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Der Mensch in der romantischen Weltanschauung.

Der Mensch, das Ebenbild Gottes, ist eine Trinität; als Ebenbild des Universums ist er eine Zweiheit in einem Dritten; als Ebenbild der Erde ist er ein Magnet mit zwei Polen. Wie die Welt ist der Mensch eine Einheit, aber eine gegliederte: »wäre Leib und Seele wirklich eins, so fände keine Wechselwirkung statt«; er ist eben eine Dreieinheit. Besteht auch der alte Dualismus, wonach der Geist ein in den Körper eingeschlossener Fremdling war, aus welcher Gefangenschaft ihn der Tod befreite, nicht mehr, so giebt es doch Gegensätze im Menschen, die wie Pole auf einer vom Mittelpunkt nach entgegengesetzten Richtungen laufenden geraden Linie liegen.

Meistens werden die drei Wesenheiten, die den Menschen bilden, Geist, Seele und Leib genannt, wobei der Seele die Stellung des Mittlers zukommt. Die Seele, sagt der Physiker Weber, ist zweilebig verbunden durch die Natur mit dem Leibe, durch die Geistigkeit mit der Intelligenz. Steinbeck charakterisirt die Seele als sinnliches Empfinden, geistiges Fühlen, oder er sagt, ihr Geschäft sei, »durch die geistige Seite den Einfluß des Geistes aufzunehmen und diesen durch die sinnliche Seite dem Körper zu übermitteln«. Nach dem Schelling'schen Satze, die Seele sei der Nexus zwischen Urbild und Wirklichkeit, sagt sein jüngerer Bruder, jedes Wesen, dem man eine Seele zuschreiben könne, sei die Gegend, in welcher göttliche und irdische Kräfte wogten. Eine Somnambule that den Ausspruch: »Geist ist der Seele Leben, das ewig Göttliche, aus Gott Erzeugte; Seele gehört zu seinem – des Menschen – persönlichen Wesen und macht sein Ganzes aus, sie ist ihrem Wesen nach Geistleib und kann daher auch die Natur des Geistes ganz anziehen und sich vergeistigen, aber auch den Geist überwältigen und sich immer mehr verkörpern und erniedrigen«.

Am anschaulichsten drückt Ennemoser dasselbe durch ein schönes Bild aus: »Die Seele ist ein Spiegel, der auf der einen Seite das natürliche Amalgam an sich hat, auf der anderen die immateriellen Einstrahlungen als geistige Substanz in sich aufnimmt.«

Dieser metaphysischen Ansicht gesellt sich nun die entwickelungsgeschichtliche, die zuerst Carus aufstellte, indem er von der unbewußten Idee ausging, die sich zum Bewußtsein entwickele. Er vergleicht das Seelenleben einem Strome, der, an einer Stelle vom Lichte des Bewußtseins erhellt, im übrigen im Dunkel des Unbewußtseins hinfließt. Unbewußt für uns, nach unbegreiflich göttlicher Weise, bildet die Idee ihren Leib; im Laufe der Menschengeschichte wie im Leben des Einzelnen erwacht sie allmählig; da, wo sie die Augen aufschlägt – könnte man sagen –, heißt sie Seele; die höchste Stufe des Bewußtseins ist Geist. Die Trinität gliedert sich also hier in Idee, Seele und Geist, die sich nach außen als Leib darstellen. Dadurch entsteht aber keine Dualität: nicht der Leib wirkt auf Gemüth und Geist, sondern eine Provinz des beseelten Leibes wirkt auf eine andere. Es ist falsch, betont Carus, von beklagenswerther Abhängigkeit des Geistes vom Körper zu reden, wie man wohl thut; denn der Geist beruht auf der Idee, wie die Spitze des Domes auf seiner Grundlage, er ist eins mit ihr; für nichts, was ihn entstellt, kann der Mensch etwas anderes als sich selbst, d. h. den Keim seiner Seele verantwortlich machen.

Physiologisch betrachtet, lebt der Mensch ebenfalls auf drei Stufen: Reproductivität, Irritabilität, Sensibilität, welche dem pflanzlichen, dem thierischen und dein menschlichen Wesen entsprechen. Die Reproductivität besorgt die Ernährung und Fortpflanzung des Menschen, die Irritabilität stellt sich durch das Athmungs- und Muskelsystem, die Sensibilität durch das Gehirn und Nervensystem dar. Wir haben also die Pflanze, das Thier und den Menschen im Menschen. Setzen wir aber den Menschen nicht mit der organischen, sondern mit der dynamischen Natur in Analogie, so entspricht das reproductive oder vegetative System den chemischen Kräften der Natur, das animalische den magnetischen, das sensible den elektrischen.

Je nachdem der Mittler oder Nexus im Menschen stärker oder schwächer bindet, werden die Pole seines Wesens mehr oder weniger hervortreten. Die Pole des Nervenmenschen nannte man damals das Cerebralsystem und das Ganglien- oder sympathische System, innerhalb dessen das Sonnengeflecht liegt. Zwischen diesen beiden Systemen besteht der wichtige Unterschied, daß das Cerebralsystem im Gehirn einen Mittelpunkt hat, das Gangliensystem hingegen aus lauter gleichwerthigen Nervenknoten besteht, deren Strahlen, wenn man sich so ausdrücken darf, nirgend gesammelt und zurückgeworfen werden, deren Wirken also auch unbewußt und unwillkürlich vor sich geht. Beide Systeme stehen, nach der Theorie von Reil, durch gewisse Verbindungsnerven in Zusammenhang. Reil verglich das Cerebralsystem mit einer Monarchie, das Gangliensystem mit einer Republik; andere bezeichneten das Gehirn als Regenten, den das Volk, das Gangliensystem, das ernährende, aus seiner Mitte hervorbringt und erhält, um sich von ihm leiten zu lassen, ohne welchen es seinerseits nicht bestehen kann. Es ist die Wurzel und der Stamm, der die Krone mit Blüthe und Frucht trägt.

Oft werden als Pole des Menschen schlechtweg Kopf und Bauch bezeichnet; daneben giebt es eine Reihe anderer Analogieen: Mann und Weib – ist doch Polarität nichts anderes als Geschlecht, ein von der Unität ausgegangener Dualismus –, das Bewußtsein und das Unbewußte, Licht und Schwere; auch der Ausdruck Wille und Vorstellung findet sich bei dem jüngeren Hufeland. In seiner grellen Ausdrucksweise sagt Oken: Das Thier ist doppelt. Ein Erdthier und ein Lichtthier, ein Geschlechtsthier und ein Empfindungsthier. Das Empfindungsthier ist ein in die Sonne gekommenes Geschlechtsthier, ein geadeltes Geschlecht. Es ist das Thierthier, gegenüber dem Pflanzenthier. Und dann wieder: das Thier besteht aus zwei mit den Bäuchen aneinander geschobenen Thieren. Der Geschlechtsbauch stößt an den Hirnbauch. Wie thatsächlich das gemeint ist, zeigt Oken, indem er das Zwerchfell genetisch erklären will: »Ursprünglich war der ganze Leib nur ein Bauch. Die Brust ist ein eigener, zweiter Leib, der sich an den Bauch anschob. Die zwischen beiden gebliebene Bauchwand ist das Zwerchfell. Es ist äußere Leibwand gewesen.« Das Hirn des Erd- oder Eingeweidthieres ist nach Oken die Leber, ein Hirn, das nicht denkt, aber Ahnungsvermögen besitzt; in ihr, sagt er in seiner Naturphilosophie, pralle der Hirngedanke wieder. »Die Leber ist ein fürchterlich erhabenes Organ; wahrhaft ein göttlicher Leib.« Er nennt sie auch den »Mesmer« des Thieres, als das Organ, welches bei Traumzuständen thätig sei; Malfatti nennt die Leber den Feuervulcan, den Brennpunkt der »tellurischen Gährungsprozesse.«

Machte Oken einen horizontalen, so machte Malfatti einen verticalen Schnitt durch den Menschen und theilte ihn in den Mannmenschen und den Weibmenschen, was dem alten homo dexter und sinister entspräche. Wie die Götter stets doppelgeschlechtlich waren, so war es auch der nach dem Bilde Gottes geschaffene Adam, der eigentliche Mensch; erst später, so deutet es auch die Bibel an, entstand das Weib und damit die fortpflanzungsfähige Gattung. Noch ist das Kind Bild der einstigen Ganzheit. Mit der äußeren Trennung zugleich, so sagt Malfatti, entstand nun eine innere, wonach jeder Mensch entweder Androgyne oder Gynandros wurde, sichtbar daran, daß alle Organe doppelt vorhanden sind, in beiden Theilen sich vollkommen entsprechend, ja sogar ein Schlußorgan, wie die Zunge, wie aus zwei früher getrennt gewesenen Theilen zusammengesetzt erscheint. Die Möglichkeit, daß der Mensch auf einer Seite gelähmt werden kann, ohne daß die andere mitbetroffen wird, beweist eine gewisse Unabhängigkeit beider Hälften und unterstützt die durchaus reale genetische Auffassung der Doppelleiblichkeit.

Es versteht sich, daß auch durch den horizontalen Schnitt der Mensch in Mann und Weib zerfällt, wobei dem Weibe die Analogie der Gangliennerven, des »Bauchsystems«, zukommt. Die Verkündigungen Oken's: »Das Urthier ist das Weib. Der Mann ist eine höhere Entwickelung des Weibes … Der Mann steht eine ganze Thierklasse höher als das Weib. Schnecke, Fisch, Wasserthier ist das Weib, Vogel, Säugethier ist der Mann. Mann verhält sich zu Weib wie Licht zu Wasser … Das Weib, als das Unvollendete, kann nicht zu produciren aufhören. Es will Mann werden und dazu producirt es Eier. Die Schwangerschaft ist der Trieb des Weiblichen, sich in's Männliche zu verwandeln …« verrathen zwar den Romantiker, der bereits dem jungen Deutschland die Hand reicht; aber im Wesentlichen decken sie sich mit den Theorieen der Anderen, auch wenn sie zarteste Schwärmerei athmen. »Das Weib«, so sagt Justinus Kerner, »(Weib zu sein ist eigentlich Krankheit), steht schon inniger, wie der Mann, in Verbindung mit der Natur, ist deswegen auch mehreren Krankheiten ausgesetzt und eilt auch bälder, als der Mann, dem gänzlichen Verein mit der Natur, dem Tode, zu.« Man erkennt den Typus der Somnambulen: die Frau ist der Mensch mit den reizbaren Gangliennerven, in deren Bewußtsein eben durch diese Nerven von allen Seiten ihre Natur sowie die äußere eindringt. Insofern ist der Mann der Unbewußte, als ihm viel weniger Reize zum Bewußtsein kommen, und insofern der Bewußte, als diejenigen, die er empfindet, sofort in die Klarheit des Gehirns treten. Die Frau könnte man am besten die Unterbewußte nennen, indem ihr weit mehr Natur zu Sinne kommt, aber nur zum inneren Sinne; sie denkt nicht mit dem Gehirn, sondern hat Anschauung und Ahnung durch die Gangliennerven. Wie man es auch drehen und ansehen mag: es bleibt doch das Bauchsystem, das hinab- und nicht hinanzieht. Auch in dieser Beziehung ist die Geschichte der Romantik ein Herabsinken nach Süden: die immer mehr hervortretende Sinnlichkeit der Männer zeigt sich in der Wahl der Frauen und in der Meinung über sie. Sie wollten nicht mehr, wie die älteren Romantiker, Frauen, die zunächst Menschen, sondern solche, die wesentlich Weib waren; auch Bettine, die geistvolle Frau der jüngeren Romantik, war »lautere Sinnlichkeit«; sie war nichts und wollte nichts sein, als eine weissagende Somnambule, eine, die im Rausch oder Traum verkündet, was ebensogut sinnlos wie sinnvoll sein kann.

Wurde der Mensch bis jetzt in einen oberen und unteren oder in einen rechten und linken zerlegt, so unterschied man daneben noch einen inneren und äußeren, entsprechend dem, was Paracelsus den siderischen und adamitischen Leib genannt hatte oder was wieder andere den ätherischen Leib und den Elementarleib nannten. Der innere Mensch sollte »wie ein Embryo«, wie ein Keim der Zukunft im Sinnenmenschen verborgen und Träger aller der Erscheinungen – Ahnungen, Hellsehen, Fernwirken und dergl. – sein, die uns wunderbar vorkommen. Es ist einleuchtend, daß diese Betrachtungsweise den Frommen unter den Romantikern, namentlich den Pietisten, besonders sympathisch war.

Die bereits von den ersten Romantikern aufgestellte Ansicht, daß der Mensch ein Doppelwesen sei, wurde erst recht leibhaft und thatsächlich durch die Beobachtungen, die man an somnambulen Personen machte. Unter Somnambulismus ist hier nicht das sogenannte Nachtwandeln zu verstehen, sondern der Zustand, in den Menschen von selbst verfallen und in den sie künstlich versetzt werden können, wo sie innerhalb tiefen und festen Schlafes erwachen und der Wahrnehmung ohne die Sinne – welche ja im Schlafe nicht wirken – fähig sind. In diesem Schlafwachen unterschied man verschiedene Stufen, indem der Somnambule anfänglich von einem Magnetiseur abhängig ist und erst allmählig selbständig wahrnimmt und zwar zunächst mit auf sein eigenes Innere beschränkter Wahrnehmung, bis er weiter und weiter in die Außenwelt vordringt.

Während Mesmer sich nicht damit abgegeben hatte, Personen in somnambulen Zustand zu versetzen, es sogar mißbilligte, thaten es mit Vorliebe die Schulen, die sich im Anschluß an sein Verfahren in Frankreich gebildet hatten. Lavater, der die merkwürdigen Erscheinungen dort beobachtet hatte, brachte die Kunde davon nach Deutschland, wo ihnen in Bremen seitens mehrerer Aerzte thätiges Interesse entgegengebracht wurde. Bis jetzt war das Phänomen blos entweder vom medicinischen oder etwa vom religiösen Standpunkte betrachtet worden, erst die Naturphilosophen verwertheten es für die Erkenntniß des Menschen.

Es mußte einen seltsamen und erschütternden Eindruck machen, die beiden Personen im Individuum reden zu hören – denn nicht nur sprach der im Schlafzustande Befindliche mit anderer Stimme und in anderer Weise, sondern er hielt sich oft für jemand anders als den Wachen und geberdete sich mit großer Folgerichtigkeit so –, gewissermaaßen jede zu ihrer Zeit auf die Bühne treten und ihre Rolle spielen zu sehen. »In einem Individuum« sagte der alte Reil, »wohnen gleichsam zwei Personen zusammen, deren jede ihre Begebenheiten für sich in einer eigenen Rückerinnerung auffaßt.« Zur physiologischen Erklärung der Erscheinung stellte Reil die Theorie von der Inversion des Cerebral- und Gangliensystems auf, welche zunächst ziemlich allgemein angenommen wurde: das im »labyrinthischen Gewebe« des Gangliensystems prädominirende Sonnengeflecht, welches gewissermaaßen ein zweites Gehirn sei und daher auch cerebrum abdominale genannt werde, bleibe für gewöhnlich unbewußt und vom Cerebralsystem beherrscht; im Schlafe aber werde seine Thätigkeit erhöht, die des Cerebralsystems hingegen vermindert, und in gewissen krankhaften Zuständen könne sogar das ganze Verhältniß umgekehrt werden. Es handle sich um ein Umtauschen der Polaritäten der elektrischen Lebensströme im Nervensystem, so daß der positive Pol negativ werde und umgekehrt. Dieser Meinung, daß die Nerven des Gangliengeflechts Träger des inneren Sinnes oder All- oder Gemeinsinnes seien, welcher statt der getrennten Wahrnehmung durch die äußeren Sinne unmittelbar anschaute, stellte sich eine andere zur Seite, nach der jedes menschliche Organ unter Umständen Sinnorgan werden könnte, die Schlafwachen also thatsächlich, wie sie behaupteten, bald mit den Fingerspitzen, bald mit der Magengegend sähen. Im Laufe der Entwickelung seien einzelne Theile des ursprünglich gleichartigen Organismus für gewisse kosmische Einflüsse, z. B. das Auge für das Licht, empfindlich geworden; es ließe sich also denken, daß an einer beliebigen Stelle der Haut sich dieser Prozeß wiederholte, allerdings in einer wunderbar erscheinenden Geschwindigkeit. Eben das aber, »daß etwas augenblicklich oder doch schnell erreicht wird, was außerdem nur langsam und allmählich zu erreichen gewesen wäre«, gehört nach Carus' Definition zum Begriffe des Magischen, ohne aber deshalb der Wissenschaft entzogen zu werden; nur muß es aus dem Unbewußten – dessen Substrat die Gangliennerven sind – erklärt werden. Solche Erklärungsversuche genügten denjenigen Romantikern nicht, welche (wie z. B. Baader oder Ringseis) aus den somnambulen Erscheinungen die Gewähr schöpfen wollten, daß ein Wahrnehmen und Empfinden ohne körperliche Grundlage möglich sei. Ihrer Meinung nach wäre der Hellseher der siderische oder ätherische oder schlechtweg innere Mensch, oder, anders ausgedrückt, der Mensch lebe in diesem Zustande in einer inneren, siderischen Region, in der die Gesetze der Sinnenwelt in Zeit und Raum nicht mehr wirkten.

Die Ganglien oder das vegetative System könnte man auch das romantische und die Geschichte der Romantik eine Sinn Auflehnung des Gangliensystems gegen das Cerebralsystem nennen, beginnend mit Verlangen nach Gleichstellung, worauf Ueberwältigung des Cerebralsystems und schließlich, nach verübten Tollheiten und Ausschweifungen, gänzliche Erschöpfung des Gangliensystems folgt, welches nun mit Leichtigkeit wieder unterworfen werden kann. Das Gangliensystem ist die Region der Gefühle, Schwärmereien und Leidenschaften, der Liebe und der Religion, aber auch der Wollust, Grausamkeit und Mordlust. Gute und böse Dämonen bekämpfen sich hier, hier entsteht das Große und Entsetzliche, die Sünde und der Tod beherrschen von hier aus den Menschen. Es ist vor allen Dingen das unbewußte, das unbekannte Land, das in den Organismus hineinragt und das der Mensch doch nicht beherrscht, weil sein Mittelpunkt nicht in ihm, sondern draußen im Universum liegt.

Hier ist der Punkt, wo die romantische Menschenschilderung in ihrem Wesen deutlich wird: sie stellt ihn hin als ein selbstständiges Individuum, ja, zugleich aber als ein Glied des Weltalls, in welchem die großen, kosmischen Rhythmen und Ströme pulsiren. Wie mit jenen niederländischen und italienischen Gemälden, in deren Hintergrunde eine ferne Landschaft sich verliert, die romantische Malerei beginnt und uns die bloßen Figurenbilder, in welche das Naturleben nicht hineinspielt, kaum noch ergreifen können, so lassen uns in der Literatur die Menschen kalt, die sich aus dem Bewußtsein allein erklären ließen. Man kann sich den Eindruck, den viele romantische Bücher, z. B. Tieck's Sternbald, dann Eichendorff's Romane und Novellen, künstlerisch noch weit unter jenen stehend, auf die Zeitgenossen machten, zum großen Theil daraus erklären, daß hier Menschen auftraten, die nicht nur ebenso, sondern mehr von fremden, unterirdischen Mächten geleitet wurden, als von ihrem eigenen Kopfe. Man begriff den Menschen im doppelten Zusammenhange mit der Welt, in dem, welchen sein Bewußtsein herstellt, und in dem unbewußten, der eben deshalb und weil es der ursprüngliche, unergründliche ist, ganz besonders der Poesie zufällt. Freilich auch, wie sich von selbst versteht, der Wissenschaft; auch sie beschäftigte sich mit steigender Vorliebe mit dem Nachtmenschen.

Der Mensch ist nicht allein in seinem Hause. Er ist in Wirklichkeit eine Welt und eine Erde im Kleinen; in ihm leben die Elemente, in ihm die unbezähmte Wildheit der Thiere, zuletzt und oft zumindest der menschliche Gedanke. Windischmann nennt ihn »den lebendigen Magneten, um welchen die ganze irdische Natur sich versammelt«. Schon der erste Mensch erbte eine Vergangenheit von Jahrhunderten; aber noch jetzt gehen durch das Pflanzliche in ihm, das ihn nach einem Ausdruck von Görres als eine Art Placenta mit der mütterlichen Erde verbindet, die Urelemente der Schöpfung in ihm über. »Was im Menschen Pflanze ist, ist leicht äußeren Einflüssen zugänglich« und ist es um so mehr, je weniger die Individualität entwickelt ist und je mehr das Bewußtsein im Menschen, also das cerebrale System, durch Schlafzustände, Krankheit oder Alter geschwächt ist. Das vegetative oder Gangliensystem ist demnach die Wurzel – und es wurde daran erinnert, daß es wirklich ein wurzelförmiges Aussehen habe –, die sich jenseits des Tageslichts, des bewußten Einzeldaseins, in den Kosmos verbreitet und klimatische, anorganische und organische Einflüsse aufsaugt; es verbindet mit der Nacht, der Natur, der Allgemeinheit.

Ueber die klimatischen Einflüsse, wohl auch über die von Sonne und Mond, werden viele Menschen an sich selbst Beobachtungen machen können. Weit seltener ist das Wasser- oder Metallfühlen, das im Alterthum Anlaß zur Rhabdomantie gab, nämlich zu der Kunst, aus einer Ruthe zu weissagen, die sich in der Hand des Empfindlichen, welcher die Einwirkung von Wasser oder Metall erlitt, bewegte. Als sich im Jahre 1806 das Gerücht verbreitete, am Gardasee lebe ein sogenannter Ruthengänger, setzte es der Physiker Ritter durch, daß er von der bayerischen Regierung beauftragt und in Stand gesetzt wurde, nach Italien zu reisen, um den Fall zu untersuchen. Die ersten Versuche, die in der Orangerie eines Grafen Bettini ausgeführt wurden, gelangen freilich nicht, desto überraschender war aber der Erfolg, als die Befangenheit Campetti's, die ihn, indem sie sein Bewußtsein steigerte, naturgemäß untauglich machte, überwunden war. Er bedurfte schließlich nicht einmal der Ruthe mehr, um das vergrabene Metall anzuzeigen, so untrüglich verrieth ihm Uebelbefinden aller Art die fraglichen Stellen. Ritter war entzückt, zu finden, das Campetti am Gardasee allgemein bekannt und seine Eigenschaft des Metallfühlens durchaus anerkannt war; vollends begeisterte ihn die Bekanntschaft mit dem Mailänder Gelehrten Amoretti, der nicht nur selbst Metallfühler war, sondern, als ein gelehrter und denkender Mann, sich und andere beobachtet hatte und die Ergebnisse seiner Forschung in einem kleinen Werk niederlegen wollte, welches denn auch im Jahre 1816 unter dem Namen »Elemente der animalischen Elektrometrie« erschien. Amoretti glaubte wie der Franzose Thonvenel, der im Jahre 1801 in Italien Experimente gemacht hatte, diese Erscheinungen seien auf Elektricität zurückzuführen, die durch gewisse Körper in gewissen Menschen, die er lebendige Elektrometer nannte, erregt würde. Seine Versuche, die er mit Menschen anstellte, ergaben, daß von 400 Personen 100 elektrometrisch waren; der Naturforscher Ebel wollte in der Schweiz 50 mehr oder weniger elektrometrische Personen gefunden haben. Für die Romantiker gehörte die Erscheinung in das Reich des Unbewußten, war ein Beispiel für den unbewußten Zusammenhang des Menschen mit der Natur durch die sympathischen oder vegetativen Nerven.

Ritter nahm Campetti mit nach Deutschland und setzte seine Versuche fort, deren Ergebnisse er in einem Buch, das er Siderismus betitelte, zusammenfassen wollte. Er starb indessen im Jahre 1810, bevor er es vollendet hatte; der Verdruß über Campetti, der wahrscheinlich infolge des ungeregelten Lebens, das er nun führte, ausartete und unbrauchbar wurde, der Kummer über die Anfeindungen, die er von Seiten der meisten Professoren in dieser Sache erfuhr, trugen sehr dazu bei, die Lebensjahre des unglücklichen, heruntergewirthschafteten Mannes zu trüben. Außer Ritter stellte Justinus Kerner Versuche an, indem er nämlich seiner Seherin die verschiedenartigsten Metalle in die Hand legte und sie gemäß den verschiedenartigen Empfindungen, die sie etwa erregten, in Reihen ordnete, ohne daß jedoch etwas Bemerkenswerthes dabei herausgekommen wäre. Er ließ sie auch Edelsteine, denen bekanntlich im Alterthum besondere Kräfte zugeschrieben wurden, fühlen, ferner eine Reihe von Traubensorten und andere Vegetabilien: die Blume vom Kartoffelkraut, Lorbeer und Haselnußstaude, wovon jener schlafmachend, diese erweckend wirkte.

Wie sympathisch und heilsam Pflanzen, besonders Bäume, auf uns einwirken, hat wohl ein jeder schon im Walde gefunden, andererseits sind auch die betäubenden und tödtlichen, wahrhaft dämonischen Einflüsse gewisser Kräuter bekannt. Es findet sich bei Carus ein schöner Hinweis darauf, wie wir in unserer Wohnung von lauter Erzeugnissen der Pflanzenwelt, theils Holz, theils Gewebe, umgeben sind, die eine ununterbrochene, leise, von uns nicht mehr bemerkte wohlthuende Wirkung auf uns ausüben, und daß es nicht nur ihre Eigenschaften der geringeren Wärmeleitung und minderer Härte oder Schwere sein können, die machen, daß wir sie mineralischen Stoffen bei weitem vorziehen.

Näher noch stehen wir natürlich der Thierwelt: neben dem dämonischen Einfluß mancher Thiere auf manche Menschen, wie z. B. der Schlange, der Maus, der Spinne oder der Katze, deren Anwesenheit, auch wenn sie unbemerkt bleibt, in gewissen Personen krankhafte Zustände herbeiführt, beobachten wir eine ebenso unerklärliche Sympathie für gewisse Thiere, und zwar wiederum nicht am wenigsten für die Katze. Vollends der Mensch berührt die unbewußte Region des Menschen so stark, daß jeder einem Jeden irgend ein Gefühl erregt, welches gewöhnlich bei der ersten Annäherung am lebhaftesten empfunden wird, oft aber auch sich nicht durch Gewohnheit abschwächt und bei genauester Kenntniß der Personen und reiflichster Ueberlegung nie völlig durch Gründe zu erklären ist. Tritt nun der Fall ein, daß, wie es zwischen Magnetiseur und Magnetisirtem geschieht, ein Mensch die Gedanken eines Andern denken, seine Gefühle fühlen und das thun muß, was der Andere will, so ist der Beweis erbracht, daß ein Geist von einem andern Besitz ergreifen kann, und man darf füglich von Besessenheit reden. Als ein magnetischer Vorgang und eine Art Besessenheit wurde denn auch von den romantischen Denkern das Problem der Ansteckung wie der Zeugung, wie überhaupt jeder magische Einfluß von Organismen auf einander aufgefaßt; so stellt Görres in seiner Mystik die wunderbare Wirkung des Tarantelstiches, wobei der Vergiftete das Bild der Tarantel mit dem inneren Auge vor sich sieht, als Ueberwältigung seines Wesens durch ein fremdes dar.

Baader stellte, namentlich infolge der aus dem animalischen Magnetismus gewonnenen Einsichten, den Satz auf, daß unser Leib (nämlich unser Nervensystem) nicht ausschließlich unser Eigenthum, sondern ein Gemeinbesitz von noch anderen Wesen (wie Regionen) sein könne, die sich nicht nur in den Besitz und Gebrauch desselben theilten, sondern uns bisweilen ganz daraus verdrängten. Auf ein weites, schwankendes und unergründliches Gebiet führt uns diese Thatsache; wenn ein unterirdischer Geisterverkehr, ohne sichtbare körperliche Vermittelung, möglich ist, so kann niemand denjenigen Wesen eine Schranke setzen, die wir nur deshalb für nicht daseiend erklären, weil sie für unsere äußeren Sinne nicht wahrnehmbar sind. Für die Romantiker, die an die Fortdauer des individuellen Princips nach dem Tode glaubten, konnte die Möglichkeit nicht bestritten werden, daß auch die Toten, da sie doch der Welt und dem »Zusammenhang der Dinge« angehörten, sich mit dem inneren oder unbewußten lebenden Menschen in Berührung setzen könnten. Dies ist keineswegs gleichbedeutend mit Gespensterglauben. Es waren immerhin nur wenige, welche für möglich hielten, ein Verstorbener könne mit seinem siderischen Leibe, der so aussähe, wie man sich eben Gespenster vorstellt, nach Belieben mitten in der Sinnenwelt umherwandeln. Andererseits hielt man, was von Erscheinungen aus der andern Welt von jeher überliefert wurde, auch nicht durchweg für subjektive Sinnenbilder oder für Sinnestäuschung, obgleich das häufige Vorkommen beider niemand außer Acht ließ.

Der Mensch kann, dies lehrten die Erscheinungen des Somnambulismus, eine doppelte Anschauung der Welt haben, eine äußere durch die Sinne und eine innere durch den inneren Sinn; oder denn: der Mensch lebt in drei Regionen, in der sinnlichen oder elementaren, in der siderischen und in der geistigen. In der siderischen oder Strahlenregion haben die Bilder der Sinne, der Phantasie und des Gedächtnisses ein immaterielles, aber reales Leben, sie sind Glieder der inneren Welt, so gut wie alles Körperliche Glied der äußeren Welt ist. Auf solchen Bildern, »mit unserer seelischen Organisation verwachsenen Gliedern«, beruhen unsere Gefühle, sie bilden die Umgebung, in die wir wahrhaft gehören, die wir nicht wechseln können, unsern Himmel, den uns von außen niemand nehmen, oder unsere Hölle, aus der uns von außen niemand erlösen kann.

Durch diese immaterielle Welt kann jedes immaterielle Wesen strahlen, einerlei, ob es in der Sinnenwelt lebendig oder todt ist.

Die innere Welt oder die siderische Region betritt der Mensch vornehmlich im Schlafe und Traume, in traumähnlichen Zuständen, in der Ekstase, kurz, immer, wenn das wache Bewußtsein mehr oder weniger erloschen ist, analog dem Gesetz, welches Carus aufstellte, daß, je mehr in der Seele der individuelle, selbstbewußte Geist entwickelt sei, um so mehr er dem Einfluß des eigenen Unbewußten und der Welt entzogen sei und umgekehrt. Zwar ist auch unser waches Bewußtsein, wie Bader sagt, nie ganz leer von dem dunklen Bewußtsein einer anderen Welt, deren Bewohner in beständigem Rapport mit uns sind, aber die Stimmen kommen unseren »harthörigen und vom äußeren Weltlärm übertäubten Ohren nur wie das Getöse eines fernen Oceans vor. Erst wenn die Sonne des Bewußtseins untergegangen ist – dies Bild wurde verschiedentlich gebraucht –, werden die Gestirne der Nacht sichtbar; die Sonne stellt dabei das Cerebralsystem, die Sterne stellen das Gangliensystem vor.

Schlaf und Wachen ist der Ausdruck eines kosmischen Verhältnisses, nämlich der Umdrehung der Erde um ihre Axe, wodurch für uns Tag und Nacht entsteht. Wachend gehört der Mensch mehr der Sonne, schlafend mehr der Erde an, wonach man wohl auch solarische und tellurische Menschen unterschied. Der schlafende Mensch lebt so gut wie der wachende, doch verläuft sein Leben nach anderen Gesetzen, als das des wachenden, Gesetzen, die uns zum großen Theile noch unbekannt sind. Dies ist die grundlegende Ansicht der Romantiker in Bezug auf die Nachtseite des Lebens, und schon Mesmer hat sie ausgesprochen in den Worten: »Der Schlaf ist kein negativer Zustand.« Das übliche Verfahren, den Schlaf nur als ein Aufhören der Sinnesthätigkeit und den Traum als ein ordnungsloses Weiterspielen der Vorstellungen anzusehen, meinten sie, könne niemals zur Erleuchtung dieser dunklen Beziehungen führen; denn wir hätten es vielmehr mit einem anderen Pole des Lebens, mit einem anderen Menschen und anderen Nerven zu thun, wir beträten gemeinsam eine andere Bühne.

Beobachtungen, die man anstellte, ergaben, daß es beim Einschlafen so zugeht: Die Sinne, durch welche wir die einzelnen Seiten der Welt wahrnehmen – denn einen Sinn, das Ganze zu erfassen, haben wir im Wachen nicht –, werden allmählich nacheinander unempfindlich, zuerst das Gesicht, zuletzt das Gehör. Sind sie allesammt entschlafen, so ist die Welt für den Schlummernden vernichtet. Aber durch das Dunkel des Unbewußten hindurch findet sich die Seele zu einem neuen Bewußtsein im Traume. Die Träume freilich, deren wir uns für gewöhnlich erinnern, sind nichts als Nachklänge des wachen Lebens oder, noch häufiger, Vorklänge des wiedererwachenden, wie man denn erprobt hat, daß es meist Morgenträume sind, die im Gedächtniß bleiben. Ganz ausnahmsweise nur entsinnen wir uns der Träume, bei denen das verborgene Vermögen der Seele, Ahnung, Blick in die Ferne, Schauen in die Zukunft, thätig war. Im Nachtbewußtsein nun entwickeln sich, wenn einmal die Schwelle, der Schlaf überschritten ist, verschiedene Stufen: auf den Traum folgt das Hellsehen, die Ekstase und schließlich der Tod, wie auch thatsächlich die höchsten Grade des Somnambulismus leicht in den Tod übergehen. Schelling schilderte einmal den Zustand von hochgradigem Somnambulismus als »innigstes Bewußtsein«, und mit denselben Worten bezeichnete er seine Vorstellung vom Tode. Erinnerung, schrieb er einem Freunde, sei ein viel zu schwacher Ausdruck für die Innigkeit des Bewußtseins, die dem Abgeschiedenen vom vergangenen Leben bleibe.

»Im Traume gleitet die leichter bewegliche Seele schneller, als der irdische Mensch die Bahn in die Einigkeit hinunter« sagt Schubert in seinem hübschen Traumbuch. Auf der Bahn in die Einigkeit ist der Traum die erste Station, am leichtesten vom Menschen erreichbar und zu untersuchen. Was besonders auffiel, war die Symbolik der Traumsprache, die sowohl an die dichterische Sprache aller Zeiten und Völker, wie besonders an die biblische erinnert. In Anbetracht, daß die Sprache im orientalischen Alterthum, da, wo man annahm, daß die Wiege der Menschheit gestanden hätte, ganz besonders bilderreich und seherisch war, kam man zu dem Schlusse, daß in den Anfängen des historischen Lebens noch etwas von dem paradiesischen Urzustand nachklänge, wo es eine Ursprache gegeben habe, die die Dinge regierte, indem sie sie benannte, Magie übend, weil sie in der inneren Welt reales Bild wäre. Aus dem versunkenen Reich des Unbewußten drängen zuweilen noch abgerissene Töne dieser Sprache, deren wir einst wieder mächtig werden sollten: in den Traumzuständen und in der Dichtkunst, deren Vertreter, wie die Seher und Propheten, von jeher als Besessene, Rasende, von einem Gott Erfüllte angesehen worden waren.

Auch der Wahnsinn wurde als eine Art von Traumzustand angesehen; ist es doch auch der volksthümliche Ausdruck, daß der Wahnsinnige »von Sinnen« sei. »Alle Arten von Geistesverwirrung sind nur Schattirungen eines vollkommenen Schlafes.« Nach der Reil'schen Theorie ist der Wahnsinn, wie der Somnambulismus, eine Inversion der Polaritäten, ein Bewußtwerden der eigentlich unbewußten Gangliennerven. »Schlägt die überwiegende Lebenskraft durch, so bekommt man Raserei, Verliebtheit, Hysterismus, Hypochondrie. Schlägt sie nicht durch, sondern wird sie auf's Epigastrium beschränkt, hat man erhöhte Perception, Ahnungen oder Vorstellungen.« Kerner hielt den Wahnsinn wie den Somnambulismus, die Epilepsie, das Metallfühlen für einen der Zustände, »durch die der Mensch dem Geiste der Natur, seinem Allgemeinleben, dem Leben der Geister und der Gestirne näher kommt, befreundeter wird.« Ringseis stellt den Wahnsinn dem Traume ganz gleich, mit dem Unterschied, daß die Bilder im Wahnsinn ein selbstständiges Leben führen und assimilirende Kraft bekommen, so daß sie sich im Seelischen verhalten wie die krankheitserzeugenden Parasiten im Leiblichem.

In besonders glücklichen Fällen von Somnambulismus ließ sich feststellen, daß der oder die, vom gewöhnlichen irdischen Gesichtspunkt aus, Schlafende wach in einer Welt lebte, die der unsrigen entspricht, nur daß sie sie nicht bruchstückweise, sondern ganz und gar in sich aufzunehmen schien, gerade als befände sie sich im Mittelpunkte des Universums, während wir irgendwo draußen säßen, einen kleinen Ausschnitt überblickend. Es kam vor, daß Somnambule das wache Leben Traum nannten; so mußte ihnen naturgemäß der dumpfe Zustand vorkommen, wo sie wie Blindgeborene an der Außenseite der Dinge tasteten. Der jüngere Schelling, der ein erfahrener Magnetiseur war, nennt den Somnambulismus »eine vollkommene idealische oder innerlich gewordene Sinnlichkeit«, wie man die Sinnlichkeit auch einen äußerlich gewordenen Somnambulismus nennen könnte. »Wir werden ebensogut in die Sinnlichkeit hineinmagnetisirt, wie in den Somnambulismus. Alles, was wir sehen, hören u. s. w., sehen und hören wir, weil es uns magnetisirt.« In der inneren Welt fallen die Schranken von Zeit und Raum weg, der fernste Mensch ist dem Hellsehenden näher, als uns der nächste, da er sich sein Wesen nicht mit Sinnen und Denken zurechtlegen muß, sondern ihn durchschaut, ihn weiß.

Scheinen hier die Worte des Apostels: wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht, eine Erfüllung zu finden, so begreift sich, daß von mancher Seite der Zustand des Somnambulen wie eine Verklärung mitten im irdischen Leben angesehen wurde, wie ein Vorspiel des erhöhten Lebens, das sich nach dem Tode einstellen würde. Im Gegensatz dazu betrachteten andere den Somnambulismus als Herabsinken auf eine frühere, vom Menschen bereits verlassene Stufe. Keine höhere geistige Stufe sei hier erreicht, sondern das Instinktleben sei wieder so rege, wie es sonst nur bei Thieren sei, die ja auch gerade in Bezug auf die Gabe des Vorfühlens manches vor den Menschen voraus hätten. Auch bei Pflanzen und niederen Thieren haben sich die Sinne, also die getrennten Beziehungen zur Außenwelt, noch nicht entwickelt, anstatt dessen verbindet eine Art Gemeinsinn das Geschöpf mit der Welt, der es noch nicht selbstständig gegenübersteht. »Der Magnetismus ist ein Exorcismus des Geistes« sagt der Schweizer Naturphilosoph Troxler, »der Mensch wird Welt«; durchaus mit Recht insofern, als das Bewußtsein, die logische Denkkraft, erst erlöschen muß, bevor Somnambulismus entstehen kann.

Indessen, die meisten romantischen Denker standen »über den Polen.« Sie waren der Ansicht, daß der Somnambulismus Kräfte offenbar mache, die im Bereiche des Menschen lägen und die seine göttliche Natur und hohe Zukunft darthäten; aber sie verkannten nicht, daß sie aus dem Boden eines kranken und unvollkommenen Zustandes wuchsen. Die somnambulen Menschen, meist ungebildete Mädchen bäuerlicher Herkunft, im gewöhnlichen Leben in nichts außerordentlich, konnten unmöglich als Vorbilder der Menschheit angesehen werden. Wenn, wie es allgemeine romantische Ansicht war, die Rückkehr zum Ausgang, die Wiedervereinigung nach der Trennung das Ziel der Entwicklung ist, muß uns insofern das Unbewußte, Allgemeine, Instinktive, wovon wir ausgingen, vorbildlich sein; doch sollen wir freilich nicht durch Zurücksinken, sondern umgekehrt durch Vorwärtsdringen, nicht durch Unterdrückung des bewußten Sinnenmenschen, sondern durch seine Weiterentwickelung dahin gelangen. Selbst in den Worten: »das Hellsehen ist der reinste und höchste Erkennungszustand im irdischen Dasein« liegt zugleich eine Einschränkung; denn ist der Mensch nur ein erkennendes und fühlendes Wesen? Die Somnambule ist genau genommen nur ein halber Mensch, eine Blüthe, die auf einem fremden Stamme schmarotzt: sie trägt sich nicht selbst, sondern ihre Lebenskraft ist außer ihr, im Magnetiseur. Es ist deshalb Baader wohl zu glauben, daß der somnambule Mensch, wie er beobachtet haben wollte, leichter unmoralisch sei, als der wache, da er ja überhaupt kein handelndes, kein vernünftig-sittliches Wesen ist. Die Unzuverlässigkeit, Einseitigkeit und Willenlosigkeit seines Zustandes erklären Schubert's Aeußerung, der gotterfüllte hellsehende Prophet verhalte sich zum magnetischen Hellseher wie der Mensch zum Affen. »Es giebt ein höheres Hellsehen, als das magnetische, das Hellsehen eines weisen, tugendhaften und frommen Mannes.«

Einzig der höchste Grad des Somnambulismus, die Entzückung oder Ekstase, muß als ein vollkommener menschlicher Zustand geltend gelassen werden; hier wird der Magnetisirte unabhängig und handelnd, ein eigentlicher Wunderthäter. Die Ekstase kam aber so selten vor, daß sie von Zweiflern füglich außer Acht gelassen werden konnte, und was die Tradition von den Ekstasen der Heiligen berichtet, entbehrt vollends einer allgemein giltigen Beglaubigung.

Wie es oft so geht, daß sich Gegenstände finden, sowie das Interesse für sie erwacht ist, tauchten damals mehrere höchst merkwürdige Fälle von natürlichem und künstlichem Somnambulismus auf: Frau Haufe, die Seherin von Prevorst, die Nonne Emmerich zu Dülmen, die Clemens Brentano beobachtete und deren Leben er schrieb, dann mehrere Mädchen in Tirol, von denen die interessanteren Maria von Mörl und Maria Lazzari waren. Während die erstgenannten im protestantischen Lande vielen Anfeindungen ausgesetzt waren, wurden die Mädchen im erzkatholischen Tirol wie Heilige angestaunt. Alle waren durch und durch körperlich krank, eigentlich aufgelöst.

Es waren losgerissene Pflanzen, die nicht mehr in der Erde wurzelten; ihre Wurzeln lagen bloß und empfingen deshalb aus allen Elementen der Welt Reize, für die der gesunde Menschenbaum unempfindlich ist. Erinnern wir uns, daß Fechner das sogenannte Gesetz der Schwelle folgendermaaßen feststellte: jeder Reiz, der im Stande sei, psychische Erregungen mitzuführen, müsse einen gewissen Stärkegrad erreicht haben, bevor er in's Bewußtsein trete; bei dem Nachtmenschen wäre also der allergeringste Reiz, der bei dem normalen stets unter der Schwelle bliebe, schon stark genug, um in das Bewußtsein einzudringen. Während der Somnambule, im romantischen Vorstellungskreise ausgedrückt, ein äußerst empfindliches Gangliensystem hat, muß der Magnetiseur ein starkes haben, damit ihn die umgebende Welt nicht zerstreut und auflöst; der eine ist die entwurzelte Pflanze, der andere der fest in der Heimatherde wurzelnde Baum.

Die wunderbare Kraft des Magnetiseurs, mit welcher derselbe auf gewisse andere Menschen, als wären sie ein Theil von ihm selbst, einzuwirken vermag, wurde von Mesmer durch die Annahme eines feinsten Aethers erklärt, der aus dem Weltall in den Magnetiseur einströme und den er wieder ausstrahlen könne. In der psychisch-magnetischen Schule von Lyon wurden im Gegensatz dazu der Wille und der Glaube, der nichts anderes ist, als die weibliche Seite des Wollens, als die einzigen beim Magnetismus wirkenden Kräfte angesehen; ihre Lehre ließ sich in die Worte zusammenfassen: Wollet das Gute, gehet hin und heilet. In der Folge ließen es die deutschen romantischen Forscher dahingestellt, ob ein Agens thätig sei oder nicht – der jüngere Schelling sprach von einer Art Miasma, das zuweilen finge, zuweilen nicht, Passavant von einer dem Licht analogen Ausstrahlung –, das eigentlich Handelnde, das, worauf es ankomme, sei ja doch der Wille, dem eventuell das Agens unterworfen sei. Einzig der freie Wille sei die Quelle des Magnetismus, der Wille, der im eigentlichen Sinne des Menschen Himmelreich ist, der in Wirklichkeit Berge versetzen kann. Aus dem Willen sind alle die Wunderwirkungen des Alterthums zu erklären, die unter dem Namen Magie bekannt sind und zu denen in der neueren Zeit die Beispiele nur fehlen, weil, je complicirter und decentralisirter die Menschheit wurde, die Willenskraft desto mehr verloren ging. Die Romantik ging dem, was lange als Aberglauben verschrieen war, nach, und es fand sich, daß namentlich in den südlichen Ländern der Glaube an den bösen Blick, an die Macht des Fluches oder Segens, an Verhexung und Besprechung noch lebendig war, wenn auch die Einsicht fehlte, welche natürlichen Kräfte des Menschen dabei thätig sind. Die merkwürdigsten Eröffnungen gaben die großen romantischen Aerzte der Vergangenheit; so äußerte sich Paracelsus über die Magie des Willens: »Es ist möglich, daß mein Geist ohne des Leibes Hilfe, durch inbrünstiges Wollen allein, und ohne Schwert, einen andern steche oder verwunde. Also ist es auch möglich, daß ich den Geist meines Widersachers bringe in ein Bild und ihn dann krümme, lähme nach meinem Gefallen. Ihr sollt wissen, daß die Wirkung des Willens ein großer Punkt ist in der Arznei. Man kann damit durch Fluchen Böses verhängen über Menschen und Vieh … Alles Imaginiren des Menschen kommt aus dem Herzen, und dieses ist die Sonne im Mikrokosmus, und aus dem Mikrokosmus geht die Imagination hinaus in die große Welt. So ist die Imagination des Menschen ein Samen, welcher materialistisch wird … Es ist ein großes Ding um des Menschen Gemüth, daß es niemand möglich ist auszusprechen; wie Gott selbst ewig und unvergänglich ist, also auch das Gemüth des Menschen. Wenn wir Menschen das Gemüth recht erkennten, so wäre uns nichts unmöglich auf Erden.« Ebenso Hellmont: »Wenn Gott durch das Wort oder den Wink handelt, so muß es auch der Mensch können, wenn er den Geist Gottes und nicht ein müßiges Wesen darstellen soll; und nennen wir dies nun magische Kraft, so kann nur der Unterrichtete erschrecken über dies Wort, nenne es, wenn du lieber willst, geistige Stärke … Der menschliche Wille ist aber das Erste und Höchste aller Kräfte, er ist die Grundursache aller Bewegungen, denn durch die Kraft des Willens des Schöpfers wurde alles gemacht, und dieser Wille ist das Eigenthum aller geistigen Wesen, bei denen sie durch Gegenwirkungen mehr oder weniger beschränkt werden können; wo die Kraft größer bei dem Einwirkenden oder bei dem Widerstand, da wird sich die Wirkung mit oder ohne Erfolg zeigen. Die im Menschen verborgene Kraft ist eine gewisse ekstatische Macht, die nicht wirkt, außer durch ein heftiges Verlangen der Einbildung; sie ist eine geistige Kraft, die nicht vom Himmel herabkommt, noch viel weniger von der Hölle, sondern von dem Menschen selbst, wie das Feuer aus dem Kiesel; aus dem Willen des Menschen nämlich fließt der Lebensgeist, der ideelle Wesenheit annimmt und zwischen Geist und Körper vermittelnd dahin wirkt, wohin der Wille ihn richtet.«

Dementsprechend ist auch nach dem Urtheil von Passavant, Ringseis, Windischmann und anderen der Wille die Kraft des Menschen, von der eine Wiedergeburt zu erwarten ist. Durch bloße Stärkung des Willens könnte jeder dazu gelangen, der »Zauberer« zu sein, den schon Novalis als Zukunftsmenschen verkündigte. »Der freie Wille des Menschen«, sagt Windischmann, »ist eine überirdische Kraft, die höchste auf Erden«; Ringseis: »nur auf dem Boden eines richtig geübten Willens gedeiht auch richtig geübte Einsicht«; Passavant nennt den Willen das höchste Vermögen des Menschen. Wie magisch der Wille auch in der Gegenwart noch zu wirken vermag, das hatte seit Mesmer der animalische Magnetismus bewiesen, wobei man ein Menschenpaar beobachten konnte, das die beiden Pole des menschlichen Wesens auf's Aeußerste concentrirt darstellte: auf der einen Seite thätiger Wille, auf der andern hellsehendes Erkennen.

Wir haben in dem willensstarken Magnetiseur und der reizbaren Somnambule die beiden Grundtypen der romantischen Psychologie; sie entsprechen dem positiven und negativen, dem solarischen und tellurischen, dem männlichen und weiblichen, dem Tagesmenschen und dem Nachtmenschen. Man könnte die beiden Typen ebensogut als den dämonischen und den magischen Menschen bezeichnen, womit ausgedrückt wäre, daß jener von Dämonen besessen werden könnte, während dieser selbst ein Dämon ist, der andere besitzt; das Analoge des Dämonischen in diesem Sinne wäre das Dionysische, das Analoge des Magischen das Apollinische.

Justinus Kerner sagte einmal über Goethe, er sei in höherem Grade Forscher als Dichter gewesen. »Er war nicht dämonisch. Eine solche Selbstständigkeit, wie Goethe hatte, ein solches Ego sum kann nur ein Dämon haben, in dem kein Dämon ist.« Diese Bemerkung ist richtiger, als mancher meinen möchte; auch pflegt man in Goethe weniger den typischen Dichter, als den Universalmenschen zu feiern, oder wenigstens ist er vorzugsweise Dichter nur während einiger Jugendjahre seines Lebens. Das traumhaft Stammelnde des eigentlichen Dichters, der im Zustande von Rausch oder Begeisterung Worte hat, deren er bei Bewußtsein nicht mächtig ist, das »Zungenreden« finden wir viel ausgesprochener bei einigen romantischen Dichtern, Brentano, dem Besessenen. Werner, der so gern den Spruch: »Des Herrn Kraft ist in dem Schwachen mächtig« im Munde führte, sagte, manche Stellen in seinen Werken wären eingegeben, er wisse nicht, wie er dazu gekommen sei, und wenn er sie läse, befiele ihn ein Grauen vor seinem eigenen Innern. »Geistige Stärke« besaßen die romantischen Naturen nicht, fremder Einwirkung konnten sie keine Gegenwirkung entgegensetzen, so daß sie entweder von Stärkeren beherrscht wurden oder, sich selbst überlassen, in der Sinnlichkeit, besser gesagt: im Unbewußten untergingen.

Die Romantiker waren der Ansicht, daß die Poesie aus Zuständen des Hellsehens hervorgegangen sei; waren doch Homer wie Teiresias blind, weil das Tagauge sich schließen muß, ehe der Allsinn erwachen kann, die Allansicht der Dinge aber die dichterische ist. Die gesonderte Welt, die unsere wachen Sinne wahrnehmen, ist die Welt der Wissenschaft. Gleichwohl glaubten sie, wie wir schon früher gesehen haben, daß der moderne oder künftige Dichter »über den Polen« zu stehen habe. Ihr Ideal war überhaupt nicht der Dichter, sondern der ganze Mensch, der eben so sehr Forscher wie Dichter, Künstler wie Philosoph ist und vor allen Dingen sein Leben bildet, so daß es schön und gut ist. Die schwärmerische Verehrung Goethe's, die anfangs proclamirt war, dauerte im ganzen bei der jüngeren Romantik fort, – man denke nur an die beinahe knechtisch zu nennende Art, wie Werner ihn vergöttert. Die Dämonischen unter den Romantikern liebten die Magischen: Fichte, Schelling, Görres, Baader, Reil. Am meisten geistige Stärke scheinen Mesmer und Görres besessen zu haben, von denen berichtet wird, daß sie – was den Ernst natürlich nicht ausschließt – immer heiter und guter Laune waren. »Ich habe mich immer bemüht«, erzählt Görres selbst, »mein Inneres heiter und disciplinirt zu erhalten, übrigens unbekümmert um die Handlungen und Aeußerungen, die bei klaren Augen nicht trübe und verwirrt sein können.« Die meisten klagen von Zeit zu Zeit über unerträgliche Schwere und Traurigkeit, Folge des »überwiegenden Bauchsystems« und mangelnde Geisteskraft. Werner und Brentano, der »so schwer an sich selbst tragende Mann«, waren überhaupt ununterbrochen schwermüthig, wenn sich das auch zuweilen unter einer an der Oberfläche spielenden Lustigkeit versteckte; ähnlich Kleist und Lenau, dem es oft so schwer wurde, als ob er einen Todten mit sich herumtrüge. Justinus Kerner klagt häufig über Schwere und behauptet sogar in seiner Jugend einmal, es sei noch nie ein banges Gefühl von Angst und Beklemmung von ihm gewichen, »das oft so hoch steigt, daß es dem Gefühl eines, der den andern Tag zum Schafott geführt wird, gleichkommen mag.« Von Runge wich die Schwere seit seiner Verheirathung nicht mehr; Passavant, der ein höheres Alter erreichte, genoß erst in seinen letzten Jahren eine durch Kämpfe verdiente Heiterkeit. Friedrich Schlegel konnte monatelang an »tiefer Verstimmung« leiden, an einem »tückischen inneren Grame« ohne Ursache; sogar Ringseis, der im ganzen mehr magischer Mensch war, überfielen von Zeit zu Zeit »bis in den Tod betrübende Melancholieen.«

Goethe sagte einmal, wenn das Weib seine übrigen Vorzüge durch Energie heben könne, so entstehe ein Wesen, das sich vollkommener nicht denken ließe. Ein solches hat man, wenn man sich Magnetiseur, ganz Wille, und Magnetisirte, ganz Reizbarkeit, als eine Person denkt. Thatsächlich aber bilden sie, wenn auch nicht einen materiellen Körper, doch einen »Aetherleib«, einen Nervenmenschen, weswegen man die Beziehung zwischen dem Magnetiseur und seiner Somnambule auch Nervenvermählung, Neurogamie, nannte, wobei der Magnetisirende Neuryander, der Magnetisirte Neurogyne hieß.

Dieser Vorgang ist von der ungeheuersten Bedeutung: er zeigt uns zum einzigen Male die Möglichkeit einer organischen Vereinigung zwischen Mensch und Mensch, während jede andere Art der Gemeinschaft, wie Baader sagt, nur die eines Aggregats ist. Welcher empfindende Mensch hätte nicht schon beklagt, daß, so nahe sich auch Menschen kommen, doch immer noch ein unausfüllbarer Abgrund zwischen ihnen bleibt? Die Verbindung bleibt eben stets äußerlich, indem »nur das Einzelne wirklich, das Allgemeine nicht wirklich ist.« Die Menschheit bleibt für den Einzelnen etwas Abstractes, während gerade die organisch verbundene Menschheit, der »allgemeine Mensch«, das Ideal ist, dem wir uns entgegenbilden wollen. Bei den Romantikern findet sich ein sehr lebhaftes Gefühl, wie die Gemeinschaft mit Menschen den einzelnen in seinem Sein und Können hebt und steigert. Immer wieder tauchten in ihrem Kreise Pläne zur Herstellung einer Hanse, einer Kirche, auf, oder wie sie die innigste Verbrüderung nun nannten. Ringseis weist einmal darauf hin, wie selbst bei unvollkommenen partiellen Vereinigungen, z. B. Volksversammlungen, wo gute und geringe Elemente gemischt sind, wenn sie nur vorübergehend von einem gemeinsamen Gefühl ergriffen sind, wie selbst dieser Schatten paradiesischer Einheit das Gefühl von Stärke, Freude, Seligkeit hervorbringt. »Wie in der physischen Zeugung, so ist in allen Momenten künstlerischer und jeder anderen Begeisterung und Aufregung, z. B. in aufgeregten Volksversammlungen, eine vorübergehende Wiederherstellung der paradiesischen, durch den Fall getrennten Einigkeit, durch ein auf Wahlverwandtschaft beruhendes wechselseitiges zugleich in einander Ein- und von sich Ausgehen zweier oder vieler.«

Die Entwickelungslehre und der animalische Magnetismus, die beiden Hauptprincipien der wissenschaftlichen Romantik, führten beide auf Sammeln der durch Zeit und Raum getrennten Geschöpfe in der Einheit. So wenig aber wie die Meinung war, daß das Individuum in Gott ausgehen oder untergehen solle, so wenig wird die Auflösung des einzelnen im allgemeinen Menschen vorausgesehen oder gefordert; sondern die Romantiker dachten an eine organische Verbindung, deren Glieder, wie die des Leibes, zwar alle aus einem Blute hervorgegangen sind, ihr Wesen aber dem Princip der Differencirung danken.

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