Edmund Josef von Horváth
Ein Kind unserer Zeit
Edmund Josef von Horváth

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Anna, die Soldatenbraut

»Anna«, sage ich, »warum schimpfst du mit mir? Ich versteh dich nicht. Schön, wir wollten ins Kino, aber das Kino ist ausverkauft. Dafür kann doch ich nichts!«

»Wir hätten früher eben von mir weggehen können«, sagt Anna.

»Schön«, sage ich, »aber ich kann doch nichts dafür, daß meine Uhr falsch geht.«

»Ich habs dir gleich gesagt, daß sie nachgeht, aber du glaubst einem ja nie was, besonders in letzterer Zeit!«

»Das ist nicht wahr!«

»Doch – doch!«

»Nein!«

»Schön«, sagt Anna und sie imitiert mich dabei im Tonfall, weil ich nämlich so oft »schön« sage. Ich geh nicht darauf ein. Wir gehen schweigend nebeneinander. Es ist ein nasser Novemberabend und es riecht nach verbranntem Holz. Die Lichtreklame des Kinos verschwindet im Nebel, zerrinnt.

Die Straße ist finster und plötzlich höre ich Anna: »Jetzt hab ich mich so gefreut auf das Kino und jetzt ist wieder nichts.«

»Wir werden schon noch mal ins Kino kommen –«

»Aber nicht zu diesem Film!« fällt sie mir ins Wort gereizt.

»Am nächsten Donnerstag wird ja nicht mehr gespielt!«

(Anna hat nämlich nur alle acht Tage einen Abend frei. Sie ist Kellnerin im Hotel zur Stadt Paris)

»Am liebsten möchte ich jetzt nach Hause gehen und nichts mehr hören und nichts mehr sehen!« sagt sie.

»Aber Anna!« sagte ich. »Wie kann man sich nur die Stimmung so verderben wegen einem Kino, oder weil die Uhr falsch geht, komm, jetzt gehen wir in ein Tanzcafe – –« Ich stocke plötzlich und grüße, denn es kommt uns ein Offizier entgegen. Er tauchte plötzlich aus der Finsternis auf und ich sah ihn im letzten Moment. Der Offizier dankt. Ein Artillerist.

Ich bin Infanterist. Schweres Maschinengewehr.

Es ist oft fad, das Grüßen, aber ein Soldat muß das tun. Ich bin nämlich Soldat. Und ich bin gerne Soldat.

Wenn morgens der Reif auf den Feldern liegt, oder wenn abends die Nebel aus den Wäldern kommen, Frühling und Herbst, Sommer und Winter, ob es regnet oder schneit, Tag und Nacht – – immer wieder freut es mich, in Reih und Glied stehen zu dürfen.

Denn dann ist immer einer neben dir und du bist nie allein, fällt es mir plötzlich ein.

»An was denkst du?« fragt plötzlich Anna.

»An nichts.«

Wir gehen in ein Café.

Anna ißt ein Eis und eine Torte und schaut sich die Modejournale und Illustrierten an. Ich lese die Zeitung.

Anna hat neue Schuhe an.

In der Zeitung steht, daß das Ende Europas kommt. Es ist alles unterhöhlt. Es kommt vielleicht bald ein Krieg. Alles geht unter – Die Weiber werden vergewaltigt –

»An was denkst du?« fragt Anna.

»An nichts.«

»Ich weiß an was du denkst«, sagt sie plötzlich. »Du magst mich nicht mehr.«

Wir gehen nachhaus. Ich begleite sie nachhaus.

Da sagt sie: »Du hast Geheimnisse vor mir. Immer in neuerer Zeit bist du versunken. Was hast du?«

Ja, was hab ich?

Es ist sehr einfach erklärt: ich mag die Anna nicht mehr.

Ich bin 22, die Anna 31. Sie ist mir plötzlich zu alt. Sie will mich auch immer drücken. Neulich, als ich von dem Ende Europas sprach, lächelte sie so spöttisch. Sie sagte, du bist ja noch so jung. Du glaubst alles. Aber ich hab schon mehr gesehn. Du bist ja erst im Weltkrieg geboren, und kannst dich nicht an ihn erinnern.

Ja, ich bin ein Kriegskind und kann mich an den Weltkrieg nicht mehr erinnern. Aber darum soll sich diese Anna nur nichts einbilden, daß sie mehr weiß wie ich! Von der wahren Politik unserer Zeit versteht sie einen Dreck! Von den großen Problemen des Heute!

Und ich sage ihr: »Europa ist unterhöhlt. Wir müssen es retten.«

Sie hält.

»Du dummer Bub«, sagt sie.

Ich zucke zurück. Sie küßt mich. Ich küsse sie. Ich fühle ihre Wärme. Ich habe ihre Arme gerne.

»Komm«, sagt sie leise. »Aber sei ruhig, damit dich niemand hört.«

»Wie immer«, sage ich.


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