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Andere Leute

Himmighausen war nicht weit ab. In meinem Gasthauszimmer langweilte ich mich. Denn der Baron war krank und konnte mich auf vierzehn Tage nicht, wie es sonst seine Gewohnheit gewesen, täglich aufsuchen.

Und der Besuch bei ihm war mit soviel Abneigung seitens des Rentmeisters umgeben, wurde so umknurrt – nicht nur vom Hunde –, daß ich mich trotz der großen Freude, die ich dem armen Kerl damit machte, immer zwingen mußte, ihn auf seinem Krankenlager aufzusuchen.

Das Zimmer, worin er lag, machte nicht gerade einen freiherrlichen Eindruck. Es war geweißt. Die Tünche aber war seit langem nicht erneuert, in den Ecken hingen Spinngewebe, wie Segel so groß. Der Tisch war ohne Anstrich, voll von Rissen und Einschnitten, wie ein runzelvolles Altersgesicht. Sonst standen unten noch zwei Holzstühle und ein eiserner Gartenstuhl. Nach oben führte eine Treppe auf einen Raum, der über einem Kellerhalse lag.

Hier stand das Bett des Barons. Sah aus wie ein Knechtebett, die rot angestrichene Lade war ineinandergehakt, Oberbett und Kissen blau und weiß kariert. Verrostete eiserne Fallen lagen umher. Es roch säuerlich nach Wichse: denn der alte Puljohann, der schwerhörige Hausdiener, stellte hierher das gereinigte und nicht gerade gebrauchte Schuhwerk. Er hatte seine achtzig Jahre auf dem gebeugten Rücken und brummte und murmelte fortwährend in sich hinein.

Der Abend nach unserer Heimfahrt war schrecklich genug gewesen für den armen Baron.

Wortlos war der von seinem langen Wege spät zu Fuß Zurückkehrende auf das Zimmer gekommen, worin sich der Baron schon zu Bette begeben hatte, hatte den Baron bei der Kehle gefaßt und gewürgt, dann ihn wiederholt mit dem Kopfe gegen die Wand gestoßen und ihn darauf verlassen. Gehirnerschütterung war die Folge davon gewesen. Aber es widerstrebte dem Baron, eine Anzeige zu machen. Das wäre seiner Ehre zu nahe gewesen. Er wollte seine Hilflosigkeit nicht in alle Welt hinaus geschrien haben.

Für den Arzt hatte ich gesorgt. Ebenso für das, was ihm in seiner Krankheit dienlich sein konnte: Fruchtsäfte, kühlende Gelees und derlei.

Gern hätte ich ihn eingemietet in ein Zimmer meines Gasthofs, aber der Baron weigerte sich: er könne nicht weg von da. Er habe seine Gründe.

Heute war so ein leiser, feiner, erinnerungsseliger Tag. Da wär's mir unmöglich gewesen, scheele Blicke zu sehen und brummige Worte zuhören. Da konnte ich mir so recht vorstellen, wie der Schwiegermutter meines Wirtes zumute war, die bei ihm im Hause wohnte, schwere Arbeit tun mußte und von Tochter und Schwiegersohn hart angefahren wurde. Das hatte sie sich in den Kopf gesetzt. Dreimal war sie schon in der Irrenanstalt gewesen. Von dort aber war sie nach kurzer Abwesenheit als vollständig geheilt entlassen. Kaum indes kehrte sie in das rohe häßliche Leben ihrer Umgebung zurück, so begann sie wieder des Nachts geistliche Lieder zu singen, so versuchte sie, sich aus dem Hause zu schleichen und sich weiter weg irgendwo ins Wasser zu stürzen. Einmal schon hatte ein Nachtwächter sie aus dem Stadtbach, in den hinein er etwas hatte plumpsen hören, gezogen. Wenn man die Alte sah, mit den wirren weißen Strähnen ihres spärlichen Haares, das faltiggraue Gesicht halt- und ausdruckslose Ergebenheit, die auch zur Trauer und zum Schmerze nicht mehr die Kraft hatte, da mußte man sich sagen: es gibt noch etwas, das härter ist als Stein; etwas, das tiefer ist als Weh, und etwas, das mehr dulden kann als alle Märtyrer der Welt zusammen.

Nun sollte die Alte zum vierten Male fortgebracht werden. Nachts, wenn ich im besten Schlafe lag, wurde ich geweckt durch eine kläglich irrende, in Klagen vergehende Stimme:

»Wer weiß, wie nahe mir mein Ende!«

Das ging doch nicht, es ließ sich nicht mit dem Geschäft vereinbaren, das verjagte die Gäste. Mir gegenüber hatte sich schon der Wirt entschuldigt: ich möchte doch nicht ausziehen, in einigen Tagen würde seine Schwiegermutter wieder abgeholt nach Marsberg.

Ist doch die Seele des Menschen eine Blume, die nicht aufkommen kann, wenn das Glück ihr nicht ein wenig den Boden lockert und das Auge der Liebe, die Sonne, sie erwärmt.

So machte ich mich denn auf den Weg, an Grävenburg vorbei nach Himmighausen. Eine leise flatternde Regung, doch hineinzugehen, wies ich scharf und schneidend ab. Ich wollte einmal egoistisch sein, mir selbst gehören.

Ja, dieser Tag!

Es gibt Tage, an denen die Bäume ihre Illusionen verloren haben. Äußerlich ist nichts wahrzunehmen, die Sonne scheint mild und weich. Nur ein wenig abgespannt scheint sie; im Himmel ist kein Wölkchen, wohl aber leiser Dunst, ein gewisses Wehsein zu merken. Eher zu wittern, als daß man was Bestimmtes wahrzunehmen, zu unterscheiden vermöchte. Es können noch heitere Tage kommen. Tage, die heiter aussehen, denen aber sozusagen die Seele, die innere Heiterkeit fehlt. Es ist, als hätte eine Geisterhand Erde und Himmel berührt, sie gezeichnet. Und nun kann die Natur nicht mehr sich freuen, nicht mehr aus voller Brust aufatmen. Jede Empfindung ist in ihr zunichte gegangen. Himmighausen liegt eingebettet in einem schmalen Tale zwischen Teutoburger Wald und Egge. Mein Freund betreibt dort eine Kalkbrennerei und wohnt in einem etwas verwahrlost aussehenden Schlosse, für das die zusammengestorbene Familie des gräflichen Geschlechts von Rheder sich keine Verwendung weiß und darum für ein Billiges wegvermietet hat. Ein Garten, zum größten Teil Park mit mächtigen Linden, umfaßt es von drei Seiten.

Als ich eintraf, war mein Freund abwesend bei seinen Kalkbrennern.

Seine Frau, die von meinem Vorhandensein und demnächstigen Besuch schon unterrichtet sein mußte, wie ihre entgegenkommende Freundlichkeit vermuten ließ, wollte mich durchaus nicht fortlassen, ehe ich nicht Kaffee getrunken und mich etwas erholt hätte.

Auch würde Karl wahrscheinlich bald nach Hause kommen. Gedeckt wurde unter der großen Linde, die dem Hause zunächst stand und ihre gemütlich gewaltigen Äste wie segnend auf das rötlichgraue Sandsteindach des Schlosses legte. Der Wipfel aber ragte hoch hinauf und trank Bläue mit allen seinen nervigen Blättern.

Die Kiemen hatten bald Bekanntschaft gemacht mit mir und jedes ein Bein besetzt wie ein verbrieftes Eigentum.

Dann kam auch die Frau mit dem Geschirr und setzte sich zu mir. Schon nach den ersten fünf Minuten ward ich inne, daß mein Freund an ein Weib geraten war, wie es sich wärmer, menschlich inniger, mehr Liebe gebend und Liebe bedürfend kaum finden ließ. So recht eine vollsaftige Frucht der Seele.

Es war sehr still.

Bisweilen fing der Wind mal an zu sprechen. Aber dann vergaß er wieder, was er sagen wollte, und hörte mitten im Wehen, im Satze auf. Weiße, freundlich deutliche Wolken schienen sich immer weiter hinein in den Himmel und uns ihnen nachziehen zu wollen, wenn unsere Augen ihnen folgten.

Von Zeit zu Zeit donnerte es heran, ein Eisenbahnzug rasselte über unsere Köpfe und verlor sich in der Ferne. Eine schwarze Eisenbrücke trat einmal auf in diesem Garten, dann eilte sie weiter im unaufhaltsamen Sprunge des Lebens.

Geruhig sprachen wir über dies und das, wie sich's so bei einer Einleitung einer neuen Bekanntschaft ergibt.

Dann ward Stille. Und da ich hinaufschaute, fand ich ihre Augen perlen.

Ich fragte nicht, ich staunte nicht: ich wußte, das ist kein Schmerz, kein Wehe. Das ist die Träne der Ewigkeit, die große Stille der Reife.

Wenn man will: des Glückes.

Die Ahnung der Mitte.

Ich glaube: auch das Getreide ist traurig derart kurz vor der Ernte.

Dann ließ ich mir den Weg beschreiben, nahm Urlaub und ging, meinen Freund auf dem Gebiete seiner Tätigkeit aufzusuchen.

Etwa zehn Minuten aus dem Dorfe gen Westen fingen die weißgelblichen Kalksteine an, die dünne Grasnarbe zu durchbrechen. Trotz der schon ziemlich geneigten Sonne zitterte die Luft über dieser gelblichen Öde. Das machten die hier brennenden Kalköfen, aus denen bisweilen eine schleichende, schattenhafte Flamme emporschlug.

Als Silhouette sah ich da oben meinen Freund bei einem Arbeiter stehen. Er freute sich sichtlich über mein Kommen, daß ich so bald Wort gehalten, gab noch einige Anordnungen und ging dann mit.

Ich mußte die Nacht über dort bleiben. Auch am andern Tag noch war an kein Fortlassen zu denken.

Mein Freund war geschäftig und schien umsichtig.

Aber war er nicht etwa zu geschäftig?

Das Geschäftige kann eine Gefahr für die Liebe sein: es führt zur Vernachlässigung und fordert eine gewisse Roheit.

Arbeit und Geschäft, wenn man sich ihnen einmal zuwenden muß, schwellen zu leicht ins Unermessene, nehmen den ganzen Menschen in Beschlag und bringen seine feinsten Stellen zur Verkümmerung.

Daher auch so manche Kluft in der Ehe: der Mann ist nicht schlecht, es ist nur Geschäft.

 


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