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Die Kunst des Unendlichen.

Ach, nach tiefern Melodieen,
Sehnt sich einsam oft die Brust.

Eichendorff.

 

In seinen Reden über die Beredtsamkeit weist Adam Müller darauf hin, daß die Deutschen lange in sich hineingelebt haben, daß darum ihr Denken und Fühlen weiter reiche als ihre Sprache und daß immer die rhetorischen Dichter, die mit dem vorhandenen Sprachschatz schlechtweg in die Menge wirken, mit den poetischen abwechseln, die in's Innere blicken, um noch Unbenanntes zu gestalten, das flüssige Gold der Seele zu prägen; so folge auf Dante, den poetischen Dichter, Tasso, der rhetorische, auf Homer Sophokles, auf Shakespeare Pope.

Die Romantiker waren poetische Dichter, und ihre Lyrik nahm die Richtung auf das Unbewußte; als »Verdichten der im Leben umherirrenden Gefühle« bestimmte Wackenroder das Wesen der Poesie. Während die vorromantische Lyrik eigentlich nichts war als gereimte Betrachtung und auch in Goethe's Gedichten ein zu Grunde liegender Gedanke oder eine Handlung sich fast immer erkennen läßt, strebten sie danach, den bewußten Zusammenhang zu vermeiden und durch geeignete Worte, Ton und Rhythmus, Gefühl, Stimmung zu erregen. Ein Beispiel dafür sind Eichendorff's Gedichte: sie selbst sollen Nixen und Zauberinnen, wirre Stimmen im kühlen, rauschenden Grunde sein, die die Seele aus der Region des Tages und des Individuellen in die Nacht des Unbewußten, des Kosmischen ziehen. Sein »irres Singen«

ist wie ein Rufen nur aus Träumen. –

Liederquellen gehen halbbewußt, wie im Traume, verwirrend durch seine Brust, in vielen Gedichten wird das Gefühl von Traumverwirrung dadurch erregt, daß er unter dem Eindruck irgend eines Naturzaubers nicht weiß, wo er ist, wer er ist. Nicht selten nennt er ausdrücklich das Unbewußte als das Stimmungsgebende.

Und die ewigen Gefühle,
Was dir selber unbewußt,
Treten heimlich, groß und leise
Aus der Wirrung fester Gleise,
Aus der unbewachten Brust,
In die stillen, weiten Kreise.

Oder:

Schweigt der Menschen laute Lust,
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen
Was dein Herzen kaum bewußt,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Und es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.

Indessen hat Eichendorff mehr die Sehnsucht nach Unaussprechlichem als Unaussprechliches – oder Unausgesprochenes – selbst ausgedrückt; neuer Mittel bediente er sich nicht, er dichtete in der überkommenen, an das Volkslied sich anlehnenden Art, stellenweise eine gewisse Intensität durch die Beschränkung auf ein einziges, tief durchgefühltes Anschauungsgebiet erreichend. Zum eigentlichen »Verdichten« fehlte es ihm an Geist und Tiefe; er begnügte sich damit, eine romantische Stimmung, wie sie eben kam, in sinnigen, reizvollen Tönen festzuhalten.

Weniger einmüthige und in dichterischer Hinsicht weniger oberflächliche Naturen fanden ihre Ausdrucksmittel nicht so leicht und strebten über die Grenzen der gegebenen Poesie hinaus. Sehr belehrend sind die Aeußerungen der Bettine, die von ihren Freunden oft gedrängt wurde, die Poesie, die in ihr war, in gebundene Form zu fassen.

Sie wehrte solche Zumuthungen ab: Dichten sei ihr nicht nah genug, es besinne sich zu sehr auf sich selber; es sei im Gefühl ein Schwung, der durch den Vers gebrochen werde, der Reim sei oft eine beschämende Fessel für das leise Wehen des Geistes. Der Günderode, die ihr die Bedeutung der Form klarzumachen suchte, schrieb sie antwortend: »Ich weiß wohl, daß die Form der schöne, untadelhafte Leib ist der Poesie, in welcher der Menschengeist sie erzeugt; aber sollte es denn nicht auch eine unmittelbare Offenbarung der Poesie geben, die vielleicht tiefer, schauerlicher in's Mark eindringt, ohne feste Grenzen der Form?«

Hier spricht auch das Genie des jüdischen Volkes mit, das unplastische, in der Poesie auf eingeborenen Wellenrhythmen hinwogende.

Das einzige Gedicht der Bettine, das mir bekannt ist, überrascht durch seine Banalität; Vers und Reim haben dort allerdings das Wehen des Geistes gänzlich gelähmt und den Schmelz des Gefühls abgestreift. In ihren Prosasachen dagegen ergreift sie uns oft durch lyrische Kraft und zwar besonders, wenn sie Menschen oder Natur anschaulich und fühlbar machen will. Läßt sie sich von wogenden Ideen bemeistern und strömt unmittelbar hin, was ihr einfällt, sowie sich also ihre Prosa dem freien Rhythmus nähert, neigt sie sogleich zum Rhetorischen und verliert an Innerlichkeit und Tiefe, in der doch gerade das Wesen der Romantik besteht. Nur wenige – Goethe, Novalis, Hölderlin – konnten den freien Rhythmus als poetische Dichter behandeln; gerade der Umstand, daß der Schwung des Gefühls dort durch keinen äußerlichen Zwang gebrochen wird, macht ihre Wirkung oberflächlich, denn der Schwung des Gefühls in der Sprache, ungehemmt durch das Bewußtsein, ist leer und flach. Je stärkere Hemmung dem starken Gefühlsstrom entgegengestellt wird, desto intensiver ist das Ergebniß.

Freilich, auch von der gewählten und strengen Formbehandlung, die die Schlegel aufgebracht hatten, führte der Weg in Aeußerlichkeit und Leere. Ueber die Arbeit durch gewisse lautliche und rhythmische Zusammenklänge musikalisch zu wirken, ging die Musik, die aus der Seele fließt, verloren, und während dort das ungehemmt sich ergießende Gefühl verdünnt und verflucht wird, verscheucht hier das Schnurren der Mechanik Gefühl und Gedanken. »Es ist aber wohl überhaupt eine eigene Mystifikation unserer Neueren, daß sie ihr Heil lediglich in dem äußeren metrischen Bau suchen, nicht bedenkend, daß nur der wahrhaft poetische Stoff dem metrischen Fittig den Schwung giebt,« so urtheilt Hoffmann. »Der somnambule Rausch, den wohlklingende Verse ohne weiteren sonderlichen Inhalt zu bewirken im Stande sind, gleicht dem, in den man wohl verfallen mag bei dem Klappern einer Mühle oder sonst. Es schläft sich herrlich dabei!« Deutlich erhellt, wie die tiefmystische Romantik in platte Natürlichkeit übergehen konnte: im Streben nach Innerlichkeit und Tiefe suchten sie musikalisch zu wirken, vernachlässigten deswegen den geistigen, aus dem Bewußtsein geschöpften Theil der Poesie, und brausende Worte oder tönende Rhythmen verkleideten anspruchsvoll eine Leere und wirkten unächt. Um dem innersten Gefühl seinen Schmelz, seine Unmittelbarkeit nicht zu rauben, warfen sie weg, was es zu fesseln schien und was im Gegentheil seinen Duft auspreßt, seine Farbe inniger leuchten macht. In Hölderlin läßt sich dieser Uebergang an einem einzelnen Falle beobachten; ihm war es wie keinem gelungen, in klassischer Form die romantische Seele zu binden, ohne daß sie von ihrer Würze verlor. In der Zeit, wo sein Geist eben in die dunkle Fluth des Wahnsinns eintauchte, gleichsam zwischen Bewußtsein und Bewußtlosigkeit schwebend, entstanden einige größere Gedichte in freien Rhythmen, die zum Theil leer und abgeschmackt, an einigen Stellen aber von einziger, allertiefster Wirkung sind. Dem Unverständlichen sich nähernd, lassen diese Verse doch etwas Geheimnißvolles ahnen, sie tönen wunderbar bedeutungsvoll, eh' man sie bedacht hat und bleiben so, nachdem man es gethan hat; es ist, als ob sich die Seele des Dichters auf dem Punkt befindet, wo sie, noch wachend, den Schlaf, das Jenseit, in dem alle Wunder ihre Deutung finden, berührt: im nächsten Augenblick verliert sie das Gleichgewicht und sinkt in das bodenlose Nichts hinunter. Die Gedichte, die Hölderlin später im Wahnsinn verfaßte, sind nichts als oberflächliche Reimerei, ähnlich den Versen oder Rhythmen, in denen die Reden der Somnambulen sich bewegten, die am klarsten beweisen, daß das Gefühl allein, ohne Gegenwart des bewußten Geistes, keine dichterische Wirkung hervorbringt.

Es gebe auch in den höchsten Dichterwerken, sagte Zacharias Werner einmal, nur ein paar Stellen Poesie, das Uebrige sei prosaisches und metrisches Gewäsche. Die Arbeit des Verdichtens würde dem abhelfen; aber es fehlte dazu den Romantikern an geistiger Kraft. Brentano sah selbst ein, daß das Zufällige des Guten in seinen Werken ein Fehler sei, dem er nur durch planmäßiges Arbeiten begegnen könne; das aber, fügt er sogleich hinzu, gehe wider seine Natur. Ebenso warf er Arnim vor, er thue seinen Versen zu wenig Inhalt, er sei von Poesie durchdrungen, lasse sie aber zu sehr in's Wildfleisch wachsen. Die centrifugale Kraft war in diesen jüngeren Romantikern stärker als die centripetale: sie wollten sich, wie Bettine, von den Musikfluthen im Innern bemeistern lassen, nicht ihrer Meister werden, sie fühlten sich als Saite, die der Wind, wie er will, stimmt und rührt, sie wollten selbst die Welle sein, »auf der die Welt sich bricht in tausend Funken«, nicht die zerstreuten Lichter sammeln zu einer schönen Erscheinung. Derselbe Wackenroder, der das Verdichten der umherirrenden Gefühle als Aufgabe des Dichters bezeichnete, empfand die Sprache als drückende Fessel und nannte sie das »Grab der Herzenswuth,« das heißt der Leidenschaften, Schmerzen und Freuden, die uns qualvoll beseligen. Gelingt es ihnen, das Grab zu sprengen, als himmlische Gestalten Auferstehung zu feiern, so haben wir nicht Poesie – sondern Musik.

Musik ist nach der Ansicht aller Romantiker die höchste Kunst. Sie ist ihnen gleichbedeutend mit dem All, dem Unendlichen, in das aufzulösen sie sich sehnten.

Hör' ich ferne nur her, wenn ich für mich geklagt,
Saitenspiel und Gesang, schweigt mir das Herz doch gleich;
Bald auch bin ich verwandelt,
Blinkst du, purpurner Wein, mich an.

Man sieht aus dieser Zusammenstellung daß von der Musik dieselbe Wirkung erwartet wird wie vom Weine, eine berauschende: die Welt der Wirklichkeit verschwindet und die Seele versinkt in eine Wonne, wo sie sich heimisch fühlt.

Sie ist – nach E. T. A. Hoffmann – das Dschinnistan voller Herrlichkeit, das wunderbare Geisterreich, wo der Schmerz keine blutende Wunde mehr schlägt, sondern die Brust wie mit höchstem Entzücken mit unnennbarer Sehnsucht erfüllt. Als Justinus Kerner seinen Freund auf der Maultrommel spielen hört, vergleicht er die Töne mit Geisterchören und fühlt sich durch die überirdischen Weisen in's Land der Geister gerissen. Solche Töne, meint er, hört der Sterbende, den die von den Freunden unvernommenen Klänge selig in das Jenseit hinübergeleiten. Erklingt Musik, so heißt es bei Wackenroder, spannt die Seele die Flügel aus und fliegt in den Himmel.

Faßt man derartige Aeußerungen zusammen und nimmt dazu die, welche nicht nur Bild und Gefühlsausdruck sind, sondern das Wesen der Musik erklären sollen, so ergiebt sich, daß die Musik aufgefaßt wird als etwas der Welt der Erscheinungen entgegengesetztes, als das Ding an sich, das Unbewußte selbst, das die Worte zu umschreiben suchen. Musik setzt das Universum mit uns in unmittelbare Berührung, sagte Zacharias Werner, und Oken erklärt den Ton als Rückgang der Materie in Aether, als die Stimme Gottes, wodurch er sein Innerstes kund thue. Hoffmann nennt Musik die romantischste aller Künste, ja eigentlich die einzige wahrhaft romantische, weil sie das Unendliche zum Vorwurf habe, die in Tönen ausgesprochene Sanskritta – also Ursprache – der Natur, in der allein man das hohe Lied der Bäume, Blumen, Thiere, Steine und Gewässer verstehe. Daher setzt er auch die Töne mit Duft und Farbe gleich und behauptet, beim Duft der Nelke in einen träumerischen Zustand zu gerathen, wo er die anschwellenden und wieder verfließenden tiefen Töne des Bassethorns vernehme. Wackenroder spricht von dem Strom in der Tiefe des menschlichen Gemüthes, dessen Verwandlungen die Sprache in fremdem Stoff zähle, nenne, beschreibe; die Musik, sagt er, strömt uns ihn selbst vor.

Carus, dessen Betrachtungen den Vorzug der Klarheit und Verständlichkeit haben, äußert sich folgendermaaßen: die Gedanken und Handlungen der Menschen gehen aus einem Keim hervor, der früher da ist als sie, es ist der noch unausgesprochene Zustand ihres Seins. Könnte dieser Zustand sich durch bestimmte äußere Zeichen offenbaren, so müßte man den ganzen Menschen mit seinem Vorstellungsleben und seinen Handlungen daraus erkennen. Die eigentliche Bezeichnung nun dieses primitiven Zustandes, meint er, sei in der Musik gegeben. »Daher also die Eindringlichkeit, das ganz allgemein Menschliche dieser Kunst, daher aber auch das Mysteriöse und das schwer im Innern zugängliche derselben, daher die Möglichkeit, wie in einem kurzen Tongange eine menschliche Individualität, ein gewisser menschlicher Zustand so schneidend ausgedrückt sein kann, daher endlich auch das Aufregende und gewaltig Fortreißende dieser Kunst«. Er nennt die Musik in diesem Sinne die Kunst des Primitiven und spricht dem Musiker die wahre poetische Reichs-Unmittelbarkeit zu.

Auch Carus sah wie Hoffmann das Einzigartige und Geheimnißvolle der Musik darin, daß sie keinen Stoff habe wie die andern Künste, nur aus dem Innern schöpfe. Hoffmann indessen suchte die Musik auch von einer anderen, ich möchte sagen etwa objektiven, kosmischen Seite nahezukommen. Er fragte sich: Zaubert der Mensch die Musik wirklich nur aus seiner Brust? Singt nicht das Meer? der Wald? der Wind? ja, die Blume; das Auge, der Himmel, alles Sichtbare? Für den Ungeweihten zwar wohnt in den Dingen nur der Ton, nicht die Melodie, diese, glaubt er, sei der Brust des Menschen allein angehörig; aber der Musiker ist überall von Melodie und Harmonie umgeben. Wie von einem Physiker das Hören ein Sehen von innen genannt worden sei, so, meint Hoffmann, ließe sich umgekehrt sagen, das Sehen des musikalischen Menschen sei ein Hören von innen, das heißt, ein Bewußtwerden der Musik, die mit seinem Geiste gleichmäßig vibrirend, in allem klänge, was sein Auge erfasse.

So sagt ein Gedicht von Eichendorff:

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.

In der Urzeit, so träumt Hoffmann weiter, habe die ganze Welt den noch kindlichen Menschen melodisch und harmonisch tönend umgeben, wovon die Sage von der Sphärenmusik als unverstandene Erinnerung zurückgeblieben sei. Nicht ganz sei aber die Stimme der Natur verschwunden: Schubert erzählt von einer Luftmusik, der sogenannten Teufelsstimme auf Ceylon, die den Hörer mit Entsetzen durchs Mark dringe, und Hoffmann wollte etwas Aehnliches am Kurischen Haff gehört haben, nämlich einen tiefen Klagelaut, einer Orgel oder Glocke vergleichbar, der ihn mit unaussprechlichen Schauern erfüllt habe. Vom »Grundton der Natur« ist in Kerner's Gedichten öfters die Rede; Hoffmann meinte, das würde der vollkommenste Ton sein, der diesem am meisten entspräche. Wegen des Studiums der Naturlaute, nicht minder aber wegen ihrer unmittelbaren Wirkung, interessirte er sich für mechanische Musik, für den Versuch also aus Glas oder Metall Töne zu ziehen. Wie die Menschen nachäffenden Wachsfiguren hatte Maschinenmusik für ihn zugleich etwas Anziehendes und Grausenerregendes. Einen reinen und großen Genuß gewährten ihm nur die Instrumente, die Naturlaute hervorbringen, aber nicht mechanisch gespielt werden, vor allem die Aeolsharfe und mehr noch die Wetterharfe, bestehend aus dicken, in beträchtlicher Entfernung von einander ausgespannten Drähten, welche die Luft in Schwingungen versetzt. Diese Vorliebe für kunstlose Instrumente, die nur durch ihren Naturton wirken, hatten alle Romantiker von Mesmer an – wenn man diesen darunter zählen will – der die Glasharmonika, bis auf Kerner, der die Maultrommel (eine Art Mundharmonika) spielte. In der Poesie und Prosa der Romantik spielen Harfe, Zither, Mandoline und Guitarre eine bedeutende Rolle; die Grafen, Gräfinnen, Vagabunden, Jäger und Ritter reisen nicht ohne Laute, ja auf den Eisfeldern und feuerspeienden Bergen Islands wandelt der Nordlandsrecke nicht ohne ein Saitenspiel über der Schulter zu tragen, auf welchem er seine Gesänge begleitet.

Es zeigt sich auch hier wieder die Richtung nach Süden, einmal in der Liebe zur Musik überhaupt, und innerhalb derselben wieder in der Liebe zum Naturlaut.

Entsprechend dieser Ansicht von Musik, daß sie den »unausgesprochenen Zustand« des Menschen, die unbewußte Naturseele bezeichne, verwarfen Hoffmann und Carus gänzlich, was man jetzt Programmmusik nennt. In seinem Aufsatz über Beethovens Instrumental-Musik sagt Hoffmann: »Die Musik schließt dem Menschen ein unbekanntes Reich auf, eine Welt, die nichts gemein hat mit der äußeren Sinnenwelt, die ihn umgiebt, und in der er alle bestimmten Gefühle zurückläßt, um sich einer unaussprechlichen Sehnsucht hinzugeben. Habt ihr dies eigenthümliche Wesen auch wohl nur geahnt, ihr armen Instrumentalkomponisten, die ihr euch mühsam abquältet, bestimmte Empfindungen, ja sogar Begebenheiten darzustellen? Wie konnte es euch denn nur einfallen, die der Plastik geradezu entgegengesetzte Kunst plastisch zu behandeln? Eure Sonnenaufgänge, eure Gewitter, eure batailles des trois empereurs u. s. w. waren wohl gewiß gar lächerliche Verirrungen und sind wohlverdienter Weise mit gänzlichem Vergessen bestraft.« In der Oper, wo durch die Worte bestimmte Gefühle und Handlungen angedeutet wären, wirke die Musik wie ein wunderbares Elixir, wovon ein Tropfen jeden Trank köstlicher mache; sie hülle die Vorgänge und Empfindungen des gewöhnlichen Lebens in den Purpurschimmer der Romantik. Der Text könne deshalb und solle sogar höchst bündig und einfach sein, gleichsam nur ein Wegweiser zu der immer gern in's Unendliche verlockenden Musik.

Die Lieblingskomponisten der Romantiker waren Bach, Gluck, Mozart, Beethoven, der letztere galt ihnen – Hoffmann, Carus, der Bettine – als der unwidersprechlich größte Tondichter. Bachs Musik verglichen Carus und Hoffmann unabhängig von einander mit der gothischen Architektur, deren Zeit unwiderbringlich vorüber sei wie die der großartigen Innerlichkeit und Mystik in Bachs Musik. Auch Haydn zählt Hoffmann zu den romantischen Komponisten; doch bleibt er innerhalb des menschlichen Lebens, nur daß eine geliebte Gestalt wie Abendroth am Horizonte schwebt und wehmüthiges Verlangen erregt. Hinein in das Geisterreich führt Mozart, die Nacht geht auf und holde Gestalten ziehen uns in ihre Reihen. Beethoven schwört Riesenschatten hervor, die uns vernichten, so daß wir nur noch in dem Zusammenklang von Leidenschaften leben, den seine Töne wecken. Hoffmann nennt ihn den romantischsten Tonkünstler, ja, den romantischen im eigentlichen Sinn, weil er allein die unendliche, durch nichts zu stillende, und daher ewig schmerzliche Sehnsucht errege.

Die romantischen Komponisten stehen im Gegensatz zu den damals populären, Reichardt, Zelter, die gewissermaaßen die Plattisten, die Vertreter der Aufklärungszeit in der Musik sind. Von Zelter sagte Bettine, er lasse nichts Unverstandenes die Grenze passiren, und doch beginne die Musik gerade mit dem Unbegreiflichen. Reichardt war zwar persönlich mit dem Kreise der Romantiker vielfach verbunden, aber wie er in seiner Ansicht von Poesie nicht mit ihnen übereinstimmte, so erkannten sie auch – Clemens äußerte es einmal gegen Arnim – daß er den neuen romantischen Schritt der Musik niemals machen würde.

In ganz anderer Weise als die ältere Kunst steht nun die neuere Musik im Gegensatz zu der »romantischen« von Haydn, Mozart und Beethoven; zu ihr verhalten sich Carus und Hoffmann durchaus ablehnend. Sie charakterisiren sie folgendermaaßen: mit allen Reizmitteln »bis zum Tam-Tam« ausgestattet, sei sie doch unfähig, die selige Schönheit und Heiterkeit auszudrücken, die Mozarts Werke auszeichne; an Stelle organischer Verhältnisse, innerer Folge, sei Willkür getreten. Die Melodie werde vernachlässigt, aus dem Trachten nach Originalität entstände die unsangliche Musik. »Sie kritteln und kritteln«, dies Urtheil über die neueren Komponisten legt Hoffmann seinem Gluck in den Mund, »verfeinern alles bis zur feinsten Meßlichkeit; wühlen alles durch, um nur einen armseligen Gedanken zu finden; über dem Schwatzen von Kunst, von Kunstsinn und was weiß ich – können sie nicht zum Schaffen kommen, und wird ihnen einmal so zu Muthe, als wenn sie ein paar Gedanken an's Tageslicht befördern müßten: so zeigt die furchtbare Kälte ihre weite Entfernung von der Sonne – es ist Lappländische Arbeit«.

Carus zählt die späteren Werke Beethovens obwohl er auch sie auf's höchste bewundert, schon zum Niedergang. In der 9ten Symphonie zum Beispiel herrsche keine organische Folge, sondern die Konsequenz der Zerrissenheit; eine krampfhafte Gereiztheit gehe bis zur Gedankenflucht und zum vollkommenen Wahnsinn, aus dem freilich die erhabensten Ideen aufzuckten. Selbst Hoffmann giebt zu, daß in der Missa manche Stellen zu jubilirend, zu irdisch jauchzend seien, dasselbe wohl, was Carus als »gewisse Buntheit« wegwünschen möchte. Ueberhaupt, obwohl gerade in der Missa Carus Geisterchöre zu hören vermeint, wie sie vor Gott erschallen, und sich durch Beethovens Genius an Dante gemahnt fühlt, findet er doch, daß sie nicht im ächten Baustyl der Kirche gehalten sei, den die alte italienische Kirchenmusik und Bach vertreten, jene den romantischen, dieser den gothischen. Auch Hoffmann schätzt die alten italienischen Meister – Palestrina, Leo, Durante – auf's höchste, empfiehlt überhaupt den Deutschen die Tonwerke »jenes in Musik erglühten Volkes,« dessen »einheimisches Eigenthum« der Gesang, der wahrhaft singende Gesang sei.

Die Melodie ist nach Hoffmann's Ansicht das Erste und Vorzüglichste in der Musik. Ohne ausdrucksvolle, singende Melodie sei jeder Schmuck der Instrumente nur ein glänzender Putz, der keinen lebendigen Körper ziere. Die nicht singbare Melodie sei eine Reihe von Tönen, die vergebens strebe, Musik zu werden. Erst in zweiter Linie stehe die Harmonik, und in Bezug auf sie sei alles Erkünstelte zu vermeiden. Bei der Modulation wären der Charakter der Tonarten und ihre Verwandtschaft unter einander, die der ächte Musiker verstände, zu beobachten.

Denkt man daran, daß Carus die Melodie einmal den Gedanken in der Musik nennt, so findet man, daß der neueren Musik derselbe Vorwurf gemacht wird, wie der ausartenden romantischen Dichtung, daß es ihr an Inhalt fehle, daß die Dekoration das Gerüst überwuchere, vielmehr daß das Gerüst, die Idee, zu schwächlich und nichtig sei. Vollends die Musik unserer Zeit, die über weit aufregendere Reizmittel verfügt als diejenige, die damals neu war, die nicht nur bestimmte Bilder und Handlungen, sondern bestimmte philosophische Betrachtungen zum Ausdruck bringen will, die von der Willkür bestimmt ist und uns wohl tiefer in die Sinnenwelt, aber nicht tiefer in das Geisterreich einführt, würde die romantischen Musikfreunde aus der ersten Hälfte des 19ten Jahrhunderts erschrecken und abstoßen.

Doch führt dahin mit Nothwendigkeit die romantische Richtung, wenn sie, wie es zu gehen pflegt, ihr Princip übertreibt. Die Dichtung, um sich kosmische Wirkungen nicht entgehen zu lassen und sowohl durch Stimmung zu berauschen, wie durch Ideen zu erhöhen, bringt zuletzt mit dem »Wohlklang leerer Verse« nur noch einen »somnambulen Rausch« hervor. Aber das Hellsehen gotterfüllter Begeisterter, das wußten die Romantiker wohl, steht höher als das künstlich in Hochschlaf versetzter Somnambulen. Die Musik, die musikalische Ideensprache der Melodie verschmähend, um über sich selbst hinauszugehen, verlernt sie schließlich und findet den Zauber nicht mehr, der vor der Seele die Pforten des Geisterreiches aufspringen läßt. Dieser Pforte ist die Poesie durch Zauberworte, die Musik durch Zaubertöne mächtig; versucht die Poesie es mit bloßen Tönen, die Musik mit Gedanken, bleibt sie zu, und es gelingt höchstens in der Gedanken- und Sinnenwelt Orgien zu erregen, die eine Weile für ächte Mysterien gelten.

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