Edmund Josef von Horváth
Ein Kind unserer Zeit
Edmund Josef von Horváth

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Der Hund

Sie hatte sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen und ich zog mich aus. Den Rock legte ich über einen Stuhl, aber dann zog ich ihn wieder an, denn die Nacht wurde bitterkalt.

Es ist nämlich ein Sturm gekommen und die Vorhänge bewegen sich. Besonders der linke und es zieht auf meinen kranken Arm.

Ich krieche tiefer unter die Decke, die sie mir gab, aber ich schlaf nur für Augenblicke ein. Dann wach ich wieder auf – sein Brief läßt mich nicht los.

Immer länger wird die Nacht, und der Sturm setzt sich auf das Dach.

Dort geht er jetzt hin und her –

Dieser Brief, dieser Brief!

Schlaf, blöder Hund, und grübel nicht weiter –

Siehst du die hohen Berge rings um den Tisch?

Im Spiegel brennt eine Stadt.

Marschier nur zu – über das hohe Plateau.

Vorwärts, Soldaten der Diktatur!

Um uns gähnen Abgründe und drunten rauschen die Wasser.

Wir haben fünf Zivilisten gehenkt.

Einen nach dem anderen.

Zwei Krähen fliegen vorbei –

Was ist nur mit dem Hauptmann los?

Es freut ihn scheinbar kein Schuß.

Wir schütteln oft alle die Köpfe.

Du hast von deiner Beliebtheit schon viel verloren –

Einige murren sogar.

Zwar schreitest du noch jeden Morgen unsere Front ab, aber du siehst nur noch unsere Ausrüstung und nicht mehr durch sie hindurch in uns hinein.

Manchmal fühlen wir uns schon direkt einsam, trotzdem wir in Reih und Glied stehen. Als wären wir hilflos in einer drohenden Nacht und es war niemand da, der uns beschützt –

Die Krähen kommen wieder.

Und mit Sehnsucht denken wir an die schönen Tage im Kasernenhof zurück. Wie schön wars, wenn er uns abschritt, wenn er beifällig nickte in seiner sicheren Art, weil alles stimmte, außen und innen.

Ach, Hauptmann, wohin soll das führen? Wohin?

So fragte ich, als deine Witwe plötzlich in der Schlafzimmertür erschien.

Sie war käsweiß und zitterte.

Ich fahre hoch –

Sie hat wenig an, setzt sich auf einen Stuhl, legt ihr Gesicht auf den Tisch und weint.

»Was ist Ihnen?« frage ich.

»Ich kann nicht mehr drüben bleiben«, wimmerte sie, »wahrscheinlich sinds nur die Nerven, aber ich kann nicht mehr allein sein, immer hör ich so Geräusche, als ging was um mein Bett herum« –

»Was denn?«

Sie sieht mich groß an mit ihren verweinten Augen und sagt dann langsam: »Ein Hund.«

Ein Hund?

»Nein!« schreit sie plötzlich los. »Ich geh da jetzt nimmer zurück! Nie wieder, nie wieder!«

Sie heult immer heftiger.

Ich erheb mich, denn ich hatte ja nur die Stiefel ausgezogen, und biete ihr mein Sofa an, aber sie will im Sorgenstuhl schlafen. Das laß ich nicht zu und berühr dabei ihre Schulter. Da fährt sie wütend herum und haut mir auf meinen Arm. Ich werde wild und geb ihr einen Stoß –

»Was fällt Ihnen ein?!« brüllt sie.

»Ruhe!« herrsch ich sie an. »Mein Arm ist ja kaputt! Dort ist das Sofa und kein Wort mehr!«

»Kein Wort mehr?« fragt sie gedehnt und läßt mich nicht aus den Augen.

Als wär sie mein Todfeind, so steht sie vor mir. Still und bös.

Ich muß an das Brustbild mit dem Hermelin denken – aber ich schau nicht hinab.

Es wird immer stiller.

Jetzt fliegt ein Engel durch das Zimmer, sagen die Kinder.

Ich seh nur ihren Mund.

Sie schließt ihn nicht –

Ihre Lippen sind naß.

»Leg dich hin«, sag ich leise.

Sie fährt hoch: »Was fällt Ihnen ein, mich zu duzen, Sie?!« Hab ich du gesagt? Weiß ich gar nicht –

Ich will mich schon entschuldigen, da fährt sie mir langsam durch das Haar. Ihre Lippen bewegen sich –

»Was sagten Sie?«

»Nichts.«

Aber ich hab es gehört, daß sie lügt. Sie sagte nämlich: »Was machst du aus mir?«


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