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Unter den Farnkräutern

Also der Sohn meines Freundes, mein Todfeind!

Jahr um Jahr ging vorbei: gebückt, unter einem langen, nachschleppenden Sacke. In diesem Sacke führt es für die Jüngeren, Heranwachsenden jedes Mal ein köstlicheres Geschenk. Ist aber ein gewisser Lebenssatz erreicht, dann bringt es keine Geschenke mehr: dann nimmt es von denen, die seine Freigebigkeit einst herbeigeschafft, erst unbemerkt, dann derb zufassend, die besten wieder zurück.

Die Zeit ist Kapitalist: sie nimmt Zinsen und zwar ganz gehörige. Am bänglichsten, am kummervollsten sah wohl Rotnacht auf die langsam den faltigen Hals eines Sackes losnestelnden Hände eines jeden Boten des flutenden Reiches der Jahre: ob sie nicht endlich für ihn herausholten die ersehnte Marke mit den gekreuzten Gebeinen und dem ewigen Puttenkopf darüber: dem Totenkopf.

Noch immer nicht!

Dem Mädchen nimmt es den Taumel des Siegens, das Wälzen im Heu, einen Abhang hinunter, im wildduftenden Grase und gibt ihm dafür den Taumel des Fliegens: das Tanzen; gießt Schüchternheit in die Gebärden, dafür aber Öl in die doppelt flackernde Flamme des Auges.

Die ungeschlachte Hilflosigkeit des unbeschäftigten Jungen geht in die heimliche Pfeife über, in Lust an greller Stimme, an Scherzen der derben Faust – wo alles dies verhalten: in böse Verschlossenheit.

So Wittekind von Hassenburg!

Schnell wie die ersten Tage des Frühlings, die ersten wirklich von Sonne bestrahlten, sind die Mädchentage da. Bei dem Jungen aber ist das Zögernde, grollend am Fleck verharrende Verziehen der letzten Wintertage.

So bei den beiden.

Das Mädchen ging gern mit hinaus, auf mein Schloß unter meine Bücher und eigene Dichtungen: hinaus in die grüne schirmende Daseinsfreude des Waldes. Des großen Schwalenberger

Waldes, der über mehrere Höhen seine grünen Flügel legt.

Den Jungen aber sah man nicht: der mochte wohl in irgendeinem Winkel, hinter irgendeiner Ritze lauern und Gesichter schneiden und die Faust ballen.

Guten Appetit!

Die Farnkräuter, die rostroten Palmen, wie sie über uns zitterten: auch sie mußten ein eigenes heißgerinnendes Leben in sich haben. Gerade hier mußte es gewesen sein, wo mit einbrechender Nacht ein Sumpf gezittert hatte unter unkundigen Schritten, wie ein Land zittert vor drohendem Eroberer, da ich vor fünfzehn Jahren zum ersten Male diesen Wald durchschritten.

Sie hatte mich immer gelockt, diese große grüne Schwellung; da nahm ich einmal einen stundenstarken, weitausgedehnten Tag, nahm mir meine Erfüllung, wie die Jugend sich ihre Erfüllung nimmt.

Als Mann befriedige ich eine Kindersehnsucht. Und glücklich der, dem noch solche zu befriedigen bleibt.

Und nun ein zitterndes Netz von Sonne über ihrem Antlitz, ihren schmelzenden Augen!

Erna!

Wie sie da hing an meinen Arm, wie eine Gerettete im Arme eines Fischers, wie mir anheimgegeben, wie von mir lebend.

Und so gelöst aus sich: eine duftendlose Seelenblume!

Das braune starke, üppig scheue Haar, nun flutete es wirklich wie ein sich dehnender Bach mit eigen-flüchtigem Leben.

Ein Jahr lang war ich fort gewesen und hatte mein Schloß der Obhut eines weniger begünstigten Freundes überlassen, dem es sicherlich auch einmal gut bekam, Schloßherr zu spielen und nicht vom Ersten zum Ersten mit der Frage sich abzuquälen: wie bezahl ich meine Miete?

Ich hatte Tirol durchschweift und die Schweiz, Italien und Spanien und war nun wieder der Fremde satt, wo ich mir vorkam wie eine abgeschnittene Pflanze, eine Blume im Herbarium.

Auch der Mensch hat Wurzeln, die er allerdings bisweilen aus dem Boden ziehen darf, worin er wurzelt.

Nicht zu lange aber, sonst verdorren sie und damit das Beste an ihm.

Und ich war wieder hergekommen, weiter zu wurzeln. Da sah ich nicht weit von meiner Burg, die ich von Schieder her wieder aufsuchte, eine Gestalt: leidend Wilde, fast wildfromme, etwas ins Weite gerichtete Wangen und die Haare so lose angelegt wie diese. Und doch so fest gehalten durch ein Band, ein schwarzes Band. Durch ein inneres vielleicht noch mehr.

Sie drehte mir den Rücken zu und sah nach Süden.

Da forderte ich sie – nicht durch Worte – auf, mir ihr Gesicht zuzuwenden, und sie war so nett, das sofort zu tun.

Da fand ich denn – und sie auch, daß es Erna gewesen. Aber wie verwandelt: seit einem Jahr.

»Gestern ein Kind,
Mit Schleife und Band,
Heute Jungfrau,
Im Festgewand«

sagt ich ihr lächelnd ins Gesicht, als ich die mir dargereichte, dargebrachte Hand, vom fernsten Süden her, da wo ich selbst geweilt, aus derselben Richtung her dargebrachte Hand ergriff und merkte, wie schon ein feines Feuer darin war.

Als ich aufblickte hier im Walde und meine Lippen abtat von der sanftmüden Frucht und die hingegebene Gestalt wieder auf ihre Füße stellen wollte, da lief schnell jemand heran. Es war mein Nebenbuhler. Aber ich dachte in diesem Augenblicke nicht daran, daß er es war. Dachte auch, daß er was zu melden habe: so eilig war er.

Eher noch als ich bemerkte Erna, daß er ein Messer in der Hand habe, das ebenso böse blitzte wie sein Auge, der Weiher, worüber nun wieder Blitze trieben, sie stellte sich vor mich hin und suchte dem Burschen das Messer zu entwinden.

Die Blitze waren erloschen, das Messer fiel zu Boden.

»Du entwickelst dich ja recht nett, mein Junge!« konnte ich im scherzhaften Tone bemerken; denn die Sache war mir in ihrer Schnelligkeit mehr komisch als gefährlich erschienen.

Desto mehr ereiferte sich Erna:

»Der ist ja geradezu gemeingefährlich!« Und sie schlug nach ihm mit ihrem Sonnenschirm, daß er in Stücke brach.

Doch seitdem zog sie sich zurück.

Was uns hätte nähern sollen, entfernte uns.

Der Eifersuchtsausbruch des Burschen mußte ihr wohl schätzbar sein als stärkerer Beweis der Liebe denn alle Zärtlichkeiten und sinnige Hingewöhnung.

Gut: man wußte Bescheid.

Mochten sie sich zusammenfinden und passen!

Auch das war ein Ausweg fürs Leben, war Erfüllung und Schönheit. Ob bei mir, ob bei ihnen – das war gleich.

Ich würde auch für sie sorgen, ich würde feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln; dies würden meine letzten Schützlinge sein. Die letzten: die letzten, wer weiß?

Nun, vorläufig.

Vergnügen machte es mir, wenn ohne Erklärung, als müßt' es so sein, im gegenseitigen Einverständnis, die von mir Gegangene, bereits mehr als halb Erwählte, Bücher bei mir holte für ihren Richtigen.

Sie wollte ihn mit aller Gewalt bilden und veredeln!

In schöner Harmlosigkeit – alles auf meine Kosten.

 


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