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Die Mystiker

Als eine Unterhaltung während der Meerfahrt ließ sich König Eduard III. von Sir John Chandos die fröhlichen Schlachtengesänge und leidenschaftlichen Liebeslieder vorsingen, die er aus Deutschland mitgebracht hatte. Waren es Lieder, wie sie die deutschen Fürsten und Ritter zur Laute zu singen pflegten? Oder waren es Lieder, die das Volk sang, freier bewegt, süßklingend in das Gebrause der Brandung, zärtlich verwehend mit den fliegenden Wolken? Von jeher sang der Bauer am Pfluge, der Pilger auf dem Wege nach den heiligen Stätten, der Auswanderer, der zur Besiedelung des fernen Ostens auszog; aber nur wenig davon wurde aufgezeichnet. Erst von der Mitte des 13. Jahrhunderts an hören wir das deutsche Volk sprechen und damit seinen Geist offenbaren. Während in den Treibhäusern am Spalier das Lateinische gezüchtet wurde, erwuchs auf der Straße, im Felde, im Sumpf, im Staube, mit Tränen und Blut betaut, die deutsche Sprache zu einem starken aromatischen Kraut, mit bald zarten, bald brennend farbigen Blüten, in reizender Mannigfaltigkeit über die deutschen Lande verbreitet. Der mächtige Ton Roms verstummt nicht, aber das deutsche Ohr vernimmt ihn nicht mehr, es wird erfüllt von den innigen, wilden, markigen Lauten, die vom Herzen des deutschen Volkes ausgehen. Die Gedanken, die sie tragen, sind nicht mehr die fugischen Gedanken der Scholastiker, sondern melodische Gedanken, die aus persönlichem Erleben quillen, die frei spielend durch verwandte Vorstellungen gleiten, Gedanken der Mystiker. Man könnte das Thema des vielstimmigen deutschen Konzertes, das sich das 13. und 14. Jahrhundert hindurch entfaltete, Gespräch zwischen Gott, Mensch und Natur nennen. Über die tiefsten Rätselfragen, die den Geist bewegen, wurde darin phantasiert, sie sollten nicht endgültig gelöst werden, dazu war das Wissen von ihrer Unlösbarkeit zu stark, die Geheimnisse sollten in verständlichen Worten umschrieben und der Andacht, der Sehnsucht nähergebracht werden. Es war den Laien immer in deutscher Sprache gepredigt worden, aber über Wiederholung einzelner Tatsachen der Heilslehre oder platte Ermahnungen zur Tugend und zum Gehorsam hatte sich die Predigt kaum erhoben, schon weil der Prediger selbst nicht mehr zu sagen hatte. Ebensowenig konnten die später beliebten Allegorien die Aufmerksamkeit reizen, wenn zum Beispiel über die fünfzehn Brote, die Jesus in die Hand genommen habe, gepredigt wurde, daß sie die fünfzehn Hauptfeste der Kirche bedeuteten und zugleich auf die fünfzehn Arten von Brot bezogen werden müßten, die in der Heiligen Schrift erwähnt würden, worauf Fest und Brot zusammengestellt wurden: Advent und Weizenbrot, Peter und Paul und Fladen, Allerheiligen und in der Asche gebackenes Brot und so durch alle Kirchenfeste fort. Um die schläfrigen Zuhörer etwas zu ermuntern, griffen die Prediger zu dem Mittel, Legenden und Wundergeschichten als Beispiele einzulegen. Caesarius von Heisterbach erzählt, wie der Priester seine Predigt beginnt: »Hört, meine Brüder, ich will euch etwas Neues und Seltsames erzählen, es war einmal ein König, der hieß Artus« und dann fortfährt: »Seht, meine Brüder, das ist ein großes Übel, als ich von Gott redete, da schliefet ihr, sobald ich aber leichtfertige Geschichten anfange, da spitzt ihr die Ohren.« Wie groß die Begierde des Volkes nach geistiger Nahrung war, und daß es durchaus nicht nur durch leichtfertige oder abergläubische Geschichten anzuregen war, beweist der Zulauf, den Berthold von Regensburg hatte. Er ist im Jahre 1220 geboren und durchzog von 1250 an als Wanderprediger das südliche und südöstliche Deutschland. Im Freien sprach er, ohne Regel, ohne System, ohne Dogmatik, Sinn und Maß und Zweck seiner Rede schöpfend aus dem Geiste derer, deren Augen erwartungsvoll auf ihn gerichtet waren. Das Neue seiner Belehrung war, daß er sie in unmittelbare Beziehung setzte zum Erleben seiner Zuhörerschaft daß er nicht von Vorschriften, Bußen, guten Werken sprach, sondern von der Betätigung christlicher Gesinnung in jedem einzelnen Falle. So mitten ins Werktagsleben stellte er seine Predigt hinein, daß er die Höker und Hökerinnen tadelte, weil sie, wie es heute noch geschieht, das angefaulte Obst hinter dem rotbackigen versteckten und dem Käufer, der dieses sähe, jenes zuteilten. »Fastet soviel als Elias«, sagte er, »und leidet soviel als Hiob, tu was du kannst und magst, das gefällt Gott alles nicht ohne den Christenglauben. Gute Werke ohne Glauben sind vor Gott tot, und Glauben ohne gute Werke sind vor Gott ebenso tot.« Das war, was die Herzen ergriff, ein Christentum abseits von der Kirche, nicht vom Priester dem Laien, sondern vom Volksmann dem Volke verkündigt. Seit Karl der Große den heidnischen Germanen das Christentum aufzwang, hatte es Bitterkeit erregt, daß die Religion der Liebe ihr Werk mit Strafen und mit Geldeintreiben begann; diese Abneigung wich nie ganz, war immer leicht wieder anzufachen. Andererseits hatten sich doch die Grundvorstellungen des Christentums bald in das gläubige Gemüt des deutschen Volkes eingegraben, Zweifelsucht lag ihm fern. Sobald ihm jemand vom Glauben sprach und von der göttlichen Gnade, die ihm begegnet, sobald es jemand einen Hauch göttlichen Wesens spüren ließ, gab es sich andächtig und verständnisvoll hin.

Von der unmittelbaren Beziehung der Seele zu Gott handelte nicht Berthold von Regensburg, dem es um die praktische Anwendung des Christentums im täglichen Leben zu tun war, sondern sein Lehrer David von Augsburg. In Gottes Antlitz begraben sein, ein Geist mit ihm werden, das ist nach ihm das Höchste, was der Mensch auf Erden erreichen kann. Daß dies Ziel dem Menschen auf Erden erreichbar ist, war der Glaube, der den Mystiker ausmacht. Seit Augustinus gesagt hatte, daß die Seele, weil sie nach Gott geformt sei, nur in Gott Ruhe finden könne, hatten viele große Theologen die Überzeugung ausgesprochen, daß die menschliche Seele mit Gott eins werden wolle und könne, was ihre Verwandtschaft, ja eine gewisse Wesensgleichheit mit Gott voransetzt. Nach Albert dem Großen geschieht die Vereinigung der Seele mit Gott durch die Liebe, deren Art es ist, mit dem Geliebten eins sein zu wollen, zu werden wie er ist, und die zugleich die einbildende Kraft hat, die das Gleichwerden bewirken kann. Nur um ein Werden handelt es sich bei Albert, um eine Seligkeit, die dem Menschen erst in der jenseitigen Zukunft in der Fülle beschieden werden kann. Durch das Abscheiden vom Niedrigen und die Sehnsucht nach dem Höchsten kann die Seele Gott allmählich eine Stätte bereiten. Für Albert war diese Betrachtung nur etwas Gelegentliches im großen Lehrgebäude der Theologie, für die eigentlichen Mystiker, für David von Augsburg, Meister Eckhardt und dessen Schüler Tauler und Seuse, war sie der Mittelpunkt ihrer Gedankenwelt, und zwar so, daß sie die Vereinigung der Seele mit Gott auf Erden für möglich hielten und erstrebten. Für einen Weg zu diesem Ziele hielten sie die Ekstase, für einen anderen das Erkennen, das nach Meister Eckhardt eins ist mit Lieben, wie ja auch in der deutschen Sprache Minnen und Meinen aus derselben Wurzel kommen.

Was die Kirche und bedeutende Kirchenlehrer veranlaßte, dies Mysterium mit der äußersten Vorsicht zu berühren, war die Einsicht in die damit verbundenen Gefahren. Das Verweilen in der vita contemplativa konnte den Gläubigen von der vita activa zurückhalten, von der hilfsbereiten Bruderliebe, die der Erlöser selbst als den Kern des Christentums geboten hat, aus dem liebenden Christen konnte ein in sich selbst versunkener Selbstsüchtiger werden. Das Erzwingen von Visionen und Verzückungen führte in den meisten Fällen nur zu krankhafter Überschwenglichkeit oder gar zu widerwärtigen Absurditäten. Die feinste und verderblichste Gefahr war aber die, daß der Glaube an die Wesensähnlichkeit der Seele mit Gott zu einem Pantheismus ausartete, bei dem der Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf wegfällt und der Mensch sich in seiner ganzen Menschlichkeit Gott gleichsetzt. Es gab in der Tat verschiedene Sekten, welche diese Folgerung und daraus den Schluß zogen, daß dem Menschen alles erlaubt sei; sie sahen in Christus ihresgleichen, lehnten die Kirchen ab, stellten sich über alle Gesetze. Die deutschen Mystiker haben die schmale Grenze, die die menschliche Seele von Gott trennt, aus dem sie geflossen ist, und in den sie wieder fliehen will, ihrer Meinung und Absicht nach nicht verlassen. Sie haben nicht versäumt, auf das Bedenkliche der Visionen und auf die Notwendigkeit der Liebestätigkeit hinzuweisen. David von Augsburg sagte, daß Visionen oft bloße Sinnestäuschung und Vorspiel des Wahnsinns wären, was wirklich not tue, sei die Sünde auszutilgen, der Tugend nachzustreben, den richtigen Sinn der Heiligen Schrift zu erforschen, sich durch Gebet zu Gott zu erheben. »Wäre ein Mensch selbst in Verzückung wie Sankt Paul«, sagte Meister Eckhardt, »und wüßte einen siechen Menschen, der seines Süppleins von ihm bedürfte, so erachte ich es weit besser, du ließest aus Minne von der Verzückung und dientest dem Dürftigen in größerer Minne.«

Trotz dieser Anerkennung des Wertes der Nächstenliebe ist Meister Eckhardt von dem Triebe beherrscht, sich durch Erkennen Gott zu nähern. Jahrhunderte vor Novalis ruft er den Menschen wie dieser zu: »Nach innen geht der geheimnisvolle Weg.« Das war der Inbegriff seiner Lehre, die ihn mit solcher Heftigkeit ergriff, daß er, wie er selbst sagt, einem Stock gepredigt hätte, wenn kein Mensch dagewesen wäre. Über das Unfaßbare, daß im Menschen, vergänglichem Staube, eine Seele ist, deren Ursprung und deren Bestimmung Gott ist, läßt er immer wieder das Licht seines Geistes hinspielen. »Wäre ich nicht, so wäre nicht Gott.« »Da ich floß, da sprachen alle Dinge Gott.« Tiefsinnige, vieldeutige, unergründliche Worte. Es war für die damaligen Menschen, die das Göttliche nur durch die Kirche kannten, nur nach Gutdünken der Kirche davon zugeteilt bekamen, wie wenn die Mauern eines Gefängnisses durchbrochen werden, so daß Licht und Himmelsluft hereinströmen können, erfüllt vom Wohlklang der Natur. Nicht gute Werke erschließen das Herz Gottes, aber die Liebe, der Glaube, ein Gebet aus der Tiefe der Seele. Der Priester kann keine Sünde vergeben, aber dem Reuigen begegnet Gott mit überschwenglicher Gnade. Wenn die oft sehr subtilen philosophischen Gedankengänge nur von wenigen Zuhörern verstanden wurden, das wurde verstanden, daß es der Priester nicht bedürfe, um die Seele zu Gott zu erheben, daß der Liebe Gottes, die sich dem Menschen zuneigt, die Frömmigkeit des Menschen begegnet, die unmittelbar von Gott in seine Seele gepflanzt ist. Daß es jenseits der Lehre der Kirche, jenseits der Sittlichkeit, wie hoch man sie immer stellen mag, jenseits der klaren Gedanken ein Ruhen im Göttlichen gibt, wo alles als unwesentlich versinkt, was als wichtig gegolten hat, das war ein neues Erleben, eine neue Ahnung. Wie ein und dasselbe Bild durch die Kunst des Malers mehr Tiefe erhalten kann, so gewann die deutsche Weltanschauung Tiefe durch die Mystiker, obwohl sie nichts wesentlich Neues brachten.

Neu und erschütternd war, daß die höchsten Ideen der Menschheit Gedankengut des Volkes wurden. Als Meister Eckhardt vorgeworfen wurde, daß er von den höchsten Dingen in deutscher Sprache zum Volke spreche, sagte er: »Soll man nicht lehren ungelehrte Leute, so wird niemand gelehrt. Darum lehrt man die Unwissenden, damit aus Unwissenden Wissende werden. Dazu ist der Arzt da, daß er den Siechen gesund mache. Johannes schrieb sein Evangelium allen Gläubigen und auch den Ungläubigen, und doch beginnt er mit dem Höchsten, was ein Mensch von Gott sprechen mag.« Eine Gesinnung gegen das Volk sprach Eckhardt damit aus, wie sie ganz unbekannt war; selbst die Heiligen spendeten wohl dem Volk Almosen und pflegten es in Spitälern, dachten aber nicht daran, es zu erleuchten, es denken zu lehren. Meister Eckhardt hatte, was den echten Demokraten ausmacht, den Glauben an die unteren Schichten des Volkes als an die Grundlage des Volkes, in dem die aufbauenden Kräfte des Volkstums, Gesundheit, Tüchtigkeit, Gutwilligkeit, Gläubigkeit verwahrt sind.

Wenn die Frauen in den Klöstern mit Visionen und Verzückungen nicht selten Beispiele der unfruchtbaren, ja schädlichen Seite der Mystik gaben, so haben sie in der Entwicklung und im Ausdruck der mystischen Gedankengänge eigenartige Produktivität gezeigt. Die ursprünglich niederdeutsch verfaßte Schrift der Mechthild von Magdeburg vom Fließenden Licht der Gottheit hat, wie man annimmt, Dante in lateinischer Übersetzung gekannt und in der Göttlichen Komödie verwertet. Mechthild war aus vornehmem Geschlecht, verließ mit 23 Jahren die Familie, um in Magdeburg als Begine zu leben, und trat später in das Kloster Helfta bei Eisleben ein, das ein Graf von Mansfeld gegründet hatte, und das im Jahre 1342 nach Mansfeld verlegt wurde. Sie war Zeitgenossin Alberts des Großen, mit dessen Werk sie vermutlich durch einen ihr befreundeten Schüler des Philosophen vertraut war. Unter der jugendlichen Äbtissin Gertrud von Hackeborn erreichte das geistige Leben des Klosters eine bemerkenswerte Höhe; die lateinische Sprache wurde gelehrt, eine Bibliothek wurde angelegt und benützt, besonders die Bibel gelesen. Von der Sang- und Lehrmeisterin Mechtild von Wippra wurde gesagt, daß ihr Wort süßer als Honig, ihr Geist glühender als Feuer sei. Eine besonders hervorragende Erscheinung war die große Gertrud, wie sie von ihrer Umgebung genannt wurde. Sie stammte von armen Eltern und ist 1256, einige Jahre vor Meister Eckhardt, in Thüringen geboren. Ursprünglich in den freien Künsten gebildet, wandte sie sich später dem Studium der Heiligen Schrift zu, eine freie, starke, von schöpferischer Kraft durchrauschte Persönlichkeit.

Denkt man daran, wie am Hofe von Eisenach die ritterlichen Dichter sich versammelten, wie von dem jungen Landgrafen Ludwig und seiner Elisabeth ein warmer Strom von Herzensgüte ausging und wie die Heilige durch ihren Liebestod das Feuer des Erbarmens im Abendlande anfachte, denkt man an Hermann von Salza, Konrad, den Schwager der Elisabeth und andere thüringische Herren aus der heroischen Frühzeit des Ordens, an Eike von Repgow, der im benachbarten Harz den Sachsenspiegel schrieb, an die große Gertrud und andere Nonnen von Helfta, an Meister Eckhardt, den Klassiker der deutschen Mystik, von dem man annimmt, daß er in Thüringen geboren ist, so will es einem scheinen, als habe sich damals das Herz Deutschlands zum Blühen geöffnet. Das waldwogende Land, die Heimat des am wenigsten kriegerischen deutschen Stammes, dessen Selbständigkeit vor der fränkischen Übermacht zusammenbrach, und das lange als ein Anhängsel Sachsens fast namenlos war, nährte nun das deutsche Volk mit edlen geistigen und seelischen Kräften.

Verbreiteter noch war die Mystik am Oberrhein. Auch in dortigen Klöstern lebten Frauen, die teils als verstehende Freundinnen von Mystikern, teils durch eigene schriftstellerische Wirksamkeit bekannt wurden. Heinrich Suso oder Seuse ist in Überlingen, Tauler in Straßburg geboren, wo Eckhardt von 1312 bis 1320 lebte. Großen Einfluß übte aus der Dämmerung seines absichtlich verhüllten Daseins Nikolaus von Basel aus, der mit vier Gleichgesinnten, von denen einer ein ehemaliger Jurist, einer ein ehemaliger Jude war, auf einem Berge in Österreich abgeschieden, aber nicht nach mönchischer Regel lebte. Nach ihrer Überzeugung hatte der Verfall der christlichen Welt einen solchen Grad erreicht, daß es zum Zusammenbruch kommen müsse, wenn nicht von der Spitze aus ein Umschwung einträte. Es scheint, daß sie beim Papst Zutritt erlangten, daß ihre Vorwürfe und Drohungen ihn erst erzürnten, dann aber ergriffen, so daß er sie umarmte und ihnen auftrug, auch den Kaiser zu warnen. Da keine Besserung erfolgte, hielten sie es im Jahre 1383 für angezeigt, aus der Verborgenheit hervorzutreten und öffentlich zu predigen, wodurch sie sich Verfolgungen zuzogen. Nikolaus und zwei seiner Gefährten, von denen der eine vermutlich der ehemalige Jude war, wurden in der Dauphine verbrannt, andere Gottesfreunde, wie sich die Anhänger des Nikolaus nannten, starben in Köln und Heidelberg den Feuertod.

Meister Eckhardt, Tauler, Suso hatten die Kirche nie angegriffen, fühlten sich vielmehr durchaus der Kirche zugehörig; aber die Art, wie sie über die Kirche hinweg, als sähen sie sie gar nicht, ihren Weg zu Gott suchten, dies fast zufällige Beiseiteschieben konnte als tödlicherer Angriff empfunden werden als die üblichen der Ketzer. Es gab Ketzer, die schalten, die Kirche sei ein bloßer Steinhaufen, die Messe ein Hundegeheul, das Altarsakrament ein Kuckuck der Priester. Die Mystiker störte die Kirche nicht. Empfanden die Theologen das Außerkirchliche in Eckhardts Haltung? Wenn sie ihm vorwarfen, daß er in mancher Äußerung die Grenze zwischen Gott und Mensch verwische, so war das nicht ganz unberechtigt, und es ist begreiflich, daß sie streng in diesem Punkte waren; denn mit der Grenze zwischen Gott und Mensch fällt leicht auch die zwischen Gut und Böse. Doch war Eckhardt ein zu hochstehender Charakter und zu tiefsinniger Denker, als daß er nicht Anhänger im Orden selbst gehabt hätte. Trotz seines Hanges zur Mystik und Spekulation scheint er praktisch begabt gewesen zu sein; als im Jahre 1303 die Ordensprovinz Deutschland geteilt wurde, bekam er die Stellung eines Provinzial-Priors für Sachsen, deren Mittelpunkt Erfurt war. Sie umfaßte 51 Männerklöster und 9 Frauenklöster. Obwohl er auf die Klage über allzu freie Gestaltung des religiösen Lebens in den Klöstern nicht einging, wurde es vermieden, Zwang auszuüben, erfuhr er keine Belästigung. Vorübergehend war er Generalvikar des Ordensmeisters für Böhmen. In Köln wurde er zum ersten Male wegen seiner Lehre angegriffen: vom Erzbischof von Köln, Heinrich von Virneburg, gingen die Verdächtigungen aus. Es war damals eine allgemeine Verfolgung von Beginen und Begarden wegen ketzerischer Meinungen im Gange, die überhaupt als klösterlich Lebende ohne unmittelbare Unterordnung unter die Kirche viel Anfeindung erfuhren; am Rhein wurden mehrere verbrannt, viele flohen. Man brachte ihre angeblichen Ketzereien in Zusammenhang mit Meister Eckhardt, dessen öffentliches Predigen in der Volkssprache von Anfang an in kirchlichen Kreisen ungern gesehen war. Um Eckhardt zu retten, tat der Dominikanerorden einen ungewöhnlichen Schritt; er setzte es durch, daß Johann XXII. den Nikolaus von Straßburg, einen Dominikaner, der derselben Richtung angehörte wie Eckhardt, zum Generalvikar für die Inquisition innerhalb der deutschen Provinz ernannte. Eckhardt wurde freigesprochen. Hatte der Erzbischof auch für den Augenblick verloren, so gab er seine Sache doch nicht auf, sondern sammelte insgeheim Material und erhob nach einigen Jahren eine neue Anklage, behauptend, das Recht der Inquisition sei ein Ausfluß der bischöflichen Gewalt. Die Unklarheit der gegenseitigen Rechte erlaubte es Nikolaus, zu protestieren; auch Eckhardt protestierte, hielt es aber, da der Erzbischof nicht nachließ, doch für geraten, sich durch eine öffentliche Erklärung zu sichern, die am 13. Februar 1327 in der Dominikanerkirche in Köln verlesen wurde. Er widerrief darin, was in seiner Lehre mit der Kirche nicht übereinstimme. Bald darauf starb der alte Meister, von dem eine päpstliche Bulle nach seinem Tode sagte, er habe im Widerspruch mit der sonnenklaren Wahrheit des Glaubens auf dem Acker der Kirche Dornen und Disteln ausgesät, habe gelehrt, was den rechten Glauben im Herzen der Menge habe verfinstern müssen.

Eckhardt, Tauler, Suso erlebten die Regierung Ludwigs des Bayern, die Zeit, wo viele Städte wegen ihrer Anhänglichkeit an den gebannten Kaiser unter dem Interdikt standen und ohne Gottesdienst waren, wenn es nicht gelang, die Geistlichen zum Versehen desselben zu überreden oder zu zwingen. Wie sehr mußte den frommen Bürgern die Lehre zusagen, daß sie sich auch ohne die Vermittlung des Priesters mit Gott in Beziehung setzen könnten. Fast mit der deutschen Sprache zugleich offenbarte sich der Deutsche als evangelisch und als protestantisch. Die Sprache, in der das Zeugnis abgelegt wurde, die von den Lippen Meister Eckhardts, Taulers, Susos und dichtender Frauen so überraschend reich ausströmte, erwies sich als fähig, das Tiefste durchsichtig auszudrücken und darüber hinaus noch in ihren Melodien das Unsägliche ahnen zu lassen.


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