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Ueberblick

Ringseis erzählt in seinen Lebenserinnerungen eine merkwürdige Geschichte: der kleine Sohn eines Officiers hörte eines Tages auf freiem Feld eine Hirtenflöte blasen, lief voll Sehnsucht dem Klange nach und kam nicht zurück. Die Eltern mußten es endlich aufgeben, den Verlorenen zu suchen, der irgendwo in einem Dorfe ein Hirtenbube geworden war; nach vielen Jahren fanden sie ihn zufällig mit Familie in einer Hütte und so in die bäuerlichen Verhältnisse eingelebt, daß es unthunlich gewesen wäre, ihn in die früheren zurückzuversetzen.

Dies kann wohl als ein Bild für die Geschichte der Romantik gelten: sie ging dem süßen, volksthümlichen Tone einer Schalmei nach, wie sie Kinder oder Hirten blasen, setzte sie selbst an den Mund, gab sich der wilden, freien Natur hin, stolz, einmal die Kultur abstreifen zu können, und ging dabei unversehens ihrer gebildeten Geisteskräfte verlustig, bis sie schließlich nichts anderes mehr konnte als auf der Schalmei blasen.

Die ersten Romantiker waren Norddeutsche gewesen, durch hellen Verstand, Wissensdurst und geistige Energie ausgezeichnet, wie sie dem Norddeutschen im Allgemeinen eigen sind. Was sie von den meisten ihrer Zeitgenossen unterschied war der Sinn für das Geheimnißvolle, für das dunkle Reich in unserem Innern, das uns mit dem Allgemeinen, mit dem Kosmos verbindet.

Es liegt um uns herum
Gar mancher Abgrund, den das Schicksal grub;
Jedoch in unserm Herzen ist der tiefste,
Und reizend ist es sich hinabzustürzen.

Ueber diesen Abgrund beugten sich die Romantiker, lauschten hinunter, förderten Schätze aus ihm zu Tage, erkannten in ihm den Urquell des Lebens und der Kunst. Wenn sie sich an den pythischen Dünsten, die aus der Tiefe aufstiegen, hie und da berauschten, so behielten sie doch im Allgemeinen den Kopf frei und klar. Sie blieben die bewußten Pfadfinder durch das dunkle Land des Unbewußten, sie deuteten Mythologie, Märchen, Sage, Aberglauben, aber sie verirrten sich nicht oder fanden sich doch bald wieder zurecht. Mit klardenkendem, ja kritischem Kopfe liebten sie eine schöne Raserei, die Verwirrung des Traumes; und eine Verbindung der entgegengesetzten Pole, nenne man sie Vernunft und Phantasie oder Geist und Trieb, stellten sie als Ideal auf.

Bald indessen drängten sich andere hinzu, die keine Verwandtschaft mit dem Verstand und der Geisteskraft jener fühlten, sondern einzig durch die berauschenden Dünste angelockt wurden, die aus dem aufgedeckten Abgrund stiegen. Es waren durchaus keine kritischen Köpfe, sondern unklare Träumer, Halberwachte, Schwache, denen es Wollust war, sich zu verirren und in den Abgrund hinuntergleiten zu lassen. Um dem Zwiespalt zwischen Geist und Natur zu entgehen, den sie nicht in sich zu überwinden vermochten, gaben sie sich ganz und gar der Natur, ihrem Triebleben hin, den Geist abschwörend, worauf denn eben bald die flache Natürlichkeit wieder da war, die die ersten Romantiker bekämpft hatten. Diese waren keineswegs stolz auf das junge Gefolge, sondern blickten mit Befremden und geheimem Mißfallen auf die Selbstmörder, die den Geist in sich erstickten, und dabei ihren Namen anriefen. In ihren weiteren Grenzen erlebten freilich die Aelteren auch einen Niedergang.

Dem Kreise des Erblühens und Verwelkens ist die Natur eingestellt; der mit ihr verbundene Geist wird von ihr überwältigt, theilt ihr Loos, nur in seltenen Fällen macht er sich von ihr unabhängig und überstrahlt sie mit dem Lichte einer ewigen Jugend. Gerade für den Künstler sind die Bedingungen schwierig; denn ohne reiche Natur gäbe es keine Künstlerschaft (etwa wie kein gutes Drama ohne eine Frauenrolle, keine schöne Stadt ohne einen landschaftlichen Hintergrund oder Umgebung), der das Gleichgewicht zu halten schon eines starken Geistes bedarf. Daran fehlte es den jüngeren Romantikern, und so kam immer ein Augenblick, wo das Triebleben in ihnen das Geistesleben überwucherte, und damit begann der Untergang. Der Schwelgerei der Jugend folgte Erschöpfung, ja Faselei und Albernheit. Das neue thatkräftige Geschlecht rottete Blumen, Gras und Unkraut mit einander aus, um die Saat zu bestellen und Häuser zu bauen.

Die jüngere romantische Bewegung wurde aber nicht nur von jungen schwachgeistigen Dichtern und Künstlern getragen; die Ideen von Novalis, Schlegel, Schelling regten die Mehrzahl der bedeutenden Zeitgenossen an, unter denen viele Männer von Kopf und Charakter waren. Alle Gebiete – Religion, Kunst, Wissenschaften – erfuhren durch die Romantik Erweiterung und Vertiefung, nach allen Richtungen gingen die Strahlen, erleuchteten und erloschen schließlich. Das Ideal, Geist und Natur, Bewußtes und Unbewußtes in gleichkräftigem Vereine zu halten, erfüllt sich schwer im Einzelnen so wie in irgend einer Erscheinung oder Bewegung. Einen Augenblick lang erhielt sich die romantische Richtung über den Polen, das Alte und das Neue, das Historische und Radikale, den Katholicismus und Protestantismus, den Zwang und die Freiheit gleich werthend, jedem das Seine lassend, allein die Kraft erlahmte bald, eine Schale mußte sinken, und zwar in den meisten Fällen die der Vernunft, während die der Neigung in die Höhe ging. Man könnte den Weg, den die Romantik nahm, so bezeichnen: vom Norden ausgehend wandte sie sich nach Süden, hielt kurze Zeit die Mitte zwischen Norden und Süden, um dann nach Süden hinunter zu gleiten.

Was für reichen Samen sie auf diesem Wege ausstreute, ist kaum zu sagen; hier soll zunächst nur versucht werden, die Richtung zu zeigen, in der er geworfen wurde, oder, um bei dem vorhin gebrauchten Bilde zu bleiben, die Hauptstrahlen aufzuweisen, die von der neuen Ideenwelt ausgingen

Der höchste Ruhm der Romantiker, was in den oben angeführten Worten Goethe als ihren Fehlgriff und die Ursache ihres Untergangs bezeichnete, war daß sie alles umfassen wollten. Er habe die Welt müssen vermodern und in ihre Elemente zurückkehren sehen, sagte Goethe in derselben Hinsicht, er habe versucht, sich Welt und Natur als Plastiker klar zu machen, nun machten jene wieder einen Dunst darüber. Es kam den Romantikern in der That weniger auf eine klare, sichtbare Welt an, als auf die unergründeten Tiefen, auf die verborgenen Zauberkessel, wo die Elemente sich mischen und kochen und oben die Dünste ans Licht senden, die es trüben. Die kosmischen Kräfte ließen sich beschwören, wurden aber der Menschen Meister und unterwühlten ihre edle Bewußtseinswelt, anstatt sie zu einem Ganzen zu vollenden. Dieser Prozeß mag indessen so nothwendig sein, wie dem einzelnen Menschen der Schlaf ist, damit sich der Geist aus den Elementen des Seins, die ihn verschlingen, wieder Kraft zu leben schöpfe.

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