Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die heilige Elisabeth und der Deutsche Orden

Unter den deutschen Familien, die wie Sternbilder aus dem Gewimmel der Sterne hervorglänzen, ist die der Grafen von Andechs besonders interessant. Aus den Gaugrafen von Andechs wurden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Markgrafen von Istrien und Herzöge von Meran, das heißt Dalmatien. Berthold II., ein Fürst von hervorragenden Gaben, hatte zwei Töchter, Gertrud und Hedwig, von denen die erstere den König von Ungarn, Andreas II., die andere einen Herzog von Polen und Schlesien heiratete. Hedwig nahm sich mit unendlicher Güte der Armen ihres verwilderten Landes an und wurde nach ihrem Tode heiliggesprochen. Ihr Sohn, Herzog Heinrich, warf sich im Jahre 1241 den eindringenden Tataren entgegen und fiel in der furchtbaren Schlacht bei Liegnitz. Gertruds Tochter war die heilige Elisabeth. Bertholds zweiter Sohn, Otto II., dem die Stadt Innsbruck ihre Blüte verdankt, erhielt in der Geschichte seines Landes den Beinamen der Große; mit seinem Sohne Otto starb die Familie aus, die ihren Ursprung auf Karl den Großen zurückführte. Wie es oft der Fall ist, verklärte das Geschlecht sich selbst in seinen letzten Sprossen. Das Schwanenlied der Grafen von Andechs war Opfergesang: sie neigten sich zu den Tiefen des Volkes zurück, über das sie sich hoch erhoben hatten. Wir wissen nicht, ob Elisabeth sich aus Mitleid für die Armen und Kranken dem Dienst der Unglücklichen widmete, oder ob aus Liebe zu Gott und um seinen heiligen Willen zu erfüllen; wahrscheinlich ging beides ineinander über. Sie war von Natur heiter, lachte und tanzte gern, sie liebte ihren Mann und ihre Kinder, vielleicht war der Drang, sich des Lebens zu erfreuen, besonders stark in ihr; aber zugleich lagen ihr die Werke der Barmherzigkeit im Sinn, die Gott fordert: die Hungernden zu speisen, die Dürstenden zu tränken, die Gefangenen zu trösten, die Nackten zu kleiden. Die Kunde von dem, was der heilige Franziskus in Italien tat und predigte, verstärkte die ihr angeborene Neigung, sich ihres Glückes wie eines Raubes zu schämen. Das größte ihr beschiedene Glück war, einen Mann zu haben, der sie liebte und kannte. Sie waren zusammen aufgewachsen, und es war etwas von der zarten Süße geschwisterlicher Selbstverständlichkeit in ihrer Liebe. Er behütete sie, und sie ruhte vertrauensvoll in seiner Güte. Wenn andere ihn besorgt machen wollten, weil sie mit vollen Händen austeilte, beschwichtigte er lächelnd: wenn ihm nur die Wartburg und die Neuenburg blieben. Auf der Wartburg wohnte das junge Paar, und wenn sie die Armen besuchte, so stieg sie wirklich hinunter in das Schattental. Zuweilen bedrängte das Glück ihr Gewissen: war nicht der Ruf an sie ergangen, sich ganz Gott hinzugeben? Wenn sie von der Hungersnot hörte, die im Thüringer Lande war, wenn sie die vielen Bettler sah, aus deren Zügen die Not sprach, dachte sie, daß der Herr sagen würde: ich war bei euch, und ihr habt mich nicht gespeist, ich klopfte an eure Tür, und ihr habt mir nicht aufgetan. Wie wenn der Himmel ihrer Gewissensqual zu Hilfe kommen wollte, nahm er ihr das Glück: Ludwig, der menschliche und kluge Fürst, starb in Italien, wohin er gegangen war, um an Kaiser Friedrichs Kreuzzuge teilzunehmen. Seitdem war sie heimatlos auf Erden, sie wollte nichts mehr, als ihr Leben verströmen. Der ihr angeborene Opferdrang mischte sich mit der Sehnsucht nach dem Drüben, wohin ihr Bruder und Gatte vorangegangen war. Sie verließ die Wartburg und begab sich, nachdem sie der Bestattung des Verstorbenen in Reinhardtsbrunn beigewohnt hatte, nach Marburg, wo ihr Witwensitz war. Daß sie vertrieben worden sei, wird für legendarische Erfindung gehalten; gewiß ist, daß Sophie von Bayern, die zweite Frau des Landgrafen Hermann, eine fromme Frau war, die Verständnis für die Religiosität der jungen Gattin ihres Stiefsohns hatte. Zu Lebzeiten ihres Mannes gründete Elisabeth am Fuße der Wartburg ein kleines Spital, in dem zwanzig Kranke verpflegt werden konnten, die sie täglich besuchte. Nun ließ sie in Marburg gleichfalls ein Spital bauen und widmete sich ganz der Krankenpflege. Der Dominikaner Konrad von Marburg, der schon früher ihr Beichtvater gewesen war, und dem sie geistlichen Gehorsam gelobt hatte, übernahm ihre Leitung und soll die Maßlosigkeit ihres Opferwillens eher gedämpft als gesteigert haben. Während sie, was sie an Geld besaß, sofort verschwenden wollte, erinnerte er sie daran, daß das Geld sie instand setze, Gutes zu tun; andererseits empfahl er ihr, von ihrem Schwager nur anzunehmen, was rechtmäßig erworben sei. Indessen ist doch anzunehmen, daß das Gewaltsame seines Geistes sie beherrschte und antrieb. Die Zeitgenossen verdächtigten sie eines Liebesverhältnisses mit Konrad; der Gedanke lag nah in einer Zeit, wo die sinnlichen Leidenschaften sich zügellos austobten, und wo man den auf ihre Heiligkeit pochenden Geistlichen doppelt gern heimliche Ausschweifungen zutraute, bedarf aber kaum der Widerlegung. Nachdem sie sich ihrer Kinder beraubt und auch die jungen Mädchen, die ihr seit der Kindheit Dienerinnen und Freundinnen gewesen waren, verabschiedet hatte, um alles, was ihr Glück ausgemacht hatte, zu opfern und nichts zu tun als was der menschlichen Natur widerstrebt, fremden, oft widerlich entstellten, oft verbitterten und bösartigen Kranken zu dienen, blieb ihr nur noch übrig zu sterben. Sie war 24 Jahre alt, als sie im Jahre 1231 starb, wie die Legende erzählt, ein süß tönendes Lied auf den Lippen. Schon nach einigen Jahren wurde sie heiliggesprochen, und Kaiser Friedrich II. ging nach Marburg, wo ihre Gebeine in einen goldenen Reliquienschrein gelegt wurden. Unter einem ungeheuren Zulauf von Menschen setzte er mit eigener Hand die Überwinderkrone auf das entseelte Haupt. Die Sage hat den skeptischen Kaiser und die Heilige auch dadurch zusammengebracht, daß sie ihn nach dem Tode des Landgrafen um ihre Hand bitten ließ, die sie ausgeschlagen habe. Die zur Herrin im Himmel erkoren war, verschmähte es, Herrin der Welt zu sein.

Den Ruhm der jungen Heiligen verbreiteten besonders die Brüder vom Deutschen Hause, deren Deutschmeister bald nach ihrem Tode ihr Schwager Konrad wurde. Als im Jahre 1190 Akkon belagert wurde, vereinigten sich Kaufleute der Städte Bremen und Lübeck mit deutschen Rittern, um ein Hospital zur Pflege der Kranken zu gründen. Daraus entstand eine ritterlich-mönchische Bruderschaft, die sich Ritter des Hospitals Sankt Marien der Deutschen in Jerusalem nannte; es war nämlich ein älteres Spital in Jerusalem mit dem von Akkon vereinigt worden. Die Tracht der Ordensritter war ein weißer Mantel mit schwarzem Kreuz. Es läßt sich nichts denken, was so sehr den Idealen der Zeit entsprochen hätte, als die Vereinigung des Ritterlichen mit dem Mönchischen in einem Orden. Die Wehrlosigkeit der Klosterleute hatte zu mancherlei Schwierigkeiten und Störungen geführt. Umgaben sich die Äbte mit kriegerischen Dienstleuten, so wurden sie durch die Pflicht zur Heeresfolge, durch die Übergriffe und das wüste Treiben ihres Gefolges in weltliche Händel verstrickt; die Vögte, die sie beschirmen sollten, gingen meistens bald dazu über, sie zu bedrücken und zu berauben. Der Ritterorden tat die Werke der Barmherzigkeit und beschirmte sich selbst. Nun konnte der junge Adlige, das Kreuz in der einen, das Schwert in der anderen Hand, den Ansprüchen, die Kirche und Sitte und die eigene Überzeugung stellten, genugtun, ohne auf die Freuden und Ehren des Rittertums zu verzichten.

Als der Orden nach dem Fall von Akkon infolge der reichlich fließenden Schenkungen sich bald durch das ganze Reich verbreitete, wurde er in Balleien geteilt, deren jede ein Komtur leitete. Von den zwölf deutschen Balleien standen acht unter dem Deutschmeister, sämtliche unter dem Hochmeister. Er regierte den Orden, unterstützt von seinen höchsten Beamten, den Gebietigern, und dem Gesamtkapitel. Auch in den einzelnen Balleien tagten jährliche Konvente. Zur Aufnahme zugelassen wurden nur Deutsche von ehelicher Geburt, die rittermäßig und von vier Ahnen her Wappengenossen, rein in ihrem Wandel, unbefleckt in ihrer Ehre, unberüchtigt an ihrem Namen waren. Sie sollten gesund und lieber jung als alt sein, um den Krieg gegen die Heiden, eine der hauptsächlichen Aufgaben des Ordens, mit voller Kraft führen zu können. Bei der Aufnahme tat der junge Ritter diesen Schwur: »Ich verheiße und gelobe Keuschheit meines Leibes und ohne Eigentum zu sein und Gehorsam Gott und Sankt Marien und Euch, dem Meister des Ordens des Deutschen Hauses und Euren Nachkommen nach der Regel und Gewohnheit des Ordens, daß ich Euch gehorsam sein will bis an meinen Tod.« Durch dies Gelübde war der Ritter für immer gebunden. Bevorzugt wurden solche Ritter, die bei Königen und großen Herren gut angesehen waren, damit der Orden die Gunst derselben gewänne. Auf weltliche Vorzüge dieser Art wurde mehr Wert gelegt als auf Bildung; doch wünschte man, daß die Ritter einige Kenntnis von der Beschaffenheit der Länder, ihrer Rechte und Gewohnheiten besäßen, also diejenige Bildung, die den guten Regenten und Verwalter macht. Außer dem dienenden Gesinde gab es neben den Rittern Priesterbrüder, die Ämter übernehmen konnten und mit den Rittern gemeinsam aßen und schliefen; sie brauchten nicht adlig zu sein. Obwohl die Bildung hier bis zu einem gewissen Grade den Adel ersetzte, wurde doch von den Priestern nicht viel mehr verlangt, als daß sie mit den gottesdienstlichen Gebräuchen Bescheid wußten. Die kämpfenden Ritter und die zu verpflegenden Kranken sollten sie in Verbindung setzen mit dem Strom der göttlichen Gnade, damit sie in Leiden und Taten freudig todbereit wären. Sie sollten, heißt es in einer Vorschrift, in der Zeit des Friedens wie Glänzsterne neben ihnen umlaufen und in Kriegszeiten sie stärken zum Streit und sie daran mahnen, daß Gott auch den Tod durch sie litt am Kreuz.

Germanische und christliche Anschauung vereinigten sich in den Orden, um ein menschliches Vorbild von edelster Schönheit zu schaffen: den Ritter, der, von Frauenliebe unberührt, gehorsam seinem himmlischen und seinem irdischen Herrn, mit blankem Schild und blankem Schwert, furchtlos in Kampf und Tod geht.

Wie sehr die Gesinnung des Volkes mit den durch die Deutschritter vertretenen Gedanken übereinstimmte, zeigte sich in dem Entgegenkommen, das sie überall fanden. Am ersten und freudigsten in Thüringen, woher auch Hermann von Salza, vierter Hochmeister des Ordens, stammte. Daß die Begünstigung des Ordens in der landgräflichen Familie herkömmlich war, veranlaßte wohl Elisabeth, vor ihrem Tode zu bestimmen, daß ihr Hospital den Brüdern vom Deutschen Hause anvertraut werde. Das Vermächtnis wurde zunächst von den Schwägern der Verstorbenen, Heinrich und Konrad, sowie vom Erzbischof von Mainz angefochten; da trat plötzlich ein Umschwung ein, indem Konrad, den man nur als einen unbändigen, gegen die Kirche respektlosen Kriegsmann gekannt hatte, in den Orden eintrat und bald nacheinander Komtur und Hochmeister wurde. Man weiß nicht, wie er zu seiner Schwägerin, solange sie lebte, gestanden hat; das Bild der holden Toten scheint ihn tief und dauernd ergriffen zu haben. Er war es hauptsächlich, der ihre Heiligsprechung sowie den Bau der schlanken gotischen Kirche betrieb, die ihr Grab aufnehmen sollte. Als das Werk soweit vorgeschritten war, daß dies geschehen konnte, wurde das Hospital, in dessen Kapelle sie bestattet war, abgerissen. Neben der Kirche erstanden die Gebäulichkeiten des Ordens, die mit dem neuen Hospital, von Mauern umschlossen, zu einem kleinen Staatswesen zusammenwuchsen.

Die Schwachheit der menschlichen Natur brachte es mit sich, daß die Ritter innerhalb Deutschlands allmählich ebenso und noch ärger versumpften, als die Mönche, da sie ja nicht einmal die Wissenschaft hatten, um sich auf anständige Weise die Zeit zu verkürzen. Was sie sich als eigentliche Aufgabe gesetzt hatten, die Bekämpfung der Heiden, dazu war, nachdem sie aus dem Heiligen Lande vertrieben waren, zunächst keine Gelegenheit mehr, bis ihnen König Andreas II. von Ungarn, der Vater der heiligen Elisabeth, anbot, das Burzenland in Siebenbürgen zu kolonisieren und gegen die heidnischen Völker in der Moldau und Walachei zu verteidigen. Hier zeigte der Orden die dem Mittelalter eigentümliche Neigung und Kraft, selbständige, abgeschlossene staatliche Gebiete zu bilden, zugleich aber auch die Abneigung, sie einem höheren Mittelpunkt unterzuordnen. Die Ordensritter schalteten in dem ihnen überlassenen Lande als Herren, bauten Burgen und gründeten Städte, ohne den König zu fragen, und um ihre Unabhängigkeit ihm gegenüber zu sichern, nahmen sie es vom Papst, der gern darauf einging, zu Lehen. Deshalb vom König von Ungarn vertrieben, war der Orden wieder heimatlos und ziellos geworden; da bot sich ihm noch einmal eine Gelegenheit zu geeigneter Wirksamkeit: Herzog Konrad von Masovien, einer der Teilherren des polnischen Landes, forderte ihn auf, die heidnischen Bewohner Preußens, die er vergeblich bekriegt hatte, zu unterwerfen. Als Entgelt versprach er ihm das Land Kulm zu dauerndem Besitz und auch die Eroberungen, die sie von dort aus im preußischen Lande machen würden. Hochmeister war damals Hermann von Salza, der treue Freund Kaiser Friedrichs. Nach dem unglücklichen Erlebnis im Burzenlande legte er Wert darauf, für die neue Schenkung, die so sehr gefährdet, ganz am Rande des Reiches lag, den kaiserlichen Schutz zu gewinnen; aber sein Streben nach Autonomie war doch so wenig gemindert, vielleicht auch seine Abneigung, Reichslasten zu übernehmen, so groß, daß er das zu erwerbende Gebiet nicht mit dem Reich in Zusammenhang bringen wollte. Nach dem Privileg, das Friedrich II. im Jahre 1226 Hermann von Salza erteilte, sollte der Orden das Kulmerland und das zu erobernde Land der Preußen in voller Freiheit und Immunität, mit voller Gerichtshoheit, im Genuß aller Regalien besitzen, so unabhängig also wie die übrigen Reichsfürsten ihr Gebiet. Aber während die Reichsfürsten immerhin mit ihrem Gebiet in Lehensabhängigkeit vom Kaiser standen, wenn sie auch erblich geworden waren, so empfingen Hermann von Salza und seine Nachfolger nur persönlich ohne Gegenleistung das Kulmerland und das zu erobernde Preußen als Schenkung, über die sie niemandem Rechenschaft schuldig sein sollten. Gegen das Versprechen des Schutzes von seiten des Kaisers übernahm der Orden die einzige Verpflichtung, die heidnischen Preußen zu bekehren. Nach fortwährenden Verhandlungen mit Konrad von Masovien und mit dem deutschen Bischof Christian, der seit dem Jahre 1215 der Mission unter den Preußen, vom Papste beauftragt, vorstand, überschritt endlich im Frühjahr 1231 der erste Landmeister von Preußen, Hermann von Balk, mit einigen Ritterbrüdern und Kreuzfahrern die Weichsel und gründete auf einem Hügel über einer großen Eiche die Burg Thorn. Zwei Jahre später entstand weiter abwärts die Burg Marienwerder. Daß in dieser Zeit der Bischof Christian von den heidnischen Preußen gefangen wurde, ermöglichte es dem Orden, in unmittelbaren Verkehr mit Rom zu treten und sich mitsamt allen künftigen Eroberungen unter den Schutz des Papstes zu stellen; die geistliche Autorität, die sich vor dem Erscheinen des Ordens in Preußen gebildet hatte und seine Autonomie beschränken konnte, war damit ausgeschaltet. Wieviel Wert der Orden aber auch auf Unabhängigkeit legte, tatsächlich war er im hohen Maße abhängig vom deutschen Volk und Reich; denn aus eigener Kraft konnten die Ordensritter an die Eroberung eines großen, von einem tapferen Volke bewohnten Gebietes nicht denken. Erst als Fürsten und Ritter aus allen Teilen Deutschlands herbeiströmten, wurden im Laufe von Jahrzehnten Pomesamien und die nördlichen Teile von Warneien und Natangen gewonnen. Der Friede von Christburg im Jahre 1249 verbürgte den Preußen dieses Gebietes nach Annahme des Christentums persönliche Freiheit und sogar Gleichberechtigung mit den Deutschen nach ihrem Geburtsstande; doch hatten sie dem Orden Kriegsdienst zu leisten. Ob diese wohltätigen Bedingungen von Seiten des Ordens innegehalten wurden, läßt sich nicht feststellen; nachdem sie von Seiten der Preußen durch Aufstände aufgehoben waren, wurden sie es nicht mehr. Es ist natürlich, daß hauptsächlich der Nordwesten und der Osten des Reiches, Meißen, Brandenburg, Böhmen, Schlesien, Lübeck, Magdeburg, Braunschweig, sich an der Eroberung und Besiedlung des neuen Gebietes beteiligten. Im Jahre 1252 wurde die Memelburg begründet und in ihrem Schutze einige Jahre später die Stadt, wobei Lübeck besonders mittätig war. Zur Erinnerung an die bewaffnete Hilfe, die König Ottokar von Böhmen dem Orden leistete, entstand im Jahre 1255 am Ufer des Pregel die Burg Königsberg. Die Eroberung des Samlandes war wichtig, weil an seiner westlichen Küste ein Juwel, gelb wie Gold, leicht wie Flaum, gefunden wurde, das schon im Altertum Handelsleute in diese Wildnis lockte, der Bernstein, den das Meer ans Ufer spülte, der aber auch durch Abbau gewonnen wurde. Zum Schutze dieses Betriebes errichtete der Orden am Frischen Haff die Burg Lochstedt, von der sich zwei Flügel erhalten haben. Die Verlassenheit der Ruine ist nicht so schaurig, wie die Wüsteneinsamkeit dieser Stätte gewesen sein muß, als die Ordensritter hier zuerst ein hölzernes Haus bauten. Nicht weit davon ist nach der Überlieferung der Ort, wo einst, am Ende des zehnten Jahrhunderts, der heilige Adalbert, als er den Heiden das Wort Gottes predigen wollte, erschlagen wurde; man baute dort zu seinem Gedächtnis eine hölzerne Kirche. Jetzt war die Feindseligkeit der Einwohner, durch Rachsucht gestachelt, vielleicht noch unversöhnlicher; nirgends war ein Ort und nie kam eine Stunde, wo man nicht des Überfalls gewärtig sein mußte. Und war der menschliche Gegner zurückgedrängt, so blieb das maßlose, grauenvolle feindliche Land. Rings keine Spur traulichen Daseins, kein Punkt geselliger Anknüpfung, nichts als das eintönige Donnern der Brandung, das Kreischen der Möwen, das Knarren und Sausen der Kiefern. Es bedurfte der strengen Ordensregel, der Gewöhnung an Gehorsam und Entbehrung, des Ansehens verehrungswürdiger Führer, damit die Brüder nicht nur zu Taten, sondern auch zu grauem Leiden und Entbehren bereit waren. Indessen ist es so, daß Opfer stets gern gebracht werden, solange sie im Namen eines hohen Ideals und zur Erreichung einer großen Aufgabe gefordert werden; zur Eroberung fehlte es den Menschen nie an Kraft, erst im Besitz beginnt sie zu erlahmen. Bewunderungswürdig schnell begann der leere Raum sich zu füllen, erwuchsen durch die zuströmenden Bürger und Bauern Städte und Dörfer. Im Laufe von zwei Jahrhunderten sind beinah hundert Städte und über tausend Dörfer im Gebiet des Deutschen Ordens entstanden. Der Wohlstand, der sich hier unter guten Bedingungen entwickelte, konnte nur eins nicht ersetzen: das geheimnisvolle Wurzelgeflecht der Geschichte. Dies war nicht Heimatland, sondern Fremdlingsland, Abenteuerland, Amerika des Reichs; noch so manches unvorherzusehende Abenteuer konnte ihm bevorstehen. Zunächst aber wuchs es fort und breitete sich aus. Mit Polen blieben dank des gemeinsamen Gegensatzes gegen die Preußen die Beziehungen freundschaftlich. Trotz der Anhänglichkeit an König Ottokar von Böhmen, den der Orden gegen Rudolf von Habsburg unterstützte, brachten es die Hochmeister als gute Diplomaten fertig, nach dem Sturze Ottokars die Verbindung mit dem Kaiser zu erhalten. Rudolf erneuerte im Jahre 1277 das Privileg, das Friedrich II. dem Orden erteilt hatte.

In einem Gewölbe der steinernen Burg Lochstedt befinden sich noch Überreste einstiger Bemalung, darunter in einen Spitzbogen eingegliedert ein Bild des heiligen Michael: mädchenschlank, mädchenzart, mit schmaler asketischer Wange, lächelnd, seines Sieges gewiß, wie eine biegsame Klinge flammt er zwischen den Drachenhäuptern, die ihn umzüngeln, Licht gegen Finsternis. So sahen die Ordensmeister nicht aus, von denen es Abbildungen gibt: das waren feste, gedrungene Gestalten mit langen Bärten, das Gesicht von Sorgen und Mühen gefurcht, und auch die jungen Ritter werden meistens sehr viel derber und plumper ausgesehen haben und gewesen sein. Dennoch mögen sie sich in ihren höchsten Augenblicken, wenn sie sich dem Kampf und dem Tode weihten, so gefühlt haben: mit so viel Feuer wollten sie so viel Reinheit vereinigen.


 << zurück weiter >>