheiten wußte, die sich genau ebenso anließen. Nach einigem Besinnen tröstete er sich mit dem Gedanken, es könne schließlich was für eine Krankheit es wolle sein, jedenfalls wäre sie entweder sthenischer oder asthenischer Art. Infolgedessen schrieb er zwei Mittel auf, ein kühlendes und ein anregendes, trug der Frau auf, beide in der Apotheke machen zu lassen und ihrem Manne zunächst von dem einen zu geben. Thue ihm das gut, so möge sie dabei bleiben, thue es nicht gut, so möge sie es mit dem anderen versuchen; eines von beiden werde sicher helfen.

Aber um diese Zeit wurde der Brownismus bereits durch die Naturphilosophie überwunden. Die romantische Schule in Jena, die alle Wissenschaften, namentlich die Naturwissenschaften, und also auch die Medicin, in ihr Bereich zog, brachte der Brownischen Lehre, die die Medicin eigentlich erst wieder zur Wissenschaft machte, lebhafte Theilnahme entgegen. Schon i. J. 1799, dem Geburtsjahre der Romantik, wurden die Schlegel, Schelling und Steffens mit Markus und Röschlaub bekannt, und enge freundschaftliche und wissenschaftliche Beziehungen entstanden besonders zwischen Schelling und den Aerzten. Eine Zeitlang war Schelling dabei der empfangende; bald aber hatte er die neue Lehre seinem System eingeordnet und gab sie verwandelt seinen Lehrern zurück. Der Stern der Naturphilosophie, der auf alle Wissenschaften und Künste, ja auf das Leben selbst ein wundervolles, blendendes Licht warf, ließ auch die ganze Würde, Schönheit, und Tiefe der Heilkunde wieder erscheinen. Das Begreifen der Natur als eines lebendigen Ganzen, als eines Organismus, in dem jedes kleinere Glied ein Abbild des größeren sei, verdunkelte die tastenden Constructionen, die vorher Eindruck gemacht hatten. Man sah nun ein, daß Brown nur eine Seite des Organismus erfaßt und sie fälschlich für das Ganze ausgegeben hatte. Gerade das, worauf die Naturphilosophie Werth legte, den Organismus als etwas Einheitliches und Lebendiges, zwar bestimmbar, aber auch sich selbst bestimmend anzusehen, hatte er außer Acht gelassen.

Gerecht abwägend urtheilt Windischmann: »Kein Wunder, daß ein gewaltiger Griff in die Saiten des Lebens und der Kunst, wie John Brown that, bezauberte. Er hatte Sinn für die alte, gediegene Existenz. Falsche Theorieen und ungeschickte Praxis durchschaute er. Er suchte das Leben auf zwei Grundkräfte, Erregbarkeit und Reiz, zurückzuführen; Erregung nannte er das mittlere. So erscheint das Leben als etwas Erzwungenes, aus seinen Faktoren kalkulables. Die Heilkraft der Natur, das Rhythmische, hat er ganz verkannt. Seine Therapie ist ein Streit des Künstlers mit dem Tode, wo es auf das höchste Gebot für das hin- und hergezerrte Leben ankommt.« Er kommt zu dem Schluß, daß Brown ein Newton, das heißt ein Begründer des Mechanismus auf dem Gebiete der Medicin sei.

Das Hauptverdienst der naturphilosophischen Medicin lag nun darin, daß sie große und allgemeine Gesichtspunkte aufstellte und den Organismus als Einheit von Leib und Seele zu fassen suchte. Nunmehr eng verbunden mit der Physiologie und Psychologie hätte sie, um die Fülle der neuen Ansichten verwerthen zu können, weit mehr Kenntnisse besitzen müssen, als die damaligen Aerzte hatten und haben konnten. Bei dem Mangel an thatsächlichen Kenntnissen und dem Reichthum an neuen Anschauungen, die sich von allen Seiten aufdrängten, erscheinen die Verkündiger der neuen Lehre oft verworren. Sie selbst waren dermaßen durchdrungen von der Höhe und Ergiebigkeit ihres Standpunktes, daß sie die Aussicht auf das neue Reich genossen, ohne sich durch Zweifel, ob und wann es erobert werden müsse, stören zu lassen.

Schelling und Steffens hielten in Bamberg Vorträge über Naturphilosophie, die die Zuhörer mit Enthusiasmus erfüllten. Röschlaub und der feurige Markus hatten die Wendung mit Entschiedenheit mitgemacht und Markus schwang in seinen Schriften auf romantische Art »den Zauberstab der Analogie«; da heißt es z. B.: »Gewitter ist Fieber der Natur. Wasser-Erzeugung dort ist Schweiß-Erzeugung hier. Fieber und Entzündungen entstehen nur durch Temperaturveränderungen.«

Die dreifache Erscheinungsweise des Organismus als Reproduktivität, Irritabilität und Sensibilität diente als Grundlage bei der Betrachtung des Menschen. Steffens' Einfall, diese drei Systeme als Analoga der drei großen Naturkräfte Elektricität, Magnetismus und Chemismus zu fassen, und dementsprechend, entweder parallelisirend oder antagonisirend, die Arzneien anzuwenden, fand Schelling's Beifall. Es ist bezeichnend dafür, wie viel Ideen galten, daß Männer, die philosophisch-naturwissenschaftlich gebildet waren, aber doch nicht Medicin studirt hatten, nicht nur die Aerzte anregten und ihnen Wege wiesen, sondern ihre Theorieen selbst ausübten.

Schelling erlebte einen unglücklichen Ausgang seiner Kunst in einem Falle, der die romantische Schule nah anging, am Krankenbett der kleinen Auguste, der Tochter Karoline Schlegel's, die bald hernach seine Frau wurde. Karoline hatte ihrer eigenen Gesundheit wegen das kleine Bad Bocklet bei Bamberg aufgesucht, wo Schelling häufig in ihrer Nähe sein konnte. Die 15jährige Auguste, die ihre Mutter hatte pflegen wollen, wurde selbst krank und starb, von Schelling behandelt, nach wenigen Tagen. Dieser Todesfall, für Schelling, dem Mutter und Kind theuer waren, so überaus traurig, zog einen häßlichen, öffentlichen Streit nach sich; denn die zahlreichen Widersacher Schelling's benützten den Anlaß, um den siegreichen und hochmüthigen Vertreter der neuen Medicin anzugreifen, wobei die innersten Privatverhältnisse der betheiligten Personen boshaft hervorgezogen und Schelling's Gefühl und Ehre so gekränkt wurden, daß der korrekte Wilhelm Schlegel, obwohl selbst hart betroffen, mit öffentlichen Erklärungen für seinen Nachfolger in der Ehe mit Karoline eintrat.

Kurze Zeit nach diesem Ereigniß, im Jahre 1802, fiel Bamberg infolge der Kriegswirren an Kurbayern und Markus wurde zum Direktor sämmtlicher Medicinal- und Krankenanstalten gemacht. Er führte nun eine Reform des Medizinalwesens durch und begründete eine Reihe von Anstalten nach einem wahrhaft großartigen Plane; doch wurde er andrerseits dadurch gekränkt, daß die Universität aufgelöst und nach Würzburg verlegt wurde, so daß Bamberg aufhörte, Mittelpunkt der neuen Lehre zu sein.

Schon durch die Naturphilosophie mit der Romantik verbunden, wurde die Medicin nun vollends zur romantischen Wissenschaft, indem sie sich einer Erscheinung bemächtigte, die, ihrem Entstehen nach eigentlich einer vergangenen Epoche angehörend, erst von der Romantik aufgefaßt und gewürdigt wurde, nämlich des Mesmerismus oder animalischen Magnetismus.

Franz Anton Mesmer, im Thurgau im Jahre 1734 geboren, also 2 Jahre jünger als John Brown, erwarb sich i. J. 1766 durch eine Abhandlung über den Einfluß der Gestirne den Doktortitel und gab dadurch eine romantische Art die Welt anzusehen zu erkennen. Doch war dieser merkwürdige Mann viel zu früh geboren, um ein ächter Romantiker zu sein: so oft er sich auch in seinen Gedanken mit moderner Anschauung begegnet, behielten sie doch immer die Natur der Aufklärungs- und Revolutionszeit, der er angehörte.

Der Grundgedanke, von dem Mesmer ausging war, es gebe eine Kraft, die, getragen von einem Aether, einer ganz feinen Fluth, das All durchdringe und in allen seinen Theilen zusammenhalte. Die Eigenschaft der thierischen Körper, welche sie für diese Kraft empfänglich macht, nannte er thierischen Magnetismus. Indessen wäre das Theorie geblieben, wenn ihm nicht zugleich der Gedanke gekommen wäre, man müsse diese Kraft in seine Gewalt bekommen können.

Nur ein Mensch von großer Kraft und gesunder Naivität konnte ernstlich daran denken, einen solchen Gedanken auszuführen; es berichten denn auch alle Zeugen, die etwas von Mesmer überliefert haben, einstimmig von seiner ungeheuren Kraft des Körpers sowohl wie des Willens. Seine Erscheinung war stattlich und schön, übrigens war er ein ächter Schweizer, einfach, still, so unauffällig in seinem Wesen, daß er trotz seiner merkwürdigen, vielberedeten Entdeckung persönlich fast unbekannt blieb. Er schrieb und sprach wenig, that aber desto mehr. Nichts weniger als ein Charlatan that er so gut wie nichts zur Verbreitung seines Systems und blieb im Hintergrunde, als gegen das Ende des Lebens der Magnetismus mit Geräusch Triumphe feierte. Ein pietätvoller Anhänger des Magnetismus, Wolfart, suchte ihn im Jahre 1812 in der Schweiz auf und fand einen kräftigen, heitern und freundlichen Greis, der den Eindruck von Weisheit und Güte machte. Wenn es die Gelegenheit mit sich brachte, heilte er Kranke aus der Umgegend, übrigens lebte er zurückgezogen das einfache Leben eines alten Landmannes. Er war das Urbild eines starken Wurzelmenschen, dem immer neue Kraft der Erde in den Stamm strömt, so daß er dasteht als ein mächtiger Baum, jenen heiligen Eichen vergleichbar, in denen nach dem Glauben alter Völker die Götter wohnten.

Von seiner imponirenden Kraft zeugt folgendes Beispiel, das er selbst erzählt: »Ich bereute die Zeit, die ich anwandte, Ausdrücke für meine Gedanken zu suchen. Ich fand, daß wir jeden Gedanken unmittelbar, ohne langes Nachsinnen in die Sprache einzukleiden pflegen, die uns die bekannteste ist. Und da faßte ich den seltsamen Entschluß, mich von dieser Sklaverei loszumachen. Drei Monate dachte ich ohne Worte. Als sich dies Nachdenken endete, sah ich mich voll Erstaunen um. Meine Sinne betrogen mich nicht mehr wie vorher. Alle Gegenstände hatten für mich eine neue Gestalt.« Er wollte also denken, wie man im Traume denkt, unmittelbar, oder man könnte sagen, er wollte das Denken in Schauen verwandeln und setzte das auch durch, wie sich von selbst versteht nur bis zu einem gewissen Grade. Es läßt sich denken, daß, wer solche Herrschaft über sich selbst ausübt, auch über andere, schwächere Menschen viel vermögen kann.

Ob seine Behandlung des blinden Mädchens, der Fall, welcher die Ursache wurde, daß er Wien verließ und sich nach Paris begab, Erfolg hatte oder nicht, seine Wirksamkeit auf Menschen, die er nicht einmal zu berühren, in deren Nähe er nur zu kommen brauchte, ist vielfach bezeugt und außer allem Zweifel.

Männer dieses Typus, unbewußte, urwüchsige Naturen waren viele von den Aerzten, die in der Folge magnetische Kuren machten, so Wienholt, ein Bremer, Gmelin, ein Schwabe; sie waren von den ersten, die die neue Heilart vertraten. Es ist wahrscheinlich, daß die Wirksamkeit solcher Aerzte überhaupt, auch wo sie nicht absichtlich magnetisirten, zum großen Theil magischer Natur war. Um den unmittelbar heilsamen Eindruck zu schildern, den Markus' Erscheinen machte, sagt Oken: »Wer krank im Bette lag, fühlte Hippokrates.« Einmal behandelte Markus einen Kranken, der fürchtete, die Brustwassersucht zu haben oder zu bekommen und die Verordnung eines gewissen Mittels, welches dagegen angewandt zu werden pflegte, gleichsam als sein Todesurtheil von den Lippen des Arztes erwartete. Markus untersuchte ihn aufmerksam und verordnete eine andere Arznei, obwohl die gefürchtete angemessen gewesen wäre. Später, als der Kranke genesen war, äußerte sich Markus darüber: »Auf seinem Gesicht lag die Frage, ob ich das Mittel billigen würde oder nicht. Ich wußte, daß er dasselbe gegen die eingebildete Krankheit kannte und würde es ihm nicht verschrieben haben, selbst wenn er die Brustwassersucht wirklich gehabt hätte. Kranke seiner Art muß man nicht bloß mit Mitteln aus der Apotheke kuriren wollen.« Er suchte also hier mit Bewußtsein auf den Körper durch die unbewußt bildende Seele zu wirken; that es aber sicher oft auch ohne Wollen und Wissen.

Ringseis, der Bayer, war ein Mann von erquickender Naivität und Urwüchsigkeit. Bettine hat ihn beschrieben, wie er aussah und war, als er in Landshut studirte: »ein Gesicht wie aus Stahl gegossen, alte Ritterphysiognomie, kleiner, scharfer Mund, schwarzer Schnauzbart, Augen, aus denen die Funken fahren, in seiner Brust hämmert's wie in einer Schmiede, will vor Begeisterung zerspringen; und da er ein feuriger Christ ist, so möchte er den Jupiter aus der Rumpelkammer der alten Gottheiten vorkriegen, um ihn zu taufen und zu bekehren.«

Noch als alter Mann hatte er einen feinen Kopf mit energischen Formen und sprühenden Augen. Auf Kranke hatte er einen unmittelbar beruhigenden Einfluß; er besaß soviel magische Kraft, daß er zuweilen Zahnschmerzen augenblicklich stillte dadurch, daß er den ausgestreckten Zeigefinger gegen die schmerzende Stelle bewegte. Uebrigens nahm er magnetische Kuren nicht vor, da er es für eine bedenkliche Sache hielt. Im Anfang seiner Laufbahn besuchte er das Wolfart'sche magnetische Institut in Berlin und nahm als Begründung der beobachteten Erscheinungen die Reil'sche Theorie von der Verkehrung der Pole im Cerebral- und Gangliensystem an. Später, als seine kirchliche Richtung strenger wurde, verwarf er diese Ansicht als zu materiell und sah nun religiöse Geheimnisse durch den Magnetismus und Somnambulismus angedeutet; umsomehr scheute er sich, damit zu experimentiren.

In seiner Blüthe galt Ringseis als der erste Diagnostiker seiner Zeit. Der Kronprinz v. Baiern, später König Ludwig I., ließ sich von dem tüchtigen, durch und durch anständigen, sympathischen und kunstliebenden jungen Mann auf seinen italienischen Reisen begleiten. Auf den Landschaftsbildern in den Arkaden zu München, die die auf diesen Reisen geschaute Schönheit festhalten sollten, war denn auch Ringseis angebracht, in einer Sänfte sitzend und lesend; noch in seinem hohen Alter sah man ihn über die damals noch stilleren Straßen Münchens nicht ohne ein Buch oder eine Zeitung gehen, worin er las. Nachdem er lange Jahre ein gefeierter Arzt gewesen war und bedeutende Stellungen innegehabt hatte, wandte sich die Neuzeit, die das Experiment vergötterte und über der Beschränkung auf's Einzelne den großen, allgemeinen Standpunkt verlor, gegen den Romantiker. In seinem System der Medicin hatte er oft Analogien aus den verschiedenen Wissenschaften herbeigezogen, da alle, wie er sagte, mit einander zusammenhingen, besonders aus der Theologie und Philosophie. Dies, für die romantische Anschauungsweise selbstverständlich, war dem nachfolgenden Geschlechte lächerlich und anstößig. »Daß er geschöpft aus dem Ganzen und Vollen«, so sagt einer seiner ehemaligen Schüler, »daß er seine Wissenschaft niemals losgelöst von der wissenschaftlichen Gesammtwahrheit, vom Bleibenden in Welt- und Menschengeschichte, vom Urheber aller Dinge«, gerade das habe auf viele am meisten gewirkt, während es ihm von andern am meisten zum Vorwurf gemacht sei.

Die besseren unter seinen wissenschaftlichen Gegnern konnten sich der Macht seiner Persönlichkeit doch nicht entziehen. »Nein, dieser Ringseis ist gar zu lieb« rief einer von ihnen aus, »mag man noch so wenig mit ihm einverstanden sein, lieb muß man ihn haben.« Noch jetzt, lange nach seinem Tode, wird schwerlich einer, der sich mit dem »Ritter ohne Furcht und Tadel« beschäftigt, ungerührt und unerwärmt bleiben durch alle die Aeußerungen, in denen sich die Offenheit, Gradheit, Ehrlichkeit, Kindlichkeit und Herzlichkeit seines Wesens offenbart.

Karl Gustav Carus, in Leipzig im Revolutionsjahre 1789 geboren, war der strengste und behutsamste unter den romantischen Denkern; ein Mann mit einem ernsten, kräftigen, bedeutenden Kopfe, körperlich und geistig gesund und dauerhaft, besonnen, beinah zäh im Hergeben, bewußt ein vornehmes Maaß im Denken und Leben bewahrend. Weniger die Fülle schöpferischer Ideen zeichnete ihn aus, als hervorragende Fassungskraft, umfassender Blick, feines, logisches, konsequentes Denken. Von Schelling erfuhr er die erste, große Anregung; aber vor der Verworrenheit und den Uebertreibungen, in die manche Naturphilosophen geriethen, schützt ihn immer die unbestechliche Klarheit seines Geistes. Wünscht man über die Liebhabereien der Romantik, Magnetismus, Rhabdomantie, Sympathie, Magie und Mystik aller Art, ein billiges und dabei geneigtes Urtheil zu vernehmen, so kann man keinen besseren Führer als Carus wählen. Als Schriftsteller ist er zwar nicht temperamentvoll, aber von wohlthuender Zuverlässigkeit, seinem Stil ist Schönheit, Klarheit und Würde wesentlich; doch mag man die deutliche Anlehnung an Goethe's Alter-Stil dabei zuweilen störend empfinden. Seine Arbeitskraft und seine Vielseitigkeit waren gleich bedeutend; außer seinen medicinischen und naturwissenschaftlichen Werken hat er auch über Psychologie, Physiognomik und Cranioskopie Grundlegendes geschrieben. Auf allen Gebieten vertrat er den Entwicklungsgedanken und erkannte darin Goethe und Oken als Vorläufer an; doch war er viel tiefsinniger und umfassender als der letztere. Er wußte stets, ächt romantisch, sich über die Pole Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft zu erheben und beide von einem höheren Standpunkt aus zu vereinigen.

Ebenso ernstlich und gründlich wie mit den Wissenschaften beschäftigte sich Carus mit den Künsten. In der Literatur huldigte er der romantischen Richtung, doch so, daß ihm Goethe, über den er auch ein Buch geschrieben hat, der Mittel- und Gipfelpunkt war. In Dresden ansässig, lernte er Tieck kennen und wohnte zuweilen seinen Vorlesungen bei; doch gewisse häusliche Verhältnisse des übrigens verehrten Dichters verleideten ihm den Umgang. Besonders begabt war Carus für Malerei. Viel Anregung empfing er von dem Maler Friedrich, der auch in Dresden lebte und mit dem er verkehrte, dessen stimmungsvolle Meer- und Haidebilder die Erstlinge einer romantischen Landschaftskunst waren. Die Titel der Bilder, die Carus malte, deuten gleichfalls einen romantischen Charakter an: Eingang in die Unterwelt nach Dante; die Erscheinung eines musicirenden Engels im Morgennebelduft am Fenster eines Malers; die Musik, dargestellt durch eine Harfe in einem mondhellen Zimmer; dann Landschaften: Island, das Profil der Südwestspitze, umgeben von bewegter Luft und bewegtem Meere, das treibendes Eis und ziehende Walfische beleben.

Ein gutes Beispiel für sein zugleich künstlerisches und naturwissenschaftliches Sehen giebt sein Aufsatz über die Bedeutung der besonderen Bildung der Augen auf manchen alten Gemälden, besonders denen von Fiesole. Die Augen der Engel und Heiligen auf den Bildern des Fiesole sind bekanntlich schmal und lang mit auffallend kleinen Augensternen. Carus, der dies beobachtete, erklärt nun, daß die Markhaut, nämlich das Weiße im Auge, das feinste, geistigste Gebilde des Auges, Iris und Hornhaut, der Augenstern, das niedrigste sei. Vergleiche man das Auge des Embryo, der Thiere, des Kindes, des reifen Menschen, so finde man, daß, je niedriger der Stand der Organisation sei, desto größer verhältnißmäßig der Augenstern gegenüber dem Weißen sei, und eben darauf beruhe der Ausdruck von Geistigkeit und Verklärung, den das schmale, längliche Auge mit kleinem Augenstern mache, wie es Fiesole und andere ältere Maler gewisser Figuren, die überirdisch wirken sollten, gaben.

So suchte Carus bei jeder Erscheinung nach einem natürlichen Grunde mit geistiger Entsprechung.

Erst später im Leben versuchte Carus in die Musik einzudringen, zu der er nicht den angeborenen, überschwänglichen Hang der eigentlichen Romantiker hatte. Durch fleißiges Hören und Studiren bildete er sich doch auch auf diesem Gebiete zum verständnißvollen Kenner aus und wenn er über Musik schreibt, geschieht es immer mit der Tiefe der Anschauung und der Reinheit des Ausdrucks, die ihm eigen waren.

Auch Carus machte mit Glück magnetische Kuren; er betrachtete das Versenken des Kranken in Schlaf und seine dadurch herbeigeführte innigere Vereinigung mit der Allnatur als ein natürliches, gutes Heilverfahren, ohne religiöse oder sonst überirdische Ausschlüsse von diesen Erscheinungen zu erwarten. Hierin unterschied sich Carus, dessen Entheismus – Gottinnigkeit – wesentlich Gedankenergebniß war, von anderen Aerzten seiner Richtung, z. B. Ringseis und Passavant, deren Religiösität mehr herzlicher Art war und überhaupt die Gefühlsgrundlage, aus der das ganze Leben hervorwuchs.

Johann Karl Passavant gehörte einer französischen Hugenottenfamilie an, die nach Basel auswanderte und sich von da nach Frankfurt a. M. verzweigte. In diesen Familien hat sich oft eine ernste Frömmigkeit durch Jahrhunderte erhalten. Ihr stand in dem jungen Johann Karl ein ausschweifender Ehrgeiz und ein heißblütiges, sehr reizbares Temperament entgegen, das sein hoher sittlicher Wille jedoch zu bändigen wußte. Sein beständiges Arbeiten an sich trug ihm im Alter Früchte, da er sich im Gegensatz zu vielen andern regsam und heiter erhielt; bis im Alter blieb er auch ein Freund der Frauen im schönsten Sinne. Er sah schön und bedeutend aus und soll Goethe geglichen haben.

Sein Lebenlang schwankte Passavant zwischen zwei Berufen, dem des Arztes, den er ausübte, und dem des Theologen, zu dem er neigte; er konnte es nie ganz verwinden, daß er seinen Lieblingswunsch seinem Vater geopfert hatte, und mußte sich immer wieder selbst ermuntern, seiner Thätigkeit mit Eifer und Liebe nachzugehen. Das Ideal seines theologischen Strebens, Vereinigung der katholischen und protestantischen Kirche, ließ er nie aus den Augen. Er verhandelte darüber oft mit dem großherzigen Sailer und dessen Schüler Diepenbrock und verließ dabei nie den großartigen Standpunkt einer wahrhaft allgemeinen Kirche, in der die christlich-katholische Lehre, gestützt und erhellt durch freie protestantische Forschung, wieder auflebt. Wie hier ein tief religiöses Gefühl stets die Kühnheit der Wissenschaft begleitet, die vor keiner Folgerung zurückschreckt in inniger Sicherheit, daß Glaube und Wissenschaft sich schließlich in einem Grunde treffen müssen, und wie die klare, durchdachte Darstellung von sympathischer Wärme überall durchdrungen ist, das ist an diesen Erörterungen besonders bemerkenswerth.

Als Arzt erlangte Passavant niemals großen Ruhm, sei es, daß dem durchaus innerlichen, kontemplativen Menschen die richtige Beanlagung zur Heilkunst abging, sei es, daß die reiche Handelsstadt Frankfurt kein geeigneter Boden für seine Richtung war. Von seinen magnetischen Kuren glückten, wie es sich von selbst versteht, durchaus nicht alle; doch hing die häufige Anwendung des magnetischen Verfahrens und die Verwerthung von Rathschlägen somnambuler Personen eng mit seinen Ideen über Medicin und Magnetismus zusammen.

Passavant erhielt eine nähere Kenntniß vom Magnetismus als Student in Wien durch Malfatti. Dieser, ein Italiener aus Lucca, ein »scharfgeistiger, schnell- und tiefblickender« Mann, prakticirte in Wien in den vornehmsten Familien, wie er denn auch Arzt des Herzogs von Reichsstadt war.

Ueberhaupt verkehrten die meisten romantischen Aerzte in den höchsten Kreisen: Ringseis war Leibarzt des Kronprinzen v. Baiern, Breslau bairischer Hofarzt, Markus Leibarzt des Fürstbischof v. Bamberg, Windischmann Leibarzt des Kurfürsten Dalberg, Carus Leibarzt des Königs von Sachsen, Justinus Kerner war und blieb zwar ein einfacher Landarzt, stand aber mit der bairischen und schwäbischen Königsfamilie in leutselig-herzlichen Beziehungen Koreff mußte schleunig und heimlich Christ werden, um eine Stelle als Arzt und vortragender Rath beim Minister Hardenberg bekleiden zu können. Auch von Koreff, unter dessen Anleitung Passavant in Wien arbeitete, und der, wie Malfatti, ein gesuchter, erfolgreicher Magnetiseur war, wird jener manches über die neue Heilmethode erfahren haben.

Koreff gehörte dem Kreise junger Berliner Dichter – Varnhagen, Chamisso, Robert, Hitzig – an, die sich im Ganzen den Romantikern anschlossen, denen aber ihr heißes Blut, ihr Schmelz, ihr seelischer Zauber fehlte. Immerhin lebt Koreff als der witzige, bizarre, kenntnißreiche und scharfsinnige Vinzenz in E. T. A. Hoffmann's Serapionsbrüdern, von ungewissem Reiz umgeben in unserer Vorstellung. Die Unterhaltungsgabe des »ergötzlichen Fabulanten« muß in der That außerordentlich gewesen sein; an seinem etwas zweideutigen Charakter mag es gelegen haben, daß seine Berührung mit der unsichtbaren Kirche – wenn das romantische Freundesnetz so genannt werden darf – nur lose war. Koreff war einer von den Heimathlosen, schon durch seine Natur und Erscheinung ein Fremdling; denn er sah wie Brentano weit mehr jüdisch-italienisch als deutsch aus. Er war beständig auf Reisen, unstät, lange begleitete er den Minister Hardenberg, den er auch magnetisirte; am längsten lebte er in Paris, wo er eine Zeitlang Ruhm und Reichthum genoß, dann aber den Umschwung der Zeit erfuhr, in der öffentlichen Meinung sank, und den Verfall seines Vermögens erlebte.

In Passavant's Leben machte die Bekanntschaft mit dem Magnetismus Epoche, indem diese wunderbaren Erscheinungen seinen Sinn vollends auf das innere Leben lenkten.

Als er die Geliebte seiner Jugend, die spätere Frau von Ringseis, nach längerer Trennung wiedersah und ihre auf ihn gesetzten Hoffnungen durch ablehnendes Betragen enttäuschte, schrieb sie in einem Briefe über ihn: »Nichts als inneres Leben, nichts als Bestimmung, nichts als Rapport mit Geistern und endlich noch Magnetismus. Vom Magnetismus sprach er mit hohem Ernst. Soviel ich mir zusammenreimen kann, muß er sich haben magnetisiren lassen und darum seinen Lebensplan gesponnen haben.«

Auf Reisen, namentlich in Südfrankreich, wo sich nach Mesmer's Auftreten bedeutende Schulen gebildet hatten, ergriff er die Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln; in Frankfurt hatte ein älterer Freund und Kollege, Professor Dr. Nerf, bereits viel Material gesammelt. Ein pietistischer Zug bezeichnet den Frankfurter Freundeskreis, in dem Passavant verkehrte, und auch die dort herrschende Auffassung des Somnambulismus, insofern als der Zustand des Hellsehers als Vorbild und Bürgschaft eines geistigen Lebens nach dem Verlust oder nach der Verwandlung des materiell- körperlichen angesehen wurde.

Uebrigens war Passavant ein zu gebildeter Denker, um alle die Anschauungen seiner hellsehenden Patienten, die zum Beispiel über den Aufenthalt der Verstorbenen aus den Sternen genaue Angaben machten, für objektive Wahrheit zu halten. Abgesehen davon, daß ihm Magnetismus und Somnambulismus Analogieen für höhere Verhältnisse boten, hatten die Gesichte der Schlafwachen psychologischen Werth für ihn, indem sie in die Innerlichkeit des Menschen gleichsam tiefer hineinleuchteten. Er selbst warnte andere, so namentlich den Freund Justinus Kerner, das in Traumzuständen Geschaute und Erlebte aus dem Inneren des Schläfers in die Außenwelt zu übersetzen oder etwa gar sich von ungebildeten oder betrügerischen Personen täuschen zu lassen.

Keiner von den Aerzten seiner Zeit ist so vom Zauber der Romantik umgeben wie Justinus Kerner, der Dichter, der Geisterseher, der, wenn er des Nachts zu Kranken gerufen wurde, von seinem Hündchen und von den Geistern der Verstorbenen, die er nicht hatte heilen können, begleitet, die wunderliche Runde machte. Wenn die Güte des Wollens und aufrichtige Hilfsbereitschaft Grundbedingungen des magnetischen Wirkens sind, war Justinus Kerner ausnahmsweise befähigt: er schien nur für Andere da zu sein, sein Haus war stets voll von Hülfsbedürftigen aller Art, die das Vertrauen auf seine allbekannte rührende Herzensgüte und zum Theil auf das Gerücht von seinen magischen Kräften anzog. Von den nervösen und gemüthsleidenden Freunden und von den Somnambulen abgesehen, hielten sich im Laufe der Zeit 8 oder 9 Besessene bei ihm auf, die scheu und bleich, unheimliche Erscheinungen, an den erschrockenen Kindern und Gästen vorüberstrichen. Sie wurden kakomagnetisch behandelt, das heißt die Dämonen, von denen der Kranke besessen war, wurden durch magnetische Manipulationen und die Ueberlegenheit eines guten Willens ausgetrieben. Eine solche Scene muß schauerlich, ja entsetzenerregend gewesen sein, da die Kranken wirklich wie von bestimmten Personen oder Teufeln bewohnt, die mit unnatürlichem Gebrüll aus ihnen heraus sprachen, sich geberdeten, in den kritischen Augenblicken sich wehrten und in gräßlichen Krämpfen knirschend sich wälzten. Besonders niederschlagend war es, wenn nach erfolgter Austreibung und Besserung der verjagte Dämon von seinem Opfer wiederum Besitz ergriff und plötzlich in höhnenden Worten sein Wiederdasein ankündigte. In einzelnen Fällen erzielte Kerner doch eine völlige Heilung. Das meiste Aufsehen erregte ein von einem Mönch besessenes Mädchen, der nach eigener Angabe vor mehreren Jahrhunderten in einem Kloster, dessen Trümmer in der Nähe des Heimathsdorfes der Kranken noch vorhanden waren, ein verbrecherisches Leben geführt, mehrere Frauen verführt und diese nebst den Kindern, die sie von ihm bekamen, umgebracht hatte.

Die Möglichkeit des Besessenseins wurde von mehreren Aerzten und Philosophen festgehalten; Baader, der in seiner Jugend auch Medicin studirt hatte, war stolz auf den Ruhm, die im Alterthum und Mittelalter bekannte Krankheit sozusagen wieder entdeckt zu haben. Ringseis machte Kerner darauf aufmerksam, daß die Kirche die Annahme, es könnten auch Verstorbene, nicht nur Dämonen, von Menschen Besitz ergreifen, als unwahr und Betrug höllischer Geister verworfen habe, wodurch sich Kerner aber nicht irre machen ließ. Auch Görres, der Katholik nahm das Besessensein durch Verstorbene wirklich an und hat in seiner Mystik dies Geheimniß in einer auch für Ungläubige bewundernswerthen Weise beleuchtet.

Man beurtheilt Kerner falsch, wenn man ihn für einen Gefühlsschwärmer hält, der sich mit leicht erregter Phantasie in alberne Spuk- und Gespenstergeschichten verträumt habe. Er selbst versichert, daß er auf dem Wege der Naturforschung und kalter Beobachtung zu diesen Dingen gekommen sei, die seiner Phantasie viel mehr entgegen gewesen wären, und daß Poesie und Religion keinen Antheil daran hatten. Auch spricht er in einem Vorwort zur Seherin von Prevorst den Wunsch aus »es möchten diese Phänomene mehr auf naturforscherischen als religiösen Boden gezogen« und dort weiter verfolgt und erklärt werden. Dies wurde aber nicht beachtet; denn man wollte lieber, wie er klagt, die Geister mit dem Poeten zu Tode schlagen.

Einen kritischen Verstand, den poetische, kindlich unschuldige und liebreiche Menschen der Art überhaupt selten haben, besaß Justinus Kerner allerdings nicht, und er sonderte die Angaben seiner Kranken viel zu wenig von dem was ihre Einbildung und beschränkte Auffassung hineingemischt hatte. Zuweilen mag ihn auch sein Humor verleitet haben, einen angenehmen Schnörkel, wie E. T. A. Hoffmann es genannt haben würde, stehen zu lassen oder anzubringen; vergessen darf man nie, wenn man sich das Bild des »ungemein dicklichen« Justinus vorstellen will, diesen feinen Humor, der in seinen Augen saß, und alles was er sah, that und dachte, auch seine ernsten Ueberzeugungen, mit einem guten, herzlichen Lächeln betrachtete.

Seine ganze Liebenswürdigkeit entfaltete Kerner, als er den armen Irrsinnigen, den die Leute eingesperrt hatten und an den sich nun niemand heranwagte, weil er in seiner Raserei den Ofen umzureißen drohte, durch Musik beschwichtigte. Gelassen begab er sich in die Zelle und da er sah, daß freundliches Zureden unverstanden blieb, zog er seine Maultrommel, ein der Harmonika ähnliches Instrument hervor und begann zu spielen, worauf der Irre allmählich ruhig und zutraulich, schließlich ganz folgsam und zufrieden wurde. Daß Spiegel und Musik, namentlich Aeolsharfe und Harmonika, die magnetische Wirkung verstärken, hatte schon Mesmer beobachtet; er hatte im Alter Versuche über die Wirkung der Musik auf Thiere mit der Glasharmonika angestellt, was Kerner mit der Maultrommel fortsetzte. Diese Art der psychischen Heilmethode, zu der Reil die erste Anregung von berufener Seite gegeben hatte, ist besonders charakteristisch für die romantische Arzneikunde.

Bei weitem leichtgläubiger und kritikloser als Justinus Kerner war sein Freund und Landsmann Eschemayer, der Arzt und Philosoph, als welchen ihn zwar die wissenschaftlich gebildeten Philosophen nicht gerne wollten gelten lassen, da er überwiegend aus dem Gefühl heraus grübelte. Mit seinem guten, versonnenen Gesicht ist er doch eine bemerkenswerthe Erscheinung unter den schwäbischen Naturphilosophen. Im hohen Alter ließ er sich von einem Schneider, der in den Augen auch der nachsichtigen Beurtheiler ein Trunkenbold und frecher Gaukler war, mit vorgespiegelten Ekstasen hinter's Licht führen, so daß selbst Kerner nicht umhin konnte den Kopf zu schütteln. Indessen sind seine Werke über Naturphilosophie und Magnetismus reich an feinen und tiefsinnigen Anschauungen.

Fast alle diese Aerzte und eine Reihe von anderen, die ich nicht erwähnt habe, Breslau in München, der jüngere Schelling in Stuttgart, Ludwig v. Voß und Wolfart in Berlin, Hufeland, ein Bruder des bekannten, Windischmann in Aschaffenburg standen miteinander in Verbindung, zum großen Theil in freundschaftlicher. Sie fühlten sich, von gewissen Abweichungen im einzelnen abgesehen, in den grundlegenden wissenschaftlichen Ueberzeugungen einig. Es lassen sich in der theoretischen Medicin der Romantik hauptsächlich zwei Richtungen unterscheiden, die aber beständig ineinander übergehen, die durch die Naturphilosophie und die durch den Magnetismus eingeschlagene.

Ringseis hatte in Anlehnung an seinen Lehrer Röschlaub den Begriff der Krankheit bestimmt als ein dem Organismus fremdartiges Wesen, das sich als Parasit im Körper entwickle, und legte diese Lehre seinem System der Medicin zu Grunde.

Diese Wesen gehören der niedersten Lebensstufe an; es sind »vollkommene, d. i. aus dem Verein von Männlichem und Weiblichem gebildete Samen, welchen der Organismus nur den Boden oder Uterus bietet.« Der Kranke könne demzufolge, da ein Leben nach eigenen Gesetzen störend in sein Leben eingreife, nicht als einheitliches Ganze betrachtet werden. Die Heilung gehe von dem gesundgebliebenen Körper aus, keineswegs sei also die Krankheit mit dem Heilungsproceß gleichzusetzen. Im hohen Alter – Ringseis starb erst i. J 1880 – erfuhr Ringseis zu seiner Ueberraschung aus einer kleinen Schrift von Virchow, daß diese Theorie mit der modernsten medicinischen Forschung übereinstimmte. Die große Entdeckung des Tages, die Bacillentheorie, war eine wesentliche Behauptung seines verhöhnten Systems gewesen; allerdings hatte Ringseis durchaus nicht angenommen, daß es sich in allen Fällen um wirkliche Parasiten handle, sondern den Vergleich herbeigezogen, um das organische Eigenleben der Krankheit zu bezeichnen.

In einem anderen Punkte wich allerdings Virchow von Ringseis ab, indem er nichts von der Lebenskraft wissen wollte, die für jeden romantischen Arzt unerläßlicher Begriff war. Die Lebenskraft war ihnen nicht, wie vielfach fälschlich geglaubt wird, eine zum Organismus hinzukommende, von ihm trennbar zu denkende Kraft, vielmehr das Wesen der Seele, das wodurch der Organismus etwas Einheitliches, sich selbst Bestimmendes ist. Durch die Lebenskraft unterscheidet sich der Organismus von der Maschine; grade in diesem Punkte war die Naturphilosophie dem herrschenden Brownismus zuerst entgegengetreten. Ringseis wies darauf hin, daß auch Hippokrates in jedem Organismus ein seelisch einheitliches Princip angenommen habe, das den Körper gestalte, erhalte und in Krankheitsfällen wieder herzustellen bestrebt sei, indem es seine Alleinherrschaft gegen das störende Fremde geltend machen wolle. Alle die großen Aerzte der Vergangenheit, auf die die Romantiker zurückgegriffen, hatten diese Auffassung ihren Systemen zu Grunde gelegt: Paracelsus, der Schweizer, der romantisch-mystische Arzt des Mittelalters, Helmont und Sydenham, die im 17. Jahrhundert lebten, Stahl, der im Geburtsjahre Mesmer's starb.

Besonders Paracelsus wurde von den Naturphilosophen häufig angeführt. Sie nannten ihn den Luther der Medicin, weil er die scholastische Medicin angegriffen und überwunden und einige, damals berühmte Bücher von Galenus und Avicenna verbrannt hatte. Auch auf seine urkräftige und eigenthümliche Sprache bezog sich der Vergleich; der kundige Wilhelm Grimm, der in Halle, wo der Geist der Romantik besonders kräftig wehte, sowohl Jakob Böhme wie Paracelsus kennen lernte, wunderte sich darüber, wie diese beiden die damalige Sprache fast gewaltsam durchbrochen hätten.

Paracelsus nannte das Princip des Hippokrates den Archaeus und sagte so: jede Krankheit ist ein eigener, für sich bestehender, nach bestimmten Gesetzen sich darstellender Organismus, erzeugt durch das gestörte Verhältniß der Elementarstoffe und durch den verstimmten Archaeus, das dämonische Princip des Lebens im menschlichen Leibe; in der Heilung wird der Archaeus des Abweichenden mächtig. Bei Ringseis lautet es: »Krankheit ist diagonale Wirkung aus Lebenskraft und etwas Fremdartigem, was den Organismus kränkt.«

Helmont und Sydenham hatten diese Lehre wieder aufgenommen, der letztere die Krankheit als selbständigen Afterorganismus bezeichnet. Stahl wurde gerühmt, weil er sich bemüht hatte, die Vernunft der Seele in den vegetativen Bildungsprocessen darzuthun, also das vernünftig bildende Unbewußte, das Carus zuerst wieder wissenschaftlich untersuchte und als göttlich darstellte, erkannt hatte.

Der Ausspruch des Paracelsus: »Jegliche Krankheit ist ein ganzer Mensch, hat einen unsichtigen Leib und ist selbst Mikrokosmus, so daß in der Krankheit zwei Leben in einem sind«, stimmt durchaus zu der romantischen Anschauungsweise, die alles was vorher hohler Begriff gewesen war, reell, körperlich, lebendig machte.

An allen diesen Aerzten rühmten die Romantiker vorzüglich auch die Einfalt und kindliche Treue, mit der sie der Natur gegenüberstanden, ihre Erscheinungen beobachteten und sie ehrfürchtig zu leiten suchten. Denn sie waren zu der Ueberzeugung gekommen, daß Niemand zu heilen wisse als die Natur selbst, das heißt in diesem Falle die auf geheimnißvolle Weise unbewußt vernünftig bildende Seele, und daß es nur darauf ankomme, sie richtig zu verstehen, sie nicht zu stören und ihr allenfalls zu Hülfe zu kommen. Von dieser Annahme ausgehend, mußte die Heilmethode durch Magnetismus schon deshalb einleuchtend erscheinen, weil sie, nach Mesmer, nichts anders als die Wiederherstellung der Harmonie im Körper bezweckte und das durch Schlaf erreichen wollte, während des Schlafes aber das Unbewußte am schnellsten und kräftigsten zu wirken pflegt.

Doch auch noch aus anderen Gründen wurde der Magnetismus als erster Schritt zu einer neuen Heilkunst angesehen, die als Bedürfniß empfunden wurde. Mit ihm schien sich der Ring zu schließen, der mit Heilung durch Handauflegen der Priester, Schlaf und Traum im Tempel und pythische Weissagung begonnen hatte. Wie auf allen Gebieten war auch hier die Romantik die Ausdeuterin der verborgenen Weisheit, die die instinktiven Regungen des Alterthums geleitet hatte. In einem Buche des Arztes und Philosophen Windischmann stellt sich dieser Gedankengang folgendermaßen dar: Die Krankheiten sind Geschlechter und Arten, lebendige Organismen, die sich im Laufe der Zeit verändern zugleich mit dem Stamme, an dem sie wuchern und von dem sie abhängen. Wie es Krankheiten des Kindesalters, des Jünglings-, Mannes- und Greisenalters giebt, so auch Krankheiten der Menschheit in ihren verschiedenen Epochen; sodaß, kennte man nur die Geschichte der Krankheiten besser, sich an ihrem Charakter das Alter des Menschengeschlechts genau müßte feststellen lassen. Es können deshalb die Beobachtungen des Hippokrates, an sich nicht genug zu würdigen, als an anderen Menschen und anderen Krankheiten gemacht, für unsere Zeit nicht mehr genügen. Allem Anschein nach tritt das menschliche Geschlecht jetzt in die gefährliche Periode des Mannesalters; denn unsere Krankheiten unterscheiden sich von den früheren im allgemeinen durch ihren häufig sensiblen Charakter. Früher hatte der Organismus mehr Einheit und die Seele mehr Kraft, sowohl die einzelnen Organe wie die in ihren Organismus hineinspielende Außenwelt ihrer Alleinherrschaft unterzuordnen; jetzt hingegen ist die Einheit gelöst, vielleicht am meisten durch die Lustseuche, die Generationen in ihren Folgen vergiftete. Die Menschen haben die Innigkeit und Kraft der Triebe, die Einfachheit und Sicherheit des Instinktes verloren und sind doch noch fern von der Klarheit wissender Vernunft. Je complicirter, reicher und bewegter das äußere Leben geworden ist, desto reizbarer die Seele. Aus der Schwelgerei des Daseins und dem zerstörten Geschlechtstrieb, aus der maßlos gewordenen Temperatur der bis an die letzte Faser aufgeregten Seele entspringen Hirnkrankheiten, ja, alle Krankheiten haben zugleich nervöse Symptome. Wie es nichts Kraftvolles im Menschen mehr giebt, nicht einmal große Laster, kühnen Egoismus, so verlieren sich auch die vehementen Krankheiten: alles beginnt mit Heftigkeit und endet mit Ohnmacht. Für die veränderten Bedingungen genügt unsere Heilkunst nicht mehr; »die Leidensgeschichte der Menschen geht mehr in die Tiefen des Lebens ein, und so muß auch die Heilkunst mehr in das Innere gehen.« Sie muß auf die Seele wirken, die eigentlich die Mitte des Menschen ist, und von der auf die Krankheit erst Geist und Natur ergreift. Materie kann keine Ursache sein, Materie und Ursache schließen sich aus. Nimmt die Seele die Krankheit nicht an, so kann sie den Leib nicht ergreifen. Krankheit ist Sünde, meist eigene Verschuldung oder Schuld des sündhaften Geschlechtes, an welcher jeder Einzelne theilnimmt. Es giebt Erbkrankheit, wie es Erbsünde giebt. Auch die Hippokratische Schule lehrte: der Mensch ist von der Erzeugung an eine Krankheit.

Wem dies befremdend erscheint, der bedenke, daß jeder Arzt, auch der bloße Empiriker und Materialist, den Kranken empfiehlt, sich heiter zu halten, da ein ruhiges, heiteres Gemüth Bedingung der Genesung, oder doch ihr förderlich sei, und also, bewußt oder unbewußt, einen Antheil der Seele am Erkranken und Genesen vor-aussetzt.

Betrachtet man nun die Romantiker selbst mit ihren körperlichen und seelischen Leiden, so findet man an ihnen durchaus bestätigt, was Windischmann über den Krankheitscharakter der Zeit sagt. Vielen Zeitgenossen drängte sich diese Einsicht auf. Eine kluge ältere Frau, Therese Huber, einst als Therese Heyne und Frau Forster die Freundin Karoline Schlegel's, schrieb an Justinus Kerner, als der Hyperromantiker Graf Loeben, ein durch und durch kranker, epileptischer junger Mann, zur Behandlung in seinem Hause sich aufhielt, daß die Aerzte solchen Fällen gegenüber, die jetzt so häufig vorkämen, die intellektuelle Unmäßigkeit außer Acht ließen, die sie verschuldete. Sie machte geradezu die romantische Schule dafür verantwortlich, erinnerte an Jean Paul, dessen ärmlichen Jugendtagen abwechselnde Reizmittel versagt gewesen seien, der sie mit Wein ersetzt hätte und den nun auch Branntwein nicht mehr reizte; »er wankt schlaff, stumpf, ohnmächtig in's Grab« Robustere Naturen überlebten den Taumel und bildeten sich eine Lage, »in der sie die überlebende Sinnlichkeit befriedigen und mit Besonnenheit andern ein Blendwerk vormachen; dahin gehört Tieck mit seinen zwei Frauen.« Kerner pflichtete ihr bei, nur meinte er, daß nicht das körperliche Leiden solcher Schriftsteller aus ihrem intellektuellen hervorgehe, sondern umgekehrt. »Loeben's Körper wurde schon in früher Jugend zerrüttet, und die Art seines schriftstellerischen Strebens ging gerade daraus hervor.« Auch er habe ihm ein einfaches, mäßiges, arbeitsames Leben zu einer Heilung angerathen, »allein ein Dämon der in ihm ist (der der Epilepsie) strebt mir immer entgegen.«

Von dem Jugend- und Studienfreunde Arnim's und Brentano's,Winkelmann, dem Physiker, der jung in Braunschweig starb, sagt Arnim, er habe sich nicht eigentlich durch Liederlichkeit geschwächt, denn das sei mehr Redensart gewesen, sondern durch ein Ritter nachgebildetes Leben: »langes Arbeiten für einige Tage, Hungern, dann Schlafen, Fressen für die folgenden, Verliebtthun, Verzweifeln, eine künstliche Empfindungsmanege.«

Bei dem unglücklichen Ritter war denn aber doch auch simple Liederlichkeit im Spiele. Clemens Brentano schrieb an Görres, er sei durch eine Krankheit gestorben, »welche eine Folge des Branntweinsaufens war; dies war eine der herrlichsten Naturen, die vielleicht je von ihrer Zeitteufelei sind vernichtet worden.« Baader gegenüber, der Ritter's Freund, Bewunderer und Wohlthäter war, und ihm gutgemeinte Vorstellungen machte, daß er an seiner Kränklichkeit selbst Schuld sei durch Ueberreizung und Unmäßigkeit, verantwortete sich Ritter: er habe sein von Natur aus unsäglich schwer zu bändigendes Temperament doch nach Kräften im Zaume gehalten; Weingenuß habe er erst in seinem 26sten Jahre im Umgang mit einem berühmten Manne – es ist wohl Schelling gemeint – kennen gelernt, Opium nehme er erst seit zwei Jahren. »Ich habe vielleicht alles erlebt was man bis zu meinen Jahren erleben kann; vieles habe ich nie gesucht, aber dagegen oft auch absichtlich mich nicht zurückgehalten, dies und jenes geschehen lassen; sicher, doch wohl, auch noch so tief darein, doch nie mit dem Kopfe unterzutauchen und zu seiner Zeit glücklich und sehr b/gelehrt wieder das Ufer zu erreichen.« Dies Experiment habe er indessen in letzter Zeit bei weitem nicht mehr in jenem Grade getrieben wie von seinem 19ten bis zum 26sten Lebensjahre.«

In solchen Fällen zeigt sich allerdings deutlich die »Schwelgerei des Daseins« und »maßlose Temperatur der Seele« als Ursprung körperlicher Leiden, denen gegenüber sich die geistreichsten Aerzte, wenn sie nur über die Mittel der alten Medicinwissenschaft geböten, ohnmächtig erklärten. Kranke der Art bedürfen eines zugleich seelenkundigen und seelengewaltigen Arztes, eines Priester-Arztes, wie Windischmann ihn als Ideal des künftigen Heilkünstlers hinstellt. Christus, der Heiland, ist das Vorbild desselben und der Glaube an Christus die erste Vorbedingung zu segensreicher Ausübung der Kunst, das will sagen: der Glaube an die menschliche Erlöserkraft durch den in ihm wirkenden Gott. Heiland und Erlöser ist ja der Arzt dem Kranken gegenüber: wenn diesem die Kraft fehlt, sich zu Gott, nämlich dem Quell des Heils, zu erheben, muß der Arzt sein Leiden auf sich nehmen, gleichsam sich selbst zu seiner Seele machen, ihm eine rechte Mitte geben. In diesem Sinne faßte Baader die Krankheit als Unvermögen des Organismus, das Gute vom Bösen zu scheiden. »Wenn nun das Gute +a das Böse -b nicht mehr von sich zu scheiden, sich nicht mehr von ihm frei zu machen, es nicht mehr unter sich zu bringen vermag, so muß ein analog freies +A dem +a zu Hilfe kommen, als Heiland, als Erlöser, indem dieses +A, die Aktion -b an sich ziehend, sie absorbirend, gleichsam als diese Sündenlast auf sich nehmend, das +a befreit.«

Dies ist die Wirkungsart jeder Medicin, vor allem aber die des Magnetiseurs auf den Magnetisirten. Hier wirkt Seele auf Seele, die Urkraft des Menschen, der Wille, auf den Urgrund des Menschen, der, geschwächt und gelähmt, die Heilkraft nicht mehr aus sich selbst erzeugen kann. Aus der Einbildung und dem Willen – Suggestion und Magnetismus – geht die Heilung hervor, die dauernd und segensreich ist. Es erhellt nun von selbst, daß diese Ansicht von der Heilkunst im Arzte Eigenschaften voraussetzt, die sich nicht ohne weiteres erlernen lassen: nämlich einen starken Willen und einen guten, reinen Willen. Viele von den romantischen Aerzten, die magnetische Kuren machten, scheinen diese Bedingungen bis zu einem hohen Grade erfüllt zu haben. Von dem jüngeren Schelling, den Ritter i. J. 1807 den besten Magnetiseur der Zeit nannte, sagt derselbe Ritter, er sei ein »unendlich reiner, unschuldiger und fühlender Mensch«, was Andere bestätigen. Als sein Bruder ihn, den Studenten, in Jena in den Schlegel'schen Kreis einführte, wurde er gutartig, aber noch etwas roh befunden; es mag eine gewisse Kraft und Naivetät gewesen sein, die unter den Romantikern auffiel, und die ihn eben befähigte, ein tüchtiger Magnitiseur zu sein. Wolfart wird ein »tiefgediegener, inniger Mensch mit reinem Gemüth« genannt, und sein pietätvolles Benehmen gegen den verehrten Mesmer läßt in der That auf kindliche Herzensgüte schließen. Ueber die Kraft und Reinheit des Willens bei Passavant, Ringseis, Carus besteht kein Zweifel; letzterer betont ausdrücklich, daß er sich der priesterlichen Natur des ärztlichen Berufes immer wohl bewußt gewesen sei, seine Aufgabe nie leicht genommen habe. Von Ennemoser, dem Tyroler Hirtenknaben, der einer der meistbefähigten Magnetiseure wurde, ist wenigstens primitive Kraft vorauszusetzen.

Wie es sich von selbst versteht, hielt keiner dieser Aerzte das unmittelbare Wirken auf den erkrankten Organismus durch Arzneien und die genaue Kenntniß des Organismus für überflüssig. Windischmann erinnert diesbezüglich an den heil. Benediktus, der den Klostergeistlichen auferlegte, die Kranken durch erprobte Naturmittel, Gebet, Handauflegen und Exorcismus zu heilen. Dementsprechend sollte die Aufgabe des Arztes dreifach sein; einen Schatz von Heilkräften zu suchen, die in der Natur liegen; das Wesen der Krankheit zu erkennen; die Einwirkung des Mittels selbst zu begleiten, das heißt magisch zu wirken.

Daß allerdings die Chirurgie, das Fach, in welchem die moderne Medicin ihre Triumphe feierte, gänzlich vernachlässigt, vielmehr beiseite gelassen wurde, braucht nicht erwähnt zu werden. Die Chirurgie blieb altherkömmlicher Weise den Wundärzten überlassen als ein von der Arzneikunde gänzlich getrenntes Gebiet. Ringseis trug als Leiter des Medicinalwesens darauf an, daß die Wundärzte eine gründlichere wissenschaftliche Bildung zu erwerben haben sollten.

Dreierlei will ich noch als charakteristische Merkmale der romantischen Medicin erwähnen: erstens die Neigung der Aerzte an eine Krankheit als Wurzel aller Krankheiten und dementsprechend an ein Heilmittel zu glauben. Auch hierin war Mesmer vorangegangen; er hatte freilich nicht gemeint, daß der Magnetismus ein Allheilmittel wäre, aber doch, daß er dazu werden könne. Kieser beschränkte das soweit, daß er wenigstens alle die Krankheiten, die überhaupt durch stärkende Mittel gehoben werden könnten, für heilbar durch Magnetismus erklärte. Markus wandte das monistische Princip auf eine gewisse Gruppe von Krankheiten an, indem er sagte, es gäbe nur eine Entzündung und demgemäß nur eine Heilart aller Entzündungskrankheiten. Ringseis aber lehrte, daß alle krankhaften Gebilde, Gebilde der Entzündung seien. Auch die erzeugenden Schädlichkeiten seien nicht so viele und verschiedene, wie man glaubte. »Wie alle Sünden aus einer Stammsünde, so alle Krankheitsprocesse aus Einem Ursprünglichen.« Griff man in die Vergangenheit zurück, so war es wiederum Paracelsus, der von einer Universalmedicin träumte.

Durchaus romantisch war es ferner, die Medicin als Kunst zu betrachten, weshalb man sich auch gern des Wortes Heilkunst bediente. »Nicht jeder ist zum Künstler geboren«, heißt es bei Windischmann, »und nur diejenigen haben eigentlichen Beruf zur heilenden Kunst, welche mit scharfem Sinn das Krankhafte unter dem Schein des Gesunden bemerkend, dasselbe nicht ertragen können, weil sie von der Vollkommenheit und Schönheit des Gesunden und Harmonischen im Leibe, in der Seele und im Geist durchdrungen und erfüllt sind. Ihnen wird dieser künstlerische Sinn keine Ruhe lassen, bis sie ihn zum Gedanken ausbilden, den Gedanken in die Wissenschaft entfalten und die Wissenschaft in's Werk setzen.« Aehnlich äußerte sich Ringseis: ein geniales Können soll dem Wissen an die Seite treten.

Nicht genug aber, daß Wissenschaft und Kunst sich vereinigen: zusammen sollen sie wieder in einem höheren aufgehen, in der Religion. Windischmann nannte sein Werk über die Heilkunst einen Versuch zur Vereinigung derselben mit der christlichen Philosophie; und ich habe geschildert, wie er mit seiner wissenschaftlichen Forschung zu demselben Ergebniß kam wie das Evangelium: »Den Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden sich wohlbefinden.« Ebenso bezweckte Ringseis in seinem System der Medicin die Wissenschaft in Einklang mit der christlichen Religion zu setzen. Wie die Heilkunde im Alterthum von den Tempeln ausgegangen war, sollte sie nun in die Kirche zurückkehren, und der Arzt, ohne Priester zu sein, doch als Mittler zwischen dem Kranken und Gott stehen.

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