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Politische Feiertage der Überkonfessionellen

Häuser der Friedensidee sollen errichtet werden. Ein »Bund der Überkonfessionellen« hat sich zu diesem Zweck gebildet. Er schreibt zu seiner Begründung: Die konfessionellen Häuser (Kirchen, Synagogen, Moscheen) waren Stützen der Militärkaste im Frieden und Brutstätten der Schlachtenfurie im Krieg! Die konfessionellen Häuser tragen zur Trennung der Menschen voneinander bei; sie pfropfen ein: Überhebung und Mißtrauen im Frieden, Haß im Kriege. – Dem stellen wir entgegen: Überkonfessionelle Häuser mit ihrer besonderen Architektur, Malerei und Plastik, die das konfessionell Trennende beim Anblick nicht aufkommen lassen und in denen 1. das Edle aus der Gesamtliteratur und aus allen Religionsbüchern vorgelesen, 2. das Menschliche in Form einer kurzen Ansprache nahegebracht wird und 3. Musikwerke vorgeführt werden. – Die überkonfessionellen Häuser sind Stützen des Guten im Menschen und des Weltfriedens. Der Bund zählt zu seinen Mitarbeitern bereits eine Reihe namhafter Künstler und sonstiger hervorragender Persönlichkeiten, von denen uns genannt werden: Axel von Fielitz, Hans Friedenthal, Aug. Gaul, Hermann Gura, Carl Hauptmann, Otto Hettner, Arthur Holitscher, Willy Jaeckel, César Klein, Arno Nadel, Bruno Paul, Bruno Taut, James Simon, Kurt Walter Goldschmidt.

Es wird unsere Leser interessieren, aus dem vorliegenden Aufsatz Arthur Holitschers über die Ideen des Bundes näher unterrichtet zu werden.

Die Geschäftsstelle des Bundes befindet sich in Charlottenburg, Kantstraße 91, Telefon: Wilhelm 1242. Der Begründer des Bundes: Dr. Philipp Katz.

Das Bedürfnis, Feste zu feiern, aus festlichem Anlaß sich mit Volksgenossen zusammenzufinden, ist in der menschlichen Gesellschaft unserer Zeit im allgemeinen stärker entwickelt als der Drang, religiöse Hingabe zu betätigen. Durch die Befriedigung dieses Bedürfnisses lassen sich Gedenktage anderer Art als die, die im Bewußtsein der Menschen bisher als Festtage konfessioneller Norm gegolten haben, zu Feiern religiöser Andacht erhöhen. Das überkonfessionelle Andachtshaus könnte und soll diesem Zwecke dienstbar gemacht werden. Der Raum, in dem sich Feierliches zuträgt, hat ja von jeher auf den Grad der Verinnerlichung in dem primitiven, dem Schein unterliegenden Gemütsleben der breitesten Masse bestimmend eingewirkt. Ja, ich wäre versucht zu erklären, daß sich aus dem Bankrott der Kirche dieser Tage die hergebrachten Riten, wie sie in den Andachtshäusern der bestehenden Konfessionen zelebriert werden, allein gerettet haben.

Der Einwand, daß sich Gedenktage politischer Ordnung nicht zur Feier gemeinschaftlicher Andacht eignen könnten, ist hinfällig. Die fundamentale Umwandlung unserer gesellschaftlichen Einstellungen, die aus der Arbeit des Menschen ein Fest, aus dem alttestamentarischen Fluch des im Schweiße des Angesichtes verrichteten Frondienstes eine Lust gemeinsamer Hingabe an den Dienst des Nächsten zu machen bestrebt ist, diese Umwandlung wird es zuwege bringen, daß im Bewußtsein der Menschheit politische Ereignisse jener Art, wie wir sie in unseren Tagen erleben, das heißt Ereignisse, die Marksteine auf dem Wege zur Befreiung des Menschengeschlechts vorstellen, religiöse Feste des Menschheitsdienstes bedeuten werden.

Wie Weihnachten und Ostern, gibt es im Leben der sozialen Massen Feste des Jubels und der Trauer. Tage, an deren feierlichem Begehen Erwachsene wie Kinder gleichen Anteil haben, ihrer Freude und ihrer Klage auf verschiedene Art Ausdruck zu geben veranlaßt werden sollen.

Neben den Festtagen der Erinnerung gibt es sodann feierliche Anlässe der Vorbereitung. Tage, die jeden zur Einkehr in sich und zur Stärkung des Gemeinschaftsgedankens mahnen; Tage, die Ereignissen vorangehen, in denen sich schwerwiegende, das Schicksal Aller treffende Entscheidungen spiegeln werden. Um mich verständlich zu machen, will ich auf Ereignisse dieser Art hinweisen, die sich in den Tagen, da ich diese Zeilen schreibe, vorbereiten: das Volk Deutschlands wird sich bemüßigt sehen, zur Frage des Friedens und der Annahme oder Ablehnung der Friedensbedingungen Stellung zu nehmen; Teile des Volkes werden durch Abstimmung ihren Willen kundgeben müssen, der angestammten Nation weiter anzugehören oder einer fremden sich anzuschließen; ein Wechsel in der Regierungsform mag eintreten, der die Grundfesten der Gemeinschaft erschüttern wird. Ereignisse dieser Tragweite wären wohl geeignet, Empfindungen religiöser Art in dem Volk hervorzurufen.

Und es gibt noch eine dritte Kategorie von zur Andacht mahnenden Tagen: solche, die Ereignissen voll tragischer Wucht folgen mögen, dem Märtyrertode von Volksgenossen, die das Opfer für die Gemeinschaft gebracht haben, auch dem seligen Entschlafen großer Männer und Frauen der Wissenschaft, der Kunst, deren Lebensfunke das Feuer auf dem Altar dieser Andachtshäuser wachgehalten hat, die wir jetzt errichten wollen.

Ein Tag der Freude ist der erste Mai. Er ist ein Gedenktag internationaler Gemeinschaft, ein Feiertag der überkonfessionellen Gemeinde.

Tage der Freude sind auch: der deutsche 9. November, der russische 15. März und 7. November, wie der französische 14. Juli, der amerikanische 4. Juli. Die Literatur für diese Feiertage ist vorgezeichnet: der 1. Mai kann nicht würdiger gefeiert werden als durch den Vortrag von Stellen aus dem Werk von William Morris – besonders dem utopischen Roman: »News from Nowhere« (Kunde von Nirgendwo), von Gedichten aus Walt Whitmans »Grashalmen«, Horace Traubel: »Chants Communaux«, aus dem Kommunistischen Manifest von Marx-Engels, dem »Contrat Social« von Rousseau, aus Kant: »Zum ewigen Frieden«; Schillers »Lied an die Freude«, aus der Bergpredigt.

An Gedenktagen der Revolution: Dichtungen von Freiligrath, Karl Henckell, Heine, Werfel, John Henry Mackay. Aus der Diedrichschen Anthologie. Aus Béranger, Robert Burns, Shelley, Petöfi. – Auszüge aus Tatsachenberichten: über die Vorgänge in Kiel, München, Berlin. Aus Manifesten von Kurt Eisner. Aus Landauers »Aufruf zum Sozialismus«; Briefen und Aufrufen von Karl Liebknecht; aus der Verteidigungsrede von Friedrich Adler. –Aus Werken und Reden von Jaurès, Jean Grave: »La Société Mourante«; aus Babeuf; aus der Verteidigungsrede von Emile Henry. – Aus den Schriften der »Fabian Society«; aus van Eedens »Glücklicher Menschheit«; aus Thomas Payne. Tucker, William Godwin. – Aus den Schriften von Ferrer. – Aus den Manifesten von Tscheidse an das Russische Proletariat, von Lenin an die Arbeiter Amerikas; aus dem Referat des Volkskommissars Lunatscharski über die Kultur des Proletariats; aus Kropotkins »Gegenseitiger Hilfe«, aus Herzen, Bakunin, aus Tolstois letzten moralischen Schriften, Aufrufen und Dialogen. – Aus Berichten über das Leben der russischen revolutionären Frauen: Breschkowskaja, Vera Figner.

Maifeiern der Kinder könnten neben den Gesängen des jungen Volkes Erzählungen aus dem Leben großer, durch eigene Kraft emporgewachsener Männer wie Abraham Lincoln, Wilhelm Liebknecht, Gorki das nötige Gepräge verleihen.

Ein Tag der internationalen Trauer, den die Gemeinde der Überkonfessionellen in ihren Kalender aufzunehmen hätte, wäre der 4. August. Dieser Tag bietet in mancher Hinsicht eine Analogie zum jüdischen Trauertag der Zerstörung des Tempels.

Die Feier des 4. August müßte eine Mahnung an das Volk erfüllen, seine Geschicke nie mehr der brutalen Gewalt der Waffen anzuvertrauen. Die Feier müßte eine Totenfeier sein, ein Gedenktag der Gefallenen und des Todes der alten Form unserer auf Kapitalismus basierenden Zivilisation.

Die Literatur, die für die Feier dieses Tages verwendet werden müßte, würde sich aus Jeremias, Jesaja, Daniel und der Apokalypse zusammensetzen, aus Dokumenten des Russisch-Japanischen, des Balkan- und des Weltkrieges. Solche Dokumente wären: der Aufruf Tolstois von 1912; der Bericht von Lepsius und des internationalen Komitees über die Austreibung des armenischen Volkes; der Aufruf der Quäker Englands gegen den Krieg; Berichte von Kriegsteilnehmern und Gefangenen aus den Schweizer Zeitungen 1914-18; Auszüge aus pazifistischen Schriften von Foerster, Fried, Rolland und anderen; Fords: »Pflugschar oder Kanone«; das Manifest der deutschen sozialistischen Minderheit, Stockholm 1917; Dichtungen lyrischen und epischen Charakters, die den Abscheu vor dem Krieg und die Mahnung zur Menschlichkeit als leitenden Grundgedanken tragen; Autoren: Verhaeren, Franck, Ehrenstein, Leonhard, Rubiner, Duhamel und andere.

 

Tage der Vorbereitung auf bedeutungsvolle politische Ereignisse, wie ich sie oben skizzierte, könnten die Gemeinde im Andachtshause um eine Tribüne vereinen, von der herab ernste und bewährte Mitglieder der Gemeinschaft ihre Volksgenossen belehren, aufrichten, sie für das große gemeinsame Ziel stärken sollten. Die Kanzel würde durch diese Verwendung als Tribüne nicht herabgewürdigt sein, auch wenn jedermann aus der Versammlung sie besteigen dürfte, um die Redner zu widerlegen, seinen Zweifeln wie seinem Glauben Ausdruck zu verleihen.

Aber auch zu Stunden tiefsten Schweigens müßte die Gemeinde gelegentlich zusammengerufen werden. In Amerika gibt es solche Kirchen des Schweigens. Das Andachtshaus wird dann für Stunden eine Stätte der Konzentration auf die tiefe Stimme des Gewissens, die aus dem stummen Gebet oder Besinnen jedes einzelnen sich über die Gemeinschaft höbe, zu einem Fluidum, einer Wolke der Zusammengehörigkeit, des Einverständnisses im gemeinsamen Guten zusammenschlüge.

Es mag geschehen, daß sich gelegentlich überraschende und für die Gemeinschaft bedeutungsvolle Ereignisse abspielen, wie etwa die Bekehrung einer repräsentativen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zu neuen Prinzipien in bezug auf weltliche und geistige Strömungen der Macht und des Glaubens. Auch bei solchen Anlässen wäre das Andachtshaus der Überkonfessionellen Gemeinde der Ort, an dem sich das Volk vereinigen sollte, um zu dem Ereignis, das sein eignes Schicksal bedeuten könnte, Stellung zu nehmen.

 

Aufgabe ständiger lokaler Kommissionen wie auch einer großen internationalen Zentralkommission wäre es, zu Ereignissen des öffentlichen Lebens Stellung zu nehmen, ihre Bedeutung für die Überkonfessionelle Gemeinschaft abzuwägen und festzustellen. Diese Körperschaften könnten eine große kulturelle Mission erfüllen, wenn sie durch ihre Einstellung auf das seelische Moment der Verbrüderung aller Menschen – Ereignisse, die der verwirrende Tag notwendig verschleiern, fälschen, verzerren muß – den ihnen gebührenden Rang im Bewußtsein der Massen zuwiesen. Es würde sich hieraus ein Kampf gegen Lüge und Partei ergeben, dessen Ausgang für das große Gemeinsame, das die Menschen über allen konfessionellen und nationalen Hader hinaus untereinander verbindet, bestimmend werden, auf die Gesinnung der Massen klärend und erhebend wirken könnte.

Zu den Obliegenheiten dieser Kommissionen zähle ich die Herausgabe eines Kalenders der Überkonfessionellen, der die Arbeit und die Errungenschaften der verflossenen Jahre hinüberleiten sollte in und nutzbar machen für die Arbeit des bevorstehenden Jahres. Ein Kalender, in dem um bestimmte Gedenktage sich bestimmte Komplexe von Ideen und positivem Material (für den Vortrag, die Vorführung von Werken der bildenden Künste, der Tonkunst) sich gruppieren müßten, etwa in der Art und Weise, wie das Kalenderwerk Tolstois »Für alle Tage« diese Aufgabe löst.

Der große Name Tolstoi soll am Schlusse dieser Ausführungen stehen, wie er unsichtbar über der Pforte des Tempels der überkonfessionellen Gemeinschaft schweben muß. Als ein Symbol für den Willen zum Höchsten, Gottähnlichsten im Menschen, in dem sich alle edlen Regungen des Menschenherzens, der Trieb zur Kunst, zur Befreiung des Nächsten vom Druck des Unrechts, der Trieb zur Andacht und Hingabe an das Unbegreifliche, zu einem einzigen, machtvoll rauschenden Strom vereinen.


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