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Ludwig der Bayer

Im Jahre 1306 verfaßte ein französischer Schriftsteller namens Pierre Dubois, Jurist und Politiker, ein Buch über die Wiedereroberung des Heiligen Landes. Darin sprach er davon, daß die Bedingung dieses Unternehmens der Friede in der Christenheit sei, und wie derselbe hergestellt werden könne. Das Weltkaisertum, wie es bisher bestanden habe, sei eine verjährte Einrichtung und überhaupt abzulehnen; dagegen dachte er an ein internationales, aus Prälaten und Fürsten bestehendes Schiedsgericht, ein Konzil, das auf Wunsch des französischen Königs vom Papst einberufen werden und auf dem Boden Frankreichs sich versammeln solle. Die das Konzil bildenden Prälaten und Fürsten sollten von der Lehre des Thomas von Aquino ausgehen, daß der Krieg nur dann berechtigt sei, wenn er den Frieden zum Ziel habe, und jeder, der sich dem Frieden widersetze oder den Kämpfenden Waffen liefere, solle zur Strafe seines Eigentums beraubt und nach dem Heiligen Lande geschickt werden. War bei diesem Plan dem König von Frankreich schon eine bedeutende Rolle zuerteilt, so verriet Dubois in einem folgenden Buche, daß er das Imperium auch von einer ganz anderen Seite betrachten konnte: er riet nämlich darin seinem Monarchen, sich selbst vom Papst zum Kaiser krönen zu lassen und noch dazu die Würde in seiner Familie erblich zu machen. Das also verbarg sich hinter der Ablehnung der mittelalterlichen Idee des Weltkaisertums: die verderbliche Universalmonarchie wurde zu einer löblichen Einrichtung, sowie der König von Frankreich ihr Träger wäre. Die Eifersucht, daß nicht die Westfranken, sondern die Ostfranken Nachfolger Karls des Großen geworden waren, war immer eine Triebfeder der französischen Politik gewesen; sie wurde es vollends, als Frankreich ein einheitlicher mächtiger Staat zu werden begann, während das Deutsche Reich in zahllose Einzelteile auseinanderzufallen drohte. Was den König von Frankreich verhinderte, die Suprematie über Europa an sich zu reißen, war der Gegensatz zu England, den die Deutschen benützen konnten, was allerdings auch dazu beitrug, die Spaltung im Reich offenbar zu machen. Einen bedeutenden Schritt auf der eingeschlagenen Bahn tat der französische König, indem er den Papst seinem Einfluß unterwarf und es sogar dahin brachte, daß der Papst seine Residenz nach Avignon, auf französischen Boden verlegte. Seit die Staufer Sizilien an sich gebracht und dadurch die Päpste des Schutzes der Normannen beraubt hatten, suchten sie Zuflucht bei Frankreich, bekämpften sie die deutschen Kaiser mit französischer Hilfe; daß sie in Avignon in gänzliche Abhängigkeit von Frankreich gerieten, das bedrückte sie nicht, weil sie, dafür sorgte der König, Franzosen waren.

Johann XXII., der im Jahre 1316 auf Betreiben des Königs von Frankreich zum Papst gewählt wurde, war der Sohn eines Schusters von Cahors, ein nicht gewöhnlicher Mann. Schon die zähe Lebenskraft, die den damals 72jährigen zu unermüdlicher Tätigkeit anspornte, war etwas Außerordentliches. Besonders beschäftigte er sich mit gelehrten theologischen Problemen und mit dem Aufspüren neuer Einnahmequellen. Seit die Päpste das Kirchenwesen in Rom zentralisiert, alle Rechtsfragen, Beschwerden, Anliegen der ganzen Christenheit an sich gezogen hatten und dadurch ein ungeheurer geschäftlicher Apparat notwendig geworden war, brauchten sie mehr und mehr Geld, das, da bei der Abneigung der mittelalterlichen Menschen gegen regelmäßige Steuern solche nicht zu erlangen waren, auf Umwegen beigebracht werden mußte. Wenn die verschiedenen Abgaben, die bei verschiedener Gelegenheit geleistet werden mußten, nicht genügten, wurde für Kreuzzüge gesammelt, die niemals stattfanden; damit war namentlich Johann XXII. erfolgreich. Nach seinem Tode fanden sich im päpstlichen Schatz 18 Millionen Goldgulden in Münzen und 7 Millionen in Edelsteinen und edlen Metallen. Ebensolche Fortschritte hatten die Päpste infolge der Nachgiebigkeit Rudolfs von Habsburg in der Ausdehnung ihrer Herrschaft über Italien gemacht. Clemens V. stellte die Behauptung auf, bei Erledigung des Kaisertums stehe die Reichsregierung in Italien den Päpsten zu; konnte er es nicht beweisen, so konnte er doch danach handeln. Daß er Robert von Anjou, einen Enkel jenes Karl, der den letzten Staufer hatte enthaupten lassen, zum Reichsstatthalter ernannte, kam einer Kriegserklärung gleich. Robert von Anjou nahm keinen Anstand, offen auszusprechen, daß das römisch-deutsche Reich durch Gewalt entstanden sei und daß so Entstandenes keine Dauer haben könne; auch seien die Deutschen mehr Barbaren als Christen, die mit den Franzosen nicht übereinstimmen und mit den Italienern sich nicht vertragen könnten. Johann XXII. gesellte den Grafen Philipp von Valois, späteren König von Frankreich, dem Anjou als Unterreichsverweser bei. Als sich diesen Kreaturen des Papstes in Oberitalien die Ghibellinen widersetzten, verhängte er über ihren Führer, Mattes Visconti, den Bann, erklärte ihn als Ketzer und ließ das Kreuz gegen ihn predigen.

Zweimal kamen in dieser Zeit Könige zur Regierung, die fähig und willens waren, die Rechte des Reiches energisch zu wahren; aber Albrecht von Habsburg wurde im Jahre 1308 ermordet, und Heinrich VII., ein geborener Graf von Luxemburg, erlag nach kurzer Regierung in Italien einer Krankheit. Nach seinem plötzlichen Tode spalteten sich im Reich die Wähler, die einen wählten Friedrich den Schönen, Herzog von Österreich, die anderen den Wittelsbacher Ludwig, Sohn Ludwigs des Strengen, beide Enkel Rudolfs von Habsburg. Das Äußere Ludwigs von Bayern ist uns von einem Italiener genau beschrieben: er hatte eine hohe schlanke Gestalt, rötlichblondes, etwas spärliches Haar, eine gebogene Nase, schöne, glänzende braune Augen, lebhafte Farben, einen raschen Gang, und sein Gesicht schien immer zu lächeln. So stellte er wohl einen deutschen Kaiser dar, aber doch mit einer leichten Verzerrung, wie ja auch das Reich, dessen Namen er trug, dasselbe und doch nicht dasselbe war. Das Lächeln, das auf seinem Gesicht heimisch war, drückte nicht den Stolz des Edlen aus, der auch dem widrigsten Schicksal heiter begegnet, sondern die Sorglosigkeit eines oberflächlichen Gemütes, das den Schritt des Schicksals nicht vernimmt. Nicht, daß er sich mit den Flittern des Lebens vertändelt hätte: er hatte Lust zu großen Dingen und schwang sich leicht zu kühnen Unternehmungen auf; aber nichts wurzelte so tief in seiner Seele, daß Tropfen Blutes daran hängengeblieben wären, wenn er es ausreißen mußte. Er war liebenswürdig und lebensprühend, wenn er seine Frau umfaßte und hoch in die Luft schwang oder wenn er einem Herrn von Westerburg, der ein etwas trotziges Liebes gedieht gemacht hatte, auftrug, es der Dame freundlicher zu machen und ihn lobte, als er es »gebessert« hatte. Sicherlich hatte er seinen Vetter und Gegenkönig lieb, und es war aufrichtige Großmut darin, als er ihn aus der Gefangenschaft entließ, um seinen Thron wie ein Bruder mit ihm zu teilen; nur war er ebenso bereit, einen anderen Schachzug zu tun, als es ihm angeraten wurde. Er war persönlich tapfer und voll Schwung in der Schlacht; aber wenn er siegte, hatte er nichts davon. Er wisse die Vögel zu fangen, aber nicht zu rupfen, sagte man von ihm. Einst, während einer Fehde mit dem verfeindeten Bruder, soll er in ein Dorf gesprengt sein, mit eigener Hand den Brand hineingeworfen haben, was eigens dazu angestellte, sogenannte Brenner zu tun pflegten, und als die Flammen hoch aufschlugen, laut gejubelt haben. Es war ein prächtiges Bild und ein ganz erfüllter Augenblick, den er froh genoß. Nachdem sein Gegner in der Schlacht bei Mühldorf besiegt war, zog er über die Alpen nach Mailand und empfing dort die Krone Italiens. Nach deutscher Auffassung wurde eine strittige Königswahl durch den Sieg des einen der Erwählten entschieden; infolgedessen durfte sich Ludwig als rechtmäßiger König betrachten. Der Papst hingegen stellte sich auf den Standpunkt, daß der König nicht König sei, bis der Papst ihn bestätigt habe, daß infolgedessen der Thron vakant sei und, weil während einer Vakanz die Regierung ihm zustehe, Ludwig keine Regierungshandlung ausüben dürfe; außerdem habe Ludwig keine Verbindung mit dem gebannten Visconti eingehen dürfen. Gegen den Prozeß, den der Papst an den Türen des Domes von Avignon anschlagen ließ, protestierte Ludwig im Dezember 1323 vor Notar und Zeugen. Er sagte in dem Protest, es sei seit undenkbaren Zeiten in Deutschland Brauch, daß der von den Kurfürsten oder deren Mehrheit Erwählte und Gekrönte eben dadurch römischer König und auch Kaiser sei, nur daß er die Kaiserkrone noch nicht empfangen habe. Der Papst bekämpfe die göttliche Ordnung, wenn er von den zwei Gewalten, die Gott eingesetzt habe, die eine, nämlich die weltliche, vernichten wolle. Schließlich beantragte er den Zusammentritt eines allgemeinen Konzils. Des Papstes Antwort war, daß er am 23. März 1324 über Ludwig den Kirchenbann und über seine Länder das Interdikt verhängte; einige Monate später erklärte er ihn der königlichen und kaiserlichen Würde verlustig.

Nie war eines gebannten Kaisers Lage je so glücklich gewesen. Von Heinrich IV. waren auf den Wink des Papstes die Fürsten abgefallen, nur wenig gewichtige Stimmen waren für ihn eingetreten; jetzt war es anders. Der Papst hatte Frankreich auf seiner Seite; aber die bedeutenden, die kühnen Geister, die, welche Zukunft in sich trugen, strömten Ludwig zu, drängten sich ihm auf, in Italien erwartete ihn eine mächtige Partei, und die deutschen Fürsten wankten nicht, die Städte standen unentwegt hilfsbereit hinter ihm. Man meint, so gestützt hätte er es mit dem 79jährigen Geizhals in Avignon aufnehmen können. Drei hervorragende Gegner hatte der Papst, die sich dem Kaiser zur Verfügung stellten: Michael von Cesena, Marsiglio von Padova, Wilhelm von Ockham. Michael von Cesena war im Jahre 1316, demselben in dem Johann von Cahors Papst wurde, zum General des Franziskanerordens gewählt worden, der seit dem Ende des 13. Jahrhunderts durch eine verschiedene Auffassung der Lehre von der Armut gespalten war. Man hatte sich darauf geeinigt, daß den Ordensleuten die Nutznießung weltlicher Güter gestattet sei; aber immer wieder wurde eine Meinung laut, die den Franziskanern, ja den Geistlichen überhaupt, die eigentliche, buchstäbliche Armut zur Pflicht machen wollte. Die Vertreter dieser Meinung wollten den Ordensmitgliedern nur den sogenannten usus tenuis im Gegensatz zum usus moderatus gestatten, das heißt die allergeringste Nutznießung weltlicher Güter, so daß sie ihr Leben durch Bettel fristeten. Die strenge Richtung wurde von den Päpsten bald gebilligt, bald verworfen, Johann XXII. verwarf sie und schritt gegen ihre Bekenner mit voller Strenge ein; in Marseille wurden mehrere verbrannt. Bei seinem Hang zu gelehrter Theologie konnte es Johann XXII. nicht unterlassen, die Streitfrage selbst wissenschaftlich zu begutachten, und das Ergebnis war, daß er die Armut Christi leugnete. Bald darauf ließ Michael von Cesena in einer Ordens Versammlung feststellen, daß die Behauptung, Christus und die Apostel hätten kein gemeinsames Eigentum gehabt, nicht häretisch sei. Als Gegenschlag erklärte Johann in der Dekretale Cum inter nonullos diese Lehre für ketzerisch, und in der Dekretale Quia quorundum, daß den Päpsten das Recht zustehe, Erklärungen ihrer Vorgänger in Glaubens- und Sittensachen zu widerrufen. So befanden sich die Minoriten im offenen Gegensatz zum Papst. Unter ihnen waren außer Michael von Cesena noch mehrere geistvolle und entschlossene Männer, namentlich der Engländer Wilhelm von Ockham und der streitbare, unerschrockene Bonagratia, eigentlich Boncortese, von Bergamo. Ockham, der Doctor invincibilis, war als scholastischer Philosoph ein Neuerer; wie ein Löwe, der keinen Angriff fürchtet, sagt der Chronist von Winterthur, widerlegte er in den Disputationen seine Gegner.

Von anderer Seite, obwohl auch von Ockham beeinflußt, kam Marsiglio von Padova. Man nimmt an, daß er bürgerlicher Herkunft war, Raimondini hieß und um 1270 geboren ist. Er studierte in Padova Philosophie und Medizin und scheint Soldat gewesen zu sein; daraus, daß er im Jahre 1312 Rektor der Pariser Universität war, ist zu schließen, daß er Geistlicher war, wenigstens die niederen Weihen empfangen hatte. Durch Angriffe auf das päpstliche System erschütterte er seine Stellung, so daß er Paris verlassen mußte; in dieser Bedrängnis dachte er an den Kaiser und begab sich mit seinem Gefährten Jandun nach Nürnberg, wo Ludwig damals Hof hielt. Eine Stunde des Schicksals stieg aus der Tiefe der Zeit, eine Stunde, wo alle Strömungen wunderbar zusammenschießen, daß die große Tat wie eine Blume gepflückt werden kann. Der Name des Kaisers flammte weit ins Land und zog die Schiffe der Verwegenen, die mit den Wellen kämpften, an. Wie mancher Imperator hatte, gehaßt und verflucht, ungebeugt bis zum Tode, mit den römischen Tyrannen gerungen, die im ganzen Abendlande den Geist fesseln wollten! Wer die Ketten sprengen wollte, scharte sich nun um den einzigen, der als ebenbürtige Macht den Kampf mit dem Papst aufnehmen konnte. Marsiglio war ganz Italiener, klar, kühl und glühend, unbeirrt durch Träume des Herzens, wenn er seinen Verstand brauchte wie ein rasches Schwert. In seinem Blick waren Strahlen, die den magischen Himmel über der mittelalterlichen Seele verzehrten; er sah die Dinge als Protestant und als bürgerlicher Mensch, der sein eigenes Gewissen und sein eigenes Urteil hat, der sich nach allen Seiten rühren und sich nur beugen und beschränken lassen will, wenn Einsicht und Nutzen es fordern. Der Kirche sprach er alle weltliche Macht, alles Recht zur Einmischung in weltliche Dinge ab. Aber auch der weltliche Regent, sei er Kaiser oder König, ist nach ihm dem Volke verantwortlich; denn das Volk ist der eigentliche Souverän. In Glaubenssachen hat nicht der Papst, sondern ein Konzil zu entscheiden, das den gesamten Klerus, aber auch Laien umfassen soll. Die Gemeinde wählt den Priester, der Papst hat keine höhere Gewalt, als andere Priester haben. Die Grundlage des Glaubens ist die Heilige Schrift, zum Glauben kann niemand gezwungen werden: infolgedessen ist niemand wegen Ketzerei zu strafen, als wer sich zugleich gegen weltliche Gesetze vergeht.

Zum Teil waren dieselben und ähnliche Gedanken schon ausgesprochen: auch Dante in seiner Monarchie hatte den Staat in bezug auf Gewalt über die Kirche gestellt, und verschiedentlich war der Verzicht der Kirche auf weltliche Güter gefordert, Ketzer stellten der Kirche die Bibel als Grundlage des Glaubens entgegen; aber noch nie vorher war ein Weltbild so verschieden von den herrschenden, so zusammenhängend, so in sich geschlossen entworfen, und noch nie war seine Verwirklichung mit solcher Energie und solcher Rücksichtslosigkeit gefordert. Es ist darin nichts mehr von dem bombastischen Prunk der Erlasse, mit denen Friedrich II. und seine päpstlichen Gegner sich herausforderten, als sie wie Halbgötter zu Häupten der Sterblichen ein Weltenschicksal auskämpften. Den Goldgrund der Geschichte wischt Marsiglio fort. Auch die Heilige Schrift ist ihm weniger eine Offenbarung der Geheimnisse Gottes, als ein Buch, das man lesen und wieder zuklappen kann, wenn es etwa ungenießbar werden sollte. Mit Staunen sprach man in Paris davon, daß Marsiglio den Defensor pacis, das Buch, in dem er seine Ansichten niederlegte, als Waffe des Kaisers gegen den Papst, mit Hilfe seines Freundes Jandun in zwei Monaten geschrieben habe. Dieser Denker, der in einer anderen Atmosphäre zu atmen schien als alle anderen Menschen, dieser Feldherr, der eine Armee aufwog, stellte sich dem Kaiser zur Verfügung.

Die Gunst der Stunde entging den Ghibellinen in Oberitalien und den Römern nicht, die ihren Anspruch auf Weltherrschaft nie vergaßen. Im Frühjahr 1327 vertrieben sie Robert von Anjou, den der Papst zum Reichsvikar gemacht hatte, und setzten eine republikanische Regierung ein, an deren Spitze Sciarra Colonna trat. Ludwig, der in Mailand von zwei exkommunizierten Bischöfen mit der italienischen Krone gekrönt war, zog nach dem stets kaisertreuen Pisa und betrat am 7. Juni 1328 das jubelnde Rom. Nachdem eine Volksversammlung auf dem Kapitol ihm die Kaiserwürde übertragen hatte, salbte ihn ein exkommunizierter Bischof und setzte Sciarra Colonna ihm die Krone auf.

Es ist gewiß, daß Friedrich I. und wohl auch Friedrich II. die Römer hart angelassen und Marsiglio von Padova dem Papst ausgeliefert hätten. Konnte ein Kaiser sich von aufständischen Römern krönen lassen und die Grundsätze des Marsiglio zu den seinen machen und Kaiser bleiben? Oder hatte Ludwig wirklich eine Umwälzung, eine großartige Säkularisation im Sinne? Oder wollte er den Papst niederzwingen, die Macht an sich bringen, und wenn er sie hatte, sich ihrer im alten Sinne bedienen? Es scheint, daß Ludwig nur lächelte und wenig dachte. Er tat etwas Unerhörtes ohne das Unerhörte zu wollen, zufällig, ohne Plan, von Ereignissen, die er nicht regierte, zur Stelle getrieben; er hatte kein Heer, kein Geld und nicht einmal eine Überzeugung. Auf dem Kapitol, einer monumentalen Bühne, trat er auf wie ein Schauspieler in einem Mummenschanz. An geistigen Waffen, zweischneidigen, gefährlichen, fehlte es ihm nicht. Während er in Italien war, nahm ein von ihm ausgesandtes Kriegsschiff Michael von Cesena, Wilhelm von Ockham und Bonagratia auf, die von Avignon geflohen und von dem zornigen Papst verfolgt worden waren. In Pisa wurden sie festlich empfangen, und der von Ludwig eingesetzte Gegenpapst erhob Cesena zum Kardinal von Ostia, Ludwig ernannte Marsiglio von Padova zu seinem Leibarzt und den deutschen Minoriten Heinrich von Thalheim zum Kanzler. Wie der Magnetberg zog der Kaiser die Protestierenden an; aber nur die Krone war magnetisch, nicht der sie trug; er fiel, als die Ereignisse ihn nicht mehr fortwehten, in sich zusammen wie ein Segel, das der Wind nicht mehr aufbläht. Da von seiner Seite nichts Entscheidendes, Wirksames geschah, handelten die Gegner. In Rom überwanden die welfischen Orsini die ghibellinischen Colonna, eine Volksversammlung hob alles durch Ludwig und unter Ludwig Geschehene auf. Nur ein großer kriegerischer Erfolg hätte ihn retten können; da ein solcher ausbleiben mußte, verließ der Kaiser im Anfang des Jahres 1330, zwei Jahre nach seinem Einzug in Rom, Italien und kehrte nach Bayern zurück. Marsiglio, Cesena, Ockham, Bonagratia, Thalheim folgten ihm nach München und fanden im dortigen Franziskanerkloster, das sich in der Nähe der herzoglichen Burg befand, da wo heute das Theater steht, eine Zuflucht.

Während diese tapferen Männer fortfuhren, ihre und des Kaisers Sache in Schriften zu verteidigen, ging Ludwig mit dem Gedanken um, sie zu verraten. Wenn er sich dem Papst gegenüber auf den Standpunkt stellte, er sei ein einfacher Kriegsmann und verstehe nichts von gelehrten Spitzfindigkeiten und sei deshalb nicht verantwortlich für das, was die Theologen gegen den Papst vorgebracht hätten, so war das nicht nur eine Ausflucht. Wahrscheinlich hatte er wirklich von ihren Auseinandersetzungen nicht viel verstanden, obwohl er sich zuweilen aus dem Defensor pacis vorlesen ließ. Er hatte im Beginn des Kampfes wie schon manchmal einen fröhlichen Aufschwung genommen; wie damals, als er den Brand in das Dorf warf und den aufschlagenden Flammen zujubelte, hatte die Lust am fabelhaften Abenteuer ihn hingerissen. Den wachsenden Schwierigkeiten gegenüber erlosch seine Tatkraft; er fühlte sich wohl im alten Geleise und wollte gern auf die Anhänglichkeit der Römer und die Ergebenheit der geistvollsten Männer des Abendlandes verzichten, wenn er dafür die Verzeihung des Papstes eintauschen könnte. Zunächst bewahrte ihn Johann XXII. selbst vor Schmach: sein Starrsinn, verstärkt durch den Einfluß des französischen Königs, lehnte alle Annäherungsversuche ab trotz der Demütigungen, die Ludwig bereit war auf sich zu nehmen. Da kam ihm noch einmal Hilfe von außen. Von seinem professoralen Eifer angetrieben stellte der Papst einen neuen theologischen Lehrsatz auf, der niemanden befriedigte, sondern jedermann unwillkommen war. Er behauptete nämlich, die Seelen der Verstorbenen kämen nicht eher zur Anschauung Gottes, als bis sie am Jüngsten Tage wieder mit dem Leibe vereinigt wären. Mit Staunen und Entrüstung vermerkten die Gläubigen, daß demnach die bisher als Heilige verehrten und andere teure Personen sich noch in einem mangelhaften Übergangszustande befänden, und Widerstand gegen eine so überflüssige Neuerung im Begriff des jenseitigen Zustandes erhob sich. Nicht nur die Minoriten, allen voran Ockham, wiesen in gelehrten Schriften nach, auf was für einem Irrweg der Papst sich habe treffen lassen, auch seine bisherigen Anhänger und Freunde, die Dominikaner, die Könige von Frankreich und Neapel wandten sich von ihm ab, erklärten ihn für einen Ketzer. Die Losung der Zeit, das Konzil, wurde wieder als Ausweg verkündet; es sollte nun vor allem die Aufgabe haben, den ketzerischen Papst abzusetzen. Indessen bevor der Kaiser aus der unverhofften Wendung Vorteil für sich gezogen hatte, zog der Tod den Neunzigjährigen aus der Schlinge. Benedikt XII., der ihm folgte, ein Südfranzose niedriger Herkunft, wurde durch die Könige von Frankreich und Neapel verhindert, sich mit Ludwig zu versöhnen, der zu äußerster Nachgiebigkeit bereit war.

Der politische Hintergrund im Vorhalten des Papstes war so deutlich geworden, daß nunmehr die Reichsfürsten sich entschlossen, die Würde des Reiches zu wahren, die der Kaiser preisgegeben hatte. Diese Herren, die einen willenskräftigen Kaiser so oft verraten hatten, stellten sich stolz neben den Schwankenden. Bestimmte sie auch weniger die Treue zum Kaiser als der Gedanke, daß sie, die Wähler des Kaisers, in seiner Person herabgesetzt wurden, so war ihr Auftreten doch ein Gewinn und ein seltenes Zeugnis für die Einheit von Kaiser und Reich. Im März 1338 verfaßte die Mehrzahl der Bischöfe in Speier eine Eingabe an den Papst, er möge den Kaiser in Gnaden aufnehmen; Bischof Ulrich von Chur und Graf Gerlach von Nassau brachten das Schreiben nach Avignon. Nachdem der Schritt erfolglos geblieben war, versammelten sich am 15. und 16. Juli in Lahnstein und Rense die Kurfürsten mit Ausnahme des Königs Johann von Böhmen, der mit Ludwig verfeindet war, stellten die Unabhängigkeit des königlichen Regierungsrechtes vom Papst fest und teilten dem Papst in einem gemeinschaftlichen Schreiben ihre Entschließung mit. Auf dem Reichstage zu Frankfurt, wo Ludwig persönlich erschien, wurde diese verfassungsrechtliche Entscheidung dadurch erweitert, daß auch die Führung des kaiserlichen Titels nur von der Wahl durch die Kurfürsten sollte abhängig sein. Die entsprechenden Erklärungen wurden an der Tür des Frankfurter Domes angeschlagen.

Dieser Aufschwung des Reiches, meinte man, hätte Ludwig stählen müssen; aber er dachte nur an Aussöhnung mit dem Papst.

Clemens VI., der im Jahre 1342 dem verschmitzten Riesen Benedikt folgte, war wie jener ein Südfranzose, aber ganz anders geartet. Pierre de Rosiers, Abt des Klosters Fécamp in der Normandie, der an ein mit allen Annehmlichkeiten des Reichtums und höfischer Sitte ausgestattetes Leben gewöhnt war, stand den geistlichen Aufgaben eines Papstes ziemlich fern. Der Zufall wollte, daß der im Knabenalter stehende Sohn des Königs Johann von Böhmen, Karl, sich in Paris befand, als der 27jährige Abt von Fécamp eine gegen Ludwig den Bayer gerichtete Rede hielt, der sich kurz vorher in Rom von einem exkommunizierten Bischof und einem rebellischen Adligen hatte zum Kaiser krönen lassen. Es war eine ganz im Sinne des französischen Königs gehaltene Rede, der selbst nach der Kaiserwürde strebte und es zufrieden war, daß der Deutsche sich als Ketzer vor der Welt unmöglich machte. Diese Predigt des redegewandten eleganten Abtes machte auf den jungen Karl einen unvergeßlichen Eindruck; er suchte seine Freundschaft und war hochbeglückt, daß der Geistliche sich herbeiließ, ihn in theologischen Dingen zu unterrichten. Als nun Karl im Jahre 1340 in Avignon war, um dem damaligen Papst, es war Benedikt XII., seine Ergebenheit zu zeigen, traf er dort den Abt von Fécamp, der inzwischen Erzbischof von Rouen geworden war und sich beim Papst bedankte, weil er ihn zum Kardinalbischof erhoben hatte. Die beiden Herren erneuerten die frühere Freundschaft, und eines Tages sagte der Erzbischof zu Karl: »Du wirst noch König der Römer werden«, worauf Karl entgegnete, »und du wirst vorher Papst sein.« Es waren Weissagungen, deren Erfüllung die Betreffenden kaum überraschte. Als der Tod Benedikts den Herrn von Rosiers auf den Heiligen Stuhl gebracht hatte, gab er sich Mühe, seine Prophezeiung wahr zu machen. Von vornherein waren Ludwigs Annäherungsversuche aussichtslos, Clemens VI. war entschlossen, die Kaiserkrone seinem Schüler und Schützling zuzuwenden. Er legte Ludwig 28 Artikel vor, die die übertriebensten Ansprüche an seine Unterwürfigkeit stellten, in der Meinung, daß er sie für unannehmbar halten würde. Indessen er hatte mit der Gefügigkeit Ludwigs nicht gerechnet, der alles preiszugeben bereit war, um nur den Frieden mit der Kirche zu erlangen. Freilich muß man sich bewußt sein, daß ein Sichbeugen des Kaisers vor dem Papste so wenig als Erniedrigung angesehen wurde wie solches eines Sohnes vor dem Vater; denn dies war das angenommene Verhältnis. Wurden doch überhaupt Kniefälle, Tränengüsse, Selbstanklagen nicht wie in unserer empfindlichen und dem Gefühl und Gefühlsausdruck abholden Zeit als entehrend betrachtet. Nur wenn die Forderung des Papstes dem Herkommen widersprach und einen bedenklichen Präzedenzfall zu schaffen schien, legte schon Barbarossa den Fürsten die Frage zur Entscheidung vor, ob die gewünschte Demütigung mit der Ehre des Reiches vereinbar sei. Clemens war wohl ebenso peinlich überrascht durch die Demut des Kaisers, wie einst Gregor VII. durch die Ankunft Heinrichs IV. auf Canossa, mit mehr Grund überrascht als jener, da ja Ludwigs Stellung im Reich viel fester begründet war. Wie die Prinzessin im Märchen, die, wenn ein unerwünschter Freier ihr Rätsel geraten hat, ein noch schwierigeres zur Lösung stellt, vermehrte Clemens seine Forderungen. Da jedoch hielt es Ludwig mit Rücksicht auf das Reich für geraten, sie zurückzuweisen. Er legte sie in Frankfurt einem Reichstage vor, der einmütig erklärte, daß sie abzulehnen seien. Im Namen der Fürsten sagte der Kanzler von Trier, daß sie zum Schaden und Verderben des Reiches führen würden, im Namen der Städte gab ein Bürger von Mainz eine entsprechende Erklärung. Ludwig fuhr trotzdem fort, unterderhand um die Gunst des Papstes zu werben, als dieser plötzlich im Jahre 1346 den großen Kirchenbann über ihn verhängte mit den altgeheiligten, donnerrollenden Verfluchungen: »Flehentlich bitten wir die göttliche Macht, daß sie die Raserei Ludwigs zerschmettere – möge er einer Fallgrube begegnen, die er nicht sieht, und hineinstürzen! Verflucht sei sein Eintritt, verflucht sein Austritt! Der Herr schlage ihn mit Wahnsinn, Blindheit und Raserei! Der Himmel entlade seine Blitze über ihm! Der Zorn des allmächtigen Gottes und der heiligen Peter und Paul entbrenne gegen ihn in diesem und dem kommenden Leben! Der Erdkreis kämpfe gegen ihn! Die Erde öffne sich und verschlinge ihn lebendig!« Der Papst mußte sich damit begnügen, daß den Kaiser im folgenden Jahre, während er auf der Bärenjagd war, unversehens der Tod ereilte. Inzwischen hatte Clemens durchgesetzt, nachdem Karl von Mähren sich allen den Forderungen unterworfen hatte, die kurz vorher vom Reichstage für unannehmbar erklärt worden waren, daß diesem seinem Schützling wenigstens von einigen Wahlfürsten die Krone übertragen wurde.

Scheinbar hatte der Papst über das Kaisertum gesiegt. In Wirklichkeit hatte sich gezeigt, daß Papsttum und Kaisertum unlöslich miteinander verflochten waren und daß das eine mit dem anderen fallen mußte. Der Kaiser wußte, daß er ohne den Papst eine Weile König von Italien sein konnte, daß er ohne den Papst in Deutschland König sein konnte, daß er aber Kaiser, Weltkaiser nur sein konnte, wenn der Papst ihn in Rom krönte. Aber auch der Papst mußte erfahren, daß er in Avignon, als Diener des französischen Königs, nicht Papst im alten Sinne, nicht Herr der Welt sein konnte. Wie ohnmächtig, wie winkelhaft war er in Avignon trotz allen Reichtums und aufgewendeten Pompes geworden! Wohl schleuderte er den Blitz des Bannes wie einst, aber es war ein Theaterzickzack geworden, den niemand mehr für eine tödliche Flamme hielt. In den Städten, die Ludwig besonders anhänglich waren, wurde der Gottesdienst auch unter dem Interdikt gefeiert; hatte sich doch ein Teil des Minoritenordens leidenschaftlich angreifend gegen den Papst erhoben. Der Strom der an Anbetung grenzenden Ehrfurcht, der die Völker, der namentlich das deutsche Volk an den Papst gebunden hatte, war unterbrochen, war stockend, dünn, trübe geworden. Nicht anders verhielt es sich mit dem Kaiser. Männer von bedeutender Willenskraft wie Rudolf von Habsburg und sein Sohn Albrecht errangen sich wohl Ansehen und Einfluß; aber ihrer Abhängigkeit von den Fürsten konnten sie sich doch nicht entziehen. Immer hatten sich die deutschen Könige allgemeine Geltung erkämpfen müssen; jetzt war es nichts Außergewöhnliches, daß die Fürsten mit ausländischen Bewerbern um die Krone liebäugelten. So kann man es denn vielleicht begreiflich finden, wenn Ludwig sich enger mit dem Papst als mit den deutschen Fürsten verbunden fühlte, wie sehr er auch Ursache hatte, beiden zu mißtrauen. Unrühmlich und zugleich reich an Ruhm war seine seltsame Regierung. Seine Schwäche und der Übermut des Papstes entehrten das Reich so augenscheinlich, daß endlich einmal Pflichtgefühl und nationaler Stolz in den Fürsten erregt wurde. Inmitten der beginnenden Verwilderung der mittelalterlichen Verfassung, wo die beiden festen Punkte, die sie regierten, aus ihren Stellungen wichen und wankten, raffte sich das Reich auf, um die Ordnung, soweit es noch möglich war und von ihnen abhing, zu wahren. Noch ragte der bröckelnde Babelturm in den Himmel, noch teilten Posaunen Fluch und Segen aus, noch lehrten Gesetze im metallischen Klang der lateinischen Sprache die Welt, was sie zu glauben habe; aber schon ertönten auf allen Seiten fremde Zungen, die sich untereinander nicht verstanden, und deren Gemisch sich ehrfurchtlos über die feierliche Ruine hinwegschwang.


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