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Albert Magnus

Er, der zur Rechten mir am nächsten steht,
War Bruder mir und Meister; er ist Albert
Von Köln, und ich bin Thomas von Aquino.

Der, den Dante als Bruder und Meister des Thomas von Aquino einführt, ist nicht wie dieser von der Kirche unter ihre Heiligen aufgenommen; aber die Geschichte hat ihm als einzigen unter allen Gelehrten, unter allen Privatpersonen den Namen des Großen verliehen. An dieser überragenden mittelalterlichen Erscheinung stellt sich der Unterschied zwischen römischem und deutschem Wesen dar; wie durchaus mittelalterlich-katholisch er war, zugleich war er deutsch-protestantisch, er steht in der Kirche und ist doch auch größer als die Kirche, frei wandert er unter den Sternen, das Haupt gekrönt vom Sausen der Elemente. Fromm, treu, gerecht, ein unermüdlicher Arbeiter, tapfer zu seiner Überzeugung stehend, ein Zögling der Natur, bis ins höchste Alter jugendlich strebend, offen allem Lebendigen, ist der Doctor universalis zwar nicht das, was der Deutsche im allgemeinen ist, aber das, was er sein möchte, was er als deutsch liebt und verehrt.

Albert von Bollstädt ist in dem jetzt bayrischen Städtchen Lauingen, das seinen Ursprung in graue Vergangenheit zurückführt, als Sohn eines dem niederen Adel angehörigen Geschlechts geboren. Er wuchs in der Art der jungen Männer seines Standes auf, liebte die Jagd und war in allen ritterlichen Künsten geübt; was ihn bewog zu studieren, war neben dem Drang nach Erkenntnis sicherlich auch die Hoffnung, auf der Universität mit allen Fasern Leben und Lebenslust in sich aufnehmen zu können. Im alten ghibellinischen Padua, das sich unter den Hohenstaufen das Recht unbeschränkter Selbstregierung erworben hatte, tat sich im Jahre 1222 durch Übersiedelung von Professoren und Schülern aus Bologna eine neue Universität auf, wo besonders das Studium der freien Künste betrieben wurde. Dort gewann der damalige General des Dominikanerordens, Jordan, ein Deutscher aus der Gegend von Paderborn, der ein Schüler des heiligen Dominikus gewesen war und einen starken Einfluß auf die Jugend ausübte, Albert von Bollstädt für das Studium der Theologie und für den Orden. Nachdem er in Bologna Theologie studiert hatte, wurde er als Lehrer nach Köln berufen, lehrte vorübergehend an den Schulen von Hildesheim, Straßburg, Freiburg, Regensburg und in den Jahren 1245 bis 1248 in Paris. Als dann eine Schule in Köln gegründet wurde, schickte der Orden ihn dorthin.

Die Predigten und Erbauungsbücher Alberts bewegen sich in dem zu seiner Zeit üblichen Stile, der uns unverständlich geworden ist. Warum hat Christus Weizenbrot zur Verwandlung genommen? Sieben Gründe werden dafür angeführt, z. B. die Ähnlichkeit von Christi Leib mit dem Weizenbrot. Es folgt eine dreifache Betrachtung des Weizenbrotes: wie es in einem Haufen liegt, wie es in der Erde liegt, wie es zu Brot gebacken ist. In der ersten Hinsicht bedenkt er, wie Christus von der Jungfrau empfangen ist, in der zweiten wie er für uns gelitten hat, in der dritten wie er im Himmel verherrlicht ist. In der ersten wird die Mutter Christi geehrt, in der zweiten wird der Sünder befreit, in der dritten wird der Selige beglückt. Die Verkündigung wird in folgender Weise betrachtet: War es notwendig, daß der Erzengel Gabriel zu Maria geschickt wurde? Durch welchen Boten geschah die Verkündigung am passendsten? Mußte der Bote ein Engel sein? Oder ein Erzengel? Oder ein Cherub? Oder ein Seraph? Sollten alle Klassen der Engel zugleich die Sendung ausführen? Oder alle Engel zugleich? Oder der Vater? Oder der Sohn? Oder der Heilige Geist? Oder die ganze Heilige Dreifaltigkeit? In welcher Gestalt ist der Erzengel erschienen? Als Schlange oder als Taube? In welchem Alter? In welchem Kleid? – Eine alpdrückende Erinnerung an Schulaufsätze überkommt uns.

Aus der reichsten, blühendsten Offenbarung ist der Geist herausgepreßt, und der übriggebliebene Teig wird mit Fäusten bearbeitet und als Speise vorgesetzt. Man pflegte die in der Bibel erzählten Vorgänge nicht so zu behandeln, daß man den in ihnen liegenden Sinn entfaltete, daß man sie als vorbildliche Lebenserscheinung betrachtete, zu der das Leben aller in Beziehung steht, daß man sie durch sich selbst, durch die in ihnen liegende Poesie wirken ließ, sondern man machte eine Allegorie daraus, eine beliebige, an das Äußerliche anknüpfende Vergleichung, bei der die Einteilung die Hauptsache war, die aber mit dem Geist des Bibelwortes nichts zu tun hatte. Albert hat sich diese Mode angeeignet, ohne je den Drang nach einer tieferen, lichtvolleren Behandlung zu spüren. Man muß annehmen, daß dem frommen Manne die Form, in welcher die Frömmigkeit ausgeübt wurde, genügte, daß die Art, wie die Kirche die Beziehung des einzelnen zur Kirche vermittelte, für ihn die gute und richtige, durch die Überlieferung geheiligte war. Das schloß nicht die unmittelbare Beziehung zu Gott durch Gebet, in Glaube, Liebe und Erkenntnis aus. Wie die Kirchenlehrer schrieb er der natürlichen Vernunft eine hohe Kraft im Erkennen der Wahrheit zu, schätzte er die Griechen als das Volk, das durch Beobachtung der Gesetze und die höchste Weltweisheit blühte. Das größte Verdienst auf dem Gebiete der Philosophie erwarb er sich dadurch, daß er die Schriften des Aristoteles, gereinigt von den Irrtümern, die durch Averroës entstanden waren, übersetzte und bearbeitete und den Zeitgenossen Zugang zu dem heidnischen Heiligen des Mittelalters verschaffte. In seiner Ansicht über den Staat ist Albert wohl von Aristoteles beeinflußt, wie er denn überhaupt in allen seinen Anschauungen gern das Überlieferte übernahm und zu bestimmten eigenen, etwa auch von den überlieferten abweichenden nur dann kam, wenn er sie durch Erfahrung oder Erlebnis gewann. Damit hängt es zusammen, daß er kein Systematiker war und daß nicht seine Summa, sondern die des Thomas von Aquino, die endgültige, noch heute von der Kirche anerkannte, alles in Sein und Denken Existierende in einem geschlossenen Kosmos zusammenfassende All-Form geworden ist. Der mächtige Geist des großen Albert baute sich einen Kosmos und durchbrach ihn immer wieder, um jenseits in das Unendliche zu greifen. Der Natur gegenüber band ihn keine Fessel, suchte er den Grund der Erscheinungen in der Natur selbst. »Wir haben in der Natur nicht zu erforschen, wie Gott der Schöpfer nach seinem freien Willen die Geschöpfe gebraucht zu Wundern, wodurch er seine Allmacht zeigt, sondern vielmehr was in den Naturdingen nach den natürlichen Ursachen auf natürliche Weise geschehen kann.« Scientiae naturalis non est simpliciter narrata accipere sed in rebus naturalibus inquirere causas. Von früher Jugend an beseelte ihn der Hang, den Zusammenhang der natürlichen Erscheinungen aufzufinden. Auf der Jagd stellte er Beobachtungen mit den Falken und den Hunden an. In Padua beobachtete er, wie bei der Öffnung eines verschlossenen Brunnens die beiden Männer, die zuerst hinunterstiegen, starben, der dritte in Ohnmacht fiel, und daß das Wasser gut und brauchbar wurde, nachdem ein augenscheinlich fauliger Dunst daraus verflogen war. Auf seinen zahlreichen Reisen, die er zu Fuß machte, sah er immer gespannten und scharfen Blickes um sich und begab sich auch eigens dahin, wo etwas Merkwürdiges kennenzulernen war. Beim Austernessen interessierte er sich für die Perlen, die er fand, von 96 Edelsteinen zählte er die Fundorte und Eigenschaften auf. In Ostfranken sah er Magnetsteine von besonderer Kraft und notierte sich, daß ein wißbegieriger Gefährte beim Kaiser Friedrich Magnetsteine gesehen haben wollte, die nicht das Eisen anzogen, sondern vom Eisen angezogen wurden. Er beobachtete den Kampf eines Adlers mit einem Schwan, und daß der Schwan nicht nur beim Tode eines Genossen, sondern bei jedem Schmerz singe.

Ebenso wie Pflanzen und Tiere suchte er den Menschen zu erforschen. Er dachte nach über den Traum, bemerkte, daß man seltener von Gerüchen als von Gestalten und Farben träume und suchte das zu deuten, er glaubte, daß es prophetische Träume gebe, zweifelte aber, ob man sich darauf verlassen könne. Er war überzeugt, daß Mensch und Tier durch die Eigenart des geographischen Ortes beeinflußt werden, und meinte, daß die Germanen wegen der größeren Kälte ihrer Heimat groß, stark, mutig und ursprünglich ungeschickt zum Studieren seien, daß sie aber, wenn sie es einmal beginnen, mehr ausdauerten als andere. Als Beispiel führte er die Mailänder an. Von den romanischen Völkern sagte er lobend, daß sie die schöne Mitte bilden zwischen der Wildheit des Nordens und der Weichlichkeit des Südens. Er beobachtete, daß die Bergbewohner häufig »knotige, skrophulöse Hälse und Schlünde haben« und führte die Auswüchse auf das Wasser zurück. Daß die Physiognomie die herrschende Naturanlage des Menschen anzeige, glaubte er, aber nicht immer und nicht mit Notwendigkeit. Die Gegend an den Polen hielt er im allgemeinen für unbewohnbar wegen der Kälte; gebe es aber dort Tiere, so müßten sie große, fleischige Körper haben, damit die Kälte sie nicht so schnell durchdringe, und ihre Farbe müßte weißlich sein. Die andere Hälfte der Erde sei bewohnt, meinte er; wenn noch keiner der Bewohner zu uns gekommen sei, so liege das an der Größe des dazwischen ausgebreiteten Ozeans.

Wenn Albert die Natur aus sich selbst und ihren eigenen Bedingungen zu verstehen suchte, so sah er sie doch nie als etwas von Gott Geschiedenes oder Gott Entgegengesetztes an, sondern als von Gott erfüllt. Er glaubte fest an die Unsterblichkeit der Seele, und zwar der Einzelseele eines jeden. Heftig bekämpfte er die Ansicht der Araber, daß die Menschheit nur eine Seele habe, die nur durch die Körper individualisiert werde. Jede Seele, meinte er, sei unmittelbar von Gott erschaffen; da sie wesentlich vom Körper verschieden sei, nehme sie am Tode desselben nicht teil. Die Seele ist nach ihm die Form des Körpers und das Prinzip der Bewegung.

Fast noch bedeutsamer als das, was von Alberts philosophischer und naturwissenschaftlicher Wirksamkeit berichtet wird, sind die Sagen, die im Volke über ihn umgingen. Sie knüpfen zum Teil an mechanische Versuche, die er wohl wirklich angestellt hat. Einmal, so heißt es, habe sein Schüler Thomas von Aquino in seiner Abwesenheit die geheime Zelle betreten, wo er zu feilen und zu drechseln pflegte. Dort habe er allerlei ihm unbekannte Instrumente und Apparate und ein seltsam gestaltetes Tier und in einer Ecke einen feuerroten Vorhang gesehen. Da er es nicht habe lassen können, den Vorhang zurückzuschlagen, habe er ein wunderschönes Frauenbild erblickt, das ihn mit magischer Gewalt gefesselt habe. Das habe ihm zugerufen: Salve! Salve! Salve!, worüber er so entsetzt gewesen sei, daß er einen Stab genommen und darauf geschlagen habe. Unter wunderlichem Klirren und Stöhnen sei es zusammengebrochen. »Thomas«, habe der eben eintretende Albert ausgerufen, »was hast du getan? Das Werk dreißigjähriger Mühe hast du vernichtet.« Auch als Bischof von Regensburg soll er in dem Schlößchen Donaustauf, wohin er es liebte, sich zurückzuziehen, ein Laboratorium gehabt haben, wo er geheime Künste trieb. Womit er sich dort beschäftigte, kann man daraus schließen, daß er gelegentlich davon sprach, wie man durch Dampf das Entstehen eines Erdbebens veranschaulichen und daß man einem darauf bezüglichen Apparat die Gestalt eines blasenden Menschen geben könne. Indem er erzählte, Dädalus habe nach der Überlieferung aus Holz ein Minervabild gemacht, das beweglich gewesen sei und gesungen habe, erklärt er, auf welche Art sich das bewerkstelligen lasse. An den Besuch des Königs Wilhelm von Holland in Köln knüpft sich die Sage, wie Albert ihn und sein Gefolge im Dominikanerkloster empfing und sie einlud, im Klostergarten ein Mahl einzunehmen, wie den ungern Eintretenden statt des gefürchteten Frostes warmer Sommer, Blumenduft und Vögelgesang entgegenblühte, und wie Albert seine Gäste mit köstlichem Wein, jeden mit dem gewünschten, bewirtete. Die Zauberkunst, Menschen anzuziehen, übte Albert tatsächlich an dem jungen König aus, der sich von ihm, um seinen Umgang länger zu genießen, nach Utrecht begleiten ließ und ihm dort für seinen Orden ein schön gelegenes Haus schenkte. Medizinische Studien Alberts mögen der Sage zugrunde liegen, daß er einen Becher besessen habe, mit dem, bald mit Wasser, bald mit Wein gefüllt, er alle Kranken geheilt habe. Wenn es ferner heißt, daß er die Tochter des Königs von Frankreich durch die Lüfte nach Köln entführt habe, daß er auf dem Rücken des Teufels nach Rom geritten sei, um den Papst von einer Sünde abzuhalten, daß er sich von Gott erbeten habe, einige Tage im Fegefeuer zubringen zu dürfen, damit er auch diese Region kennenlerne, nachdem er auf Erden alles erforscht habe, glaubt man nicht wiederum aus Nebelgewölk die Gestalt Fausts auftauchen zu sehen? Aus dem Schoße des Volkes ringt sich ein deutsches Urbild los, der Himmelhochstrebende, Unersättliche, Niebefriedigte, auf den ein flackernder Schein aus der Hölle fällt. Wie neben Gottvater beinah kameradschaftlich der Teufel steht, so steht er auch neben dem genialen Menschen, halb mächtiger Gegengott, halb betrogener Kobold. Im Bunde mit dem Teufel selbst erscheint der Verwegene doch nicht schuldig, solange er kämpft und strebt und die Götterkraft in sich fühlt, den Bösen zu überwinden.

Wenn Albert nicht wie Goethes Faust wünschte, dem Meere Land abzugewinnen, um mit freiem Volk auf freiem Boden zu stehen, so beschützte er doch die Rechte und Freiheiten des Volkes soviel er konnte. Als Erzbischof Konrad von Hochstaden mit der Stadt Köln in einen schweren Streit geriet, gelang es Albert zweimal, eine Vermittelung herbeizuführen, wobei jedem das Seine gegeben wurde, was bei der Masse verwickelter Rechtsfragen und übergreifender Ansprüche außerordentlich schwierig war. Das Vertrauen, das beide Teile in Alberts Gerechtigkeitsliebe, Unbestechlichkeit und Sachkenntnis setzten, läßt seinen Charakter im schönsten Licht erscheinen. Bei der Sühne, der die verhängnisvolle kriegerische Auseinandersetzung folgte, fehlte seine Mitwirkung. Auch in Würzburg wurde er bei einem Streit zwischen Bischof und Bürgerschaft zur Vermittlung herangezogen und hat sie nicht versagt. Gerade diese Teilnahme an wichtigen öffentlichen Akten zeigt die frische Tätigkeit des gelehrten Dominikaners und seinen unbefangenen Sinn für die weltlichen Lebensverhältnisse.

So unbegrenzt war das Zutrauen zu Alberts Allvermögen, daß er nicht nur für den Erbauer der Dominikanerkirche und des neuen Domes in Regensburg gehalten wurde, sondern auch den Plan zum Kölner Dom soll er entworfen haben, nachdem der alte romanische im Jahre 1248 abgebrannt war. Dabei hätten ihm die Jungfrau Maria und die Patrone und Meister der Baukunst, die Vier Gekrönten, geholfen; denn die Heiligen bemühten sich nicht weniger um ihn als der Teufel. Überhaupt soll er die gotische Bauweise in Deutschland eingeführt haben, die deshalb kurzweg die Albertinische Kunst geheißen habe. Es spricht aus dieser durch nichts zu begründenden Sage das Gefühl, daß ein neuer Geist aus diesem Manne sprach, auf den man darum alles Neue und Große bezog. Wie seine Art der Naturbetrachtung, so widersprach er auch in religiösen Dingen oft der üblichen Auffassung. »Wenn wir denen vergeben, die uns an Leib, Ehre oder Gut schadeten, das ist uns mehr nütze, als wenn wir über Meer gingen und uns ins heilige Grab legten.« »Wenn wir Lieb und Leid in rechter Demut aus Gottes Hand empfangen und beides als Gottes Gabe erkennen, so ist uns das mehr nütze, als wenn wir alle Tage einen Wagen voll Birkenreiser auf unserem Rücken zerschlügen.« »Wenn der Mensch krank ist, so glaubt er oft, daß sein Leben unnütz sei vor Gott. Wenn er aber nicht des Gebetes und der guten Werke pflegen kann, schaut seine Krankheit und sein Verlangen tiefer in die Gottheit als zehnhundert Gesunde.« Der Katholizismus war unüberwindlich groß, als er noch den Protestantismus und die Mystik in sich schloß. Erhob sich Albert über das Formelhafte und Äußerliche sowohl wie über das krampfhaft Übertriebene, was kirchliche Gebräuche so leicht verfälscht, bewegte er sich doch treu in den Schranken der Kirchlichkeit und gab viele Proben herzlicher Frömmigkeit. Auch die Askese wußte er zu schätzen und übte sie in verständiger Weise, ließ sich aber doch, als er Bischof wurde, vom Gelübde der Armut entbinden. Liebesgeschichten sind nie von ihm berichtet worden, wieviel Gerüchte auch über ihn umgingen, und wie rücksichtslos er auch als Nekromant angegriffen wurde. Die Sage von der argen Herzogstochter, die neun Jünglinge liebte und dann umbrachte, und die auch ihn besitzen wollte, führt ihn als zauberkundig, aber als unverführbar ein. Doch war er ein Freund der Frauen und der Frauenbildung. Im Gegensatz zur Bibel forderte er, daß im Falle des Ehebruchs nicht nur der Mann die Frau, sondern auch die Frau den Mann entlassen dürfe. Das Recht, die ehebrecherische Frau zu töten, sprach er dem Manne ab.

In allen seinen Anschauungen hielt er die Mitte ein, nicht im Sinne des Mittelmäßigen, Verwaschenen, Verplatteten, sondern so, daß er das Entgegengesetzte zu verbinden suchte, wie es wirklich im Wesen der Menschen verbunden ist. Er war ein Gegner der Gütergemeinschaft, wie sie Plato lehrte; aber wenn er den Privatbesitz für zulässig und sogar löblich erklärte, so sagte er doch, daß der Mensch nicht unbedingt Herr seiner Güter sei. Privatbesitz, der über das hinausgehe, was man zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse benötige, müsse den Ärmeren zugute kommen. Der Besitzer überflüssiger Güter sei eigentlich nur Verwalter des Armengutes. Im Falle der Not werde Privatbesitz Gemeinbesitz, weil nach dem Naturrecht im Notfalle alles gemeinsam sei. Das folge aus der Zusammengehörigkeit aller im Staate. Im allgemeinen lehnte er sich in allen den Staat betreffenden Fragen an Aristoteles, zuweilen an Augustinus. Das Fundament des Staates ist ihm die Gerechtigkeit; er erinnert an das Wort des Augustinus: »Ohne Gerechtigkeit sind die Staaten weiter nichts als große Räuberbanden.« Wenn der Zweck des Staates ist, die Bürger zu versittlichen, so bildet dabei doch die Wirklichkeit des Lebens eine Grenze. So hielt er z. B. das Zinsnehmen für gestattet. Den Krieg sah er als ein Übel an, nicht aber den Soldatenstand für unsittlich oder unerlaubt; denn im Interesse seiner Souveränität müsse der Staat gerüstet sein und dürfe zur Verteidigung auch Kriege führen; Kriege gegen heidnische Völker zum Zwecke der Bekehrung dagegen verwarf er, ganz abweichend von den herrschenden Ansichten und Gepflogenheiten. Widerstand gegen Tyrannen hielt er für erlaubt. Der Staat war ihm nicht Machtstaat, sondern in erster Linie Kulturstaat.

Das Umfassen aller Gebiete des Glaubens, des Denkens und des Lebens macht Albert so groß. In alles, was er tat oder bearbeitete, vertiefte er sich gründlich, mit Leidenschaft. Die Menge seiner Schriften ist so groß, daß man meint, er müsse sein Leben mit der Feder in der Hand zugebracht haben. Doch schätzte ihn der Orden nicht nur als Prediger und als Universitätslehrer, sondern auch als Verwalter. In der Freundschaft war er treu und in der Anerkennung fremden Verdienstes so selbstlos und hingebend, daß er, als die Lehre des Thomas von Aquino in Paris angegriffen wurde, trotz seines hohen Alters, denn er war in der Mitte der achtziger Jahre, dorthin reiste, um seinen verstorbenen Schüler und Freund zu verteidigen. Es war ihm eine lange Lebenszeit beschieden, damit er alle Stufen des Lebens durchschreiten und ihre verschiedenen Aufgaben erfüllen könne. Er starb neunzigjährig im Jahre 1280.


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