Edmund Josef von Horváth
Ein Kind unserer Zeit
Edmund Josef von Horváth

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Der Schneemann

Ich gehe auf den Friedhof und suche ihr Grab.

Es ist schon Nachmittag geworden und der Schnee beginnt zu treiben.

Es ist bitterkalt.

Die Straße ist rutschig.

Wolken ziehen vorbei und ich geh langsam an den Gräbern entlang.

Hier liegen die Helden, die Weiber und die Kinder.

Ich gehe auf ihr Grab.

Endlich find ich es.

Es ist klein und ein kleines Kreuz und daran steht: Anna Lechner.

Und ich setze mich nieder, gegenüber ist ein höheres Grab.

Mir ists, als müßte ich auf etwas Neues warten.

Als würde eine neue Zeit kommen –

Es ist so seltsam still.

Ein Engel steht auf einem Grab, hat er ein Schwert in der Hand?

Ich kanns nicht erkennen, denn es dämmert bereits.

Oder kommt die neue Zeit nur in mir?

Und ein Satz fällt mir plötzlich ein und läßt mich nicht mehr los: am Anfang einer jeden neuen Zeit stehen in der lautlosen Finsternis, die Engel mit den feurigen Schwertern.

Und ein anderer: Wir sind Gottes Ebenbild.

Ein jeder einzelne – ja, der Bettler hatte recht.

Und wir stehen nur einzeln vor Gott und geben ihm Rechenschaft, nur einzeln, und niemals das Vaterland oder dergleichen, das ist alles Menschenwerk, nur der Mensch ist Gotteswerk, nur den Menschen hat Gott gebaut –

Und es zählt nur der einzelne.

Auf einem Grab steht: »Ich bin das Leben.«

Ja, und jeder ist einzeln und jeder ist anders, keiner machts gleich, keiner ist dem anderen gleich –

Und es gibt nur Verbrechen der Einzelnen (?)

Und meine Kameraden – – wenn ichs mir überlege, ein jeder hat ein anderes Schicksal, auch wenns ähnlich ist – – ein jeder hat in seinem Leben mit der Witwe eines Hauptmanns geschlafen, mit einem Zwerg, – – aber hat ein jeder keine Liebe gefunden?

Er kann sie nicht finden, solange er das Vaterland liebt, das Kollektiv, die gleiche Reihe –

Solange er die Front abschreitet.

Und es wird immer kälter –

Wir sind jeder allein – und einsam.

Und nur in der Liebe können wir das finden –

Nicht im Männerbund, ausgerichtet, Mann für Mann.

Aber wir, wir sind zu verpatzt dazu – wir können nur eines machen: erkennen, was weg gehört!

Gleichgültig, was dann kommt––

Der Nebel fällt ein –

Es ist der Nebel der Zukunft, denke ich.

Es wird so kalt, sie zwickt mich, als kröchen Ameisen über mich und errichten eine Burg – was tragen die Ameisen?

Sie bauen, sie bauen – –

Es schneit immer mehr.

Und mit dem Schnee kommt der Gedanke – –

Es fällt in weichen Flocken und deckt alles zu – – Es wird alles weiß.

Eine große Hand nimmt mich in die Hand und hebt mich auf.


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