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Der Stierkampf

Max Kesselring kommt nicht zurück. Max Kesselring bleibt hier. Wenn du nach Aschaffenburg kommst auf Urlaub, so geh einmal zur Nacht, wenn dich niemand sieht, zum Schornsteinfegermeister Kesselring in der Äußeren Angergasse und sage dem Meister einen Gruß von mir. Aber sieh dich gut um, ob niemand anders es hört, denn der Befehl ist: niemand darf es erfahren, wie unsereiner dahier zum Teufel geht! Und Maxe Kesselring ist auf eine besondere Art zum Teufel gegangen, das kann ich woll sagen. Nicht so wie die meisten von uns, abgeschossen und zerschmettert und verbrannt, oder hinter der feindlichen Linie an die Wand gestellt, sondern auf eine Art und Weise, die die Frau Meisterin Mutter ihrem Mäxele gewiß nicht in die Wiege gesungen haben wird.

Du mußt wissen, Max Kesselring war Mechaniker in unserer Staffel: Hauptmann von Sommerwitz, Pilot Ingenieur Weber. Als wir bei Nacht und Nebel 11 000 Meter hoch über die Wolken flogen, so hoch wie wir noch nie bei einem Übungsflug geflogen waren, und es sich herausstellte, daß es gar kein Übungsflug war, sondern daß es nach Spanien ging, damit wir dort für den General Franco gegen die Bolschewisten kämpfen sollen, die »die deutsche Kultur ausrotten wollen« – da hatte Maxe, kaum waren wir angekommen, nur die eine Idee gehabt: Spanien – Stierkampf! Einen Stierkampf erleben, einen Stierkampf! In seiner Jugend hatte er im Katholischen Wochenblatt gelesen, wie ein solcher Stierkampf aussieht: der Stier aus hundert Wunden blutend, mit gesenktem Kopf anrennend gegen den Toreador – du weißt doch: tamtaa-deramtam–Carmen, letzter Akt! –, der Toreador mit dem waagerecht gezückten Degen erwartet den Stier gleichmütig und elegant, um dann, wenn der Stier ganz nah herangekommen ist, ihm den Degen bis an den Griff zwischen die Hörner zu stoßen. Das wollte er sehn, Maxe; dann hatte es sich gelohnt, sagte Maxe. Diese Geschichte, wie der Toreador dasteht und den Stier erwartet, gleichmütig und elegant, hatte er uns so oft erzählt, wieder und wieder, wenn wir in der Kantine saßen oder im Quartier nach der Arbeit, daß wir am Ende den Alten selber darum baten, er möchte doch Maxe endlich seinen Wunsch erfüllen, damit wir das ewige Lamentieren nicht mehr zu hören brauchten: nun hat man uns in dieses stinkende Scheißland fliegen lassen, wo wir nichts zu suchen haben und alles nach ranzigem Öl duftet, die Ruinen sind noch voll von diesem Gestank, und wenn man einen von den Bolschewisten noch lebend in einem Keller erwischt, so haucht er dir seinen Ölgestank in die Nasenlöcher, daß du tot umfällst. Und wir sind doch auch nicht dazu in dieses Scheißland geflogen, damit man uns Nacht für Nacht Tänze von den paar an-da-lu-sischen Huren vorführt, die wir in Aschaffenburg im Eldorado und in jedem Kintopp besser zu sehn bekommen können. Wenn man uns nicht endlich einen richtigen Stierkampf vorführt, so türme ich, das kannst du mir glauben, heilige Mutter Gottes, umsonst bin ich nicht 11 000 Meter hoch über dem Mont Blanc geflogen, ich will einen Stierkampf sehen, einen Stierkampf, das kannst du von mir dem Alten sagen!!

Und wirklich, nachdem wir Guernica genommen hatten und auch noch Amorebieta und ein paar Dutzend solcher Nester und die Hälfte von uns abgeschossen war und von der übrigen gebliebenen Hälfte die Hälfte erklärte, sie wollte nicht mehr, man möchte sie nach Hause schicken, sie seien zur Übung aufgestiegen und nicht hierher, wo wir Deutsche doch nichts zu suchen hätten und wo man uns Nacht für Nacht diese Huren und Zigeunerinnen tanzen ließ, daß man den Tripper bekam schon allein vom Zusehen, da genehmigte der Alte schließlich, was man von ihm verlangte, denn wenn man droht, dann wird man nicht immer erschossen, besonders wenn es in dem Abschnitt nicht mehr genug Mechaniker gibt – und so wurde also, als wir Bilbao erobert und besetzt hatten, endlich ein freier Feier- und Festtag anberaumt und bekanntgegeben, und in der Arena (das Wort bedeutet Sandhaufen), in der Arena ein Stiergefecht angesetzt für die deutsche Besatzung, und die italienische und auch für die spanische, die der neue General Sowieso, ich weiß nicht, wie das Biest heißt, früher war es leichter zu merken, da hieß er Mo-la, befehligte. Ein richtiger Stierkampf mit richtigen Stieren und dem berühmten marokkanischen Toreador Sidi Mohammed ben Scheiße; bei Gott ein wunderbares Programm! Und außerdem sollte es noch einen Glanzpunkt geben, aber den kannte Maxe allein, und den wollte er für sich behalten, damit sein Verdienst größer aussehe, denn von ihm ging ja die ganze Geschichte aus, obzwar wir es waren, die das Ding bei dem Alten durchgesetzt hatten!

Die Requetes wurden gleich dazu kommandiert, die Blutklumpen und Überreste aus dem Sand fortzuschaffen, denn dort hatten wir ja tags zuvor einen überraschten Haufen von solchen Bas-ken-bol-schewisten zusammengeknallt, und so wurde die Arena instand gesetzt für die große Haupt- und Staatsaktion, mit der man uns Deutsche für die tüchtige Arbeit zu belohnen gedachte, die wir doch geleistet hatten, Donnerwetter nochmal oder etwa nicht, und bei der die größere Hälfte von uns Übriggebliebenen in den Sand gebissen hatte, denn Gras gabs weit und breit keines mehr, das hatten die Baskenschweine weggefressen, als die Hungersnot in der Stadt anfing.

 

Schon am frühen Morgen stelzte Maxe Kesselring im Quartier vor uns allen herum, als Macher vons Janze – aber das muß ja zugegeben werden, er war es, der diese Idee, man müsse die Deutschen durch einen Stierkampf belohnen, uns als Floh ins Ohr gesetzt hatte, so andauernd, bis es also nicht mehr ging und alles nach dem Stierkampf schrie und man ihn uns versprach. Denn bei dem Leben, das unsereiner so führt – aber das brauchst du dem Schornsteinfegermeister nicht wiederzuerzählen! –, da kann es leicht zu einer Rebellion kommen: man weiß nicht wie – einer kriegt, wenn man ihm einen Wunsch abgeschlagen hat, hastenichtjesehn, den Koller und geht los, entweder auf die Motore oder noch besser auf einen von den hochmögenden B. M. F. – und dann gibt es Krach, ein Schwarm macht nicht viel her, sondern läuft mitsamt dem Maschinengewehr zu den Roten über, die uns ja im Grunde nichts getan haben, und das ist tunlichst zu vermeiden.

Also Maxe Kesselring lief herum und erzählte, daß es nicht nur den berühmten marokkanischen Toreador wohl geben wird, sondern vor allem einen ebenso, wenn nicht noch berühmteren To-ro, einen Stier, dessen Auftritt eine ungewöhnliche Sensation geben wird, von der nicht nur die baskische Provinz, sondern bald das ganze Spanien erzählen wird. Voll von seinem Geheimnis, stelzte Maxe vor uns auf und nieder, als wüßte er etwas geradezu Staatsgeheimnisvolles, aber es war ja doch bloß der Stier, von dem die Rede war, denn der General Mola war schon seit einigen Wochen krepiert und den neuen General Sowieso kannte bei uns kein Hund. Also wozu das Aufsehen? Er war eben ein Wichtigtuer, Maxe, wenn du ihn gekannt hast, muß dir seine dummdreiste Fresse im Gedächtnis geblieben sein. Aber die Erwartung war bei uns geweckt, und jeder versprach sich von dem Abend etwas Außergewöhnliches, davon man zu Hause, wenn man einmal gefragt würde, und auch ungefragt, noch lange erzählen können wird, eine richtige Cor-ri-da, noch dazu noch mit einem berühmten richtigen Toro, der schon in manchem Kampf seinen Stier gestellt haben sollte – obzwar ich nicht weiß, wie? denn sonst kommt doch kein Stier lebend aus einem Kampf in den Stall zurück? Aber darauf hatte Maxe nur ein Lächeln. Ihr werdet schon sehen!! Nach einigem Hin- und Herreden erklärte er dann geheimnisvoll, daß es sich nicht um einen richtigen Stier handele, sondern um »El-To-ro!«, den weithin bekannten, jetzt bei der Einnahme des Ortes Lar-ra-bu-e-za gefangengenommenen Baskenführer Lar-di-a-za-bal, einen gefährlichen Bolschewistenteufel, der seit Beginn des Bürgerkrieges an allen Fronten gekämpft hatte und auf dessen Kopf ein Preis gesetzt war – jetzt hatte man den »El-To-ro« endlich erwischt und man würde ihn am Abend in der Arena in Lebensgröße zu sehen bekommen! Das war die Extrawurst, die man uns Deutschen gebraten hatte und servieren wollte, um unsern Hunger nach außergewöhnlichen spanischen Gerichten zu stillen; denn das Bombardieren von armseligen zerschossenen Nestern und das Querfeldeinverfolgen von fliehenden Weibern und humpelnden Greisen und quäkenden Kindern, die sich in die Hosen machten, wuchs manchem unter uns schon lange zum Halse heraus.

Am Abend also zogen wir mit klingendem Spiel durch die eroberte Stadt Bilbao, hinaus in die Arena, Plaza de toros genannt, wo das Schauspiel für uns abgehalten werden sollte. Von der Zivilbevölkerung war kaum mehr etwas zu sehen. Nur aus einigen Fenstern sah man sone alte abgehärmte Weiber ihre Säuglinge in die Höhe heben. Das galt aber nicht unserer siegreichen Staffel, sondern den paar elenden Kühen, die wir mit uns führten, um sie in der Arena beim Stiergefecht »Stier« spielen zu lassen. Die Weiber meinten, jetzt habe die siegreiche Franco-Armee also Milchkühe in die Stadt getrieben, die Stadt hatte seit Monaten keine Milch mehr gesehen, und jetzt hatte der große General Franco also Milch für die Säuglinge mitgebracht.

In Friedenszeiten muß das schon ein großartiger Anblick gewesen sein, fast so schön wie unser Stadion im Grunewald, dieses riesige Rund, wohl von 50 000 Zuschauern besetzt, Sonntag für Sonntag! und bumsvoll bis auf den letzten Platz. Diesmal waren wir aber kaum 200–300, bis auf eine Handvoll Requetes hatten sich die Spanier nicht sehen lassen, die Marokkaner waren dagegen fast vollzählig, dazu saßen die Anwesenden gar nicht beisammen, sondern: die Requetes und die Marokkaner möglichst weit weg von uns weg und von den Faschisten – Katzelmachern. Und diese und wir auch möglichst weit voneinander weg. Denn was hatten wir auch mit diesen da zu tun! Diese Provinz hatten wir erobert und nicht sie. Jetzt kamen sie daher und setzten sich in die Arena, um den Stierkampf zu sehen, der doch auch von uns gestartet worden war und nicht von ihnen. –

Um gut zu sehn, wie zwei armselige Ochsen und ein paar schlappe Milchkühe von den Marokkanern mit krummen Säbeln zerfleischt wurden – schöner Stierkampf das –, hatten sich die Zuschauer in die oberen Sitzreihen begeben. Nur Maxe Kesselring mit seinem Busenfreund Mietze Huber aus Landshut hatten sich ihre Plätze hart an der Barriere ausgesucht; kein Wunder: die beiden, Maxe und Mietze, hatten ja ihre glorreiche SA-Dienstzeit im Dachauer Lager abgedient und wollten jetzt gern wieder einmal Blut sehen, nicht weit von oben, sondern gleich hier in greifbarer Nähe! Wie die Zuschauer, die nichts von dem Geheimnis wußten, das Maxe, der doch kein Geheimnis bei sich behalten kann, ein paar Leuten von unserer Staffel ausgeplaudert hatte, und die nur das Abschlachten der armseligen Kühe und Ochsen durch die marokkanischen Scheißhunde mit ihren krummen Säbeln, das, als Stierkampf frisiert, sich vor uns abgespielt hatte, mit angesehen hatten und nun genug davon hatten, na also, ich sage: es war eine ziemliche Unruhe unter den Anwesenden ausgebrochen. Besonders die Katzelmacher gaben sich empört; also, es hallten Rufe, Pfiffe und Geschrei von den Bänken wider, Maxe war wie ein beleidigter Schaubudenbesitzer auf seinen Sitz gestiegen und schrie unverständliche Worte nach rechts und links hinauf, wobei er mit den Händen Gebärden machte, die man als Beschwichtigungsversuch auffassen konnte, oder für: wartet, es kommt noch! Er wußte ja, daß alles nur Vorspiel gewesen war und daß der versprochene Stierkampf erst noch bevorstand. –

Nach der letzten Kuhabschlachtung begannen denn schon etliche von den Plätzen der Requetes aufzustehen und zu den Ausgängen zu drängen, als sich plötzlich die Tore zu den Ställen in der Barriere weit öffneten und statt einer Kuh, eines Ochsen oder eines Stiers ein Mensch auf den Sand hinausgestoßen wurde, ein lebender Mensch, kurz und breit gewachsen, wie es die Basken allgemein sind, schwarzbärtig, stiernackig und mit kurzen krausen Haaren, über denen eine Mütze saß, aber keine Baskenmütze, sondern eine aus Leder mit zwei richtigen Hörnern, vorne auf der Stirn versehen, und unter dem Kinn und hinten am Halse mit einer Schnalle zugebunden. Dieser Mensch war Lardiazabal, »El-Toro«, wie es Maxe Kesselring verkündet und versprochen hatte, und viele von uns erkannten auch in der Verkleidung den aus illustrierten Zeitungen und an die Mauern angeschlagenen Steckbriefen bekannten Kopf des wilden Führers der baskischen Revolutionäre.

Man hatte dem Zabbel, wie wir ihn nannten, seinen Bauernkittel gelassen, der war über und über mit Blut besprenkelt und vollgesogen, wie auch die Hände und die nackten Füße und das Gesicht des Mannes. Hände und Füße waren fest mit engen Stricken gebunden, so daß der Mann bei jedem Schritt auf die Knie und auf alle Viere fallen mußte, den Kopf mit den Hörnern nach vorn, ganz wie ein kleingeratener Stier anzusehn, mit seinen starken Beinen und hilflosen kurzen Armen. Mit gewaltsamen Stößen gelang es ihm immer wieder, sich aufzurappeln, er wurde aber sofort von Kerlen mit Pieken, spitz zulaufenden dünnen Eisenstäben, gestochen, gepiekt und verwundet, so heftig, daß Zabbel immer wieder nach kurzem Aufrechtstehen wieder auf alle Viere niedergehen mußte, den Sand unter sich mit frischem Blut tränkend. Aber der Bursche war ja ein Bulle, ein Büffel ...

Wir sahen dieses Schauspiel an; direkt zum Kotzen war das. Man konnte sehen, worauf es hinausging, denn schon war in der offenen Tür zu den Ställen der riesige vielgenannte maurische »Toreador« Sidi Ben Mohammed sichtbar. Stolz und mit verschränkten Armen wartete er auf das Zeichen, das ihm die Kerle mit den Pieken geben sollten. Zabbel versuchte immer wieder, eine von den Eisenpieken mit den gebundenen Händen zu erwischen, aber die Burschen waren natürlich im Vorteil, denn sie hatten ja die Hände frei, dem Zabbel seine aber konnten sich nur zusammen und zwar nur einige Zentimeter weit bewegen. Doch trotzdem versuchte Zabbel immer wieder mächtig eine von den Pieken zu fassen.

Maxe Kesselring war ganz außer sich geraten. Er stand auf seinem Sitz und fuchtelte mit den Händen in die Arena hinunter. Wahrscheinlich waren ihm die Kerle mit den Pieken zu schlapp; er feuerte sie an, die aber blickten nur hinauf zu Maxe, spuckten aus und taten weiter wie ihnen befohlen war.

Der Sidi trat jetzt vor und näherte sich Zabbel. Sidi hatte ein großes rotes Tuch zwischen den Fäusten, ein solches Tuch, wie es bei richtigen Stierkämpfen vor dem zu Tode gereizten Stier hin- und hergeschwungen zu werden pflegte, um aus dem sterbenden Biest noch den letzten Funken von Wut herauszulocken, ehe ihm der Garaus gemacht wurde. Das Tuch aber, das der Sidi in großen Schwüngen vor Zabbel hin- und herschlenkerte, war kein gewöhnlicher roter Fetzen, sondern es war zu sehen, daß es von einer benagelten Stange heruntergerissen worden war: es war ein rotes Fahnentuch, mit dem Sichel- und Hammer-Zeichen von diesen Bolschewisten bemalt! Als er bemerkt hatte, was da vor ihm hinund hergeschwungen wurde, da wurde der Zabbel plötzlich ganz still. Mit stierem Blick, auf allen vieren unbeweglich, sah er zu dem Mauren und seinem Tuch auf.

Von den Rängen waren hier und dort Schreie zu hören, Rufe: »Arriba, arriba España«, am lautesten von Maxe und seinem Freund, der eine schrille Weiberstimme besaß und wie ein tollgewordenes Marktweib keifte. Der war woll geil geworden von dem Blut, das unter seinem und Maxens Platz von dem Körper des »El Toro« in breiten Bächen herunterfloß.

»Arriba!« »Arriba España!« so scholl es von den Rängen, wo die Requetes saßen und die Katzelmacher. Aber ich muß sagen, dieses Geschrei währte nicht lange, schließlich waren es nur noch Max und Mietze, die weiter kreischten und zeterten.

Zabbel blutete so stark, daß man jeden Augenblick erwarten konnte, er werde sich auf die Seite legen und der Sidi wäre um seine Arbeit betrogen. Aber nein, es schien, daß Leben in den blutenden Körper kam, sogar gelang es ihm, die Hände aneinander zu reiben, um den Strick zu lockern oder zu zerscheuern, die Hände, die nur mehr zwei blutige Klumpen waren, wie auch die Füße und das Gesicht, kaum zu erkennen. Er stieß, ganz wie ein Stier, ein tierisches Gebrüll aus, reckte sich auf, fiel wieder nieder und versuchte nun, genau wie ein verendender Stier, mit zuckenden Sätzen sich in die Nähe des offenen Tores zu bewegen, zu den Ställen, um nicht vor den Augen der Zuschauer zu verrecken. Da stand aber der Sidi schon. Er hatte das Tuch weggeworfen, und darunter kam ein kurzes Messer zum Vorschein.

In unmenschlicher Freude oder Begeisterung beugte sich Maxe ganz tief über die Barriere, um nur keinen Augenblick zu versäumen. Er schrie zu Lardiazabal Worte hinunter, die kein Mensch verstehen konnte; es war ein tierisches Geheul, aber nicht so wie das, das Lardiazabal von sich gab; ein Geheul, das sich überschlug und das grauenhaft war, man konnte es gar nicht mehr anhören, es hallte wider in dem riesigen weiten Raum.

Da aber geschah folgendes.

Ehe man sich recht versehen konnte, wie und auf welche Weise er das zuwege gebracht hatte, wie er das zuwege bringen konnte, hatte sich Lardiazabal mit einem Schwung gegen die Barriere geworfen. Wahrscheinlich hatte er, ohne daß es jemand bemerken konnte, den Strick, der seine Hände gefesselt hielt, schon vor einigen Minuten zerrieben, vielleicht auch mit einer Pieke halb aufgerissen, kurzum, er hatte plötzlich die Hände frei und schwang sich mit einem wilden Schwung hinauf zum Rande der Barriere, wie ein Turner, die Füße gebunden, aber der Körper von unmenschlicher Kraft erfüllt – schwang sich hinauf und rannte eines seiner Hörner Maxe Kesselring in den Bauch.

In der Arena war es ganz still geworden. Von außen her, aus der Stadt, hörte man vereinzelte Schüsse, eine Explosion.

Von dem Platz über der Barriere war Röcheln zu hören. – Mietze keifte weinerlich irgendwo unter einem entfernten Sitz – das Röcheln aber, das wir zu hören bekamen, kam nicht von einem einzelnen Menschen oder Tier, sondern es waren Maxe und der Zabbel, die, zwei Sterbende, einen einzigen Laut zusammen ausgestoßen hatten. –

Tags darauf erfolgte der Appell, und Hauptmann von Sommerwitz hielt über dem Sarge Maxe Kesselrings die Totenrede. Sie war kurz und kernig und schloß mit dem Satz: »Ruhe stolz, Kamerad! Du bist auf dem Felde der deutschen Ehre gefallen.« Auf dem Marsch durch die besiegte Stadt Bilbao sangen wir das Deutschlandlied, den »Guten Kameraden« und den Horst Wessel.

 

Erzähle das, Kamerad, wenn du bei Meister Kesselring vorsprichst, sein Sohn, ein kühner Flieger, wurde im Tode durch den Hauptmann von unserer Staffel geehrt und mit militärischen Ehren begraben. Der Heldenfriedhof der deutschen Besatzungsarmee in Bilbao wurde durch seine Bestattung eingeweiht. Wir werden Maxe Kesselring nicht vergessen. Sage das dem Meister, seinem Vater, und auch der Meisterin. Sie sollen aber beide reinen Mund halten! Sage ihnen das!

Sage dem Meister auch, daß ich wahrscheinlich nicht mehr in die Heimat zurückkehren werde. Aber das steht fest: was auch kommen mag, ich werde, wie Maxe Kesselring es tat, bis zum letzten Atemzuge meine Pflicht gegen Führer, Heer und Vaterland erfüllen.


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