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Territorialfürsten

Es gab Dinge, in deren Verfolgung Ludwig der Bayer zielbewußte Beharrlichkeit entfalten konnte; das war alles, was die Begründung einer Hausmacht anging. Je mehr das Reichsgut zusammenschmolz, desto mehr suchten sich die Kaiser durch Ausdehnung ihrer fürstlichen Macht die notwendige Grundlage zu gewinnen. Beim Aussterben der Babenberger hoffte Friedrich II. sich durch Erwerbung Österreichs einen festen Punkt in Deutschland zu schaffen, was dann Rudolf von Habsburg gelang; Adolf von Nassau kämpfte vergeblich um Thüringen. Als zur Zeit Ludwigs mit dem großen Markgrafen Waldemar das verdiente Geschlecht der Askanier ausstarb, griff er zu und belehnte einen seiner Söhne mit Brandenburg. Noch einmal eröffnete sich eine verheißungsvolle Aussicht, als im Jahre 1335 Herzog Heinrich von Kärnten mit Hinterlassung einer Tochter starb, der letzte aus dem Hause der Grafen von Görz-Tirol. Margarethe Maultasch, die Erbin des schönen Landes Tirol, das durch seine Lage zwischen Deutschland und Italien wichtig war, wurde vielfach begehrt; König Johann von Böhmen trug den Gewinn davon, indem es ihm gelang, sie mit seinem jüngsten Sohne gleichen Namens zu vermählen. Den Umstand, daß Margarethe mit ihrem noch knabenhaften Gatten nicht zufrieden war, benutzte Ludwig; sie fand des Kaisers Sohn, den Markgrafen Ludwig von Brandenburg, annehmbarer und verstand sich dazu, Johann mit der Angabe, daß die Ehe nicht vollzogen sei, zu verstoßen und Ludwig zu heiraten. Da es vom Papst nicht zu erwarten war, erklärte sich der Bischof von Freising bereit, die Ehe für nichtig zu erklären. Die Beteiligten machten sich zu Pferd auf die Reise nach dem Schloß Tirol. Es war mitten im Winter des Jahres 1342. Beim Übergang über den Jaufen zwischen Sterzing und Passeier geschah es, daß der Bischof von Freising stürzte und starb; das konnte wohl als Gottesgericht aufgefaßt werden, und den Bischöfen von Augsburg und Regensburg wurde denn auch so bange, daß sie sich weigerten, die bedenkliche Handlung auszuführen. Der sonst dem Papst unterwürfige Ludwig indessen war in diesem Falle vorurteilsfrei und mutig, ließ seinen Sohn die Ehe mit der verheirateten Margarethe schließen und belehnte das Paar nicht nur mit Tirol, sondern auch mit Kärnten. Dadurch verfeindete er sich natürlich den König von Böhmen, sodann Österreich, das Anspruch auf Kärnten und Tirol erhob, aber nicht nur diese; die unverhohlene Ländergier, die sich über Ehebruch und Bigamie hinwegsetzte, entrüstete allgemein.

Wußten andere Fürsten sie besser einzukleiden, war ihre Ländergier doch nicht geringer. Seit Friedrich II. ihnen die fast unabhängige Landeshoheit zugestanden hatte und die Regierungsrechte nicht mehr vom Kaiser, sondern aus dem beherrschten Gebiet abgeleitet wurden, suchten sie möglichst ihre Länder abzurunden, ihre meist zerstreuten Besitzungen durch Erwerbung der dazwischenliegenden Gebiete in Zusammenhang zu bringen und das so entstandene Territorium durch Vereinigung aller Hoheitsrechte in ihrer Hand geschlossen und leichter regierbar zu machen. Sie verfuhren dabei mehr oder weniger planmäßig. König Johann von Böhmen war ein Fürst von der alten Art, der zwar an sich brachte, was irgend erreichbar war, dem es aber hauptsächlich auf den Kampf, die Spannung, das Abenteuer ankam. So hatte er den Einfall, ein oberitalienisches Königreich zu gründen, begann mit großem Schwung, hatte Erfolge, aber weder die Mittel noch Lust und Ausdauer, die Eroberungen festzuhalten und auszubauen, und verließ Italien, die Abwicklung der lästig gewordenen Angelegenheit seinem sechzehnjährigen Sohn Karl überlassend. Gern ging er auf sogenannte Heidenfahrten in das Gebiet des Deutschen Ordens, um gegen Preußen und Litauer zu kämpfen. Sein Königreich Böhmen ließ er durch seinen Sohn verwalten, zufrieden, wenn der genug Geld daraus zog und ihm ablieferte, damit er sein ritterliches Verschwenderleben führen konnte. Obwohl erblindet, nahm er auf seiten Frankreichs an der Schlacht bei Crécy teil, die zu einer vernichtenden Niederlage der Franzosen führte. Als Johann gegen Abend von seiner Umgebung erfuhr, daß es schlimm stehe, verlangte er von den Rittern Heinrich Mönch von Basel und Heinrich von Klingenberg, daß sie ihn in das Schlachtgetümmel hineinführten. »Fern sei«, sagte er zu ihnen, die es ihm auszureden versuchten, »daß Böhmens König aus der Schlacht fliehe; führt mich dorthin, wo der ärgste Kampf tobt.« Da banden die beiden Treuen und Tapferen sein Pferd an ihre Pferde und stürzten sich mit ihm und noch einigen Gefährten in die Schlacht. Mit dem König fielen alle bis auf zwei.

König Johanns Oheim dagegen, der Erzbischof Baldewin von Trier, war ein moderner Fürst, zwar auch ritterlich nach Erziehung und Gewohnheit, aber vor allem klug berechnender Wirtschafter, der als Begründer der staatlichen Macht des Kurfürstentums Trier anzusehen ist. Bis auf seine Zeit war es ein Gemengsel von Burgen, Städten, Dörfern, in denen nur einzelne Rechte den Erzbischöfen zustanden; er hinterließ ein zusammenhängendes, bis zu einem hohen Grade zentralisiertes Fürstentum. Allerdings hatte ihm schon einer seiner Vorgänger, Heinrich von Vinstingen, gewaltig vorgearbeitet; er hatte die Stadt Koblenz unterworfen, in Berncastel, Mayen, Ehrenbreitstein, Montabaur, Pfalzel, Manderscheid Burgen gebaut und die Grafen von Veldenz, Zweibrücken, Saarwerden und andere zu Lehensleuten gewonnen. Nachdem in der Folge die Verhältnisse durch andere Regierungen wieder zerrüttet waren, begann Baldewin mit der Wiederherstellung, indem er einen Schatz sammelte. Dazu hatte er als Wahlfürst Gelegenheit; denn es war Sitte geworden, daß die Kaiser die Stimmen ihrer Wähler unter dem Titel der Vergütung gehabter Auslagen kauften. Baldewin, ein Luxemburger, Sohn jenes Heinrich, der in der Ritterschlacht bei Worringen gefallen war, arbeitete an der Erhöhung seines Hauses, und er bewirkte hauptsächlich, daß sein Bruder Heinrich König wurde; allein er vergaß das Interesse seines Erzbistums nicht, sondern ließ sich reichlich bezahlen. Hatte König Albrecht zugunsten der Städte die Zölle am Rhein aufgehoben, so gestattete Heinrich seinem Bruder einen neuen Zoll. Neue Erkenntlichkeiten verdiente sich Baldewin von seinem königlichen Bruder dadurch, daß er ihn auf seinem Zuge nach Italien begleitete. Kurz vor Heinrichs Tode ging er nach Deutschland zurück, um mehr Mannschaft und mehr Geld zu beschaffen. Der neugewählte König Ludwig mußte sich wieder dankbar zeigen und verpfändete Baldewin seine Schlösser Stalburg und Staleck mit der Stadt Bacharach; ferner gewährte er ihm die volle Gerichtsbarkeit in allen Dörfern der Diözese Trier, wo bisher die Dorfleute selbst sie besessen hatten. Während seiner langen Regierungszeit suchte Baldewin die Güter der adligen Herren, die in seiner Diözese lagen oder daran grenzten, an sich zu bringen, entweder indem er sie kaufte oder wenigstens gewisse Rechte daran kaufte, oder indem er sie dazu bewog, ihre Güter von ihm zu Lehen zu nehmen. Eine große Anzahl kleiner Dynasten wurden so zu seinen Lehensleuten: Wilhelm von Manderscheid, Berthold von Henneberg, der Burggraf von Hammerstein, der Graf von Salm, die an der Nahe begüterten Wildgrafen und Raugrafen, der Graf von Katzenelnbogen. In einer längeren Fehde unterwarf er sich die mächtige Ritterschaft, die auf den Burgen Eltz, Waldeck und Schöneck saß; sie mußten versprechen, ihm gegen jedermann zu dienen. Die Grafen von Vianden, Eppenstein, Falkenstein und Leiningen, die Landgrafen von Leuchtenberg nahmen ihre Besitzungen von ihm zu Lehen, von den Grafen von Saarbrück und Zweibrücken bekam er wichtige Pfandschaften. Das sogenannte Cröver Reich, mehrere Dörfer an der Mosel, die vom Reich den Grafen von Sponheim verpfändet waren, überließ Karl, des Königs Johann von Böhmen Sohn, seinem Großoheim zur Einlösung, um dessen Unterstützung für seine Wahl zu gewinnen. Die alte Abtei Prüm in der Eifel mußte ihn als Schirmherr anerkennen und ihm ihre Türme überlassen. Die Stadt Trier ganz zu unterwerfen, gelang ihm nicht; aber er entfernte die Handwerker aus dem Rat, der nun ganz von den ihm willfährigeren Geschlechtern besetzt wurde. Die Unterworfenen pflegte Baldewin ihren Vorteil finden zu lassen. Überhaupt waltete er in geistlichen und weltlichen Dingen als einsichtsvoller Regent. Die Pfarrer hielt er an, die Armen und Kranken zu unterstützen; denn, sagte er, alles, was die Priester hätten, gehöre vorzugsweise den Armen. Bei allen Klöstern müßten Hospitäler mit genügend Einkünften für die Armen sein. Seine weitläufigen Verfügungen gegen abergläubische Gewohnheiten zeigen, wie sehr diese noch im Volke verbreitet waren: Gegen die Anwendung von Liedern und Zaubersprüchen beim Sammeln von Kräutern, gegen Weissagung, Zeichendeuten, Liebeszauber. Er wirkte aufklärerisch wie einst Karl der Große: keine Frau solle behaupten, sie reite nachts mit der Diana oder Herodias, denn das seien dämonische Einbildungen, man solle nicht den Lauf der Gestirne beobachten im Wahne, sie hätten nötigenden Einfluß auf menschliche Handlungen, man solle nicht aus den zwölf Himmelszeichen vorhersagen, welches der Charakter, die Handlungen, das Schicksal der Geborenen sein werde, oder ob der Bau eines Hauses, der Abschluß einer Ehe gut ausschlagen werde.

Dieser durchgreifende und erfolgreiche Fürst unterlag einmal der Schneidigkeit einer Dame. Die Gräfin Loretta von Sponheim, nach dem Tode ihres Mannes Vormünderin ihrer drei Söhne, geriet mit Baldewin in Streit, weil er eine Burg in ihrem Gebiet gebaut hatte, ohne Zweifel mit der Absicht, eine Schlinge über ihr Land zu werfen, wie er es auch sonst zu tun pflegte. Als er eine Reise auf der Mosel machte, nahmen ihre Leute ihn gefangen und brachten ihn auf die Starkenburg über Trarbach. Es blieb ihm nichts übrig, wenn er seine Freiheit wiedererlangen wollte, als auf die Bedingungen, die Loretta ihm stellte, einzugehen. Vielleicht wollte er seinen Ärger verbergen, wenn er sie scherzend tadelte, daß sie von ihm, dem reichsten Fürsten, nicht mehr Geld erpreßt habe.

Bei den vielen kostspieligen Unternehmungen, die der Erzbischof an der Hand hatte, war seine Kasse nicht immer voll. Einmal sah er sich genötigt, nicht nur seine eigenen Kleinodien, sondern auch wertvolles Kirchengerät dem reichen Kölner Arnold von dem Palaise zu verpfänden. Auch sonst machte er mit Kölner Bürgern Geldgeschäfte, hauptsächlich aber bediente er sich dabei der Vermittlung der Juden. Juden saßen in allen Trierschen Städten, in Trier selbst, in Wittlich, Koblenz, Boppard, Wesel; aber auch mit den Juden von Straßburg und Mainz stand Baldewin in geschäftlichen Beziehungen. Die Grafen von Saarbrücken, die einigen Trierschen Juden stark verschuldet waren, trugen ihnen zu ihrer Sicherheit Schloß Staufen und Stadt und Burg Zabern auf; als Schutzherr über die Juden setzte Baldewin einen Amtmann hinein, der gemeinsam mit einem gräflichen Beamten die Gefälle einnahm und die Juden auszahlte. Als Baldewins Großneffe Karl auf sein Betreiben zum König gewählt wurde, überwies ihm Karl zur Vergütung seiner Auslagen Judenabgaben im Reich und empfahl Samuel, einen Diener des Erzbischofs, seinen Beamten und Untertanen; da er ihm ernstliche Botschaften, Geschäfte und Gewerbe zu seinem und des Reiches Nutz befohlen habe, solle ihm und seiner Gesellschaft, wo sie auch reiten oder fahren, Fordernis, Hilfe und Geleit gegeben werden, so daß sie durch niemandes Gewalt und Dräuen aufgehalten werden. Als im Jahre 1337 durch einen Bauer, namens Armleder, im Nassauischen Judenverfolgungen entstanden, die sich auf Triersches Gebiet fortpflanzten, bestrafte Baldewin die Schuldigen. Den Judenschutz, ursprünglich ein Regal, suchten die Fürsten, wenn auch nur als Pfand, in ihre Hand zu bringen.

Ähnliche Bestrebungen wie Baldewin von Trier verfolgten die meisten Fürsten seiner Zeit, doch nicht immer mit so viel Klugheit und Geschick. Man kann in ihm einen Vorläufer des späteren aufgeklärten Despotismus sehen.


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