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Die Ottonen

Die Familie der Arnulfinger, die rasch in leuchtenden Stufen zu ihrem Gipfel aufgestiegen war, verfiel sofort nach dem Tode des größten, wenn sie auch noch lange nicht erlosch, als hätte das weithin weckende Licht, das von ihm ausging, vom Horizonte sich nicht lösen mögen und in einem langen Abendrote dem Untergange nachgeglüht. Trotz der Teilung unter die Söhne Ludwigs des Frommen erhielt sich noch das Bewußtsein des Zusammenhanges der west- und ostfränkischen Reichshälften durch die Dynastie, wie sie denn auch unter Karl dem Dicken noch einmal vereinigt wurden. Immerhin, obwohl das häufige Vorkommen germanischer Namen im 9. Jahrhundert der westfränkischen Hälfte noch ein germanisches Gepräge gab, beweisen die Eide, die bei Gelegenheit der Verträge von Verdun und Mersen über die Trennung geleistet wurden, daß im westfränkischen Reiche Französisch, im ostfränkischen Deutsch gesprochen wurde.

Die endgültige Trennung der deutschredenden Stämme vom Westfrankenreich wurde offenbar, als im Jahre 911 der letzte ostfränkische König, Ludwig das Kind, starb. Die Deutschen dachten nicht daran, sich nun wieder dem westfränkischen Karolinger anzuschließen, sondern ein Teil wählte Konrad zum König, der als Herzog von Franken und Anverwandter der karolingischen Familie der geeignete Nachfolger zu sein schien. Während seiner kurzen Regierung bemühte sich Konrad vergeblich um den Anschluß aller Stämme; außer in Franken und Schwaben wurde er nirgends anerkannt. Seine edle Gesinnung bewies er dadurch, daß er sterbend seinem Bruder Eberhard empfahl, auf die Nachfolge zu verzichten und die Krone seinem bisherigen Gegner, dem Sachsenherzog Heinrich, anzubieten.

Als mit dem Tode Karls des Großen der Mittelpunkt erschlaffte, in dem die Reichsglieder zusammengefaßt waren, wurde das Grundwesen der Germanen wieder wirksam, denen weniger der Trieb nach Einheit im Blute liegt als der Drang des einzelnen oder der Gruppe nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Der romanische Staat betont die Vertretung des Ganzen, schafft einen Beamtenapparat, der vom Mittelpunkt ausgehend die Glieder von oben nach unten erfaßt und bewegt, wodurch für diesen die Möglichkeit entsteht, sich der beherrschten Teile zu bedienen, sie mit großer Kraft nach außen zu verwenden, sie auszubeuten. Der germanische Staat geht von den einfachen unteren Gliedern, der Familie, der Sippe, der Gemeinde aus und begegnet allmählich der von obenher beherrschenden Vertretung des Ganzen. Die Entfaltungsmöglichkeit und Freiheit des Individuums ist dem Germanen unendlich wichtig, und er opfert davon nur soviel wie nötig ist, damit ein Ganzes überhaupt sich bilden kann, während nach romanischer Auffassung der Staat im Besitz der Allgewalt ist und dem einzelnen an Befugnissen möglichst wenig überläßt. Die Vorteile des zentralisierten Staates sind Straffheit, Ordnung, Möglichkeit der Machtentfaltung nach außen, die des gegliederten Staates Mannigfaltigkeit, Reichtum an eigenartigen Individualitäten, Fülle der Natur, des schöpferischen Lebens. Im Hinblick auf den Beamtenapparat kann man den zentralisierten Staat auch den mechanischen nennen, worauf der häufig gebrauchte Ausdruck Staatsmaschinerie oder Staatsmaschine hinweist, während der organische von innen heraus wächst und sich verzweigt. Zu Karls des Großen Zeit konnte allerdings von einer Staatsmaschine im modernen Sinne nicht die Rede sein, sowohl aus technischen wie aus Gründen der Auffassung: er ließ den unterworfenen Stämmen ihr eigenes Recht, das er nur stellenweise ausbildete, und vermied Eingriffe in ihr kulturelles Leben. Der auf die Sachsen ausgeübte Zwang sollte nur dauern, bis die Christianisierung einigermaßen gesichert war. Immerhin zentralisierte er bis zu einem ziemlich hohen Grade, indem er das ganze Reich in Gaue einteilte, Grafen als Vorsteher derselben einsetzte und diese durch Königsboten beaufsichtigen ließ. Als Gegenwirkung gegen diese dem germanischen Geist widerstrebende Bindung an das Ganze bildete sich nach Karls Tode in den einzelnen Teilen des ostfränkischen Reiches das Stammesherzogtum wieder aus, und zwar mit besonderer Kraft in den beiden Ländern, die auch in anderer Hinsicht einander ähnlich waren, in Sachsen und Bayern. Beide Länder bedurften nach dem Verfall der Karolinger vorzugsweise einheimischer Führer, weil sie mehr als die anderen den Einfällen feindlicher Völker ausgesetzt waren, Sachsen der Normannen und Slawen, Bayern der Avaren und Magyaren. Der Herzog von Sachsen, Brun, fiel im Jahre 880 in der Nordsee gegen die Normannen, Luitpold, Graf in Bayern, im Jahre 907 gegen die Ungarn. Das große gemeinsame Erlebnis von Gefahr, Opfer und Sieg knüpfte das Volk fest an diese Familien. Wie nun die Germanen dazu neigen, nirgends ein absolutes Recht aufkommen zu lassen und andererseits nicht absolute Rechtlosigkeit zu dulden, so bestanden die Freien und Edlen auf dem Recht, den König oder Herzog zu wählen, ließen aber insofern den Grundsatz der Erblichkeit gelten, als sie die Verwandten der herrschenden Dynastie berücksichtigten, solange solche vorhanden waren. So gab in Sachsen Verwandtschaft mit dem unvergessenen Widukind ein Recht auf die Führerschaft, und es ist anzunehmen, daß die Familie der Brunonen oder Ludolfinger in verwandtschaftlichem Zusammenhang mit dem alten Helden gestanden hat. Ludolf, von Ludwig dem Deutschen zum Grafen erhoben, in Korvey, Quedlinburg, an den Quellen der Lippe begütert, vermählte seine Tochter Liutgard mit einem Sohne Ludwigs und stellte dadurch auch eine Verwandtschaft mit den Karolingern her. Nachdem Ludolfs Sohn Brun im Kampfe gegen die Normannen gefallen war, folgte ihm sein Bruder Otto, von dem die Überlieferung berichtet, daß ihm die Königskrone angeboten sei, daß er aber als zu alt darauf verzichtet und seine Wähler bewogen habe, sie dem Herzog der Franken zu übertragen. Sein Sohn Heinrich machte seinen Namen berühmt durch glückliche Bekämpfung der Slawen, konnte aber der Ungarn, die sie herbeiriefen, nicht sofort Herr werden.

Schöne Gestalt, schönes Antlitz, königliche Haltung, Festigkeit, Gelassenheit und vermutlich die kühle Kindlichkeit, der gutmütige Humor und die Spielfreude, die dem niedersächsischen Menschen eigen sind, machten Heinrich zum Liebling des Volkes und der Sage. Man verübelte es ihm nicht, daß er Hatheburg, die der erste Gegenstand seiner Liebe war, als sie ihm gleichgültig geworden war, in das Kloster zurückschickte, aus dem er sie geholt hatte, die Güter aber, die sie ihm zugebracht hatte, behielt. Seine Ehe mit der jungen Mathilde, die durch ihren Vater von Widukind abstammte, befriedigte die Anhänglichkeit der Sachsen und machte ihn zum Vater ausgezeichneter Söhne und Töchter. Die Frage der Reichseinheit löste er dadurch, daß er die einzelnen Stämme in Güte zu gewinnen wußte; Herzog Arnulf von Bayern verband er sich in persönlicher Unterredung und indem er ihm allerlei Sonderrechte, hauptsächlich auf kirchlichem Gebiete, zugestand. Es kam Heinrich allerdings zugute, daß er von vornherein im Bunde mit den Franken war. Auf eine eigentliche Unterordnung der Herzogtümer unter die Königsgewalt verzichtete er, die weitere Ausbildung der Verfassung seinem Nachfolger überlassend. Es gehört zu dem Anziehenden seines Wesens, daß er sich im Augenblick bescheiden konnte, um für die Zukunft das Unmögliche möglich zu machen. So hielt er es mit den Ungarn, denen er jahrelang Tribut zahlte, um inzwischen ein Heer und passende Verteidigungsanstalten auszubilden und den Feind mit Sicherheit besiegen zu können. So begnügte er sich damit, einen losen Staatenbund zu schaffen und wenigstens das Auseinanderfallen des Reiches zu verhindern, so verfuhr er in bezug auf Rom und das Imperium. Als er in Fritzlar zum König der Sachsen und Franken gekrönt wurde, und der Erzbischof von Mainz ihn salben und krönen wollte, lehnte er das ab als solcher Ehre nicht würdig. Ob er am Ende des Lebens daran dachte, sich die Kaiserkrone in Rom zu holen, ist ungewiß. Stetig, schlicht, frei von Prahlerei und Eitelkeit, sicher in der eigenen Kraft ruhend, ging er in das liebevolle Gedächtnis nicht nur der Sachsen, sondern des ganzen deutschen Volkes ein.

Dem vorbereitenden, grundlegenden Fürsten folgte sein großer Sohn Otto, der von Anfang an mehr Königsbewußtsein und höhere Ziele hatte. Heinrich blieb immer in erster Linie Herzog der Sachsen, wenn er auch als ein pflichttreuer Mann die Aufgaben, die das Schicksal ihm zuwies, erfüllte; Otto fühlte sich als Nachfolger Karls des Großen. Wo sein Vater als Erster unter Gleichen auftrat, war er Herrscher, ohne daß ihm doch das schöne Gleichgewicht der Seele, das jenen auszeichnete, gefehlt hätte. Von allen Seiten befehdet, von Verrat umgeben, konnte er wohl heftig zürnen und strafen; aber er blieb im Herzen gelassen und frei. Wenn er auf einsamen Wegen unter den Eichen seiner Wälder sich mit der Vogeljagd belustigte, sang er selbstvergessen liebliche Lieder vor sich hin. Großmütig, gar nicht mißtrauisch konnte er denselben Feinden, die ihn immer wieder verrieten, immer wieder verzeihen.

Obgleich zur Zeit Ottos die Zahl der freien Leute noch beträchtlich war, so hatten sich infolge der Lehensverfassung doch die Vasallen schon zu sehr zwischen König und Volk geschoben, als daß er sich darauf hätte stützen können. Um ein Gegengewicht gegen das Unabhängigkeitsstreben der Stämme zu schaffen, bediente er sich seiner Verwandten und der Bischöfe. Da er in der Verwandtschaft seine ärgsten Feinde hatte, erwies sich die erstgenannte Waffe als zweischneidig. Sehr wertvoll war ihm sein jüngster Bruder Brun, ein ausgezeichneter Charakter, sich selbst streng beherrschend und gerecht gegen andere, den er zum Erzbischof von Köln und Herzog von Lothringen machte. Bruns zugleich wissenschaftliche und staatsmännische Begabung machten ihn für diese Doppelstellung geeignet. Heinrich dagegen wollte selbst König werden und machte sich zum Mittelpunkt aller Feindseligkeiten gegen seinen Bruder. Schweigsam, verschlossen, ränkesüchtig, dabei maßlos heftig und rachsüchtig erscheint sein Charakter durchaus nicht anziehend, aber eine Persönlichkeit muß er doch gewesen sein; weil er seinem blonden Vater glich, bevorzugte ihn die Mutter, überhaupt machte ihn seine Schönheit bei den Frauen beliebt. Nachdem er sich endgültig unterworfen hatte, erhielt er das Herzogtum Bayern und erwies sich seitdem als zuverlässige Stütze des Königs. Durch seine Heirat mit Judith, der Tochter des verstorbenen Herzogs Arnulf, nahm er an dem Ansehen der einheimischen Dynastie teil. Seinen Schwiegersohn Konrad machte Otto zum Herzog von Lothringen, seinen Sohn Ludolf zum Herzog von Schwaben, nachdem er ihn mit der Tochter des letzten Schwabenherzogs Hermann verheiratet hatte; beide fielen von ihm ab. In den Stämmen war ein so starker Widerstand gegen die königliche Oberherrschaft, daß die Stammeshäupter wie durch eine Naturkraft davon ergriffen wurden; die Zeitgenossen wenigstens haben den unglücklichen Ludolf, bevor er Herzog wurde, der Untreue und Widersetzlichkeit nicht fähig gehalten, und Konrad hat durch den Eifer, mit dem er, um sein Vergehen gutzumachen, sich am Kampfe gegen die Ungarn beteiligte, bewiesen, daß er nicht unedel dachte.

Eine ganz andere Grundlage bestimmte die Stellung der Bischöfe. Als Glieder der Kirche vertraten sie von vornherein die Idee der Reichseinheit, die in Rom ihren Mittelpunkt hatte. Sie waren bereit, sich der Hoheit des Königs, nicht aber den Herzögen unterzuordnen. Der Erzbischof von Mainz besonders, dessen Diözese sich durch das ganze Reich erstreckte, fühlte sich dem Reiche verbunden. Alle Erzbischöfe erhielten die Erinnerung an das Karolingerreich, wo Papst und Kaiser gemeinsam, Karl der Große fast allein, Kirche und Reich regiert hatten, und Otto pflegte diese Überlieferung. Während Heinrich, sein Vater, die Kaiserkrönung abgelehnt hatte, ließ er sich in Aachen, nachdem er von den Herzogen und Großen in einem mit dem Münster verbundenen Säulengange auf den Thron gehoben worden war, im Inneren der Kirche von den Erzbischöfen von Mainz und Köln nach der alten Ordnung mit dem Schwert umgürten und dem Mantel bekleiden, salben und krönen. Von den Herzogen, die bei der nachher stattfindenden Tafel die herkömmlichen Ämter als Mundschenk, Truchseß, Marschall und Kämmerer ausübten, fielen drei bald nachher von ihm ab. Von den Bischöfen wurde nur einer später sein Gegner, der Erzbischof Friedrich von Mainz, der die von Otto angebahnte Verbindung des geistlichen Amts mit weltlichen Geschäften mißbilligte.

Die Heranziehung der Bischöfe zu den Reichsgeschäften bewirkte Otto dadurch, daß er ihnen Grafschaftsrechte verlieh und durch Erteilung von Immunitäten Bischöfe und Äbte von den königlichen Gerichten unabhängig machte. Er leitete diese folgenreiche Umwandlung der Verfassung behutsam ein, seine Söhne setzten sie unbedenklicher fort. Bald kamen ganze Grafschaften an die Bischöfe, die dadurch zu weltlichen Fürsten wurden. Der Gewinn für den König war unübersehbar: er konnte nun auf die Anhänglichkeit einer Anzahl großer Herren rechnen, die ihn nicht nur durch ihren Rat und Einfluß, sondern auch durch das Aufgebot ihrer Mannschaft unterstützten. Allerdings wurde die kirchliche Tätigkeit der Bischöfe durch den neuen Aufgabenkreis, der ihnen erwuchs, wesentlich eingeschränkt. Predigt und Armenpflege, ursprünglich eine heilige Pflicht ihres Amtes, mußten den Pfarrern überlassen werden, die Bischöfe, die die Könige auf ihren Reisen und Heerzügen begleiteten, waren nicht selten jahrelang von ihren Diözesen abwesend. Indessen diese dem hohen Adel entstammenden Männer waren mit der Verweltlichung mehr als einverstanden. Nur ausnahmsweise war einer von der Wichtigkeit der geistlichen Seite seines Amtes so durchdrungen, daß er die Verflechtung in weltliche Geschäfte als ungehörig und belästigend empfand.

Otto I. hatte wie Karl der Große die Gabe nie ermüdender Tätigkeit. Er bedurfte nicht viel Schlafs, und da er im Schlafe sprach, meinte man, daß er selbst schlafend wache. Die Niederwerfung der Aufstände in den Herzogtümern, die Bekämpfung der Slawen und Ungarn nahmen die ersten Jahrzehnte seiner Regierung in Anspruch, dann konnte er endlich den Blick auf Italien richten. Gegen den Papst, der den Karolinger Arnulf krönte, hatte sich der römische Stadtadel erhoben; jetzt traten Umstände ein, die an diejenigen erinnern, welche einst Pipin und Karl mit Rom verknüpften.

Von zwei Seiten wurde die Gründung eines italienischen Königreiches erstrebt: von den langobardischen Teilfürsten, die sich unter den letzten Karolingern unabhängig gemacht hatten, und von dem römischen Stadtadel, den Orsini, Frangipani, den Crescentiern. Stolz auf ihre Abkunft, stolz auf ihre schicksalsvolle Stadt, erhoben sie den Anspruch auf Herrschaft, und das Mittel, durch das sie ihn zu verwirklichen hofften, war das Papsttum. Da sie es nicht vernichten konnten, dachten sie es zu benützen und setzten Päpste ein, die Werkzeuge ihres Willens waren. Damals war es Oktavian, der noch jugendliche Sohn des berühmten Alberich, der großartige römisch-nationale Pläne kühn vertreten hatte. Für diese Römer war der Papst nicht der Nachfolger und Stellvertreter Christi, sondern der Herr Roms und damit der Herr Italiens. Man möchte sich ausmalen, welche Folgen es gehabt hätte, wenn sie die römische Kirche säkularisiert und von dem weltlich gewordenen Kirchenstaat aus Italien erobert und geeinigt hätten. Allein die Wirklichkeit widersprach diesem Plan durchaus, machte ihn zu einem Abenteuer. Der Papstgedanke als Gedanke des christlichen Weltreiches war viel zu mächtig, als daß irgendein anderer ihn hätte überwinden können, geschweige denn der Gedanke Italiens als eines selbständigen, nationalen Landes. Mehr tatsächliche Macht und Einfluß als die römischen Adelsfamilien hatte König Berengar; um sich gegen ihn halten zu können, mußte Johann XII., so nannte sich Oktavian, eine kriegsgewaltige Hilfe suchen und wählte dazu den König des ostfränkischen Reiches. Für Otto war dieser Ruf des Papstes der Wink seines Gottes, der ihm die rechte Stunde anzeigte. Er konnte eingreifen, er konnte, indem er die von Berengar verfolgte Burgunderin Adelheid, die Witwe eines Prätendenten auf die italienische Königskrone, heiratete, seinen Ansprüchen auf Italien einen neuen hinzufügen. Den wesentlichen Anspruch gab ihm, daß er sich als Nachfolger Karls des Großen betrachtete. Weit entfernt, daß die Sachsen ihren ehemaligen Feind und Besieger gehaßt hätten, er war ihr Vorbild geworden, der Quell ihrer Macht und ihrer Rechte, und nicht nur den Sachsen, sondern ebenso den Friesen, den Lothringern, den Bayern. Alle wollten von Karl abstammen, ihre Rechte, ihr Dasein von ihm ableiten.

Im Jahre 962 empfing Otto in Rom die Kaiserkrone. Es ist Überlieferung, daß ein junger Gefolgsmann Ottos, Graf Arnfried von Löwen, während er in St. Peter betete, das Schwert über seinem Haupte gehalten habe, um ihn vor Überfällen zu schützen. So war er von Haß und Feindschaft umgeben. Der römische Papst, der ihn gerufen hatte, bereute es bald, als er begriff, daß der sächsische Beschützer sein Herr werde. Nur mit Gewalt konnte der König seine Anerkennung durchsetzen. Es war nicht so, daß in Italien eine grundsätzliche Abneigung gegen die Deutschen bestanden hätte, denn ein Nationalbewußtsein hatte sich noch nicht bilden können, vielmehr begegneten sie zuweilen freudiger Erwartung, weil immer irgendein Übel gegenwärtig war, das man bei der Veränderung loszuwerden hoffte; aber bei längerer Anwesenheit der überwiegend rohen Krieger, bei der Schwierigkeit, sich zu verständigen, kam es leicht zu Streit und Handgreiflichkeiten und erwachte in den gebildeteren, aber kriegsmäßig schwächeren Italienern ein empfindliches Überlegenheitsgefühl.

Mit welchen Gefühlen der König in Rom weilte, davon ist uns nichts berichtet. Bewunderte er die reichgeschmückten Basiliken von St. Peter und St. Paul, stand er staunend vor den ungeheuren Ruinen des Altertums, in denen und über die sich die Adelsburgen mit ihren Türmen und Zinnen erhoben? Das Gleichgewicht seiner Seele wurde nicht dadurch erschüttert, er wird gedacht haben, wie später Bischof Thietmar von Merseburg, daß sein Sachsen ein blumenreicher Paradiesgarten und daß der Reichtum an Männern und Waffen mehr wert sei als Roms Marmorbilder, daß er stark und glücklich nur daheim sein könne, wo die Eichen seiner Wälder ihn umrauschten und wo die Gräber seiner hohen Ahnen ihn mit einer gesegneten Vergangenheit verbanden. Obwohl er die gelehrten Männer, denen er in Italien begegnete, zu schätzen wußte und an sich zu fesseln suchte, so flößten ihm doch die allgemeinen Verhältnisse keine Achtung ein: sowohl die Bevölkerung von Rom wie die Langobarden, der Papst, die Sarazenen und Griechen, alle unterwarfen sich ihm, sowie er mit Heeresmacht erschien, um von ihm abzufallen, sowie er den Rücken wandte. Alles erlebte er, was sich Jahrhunderte hindurch wiederholen sollte, jubelnden Empfang, verräterischen Überfall, beleidigenden Hohn, Kampf und Sieg und wieder Abfall, und schließlich die Seuche, die die Zucht im Heere auflöste.

Die Päpste, die vom römischen Adel abhingen und zum römischen Adel gehörten, waren keine zu fürchtenden Gegner, denn sie entschlugen sich der einzigen Macht, die sie dem König hätte ebenbürtig machen können, der sie hauptsächlich ihre einzigartige Stellung verdankten, nämlich die christlich-sittliche Idee, deren Vertreter sie gewesen waren und sein sollten. Johann XII. gab keinen von den Genüssen auf, mit denen die jungen Adligen sich zu unterhalten pflegten, er würfelte, jagte, liebte und handhabte nicht einmal die üblichen christlichen Frömmigkeitsformeln, sondern schwur bei den alten Göttern. Wenn er sich dabei wohl so wenig dachte wie ein Mensch von heute, der »lieber Gott« sagt, so war ihm doch sicherlich der Name des Christengottes ein ebenso leeres Wort. Inmitten dieses zerrissenen Landes, dieser sich kreuzenden Leidenschaften und Ränke, begriff Otto als die Aufgabe des Herrschers, Ordnung zu schaffen. Er brachte den langobardischen König und seine Frau als Gefangene nach Deutschland, ebenso Papst Benedikt V., den sich die Römer eigenmächtig gesetzt hatten. Denn er bestätigte zwar den Päpsten die Schenkungen Pipins und Karls des Großen, bedang sich aber aus, daß keine Papstwahl ohne seine Zustimmung Gültigkeit haben sollte.

Otto I. hatte das Schicksal genialer Herrscher, daß er sein Reich unzulänglichen Nachfolgern überlassen mußte. Sein Sohn und sein Enkel waren Blüten am väterlichen Baume, nicht Stämme, die mit eigener Wurzel aus der Erde wuchsen. Otto II. war sympathisch durch sein feuriges Temperament und die Geistesgegenwart und Verwegenheit, mit der er nach der furchtbaren Niederlage, die die Sarazenen ihm zugefügt hatten, entfloh und sich rettete. Unter Italien verstand man damals die Halbinsel ohne Venedig, das tatsächlich unabhängig war, aber dem Namen nach zum byzantinischen Reich gehörte; und ohne den Süden, Apulien, Kalabrien und Sizilien, der teils griechisch war, teils von den Sarazenen erobert. Es konnte nicht anders sein, als daß die Kaiser auch das südliche Gebiet an sich zu bringen suchten, wodurch die Beziehungen zu Byzanz noch peinlicher wurden als sie ohnehin waren. Wie die Römer betrachteten auch die Griechen die Germanen als Barbaren und wiegten sich im Vorzug der älteren Kultur um so lieber, als sie die militärische Übermacht des ostfränkischen Reiches anerkennen mußten. Nur nach langen schwierigen Verhandlungen und infolge besonderer Umstände erlangte Otto I. für seinen Sohn die Hand einer griechischen Prinzessin. Theophano scheint dem Ruf feinerer Bildung der Griechen entsprochen zu haben; das machte sich auch durch den Einfluß geltend, den sie auf ihren Sohn ausübte, der schon von Natur mehr ein Sohn der Mutter als Erbe der Väter war. Karl der Große und Otto der Große vergaßen nie, daß ihre germanischen Völker ihnen die Mittel gaben, Italien zu beherrschen, der eine war Franke, der andere Sachse, und das wollten sie sein. Otto III. wollte den Schwerpunkt des Reiches nach Rom verlegen. Es schien ein richtiger, ein großer Gedanke zu sein: wenn Rom das Haupt der Welt ist, wenn Rom die Cäsarenkrone vergibt, muß der Kaiser in Rom residieren, müssen in Rom die Zügel gehalten werden, die die Welt lenken, darf das deutsche Reich nur eins neben den anderen Reichen sein, deren Haupt Rom ist. Tatsächlich war das neue Römische Weltreich kein Kreis, sondern eine Ellipse mit den zwei Brennpunkten Rom und Aachen; der universale Gedanke mußte scheitern, wenn man ihn durch eine Universalmonarchie mit einem einzigen Mittelpunkte verwirklichen wollte. Zum Zeichen seines cäsaropapistischen Gedankens setzte Otto III. Verwandte und Freunde auf den päpstlichen Stuhl, seinen Vetter Brun, den ersten deutschen Papst, und seinen bewunderten Lehrer, Gerbert von Aurillac.

Die Deutschen empfanden den Wechsel in der Politik ihres Königs bitter. Der Urenkel des Sachsenherzogs Heinrich, der Enkel des großen Otto, die nicht einmal Latein verstanden, die sich mit Vorliebe in Quedlinburg aufhielten und in den Wäldern des Harzes jagten, war ein Fremder im Norden; den Römern aber blieb er fast noch fremder als sein Großvater. Der war tatkräftig, folgerichtig, ein Herrscher, der zu rechter Zeit zu gebieten, zu strafen, zu verzeihen wußte; Otto III. wollte zugleich die Welt beherrschen und ein Heiliger sein. Otto I. wurde geliebt und verehrt, aber zugleich gefürchtet. Einmal begaben sich die Mönche von Sankt Gallen mit ihrem neuerwählten Abt an den Hof nach Speyer, um sich vom König die Wahl bestätigen zu lassen. Obwohl sie das Recht der freien Abtswahl besaßen, kamen sie als Bittende und nicht ohne Sorge, denn sie wußten, daß ihr Erwählter dem Herrn nicht sonderlich genehm war. Sie ersuchten den jungen Otto um Fürsprache, der auch als liebenswürdiger Kronprinz sich für ihr Anliegen einzusetzen versprach, hinzufügend: »Gott, in dessen Hand die Herzen der Könige sind, möge für euch meinen Löwen mild und versöhnlich machen.« Der Bischof von Speyer sagte gelegentlich zum Kaiser: »Niemals waren Augen schärfer als die deinigen, mein Löwe.« Wie einen Löwen liebten die Deutschen sich ihre Herrscher vorzustellen: furchtbar, gefährlich, großmütig. Gegen das Ende seines Lebens besuchte Otto zusammen mit seinem Sohne das Kloster Sankt Gallen. Die auf beiden Seiten aufgereihten lobsingenden Mönche betrachteten scheu den alten König, wie er mächtig in ihrer Mitte stand und die großen Augen mit Herrscherblick langsam über sie hingleiten ließ. Otto III. ließ sich vom Bischof Adalbert von Prag, der seine Diözese verlassen hatte, weil er unter der Roheit und Widersetzlichkeit der Böhmen litt, ermahnen, sich des Kaisertums nicht zu überheben, sondern eingedenk zu sein, daß er Staub sei, und kniete weinend vor den Eremiten, die damals in Italien den Ruf der Heiligkeit genossen. Er gab sich abwechselnd schrankenlosen Herrschaftsansprüchen und haltloser Zerknirschung hin. »Euretwegen«, rief er den aufständischen Römern zu, »habe ich mein Vaterland und meine Angehörigen verlassen. Die Liebe zu euch ließ mich meine Sachsen und alle Deutschen, mein eigen Blut verschmähen. Euretwegen habe ich die Mißgunst und den Haß aller auf mich geladen, da ich euch über alle stellte. Und für all das habt ihr euren Vater verworfen, meine Diener grausam ermordet und mich, den ihr doch nicht ausschließen könnt, ausgeschlossen!« Aber die Römer unterwarfen sich wohl einem Herrscher, der ihnen seine Kraft bewies, einen frommen Schwärmer und Barbaren, der sie mit weinerlichen Worten an sich fesseln wollte, verachteten sie.

Als Otto III. im Jahre 1000 in Aachen war, ließ er sich die Gruft Karls des Großen öffnen. Mit drei Begleitern drang er in das vom Geruch der Verwesung erfüllte Gewölbe ein und sah den toten Kaiser, so erzählt die Überlieferung, aufrecht, als lebe er, auf seinem Stuhle sitzen. Er hatte eine Krone auf dem Haupte, und die Nägel waren durch die Handschuhe, die er trug, hindurchgewachsen, ein grauenvolles Zeichen posthumer Lebendigkeit. Der Toten Grabesruhe zu stören war von der Kirche verboten und widerstrebte dem Gefühl des Volkes. Man glaubte, der edle Geist sei dem Königs Jüngling zürnend erschienen und habe ihm ein ruhmloses Ende geweissagt. Er starb zwei Jahre später zu seinem und des Reiches Glücke: denn die Unzufriedenheit der Deutschen wäre vermutlich bald zum Ausbruch gekommen und hätte ihn jeder Grundlage beraubt.

Von den deutschen Königen im engeren Sinne ist Otto I. der einzige, dem der Beiname der Große gegeben wurde, obwohl unter seinen Nachfolgern mancher ebenso geistvoll und tatkräftig war wie er. Es erklärt sich daraus, daß er in mancher Hinsicht wie Karl der Große ein Begründender war, daß er, indem er das Kaisertum an die Deutschen brachte, eine neue Epoche einleitete. Was für zerreißende Schicksale die Verbindung mit Italien und dem Papst auch über Deutschland brachte, sie gab ihm eine Weltstellung, sie gab ihm das Glück großer Gedanken, großer Kämpfe, einer großen Aufgabe. Nicht das ist ja das Höchste, daß eine dauernde Ordnung entsteht, die dem Volke Wohlstand und ruhiges Gedeihen gewährt, obwohl ein guter Herrscher auch das anstreben wird, sondern daß große Gedanken das Gemüt des Volkes bewegen, an denen es wachsen, für die es sich einsetzen kann. Und die Aufgabe, die Otto der Große seinem Volke bestimmte, war nichts Ausgeklügeltes, sie war in der Geschichte, in der geographischen Lage, in der Anlage und den Neigungen der deutschen Stämme vorgebildet. Es wäre nicht möglich gewesen, das deutsche Volk zum Träger des universalen Gedankens zu machen, wenn nicht viele Tatsachen ihn bestätigt hätten.

Dennoch war es nicht die Begründung des Kaisertums allein, die Otto vor so vielen Großen groß erscheinen ließ, sondern auch das Umfassende seiner Bestrebungen und seine Persönlichkeit. Nicht nur besiegte er endgültig die Ungarn, sondern er bekämpfte auch mit Glück die Slawen und gründete, allen Widerstand überwindend, das Erzbistum Magdeburg als Ausgangspunkt der Christianisierung der Länder jenseits der Elbe. Gesandtschaften von nah und fern bewiesen, daß ihm die christlichen und die heidnischen Völker einen Ehrenplatz in der abendländischen Welt einräumten. Hat er auch auf die Kirche, die Wissenschaften und Künste nicht so entscheidend und richtunggebend gewirkt wie Karl der Große, so hat er doch die Bedeutung dieser Seite des geistigen Lebens nicht verkannt. Seine menschliche Größe geht wohl am meisten daraus hervor, daß mehrmals aus seinen Feinden Freunde wurden. Die eigene Mutter hatte ihm verschiedentlich entgegengearbeitet, teils durch Begünstigung ihres Lieblingssohnes Heinrich, teils durch allzu verschwenderische Schenkungen an die Geistlichkeit und die Armen; aber auch sie wendete schließlich ihr ganzes Herz ihm zu. Es wird erzählt, daß eines Tages in Nordhausen, Mathildens Witwensitz, nachdem Mutter und Sohn sich unter Tränen umarmt und getrennt hatten, die alte Königin niederkniete und den Boden küßte, wo Ottos Füße gestanden hatten; durch diese rührende Gebärde mochte sie, des Sohnes Größe endlich ganz begreifend, ihr früheres Verkennen abbitten wollen. Als die, die das mit angesehen hatten, dem Könige nachfolgten und es ihm erzählten, sprang er sofort vom Pferde, kehrte um und umarmte seine Mutter, indem er sagte: »Durch welchen Dienst kann ich diese Tränen vergelten?« Wie sein Vater, starb Otto I. in Memleben, wo noch ein paar Säulengänge an die Zuneigung der Sachsenkönige zu dieser Pfalz erinnern. Nachdem er wie immer bei Morgengrauen aufgestanden war, den Armen Almosen gespendet, fröhlich, wie es seine Art war, zu Mittag gespeist und am Schluß des Tages den Abendgottesdienst besucht hatte, wurde er von einem plötzlichen Übelbefinden ergriffen. Mitten aus erfülltem Leben schied der tätige Geist königlich gefaßt. Begraben wurde er, wie er gewünscht hatte, neben seiner ersten Frau, Edith, im Dome zu Magdeburg, der im Jahre 1207 abbrannte.


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