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Gutenberg

Der Stolz und der Reichtum der patrizischen Geschlechter erkämpfte vielen Städten die Unabhängigkeit von ihrem bischöflichen oder fürstlichen Haupte. In Mainz waren die Erzbischöfe und Erzkanzler des Reiches in Germanien zu mächtig, als daß es der Bürgerschaft möglich gewesen wäre, die Reichsfreiheit zu erringen; doch erwarben sie bald durch Entgegenkommen, bald durch Auflehnung eine weitgehende Selbständigkeit. Gegen das Ende des 14. Jahrhunderts forderten die Zünfte, indem sie Geldverlegenheiten der Regierung benützten, Anteil am Regiment und erlangten ihn auch nach heftigen Kämpfen; unter den Geschlechtern, die erbittert über die Umwälzung auswanderten, befanden sich die Gensfleisch, seit alters zu den Münzgenossen gehörend. Es scheint, daß Friele Gensfleisch zum Gutenberg besonders verhaßt war; er begab sich nach Straßburg. Schon im 14. Jahrhundert waren manche von den alten Geschlechtern erloschen, so die Seelhofen, die zum Baumgarten, die zum Ageduch, im 15. Jahrhundert starben die Bechtelmayer, die Seeheim und andere aus. Wieviel Härten und Übergriffe sich diese Familien auch haben zuschulden kommen lassen, ihr Fehlen und ihre Gegnerschaft machte sich in einem Nachlassen der Regierungskunst fühlbar. Eine zwiespältige Bischofswahl wurde der Stadt zum Verhängnis: die Bürgerschaft hielt im allgemeinen zu Diether von Isenburg, dem Papst und Kaiser Adolf von Nassau entgegenstellten. Geheimes Einverständnis einiger Bürger ermöglichte es dem letzteren, die Stadt unvorbereitet zu überrumpeln: die Bürger, die nicht im Kampfe gefallen waren, wurden zum großen Teil verbannt, die Stadt verlor ihre Freiheiten und Privilegien. Nie wieder hat sie sich von diesem Schlage erholt; aber aus dem Schoße der Untergehenden erwuchs eine Kunst, die eine andere, neue, unbesiegbare Freiheit nicht nur für Mainz, sondern für alle Völker vorbereitete.

Schon um 1400 wurden in Deutschland Bilder in Holz und Metall geschnitten und abgedruckt. Im Jahre 1428 gab es eine Innung von Briefdruckern in Nördlingen und viele in Antwerpen, von Flandern aus hatten sich Briefdruck und Tafeldruck nach Deutschland verbreitet. Gutenbergs umwälzende Erfindung war der Druck mit gegossenen Lettern, wodurch die schnelle und verhältnismäßig billige Herstellung von Büchern möglich wurde. Das Geburtsjahr des Johann Gensfleisch, Sohnes des Friele und der Else zum Gutenberg, ist nicht bekannt; bei der großen Gutenbergfeier des Jahres 1900 wurde es auf 1400 festgesetzt. Auch von den Gedanken, Versuchen und Vorarbeiten der großen Erfindung weiß man nicht viel, außer daß Gutenberg sich mit »etlichen Künsten« beschäftigte, die augenscheinlich in Polieren von Steinen, Verfertigen von Spiegeln und anderen Metallarbeiten bestanden. Seine Geschicklichkeit als Erfinder war so bekannt, daß ihn Schüler umgaben, die an ihn glaubten und durch ihn Bedeutendes zu erlernen hofften. Im Jahre 1448 befand sich Gutenberg wieder in Mainz und schloß zwei Jahre später den ersten Vertrag mit Johann Fust, einem vermögenden Manne, der ihm das zur Herstellung einer Druckmaschine nötige Kapital lieferte.

Es ist bemerkenswert, daß unter den ersten Blättern, die Gutenberg nach seinem neuen Verfahren druckte, Ablaßbriefe waren: der neuen Kunst bediente sich das alte, das herrschende System. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts kam der König von Zypern, um die Christenheit zum Kampf gegen die vordringenden Türken anzutreiben. Er fand wenig tätige Teilnahme; aber Papst Nikolaus V. bewilligte doch im Jahre 1451 für alle, die sich mit Geld an den Türkenkriegen beteiligen würden, einen Ablaß, der von 1452 bis 1455 gelten sollte. Mit der Vertreibung des Ablasses in Deutschland betraute der König von Zypern Paulinus Zappe, der sich nach Mainz begab und das Geschäft dort lau betrieb. Die Eroberung Konstantinopels brachte mehr Bewegung in die Angelegenheit: ein Reichstag fand in Frankfurt statt, auf dem der Türkenkrieg beredet wurde, und auch Zappe befliß sich gesteigerter Tätigkeit. Von nun an ließ er die Ablaßbriefe nicht mehr schreiben, sondern drucken; der 23. Ablaßbrief, der vom 25. November 1451 bis 30. April 1455 gilt, ist noch vorhanden. Eine Flugschrift von neun Seiten aus dem Jahre 1455 hat gleichfalls die Türkengefahr zum Gegenstande. Im selben Jahre erhob Fust Klage gegen Gutenberg, als habe derselbe die Bedingungen des Vertrages nicht eingehalten, und gewann den Prozeß, obwohl im Gegenteil er die Zahlungen nicht in der versprochenen Höhe geleistet hatte. Er behielt die Typen der Bibel, die Gutenberg zu drucken begonnen hatte und die noch nicht vollendet war.

Die bittere Erfahrung lähmte Gutenberg nicht; er fand einen neuen Geldgeber in einem Mainzer Geistlichen und Juristen, namens Humery, stellte neue Typen her und druckte weiter, zunächst zwei kleine Schriften von Mathaeus von Krakau und Thomas von Aquino. Dann folgte im Jahre 1460 ein großes Werk, das Catholicon von dem Genueser Balbus; es enthält eine lateinische Grammatik und ein lateinisches Lexikon. Als einzelne Blätter verließen seine Druckerei im Jahre 1461 ein Brief des Kaisers Friedrich und eine Bulle des Papstes Pius II. über die Entsetzung des Erzbischofs Diether von Isenburg. Ein Jahr darauf folgte die Katastrophe der Stadt. Der Rückgang von Handel und Gewerbe in der verödeten und geknebelten Stadt war die Ursache, daß die neue Kunst sich schnell verbreitete; Schüler und Gehilfen des Meisters ließen sich in Basel und Straßburg nieder und eröffneten Druckereien, die bald erblühten. Im Jahre 1464 errichteten Conrad Schweinsheim und Arnold Pannartz aus der Offizin Schöffers, des Gegners von Gutenberg, der sich mit Fust verbunden hatte, eine Druckerei in Rom. Gutenberg selbst wurde vom Erzbischof Arnold von Nassau unter dem Titel eines Hofdienstmanns nach dessen Residenz Ellfeld gezogen, wohin er auch seine Apparate mitnahm. Die Brüder Heinrich und Nikolaus Bechtermünze, die mit ihm verwandt waren, wurden seine Schüler. Er starb im Jahre 1468.

Gutenberg war unverheiratet und kinderlos; er hat seine ganze Kraft auf die Ausgestaltung des folgenschweren Gedankens verwendet, der ihn erfaßt hatte. Manche Erfindung wird fast zufällig, fast nebenbei gemacht, die Tragweite anderer wird nicht richtig abgeschätzt; von Gutenberg, der außer dieser einen, weithinleuchtenden, kaum eine Spur seines Daseins hinterlassen hat, wissen wir bestimmt, daß er sich bewußt war, seinem Volke, ja, der Welt etwas überaus Großes, Wichtiges gegeben zu haben. Wenn er die Buchdruckerei die ars divina nannte, hat er wohl an einen ungeheuren Aufschwung des Geistes geglaubt, den sie veranlassen würde. Was für ein Ausblick: nicht nur die Geistlichen, nicht nur einige Reiche, die in der Lage waren, sich Bücher abschreiben zu lassen, das ganze Volk, reich und arm, würde lesen. Das Wort der Genien der Menschheit würde in die Hütten der Geringen wie in die Paläste der Großen scheinen. Ob es immer ein mildes, klärendes Licht sein würde? Ob seine Funken auch zünden, als Flamme rasen und verzehren würden? Alle Folgen, die sich an seine Erfindung knüpften, hat Gutenberg wohl nicht übersehen; aber man kann annehmen, daß der Mann, der, ungebeugt durch Treulosigkeit und Hinterlist, aufrecht seinen Weg verfolgte, das, was er erdacht hatte, auch ganz durchdachte, und daß die Ahnung von Gefahren seiner Gabe ihm den Glauben an ihre heilsame Bedeutung nicht raubte. Am wenigsten wird er daran gedacht haben, daß der Buchdruck dem Wort etwas von seiner Kraft und Inbrunst nehmen könnte.

Unter das im Jahre 1460 vollendete Catholicon, das Gutenbergs Namen nicht tragen durfte, weil es sonst beschlagnahmt worden wäre, setzte er in lateinischer Sprache eine Schlußbemerkung, die auf deutsch folgendermaßen lautet: »Unter dem Beistande des Höchsten, auf dessen Wink die Zungen der Kinder beredt werden und der oft den Kleinen offenbart, was er den Weisen verbirgt, ist dies vortreffliche Buch Catholicon im Jahre der Menschwerdung des Herrn 1460 in der guten Stadt Mainz (angehörig der ruhmreichen deutschen Nation, welche die Gnade Gottes mit einem so hohen Geisteslichte und freien Gnadengeschenke den übrigen Völkern der Erde vorzuziehen und zu verherrlichen für würdig gehalten hat) nicht vermittels des Rohres, des Griffels oder der Feder, sondern durch das wunderbare Zusammenpassen, Verhältnis und Gemeinmaß der Patrizen und Matrizen gedruckt und vollendet worden.«

Wundervoll spricht der Stolz des Künstlers und der Stolz des Deutschen aus diesen Worten, die nicht nur an ein paar Mönche oder Professoren, sondern an die Welt gerichtet sind. Es ist darin nicht die Rede von Erzbischöfen oder Fürsten, sondern von der deutschen Nation und von den Kleinen und Geringen, die Gott vor jenen begnaden kann. An der Schwelle des Absolutismus dachte der adlige Bürger von Mainz an die Kräfte, die im Schoße des arbeitenden Volkes schlummern, und die ein Gotteswort keimen und siegreich ans Licht wachsen lassen kann.


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